Theorie und Praxis

Dieses Thema im Forum "Improvisation - Harmonielehre" wurde erstellt von ppue, 21.Januar.2018.

  1. ppue

    ppue Experte

    Immer wieder Thema hier.

    Wenn er nur vom Blatt spielt, spielt er nur vom Blatt. Was hat das mit Musiktheorie zu tun? Noten sind eine Merkhilfe. Die Theorie braucht im Grunde keine Noten.

    Warum sollte der erwähnte Trommler keine Ahnung von der Theorie haben? Wird wahrscheinlich nicht die Harmonielehre betreffen. Hört sich aber zumindest so an, als könnte er mir die Grundregeln des Trommelns erklären.


    Ich halte es für eine Ausrede, wenn jemand behauptet, er wolle keine Theorie lernen, damit er sich sein freies Spiel nicht kaputt mache. Ich benutze meine theoretischen Kenntnisse nicht beim Spielen. Ich benutze sie, wenn überhaupt, zur Vorbereitung, zum Üben und Vorbereiten eines Stückes.

    Leider denken viele Spieler, dass wir beim Spielen irgendwelche Rechnereien im Kopf anstellen. Nein, Theorie und Praxis treffen sich vor dem Spielen.

    Ich schaue mir ein Stück an und analysiere es. Nehmen wir z.B. die Rhythm Changes.

    Zuerst schau ich mir die Tonart an. Das alleine ist schon Theorie. Was sollte mich dabei einengen, wenn ich mir die drauf schaffe?

    Die Rhythm Changes bestehen aus 32 Takten, in denen zumeist zwei Akkorde gespielt werden, schätze mal, es sind so an die 52 Akkorde, also 'ne Menge Stoff.

    Dann schaue ich mir die Struktur des Stückes an: AABA. Aha, drei Teile sind identisch und kommen sogar bei der Wiederholung dreimal nacheinander AABAAABA. Das ist Theorie. Die hilft mir, mich beim Hören zurecht zu finden.

    Dann schaue ich mir die Mikrostruktur an:

    I Vi Ii V
    I Vi Ii V
    I I7 IV iv#°
    I Vi Ii V

    Im Kleinen also auch eine aaba-Struktur. Wenn ich über die I Vi Ii V-Verbindung zurecht komme, was nicht allzu schwer ist (Ist ja alles eine Tonart), dann habe ich schon 36 Akkorde des Stückes begriffen.

    Solchermaßen eine Übersicht zu haben, befreit ungemein. Denn wenn ich die Form im Kopf habe, die Akkorde vor höre und weiß, wann welcher kommt, nur dann kann ich mich frei darüber bewegen. Nur dann kann ich ihn z.B. bewusst nicht bedienen und somit Spannung aufbauen. Weiß ich nicht, was die Harmonien gerade tun, dann bleibt alles Spielen mehr oder weniger zufällig.

    Was die Harmonien gerade tun, hat man, nach reiflicher Beschäftigung mit der Theorie, nicht in seinen Gedanken (I Vi Ii V), sondern als Modul im Ohr (swui twa soo duu (oder so ähnlich)).

    Theorie lernen, heißt, sich auf die Erfrischung in der Bridge zu freuen, die großen Terzen und kleinen Septimen jucken schon in den Fingern. Theorie lernen, heißt, endlich keine Angst mehr vor der Bridge zu haben oder auch nur das Gefühl, sich mal eben recht und schlecht da durch gefummelt zu haben.

    Das ist allerdings alles auch eine Sache des Stils, den man spielen will. Bei Rock und Blues, da gebe ich dir Recht, @Atkins, ist die theoretische Grundlage weniger bedeutend als im Jazz.
     
