Pentatonik (Dur) zu welchen Akkorden

Dieses Thema im Forum "Improvisation - Harmonielehre" wurde erstellt von murofnohp, 20.April.2017.

  1. GelöschtesMitglied11578

    GelöschtesMitglied11578 Guest

    Genau!

    Früher oder später will man schön und schräg spielen. Zumindest wenn man sich entsprechende Musik selber anhört und als schön empfindet.

    Wenn nicht ist auch ok.
     
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  2. Rick

    Rick Experte

    Dass Swing-Musiker wie Young und Hodges in der Pentatonik verwurzelt waren, hatte ich für eine gesicherte, allgemein bekannte These der Jazz-Geschichte gehalten.
    Natürlich verwendeten sie Leittöne, wenn sich das melodisch anbietet oder harmonisch notwendig ist, selbstverständlich gab es da jede Menge Blue Notes, aber die grundsätzliche Ästhetik beruht auf der Pentatonik, besonders die häufige Verwendung der großen Sexte und Sekunde.

    Dass sie nicht pure Pentatonik rauf- und runtergenudelt haben, hatte ich ja extra geschrieben:

    ;)

    ------------------------------------------------

    Genau, und dazu SOLLTE man sich wirklich Musiker wie Lester Young beispielhaft anhören, denn er zeigte meines Erachtens hervorragend, dass es nicht unbedingt auf ausgeklügeltes Tonmaterial, sondern sehr auf rhythmische Abwechslung ankommt, etwa in seinem berühmten "Lester Leaps In" mit der "Kansas City 7" 1938 (und Pianist Count Basie ebenso):

     
    Zuletzt bearbeitet: 23.April.2017
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  3. gaga

    gaga Gehört zum Inventar

    Ja - so isses. Nicht umsonst wird die um die b3 erweiterte Durpentaskala "Swingscale" genannt. Sie ist in dieser Zeit allgegenwärtig. Wenn man frühe Aufnahmen z.B. von One'O Clock Jump hört mit der üblichen Aufreihung der Bläsersoli, basieren alle Solos auf diesen 6 Tönen.
     
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  4. ppue

    ppue Experte



    Sorry, diese jetzt schon sechstönige Pentatonik (-; höre ich nur bei Minute 1'01" am Anfang des Posaunensolos. Ansonsten höre ich alle möglichen Skalen und chromatischen Vorhalte oder Verbindungstöne.

    C G D A E sind die Kerntöne unserer C-Dur-Leiter. Sie sind alle quintverwandt. Zur C-Dur-Leiter fehlen nur noch F und H. Reiht man diese an die pentatonische Gruppe an, so erhält man

    F C G D A E H

    Sieben Töne, alle quintverwandt, jedoch nicht alle mit zwei Verwandten: F und H haben nur eine Quintverwandtschaft. F und H sind die Ketten-Enden und kommen in der C-Dur-Leiter da zu liegen, wo auch die Halbtonschritte zu finden sind:

    C D E_F G A H_C

    Im einfachen C-Dur-Dreiklang klingen diese beiden "Außenseiter" schon recht reibungsvoll.

    Es ist gar nicht verwunderlich, dass sie in Improvisationen weniger oft auftauchen und so immer mal die pentatonische Skala durchscheint.

     
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  5. niko005

    niko005 Kann einfach nicht wegbleiben

    Vor ein par Tagen kam in einem ähnlichen Thread ein Buch auf, dass die Jazz Theorie gut erklären soll. Ich komme partout nicht mehr auf den Namen und habe es mir leider nicht aufgeschrieben. Hat nochmal jemand den Titel des Buches?
     
  6. Rick

    Rick Experte

    Wir müssen unterscheiden zwischen purer Pentatonik, wie sie in der Jazz-Pädagogik für Improvisations-Einsteiger seit den 1970ern auftaucht, und "pentatonischer Ästhetik", wie ich das nennen würde.
    Mit letzterer meine ich genau das, was ich da auch höre: die wesentlichen Melodietöne sowie einzelne Läufe beruhen durchaus auf der Pentatonik, aber je nach zugrundeliegender Harmonie wird diese angepasst, durch weitere Töne ergänzt. Daraus entsteht dann aber nicht irgendeine neue "Skala" (in solchen Kategorien dachte meines Wissens in den 1930ern noch kein Improvisierender), sondern es geht lediglich um das Spiel mit Blue Notes, Durchgangstönen usw.

    Und weil damals wohl kein praktizierender Musiker Begriffe wie "Swing Scale" oder "Blues Scale" im Kopf hatte, greifen diese auch nicht als Konzept, sondern man hat einfach Melodien erfunden, die nach dem damaligen Geschmack "gut" klangen, und diese um Verzierungen, mögen sie nun auf Diatonik oder Chromatik oder lediglich "Bendings" beruhen, bereichert. Und was als "gut" galt, beruhte meistens ZUFÄLLIG auf Pentatonik.

    Warum ausgerechnet die Pentatonik so eine große weltweite Verbreitung hat - man findet sie in der Volksmusik von China bis Schottland, von Afrika bis Skandinavien -, darüber gibt es einige Theorien. Die Tatsache steht, dass sie den meisten Menschen angenehm ist, sie stört nicht, sondern "erfreut das Ohr", und das tatsächlich kulturübergreifend.

    Ich finde, als Improvisierender sollte man sich ruhig dieser Tatsache bewusst sein, man kann sich auch immer irgendwie in Pentatonik retten, wenn sonst nichts funktioniert - aber wir sind uns wohl alle einig, dass Musik auch Reibung braucht, entweder durch solche Hinzufügungen wie im Swing oder durch völlig abgefahrene, schräge Skalen und Akkorde, die einen modernen Jazzer allerdings auch schnell sehr einsam machen können, wenn er diese im Übermaß benutzt.
    Wie gesagt: auf die richtige Mischung kommt es an! :)


    Schöne Grüße,
    Rick
     
  7. bluefrog

    bluefrog Strebt nach Höherem

    Ja, Reibung braucht's. Mich stört an solchen Diskussionen aber immer ein bisschen, dass musikalische Komplexität fast immer auf harmonische Komplexität reduziert wird, so ein bisschen nach dem Motto: Je mehr Akkorde (oder Skalen) desto besser und differenzierter ist die Musik.

    Ich habe den Eindruck, diese Sichtweise stammt noch aus dem 19. Jahrhundert, als der "Fortschritt" hauptsächlich darin bestand, immer mehr Elemente zur klassischen Harmonik dazuzunehmen. Die Zwölftonmusik war dann sozusagen das Ende der Musikgeschichte.:) Wir kennen aber inzwischen auch den Blues, wir kennen Musik aus anderen Kulturkreisen, bei der Komplexität ganz anders funktioniert. Ich bin z. B. ein großer Freund von Salsa und anderer lateinamerikanischer Musik, in der Rhthmus eigentlich die Hauptrolle spielt. Eine Percussiongruppe, ganz ohne Melodik und Harmonik kann für mich ein Hochgenuss sein.

    LG Helmut
     
  8. Amadeus

    Amadeus Ist fast schon zuhause hier

    ...das trifft den Nagel meiner Meinung genau auf die berühmte - oft zitierte - Stelle.

    - Warum soll man sich nicht des ganzen Tonmaterials/Skalen/Akkorde/Licks - oder was auch immer - zur Improvisation bedienen können?
    - Warum sollte man sich einschränken und eine Pentatonik von vornherein ausschließen?
    - Warum sollte ich mich (Musik)sprachlich im Rahmen meiner Improvisation freiwillig limitieren/festlegen/einengen (lassen)?

    Je mehr Optionen ich mir offen halte - respektive auch bereit bin zu lernen und anzuwenden - umso interessanter wird mein Spiel und umso mehr Spaß macht es mir.

    Diese Diskussion, ob die Pentatonik nun im Jazz angewandt werden soll oder nicht, erinnert mich - soweit ich das noch richtig im Gedächtnis habe - an eine Szene aus dem Film "1984" von George Orwell, in dem einer der Protagonisten in einem Großraum - Büro mit daran arbeitet die Sprache auf das wesentliche Vokabular zu reduzieren.