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  2. Gast 12243

    Gast 12243 Guest

    Vergesse nicht....ich habe nur für mich selbst und meinen komischen Musikweg gesprochen. Ich würde mir niemals anmassen, das als Allgemeingültigkeit zu sehen....ich sage es immer wieder. Und ich will auch niemandem sagen, was er zu tun hat und was nicht.
    Das ist alles schön und gut und richtig, was du da schreibst....aber ich kenne das schon seit zig Jahren und es widerstrebt mir etwas.....nur etwas.
    Ich habe schon lange kein Bock mehr auf AABA oder II - V - I und was da alles mit zusammenhängt. Ich schaue mir das zwar trotzdem ein bisschen an, aber es interessiert mich nicht so sehr.
    Und weisste, was für Mucke ich mit dem Sax am liebsten tröte :) genau, Jazz.
    Ich habe keine Angst vor Bridges oder Terzen und Septimen, habe ich auch nie gehabt. Aber ich weiss, dass ich manchmal ganz schön rumdudel und da bin ich auch dran.
    Es ist einfach so, wie ich wiederholt sage. Ich persönlich finde die Theorie nicht so prickelnd, nehme gerne etwas davon mit, aber betrachte es nicht als immens wichtig.
    Und.......das ist nur meine Meinung für mich und soll/muss für keinen anderen richtig sein.
    Und ja...wir sind ja bei der Harmonielehre, davon hatte und ich nehme an hat, der Trommler null Ahnung und die braucht er ja auch gar nicht.
    Ich wäre verdammt happy, wenn ich das, was ich singen kann, 1 : 1 auf dem Sax umsetzen kann. Das werde ich wohl nie erreichen, aber das wäre für mich etwas, wofür ich echt dankbar wäre, wem auch immer.
    Theorie stört mich da eher ( ich betone es noch mal...stört nur MICH)

    Nichtdestotrotz wühle ich mich mit mehr oder weniger Erfolg so gelegentlich durch theoretische Sachen durch, dazu gehören auch deine genannten Sachen.
    Mal schauen....wie es weitergeht.

    Edit: Aber gut dass der Thread nun hier gelandet ist, ist ja an sich ne interessante Sache
     
    Zuletzt von einem Moderator bearbeitet: 21.Januar.2018
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  3. Dreas

    Dreas Gehört zum Inventar

    @ppue

    Sehe das wie Du.....

    Wobei dieses Wort "Theorie" häufig abschreckt, dabei gibt es die ja gar nicht, da sie ständig in der Praxis stattfindet, wir sie ständig hören....sie beschreibt doch nur Zusammenhänge, die eh in der Musik ständig stattfinden.

    Also geht es um's Verstehen, warum was wie funktioniert.

    Und das ist nicht theoretisch sondern äußerst praktisch....:p

    CzG

    Dreas
     
  4. ppue

    ppue Experte

    Und wenn du das professionell machen wirst, kommst du eben nicht drum herum. Das war meine Aussage.

    Wahrscheinlich aber wirst du dann auch eher Spaß daran haben (-:
     
  5. Gast 12243

    Gast 12243 Guest

    Wie.....was glaubst du, was für einen Spass ich jetzt schon daran habe!! :)
    Habe gerade heute mal wieder Dexter Blows liebend gerne getrötet und das Thema klappt immer besser. Nur die Impro über 9 ! Chorusse fällt mir schwer und ich habe auch keine Lust, mich da nun nur an Akkordbezeichnungen
    zu orientieren.
    Was ich diesbzgl. grerade mache: Ich höre mir das Original an und versuche es nachzuspielen und die Strukturen zu begreifen und zwar ohne irgendwelche Akkorde oder sonstwas. Ich will es im Kopf haben und frei spielen können.....
    vielleicht klappt da ja nie ??? Macht auch nix:)
    Professionell werde ich niemals Musik machen.
     
  6. bluefrog

    bluefrog Strebt nach Höherem

    Ich vergleiche das gerne mit dem Fremdsprachenlernen. Noch nie habe ich jemanden kennengelernt, der Deutsch als Erwachsener gelernt hat, die Sprache sehr gut beherrscht, und sich nicht auch intensiv mit Grammatik (also Theorie) beschäftigt hat. Ich kenne aber viele, die Deutsch intuitiv gelernt haben, sehr fließend und mit großem Wortschatz Deutsch sprechen, aber leider eben nicht gut.

    LG Helmut
     
  7. pth

    pth Ist fast schon zuhause hier

    Wenn du um die Strukturen weißt, könntest du auch eine Geschichte über 9 Chorusse erzählen. Wenn du das überhaupt möchtest.?
     