    In diesem Sinne weiterhin viel Spaß beim Einsatz der Pentatonik (oder auch nicht)

    Mo
     
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  9. Rick

    Rick Experte

    Stimmt, das ist nur EINE Dimension - und deshalb habe ich darauf, einen entsprechenden Einwurf von @Ton Scott aufgreifend, bereits in Beitrag Nr. 42 hingewiesen:
    Denn zumindest im Jazz und verwandter Musik gilt:
    Egal, was Du spielst, die rhythmische Komponente ist entscheidend!
    ("It don't mean a thing if it ain't got that swing!") ;)

    Schönen Gruß,
    Rick
     
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  10. Claus

    Claus Mod Emeritus

    Eben. Das swingt so schön, dass niemand auf die Idee kommt, das grottige Englisch zu kritisieren....
     
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  11. Rick

    Rick Experte

    Meines Wissens wurde der Titel schon sehr oft kritisiert - nicht nur von englischen Muttersprachlern, sondern vor allem von Ausländern wie uns, die zunächst keine Idee haben, was der komische Satz überhaupt bedeuten soll... ;)

    Das war eben Slang, "Szenesprech", den nicht jeder sofort verstehen sollte außer den Eingeweihten, vor allem ein Erkennungsmerkmal: Gehört der zu uns oder ist das ein Fremder, dem man lieber nicht vertraut?

    Da gibt es doch die wunderbare Anekdote, warum der deutsche Philosoph Theodor W. Adorno zeit seines Lebens Jazz nicht verstand:

    In den 1930ern wegen der politischen Lage in Deutschland nach New York exiliert, traf er dort den Journalisten Leonard Feather, seines Zeichens großer Jazz-Fan, sogar selbst Jazz-Veranstalter und Produzent, und bat ihn darum, ihn doch mal zu einem richtig guten Jazz-Konzert mitzunehmen - denn Adorno bestand auf Live-Musik, mit den damaligen Grammophon-Aufnahmen konnte er nicht so viel anfangen.
    Feather meinte, zufällig sei gerade Duke Ellington mit seinen "Cats" in der Stadt (damals viel auf Tour, sogar international), das sei die beste Band überhaupt, deren Auftritt wolle mal einmal besuchen. Also gingen sie zu dem Ort, wo auch Feather gleich ins Schwärmen geriet - und dabei unbewusst in den ihm vertrauten Musiker-Slang verfiel: "Ol' Hodges plays as bad as can be, what a mean motherfucker!" usw.
    Adorno war ziemlich verwirrt - konnte zwar leidlich Englisch, begriff jedoch den Hintersinn solcher Aussagen nicht, weshalb er annahm, Feather schimpfe die ganze Zeit und mache die Musik herunter.
    Die Legende sagt, dass er nach dem wahrscheinlich sehr lauten Nightclub-Besuch in sein Tagebuch schrieb: "Mit Jazz ist es wohl nicht weit her. Sogar Feather hat kein gutes Haar an der angeblich besten Band gelassen. Lohnt nicht, sich weiter damit zu beschäftigen."
    Und dabei blieb er für den Rest seines Lebens. Tja, hätte sich Feather mal für den europäischen Denker verständlicher ausgedrückt! :D


    Schöne Grüße,
    Rick
     
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  12. Claus

    Claus Mod Emeritus

    Hallo Rick,

    Interessante Geschichte; kannte ich nocht nicht.

    Vielleicht hätte ich hinter meinen letzten Post noch einen Zwinker-Smiley setzen sollen - ehrlich gesagt habe ich den Texten der meisten Jazz-Gesangstücke, die ich kenne, noch nie große Bedeutung beigemessen.
     
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  13. Amadeus

    Amadeus Ist fast schon zuhause hier

    ...oder Adorno besser Englisch gelernt. ;):( Ich sage in diesem Zusammenhang:



    Cheers Mo
     
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  14. Rick

    Rick Experte

    Auch mit guten Schul-Englischkenntnissen kommt man nicht weit, wenn solche Typen mal richtig loslegen, das habe ich selbst mehrfach erlebt ( war ja u. a. 5 Jahre regelmäßig mit US-Musikern in Europa auf Tour).
    Da darf man nicht nur auf die Worte hören, sondern muss auch die Mimik und Körpersprache berücksichtigen, sonst gibt es schnell Missverständnisse.
    Einmal meinte einer auf einen Vorschlag von mir, das sei "tough", was für mich "unangenehm" bedeutet, aber umgekehrt als Zustimmung gemeint war. Und tatsächlich bedeutet "Man, you're a goddamn' motherfucker on your horn" das höchste Lob, das man kriegen kann.
    Alles nicht so einfach mit der Völkerverständigung! :)

    Cheers,
    Rick
     
  15. bluefrog

    bluefrog Strebt nach Höherem

    Bist halt a wahnsinniger Hund auf Deim Horn.:)
     
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  16. Amadeus

    Amadeus Ist fast schon zuhause hier

    ...na da fängt ja der Spaß im Englischen erst an. "long time no see" ist auch so eine typische "Pigeon English" Phrase. Na ja und "tough" verstehe ich als "hart, schwierig zu bewerkstelligen/durchzuführen, schwierige Umstände". Tough piece = halt ein "schwieriges Musikstück", um im Kontext zu bleiben. Kann natürlich auch "unangenehm" sein im Sinne von "umständlich, schwierig" zu spielen.

    hier hilft es auch Miles Davis' Autobiography im Original zu lesen.

    So, in diesem Sinne noch einen schönen Sonntag Abend. Mo
     
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  17. ppue

    ppue Experte

    Die einfachste und für mich auch überzeugendste Theorie ist eben die, die mit der quintverwandschaft der Töne argumentiert. Die konsequente Erweiterung der vier Quinten zu sechsen und damit den 7-stufigen Leitern hat uns die damaligen Kirchentonleitern gebracht.

    Die Quinte schwingt im Verhältnis 2:1 und nach Prime und Oktave ist es das einfachste und harmonischste Intervall. Ich gehe fest davon aus, dass dieser Umstand die Menschheit zur Pentatonik gebracht hat.

    Ich habe nichts gegen Pentatonik, nur eben eingesetzt als pädagogische Stützräder für schnellen Erfolg. Schnellen Erfolg gibt es selten beim Musizieren.
     
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  18. Rick

    Rick Experte

    Genau, in Bayern gibt es ähnliche Konstrukte, wie ja auch die doppelte Verneinung als besondere Verstärkung.
    Wahrscheinlich stammen die Ghetto-Bewohner der US-Großstädte irgendwie aus Bayern oder sind zumindest von dort kulturell beeinflusst! :)
     
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  19. Juju

    Juju Strebt nach Höherem

    Dave und ich haben gerade folgende kleine Masterclass zusammengebastelt, einfach mal ein paar Gedanken zu Pentatonics und deren praktische Anwendung, zunächst bei "Blue Bossa", und zwar zwei grundsätzlich voneinander abweichende Beispiele:
    1. Für den Improvisationsanfänger: Wie man mit lediglich zwei verschiedenen Pentatonics durch das gesamte Stück kommt
    2. Für den fortgeschrittenen Improvisator: Weitere Pentatonics, die die Changes näher beschreiben, da kommen z.B. altered Pentatonics ins Spiel

    Und dann noch kurz Giant Steps:
    3. Wie man mit lediglich drei Pentatonics über "Giant Steps" improvisieren kann, und zum Schluß noch ein kurzer Exkurs, wie sich diese Herangehensweise von dem unterscheidet, was Coltrane macht (er nutzt pentatonische Fragmente, mit denen er jeden einzelnen Akkord beschreibt)



    Hoffe der Sound ist einigermaßen erträglich, haben nur ein Mikrophon im Raum aufgestellt...
    Also langweilig wird es glaube ich nicht, selbst wenn man sich bei der Improvisation einmal völlig auf Pentatonics beschränkt... :D

    LG Juju

    P.S: Dave erklärt in Bb
     
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  20. bluefrog

    bluefrog Strebt nach Höherem

    Die meisten sind auch schwarz.:duck:
     
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