  8. Gast 12243

    Gast 12243 Guest


    ;) Ich kann es ( noch) nicht, so einfach ist das, aber das wird schon.
     
    last gefällt das.
  9. ppue

    ppue Experte

    Das eben tust du ja nicht. Die Akkordbezeichnungen brauchst du nicht mehr während des Spielens. Es ist nach einer Analyse viel einfacher. Du hörst im Voraus: Ach, jetzt kommt das Ding, wo ein F# dazu super klingt. Du lernst es vorher, um es beim Spielen intuitiv und spontan einsetzen zu können. Du brauchst dich nicht zu orientieren, weil du hörst, wo du bist.
     
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  10. pth

    pth Ist fast schon zuhause hier

    Da gibt es Menschen für die ist das Studium der Harmonielehre wichtig. Ohne die können sie keine Musik machen.
    Dann gibt es Menschen die intuitiv an die Musik rangehen und Erfolg dabei haben. Diese haben ein gutes Gespür für die Musik und können das auch sehr gut umsetzen.
    Aber es gibt auch Menschen die von beiden etwas haben, es aber nicht umsetzen können.

    Wäre schön wenn sie Alle voneinander lernen würden. Deshalb gibt es z.B. solch ein Forum.

    People are different!
     
  11. Gast 12243

    Gast 12243 Guest

    Ich nehme das alles auf und wahr und werde es sicherlich iwie umsetzen. Zu hören, wo ich bin, klingt gut !!! Da soll es hin gehen.

    Edit: @ pth: gefällt mir sogar sehr, was du da gesagt hast!
     
  12. last

    last Strebt nach Höherem



    :D last
     
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  13. Lagoona

    Lagoona Ist fast schon zuhause hier

    Mein Saxophonlehrer erzählte mir einst die Geschichte von der Aufnahmeprüfung zu seinem Studium an der Musikhochschule in Mannheim.
    Es war eine Band auf der Bühne und die Anwärter sollten zu der Band improvisieren.
    Nach dem Vorspiel fragte der Vorsitzende des Gremiums, ob er denn erklären könnte was er da gespielt habe. Mein Saxlehrer sagte,
    er habe nach Gefühl gespielt. Darauf hin erklärte ihm der Vorsitzende, dass er aussergewöhnlich gut spiele, dass er aber noch hundert Mal besser spielen könnte, wenn er wüsste was er spielt.
    Heute steht er nach seinem Abschluss bei „play my song, das Tauschkonzert"auf der Bühne.
    Ich sehe es wie ppue, wer professionell sein möchte, der kommt ohne das Handwerkszeug nicht aus. Ob man es braucht oder nicht,
    es gehört zu einer fundierten Ausbildung dazu. Musik ist für mich auch eine Wissenschaft, ähnlich wie die Kunst auch.
    Ein Musiker ohne fundiertes Wissen ist für mich eher ein Interpret.
    Ist aber nur meine Meinung, bitte nicht böse sein.
    LG
     
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  14. Gast 12243

    Gast 12243 Guest

    Shit...ich bin "nur" ein Interpret :)
     
  15. Lagoona

    Lagoona Ist fast schon zuhause hier

    @Atkins ,
    ich schrieb “eher":)
     
  16. antonio

    antonio Gehört zum Inventar

    Nein, nein, wenn ich das höre, werde ich spastisch. Kunst wird zur Wissenschaft gemacht von denen welche sie schubladisieren, katalogisieren, gegen einander ausspielen usw. Die brauchen eine Wissenschaft, sonst ist ihr Status dahin.
     
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  17. Gerrit

    Gerrit Guest

    Das ist doch eine grundsätzliche Erkenntnis, die hier eingangs niedergeschrieben ist. Wenn man ernsthaft eine Sache betreibt dann beschäftigt man sich mit ihr eingehend! Das betrifft nicht nur unser Geschäft, sondern eigentlich alle Tätigkeiten, die gewisse Fertigkeiten erfordern.

    Was Musik, Kunst, Schauspiel, Literatur angeht: die besondere Aufgabe besteht wahrscheinlich darin, etwas zu schaffen, dem man im Augenblick seiner Wahrnehmung und seines Genusses die Vorbereitung nicht wirklich anmerkt.

    Oder anders formuliert: das Werk gefällt oder regt an auf Grundlage des Wissens, aber die Theorie dominiert die Ästhetik nicht...

    Wir könnten ja einmal Beispiele hier zusammentragen. Auf Anhieb fällt mir sofort Mozart ein...
     
  18. Lagoona

    Lagoona Ist fast schon zuhause hier

    Das verstehe ich nicht!
    Von wem redest du? Wer sind die? Und welcher Status?
     
  19. GelöschtesMitglied1589

    GelöschtesMitglied1589 Guest

    Am Anfang allen Wissens steht die kindliche Neugier und der damit verbundene Wunsch und Wille, die Welt zu entdecken. Diese kindliche Neugier wurde bei mir mit ca. 9 Jahren durch zwei Jahre (guten) Klavierunterricht geweckt, versandete in den ersten Wirren der Pubertät, in denen ich das gesamte Regelwerk enschließlich Noten gegen die Gitarre, Beatles, später Clapton und B.B. King eintauschte und gegen das musikalische "Establishment" rebellierte.
    Indes, es nutze nichts: mit der Coda von "If I Fell" von den Beatles (Moll-Dreiklang mit Sexte im Anhang) oder dem bekannten Intro von "Michelle" kam die Neugier geballt zurück, wollte aber noch nicht wissenschaftlich befriedigt werden. Auch "A Salty Dog" von Procol Harum und noch vieles mehr feuerte diese Neugier an. Solange ich es hörend spielen konnte, war ich zufrieden. Irgendwann reicht mir das aber nicht mehr, in einem Haus der Musik lustzuwandeln, ohne die Architektur zu verstehen.
    Interessant ist dabei, dass ich nie wieder so intuitiv gespielt habe wie im "Käfig" der Pentatonik. Da konnte ich einfach alles loslassen und "fliegen", blieb aber auch immer beim begrenzten Material. Irgendwann mochte ich einfach nicht mehr.
    Später musste ich dann im Musikstudium die Grammatik lernen, und meine Neugier hat mir geholfen, da dort schon einiges angelegt war.
    Ich wünsche euch allen diese Neugier, aber in erster Linie Spass beim Musizieren.
     
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  20. Juju

    Juju Strebt nach Höherem

    Ich war immer jemand, der mit den Ohren wesentlich schneller war als in Bezug aufs theoretische Verständnis, was einerseits ein Segen ist aber andererseits ein Fluch - ich würde mir wünschen etwas fitter in der Theorie zu sein. Das war schon während des Musikstudiums so, dass ich die Gehörbildungsscheine gleich in einem Aufwasch gemacht habe, also die Klausuren, ohne je eine der Vorlesungen besucht zu haben. Wie ich allerdings durch die Harmonielehreklausuren gekommen bin ist mir bis heute ein Rätsel. Ich habe das auch sofort alles wieder vergessen...
    Mein Mann hat das auch erst nicht verstanden, dass ich keinen Plan habe von dem was ich mache, er meint aus langjähriger Erfahrung, dass 99% seiner Studenten die Dinge erstmal theoretisch begreifen mussten, bevor sie irgendwas improvisationsmäßig umsetzen konnten. Er sagt, ich sei ein Freak :D. Aber es hat ihm einen neuen Blickwinkel vermittelt, was ja auch nicht verkehrt ist. Wir haben dann das Pferd gewissermaßen von hinten aufgezäumt und er erklärt mir nun immer, was ich da gerade übe und warum es funktioniert, und so wurde für mich ein Schuh draus. Das Resultat ist, dass ich mich meines Erachtens in den letzten Jahren sehr verbessert habe, was komplexere Changes angeht, und insgesamt viel schneller voran komme. Vor dieser Zeit hätte ich mich bei sowas wie der Bridge von Miss Jones nur mit Ach und Krach durchschummeln können, aber elegant war das nicht, und auch nicht so toll, wenn man ständig auf dem falschen Ton landet und das zwar auch hört, aber nicht so recht weiß, warum es nicht funktionieren will...
    If in any doubt kann man sich natürlich an der Melodie entlanghangeln, aber auf die Dauer befriedigend ist das nicht und es ist auch beengend - erst das Verständnis der harmonischen Strukturen eröffnet einem improvisatorische Freiheit.
    Aber es muss mich zuerst klanglich irgendwie ansprechen, und dann "darf" Dave es mir erklären :) Z.B habe ich letztens ein paar Takte transkribiert, die ich harmonisch spannend fand, etwas über die II-V-Is in "The Night Has A Thousend Eyes". Habe es Dave dann vorgespielt und er erklärte mir, dass die II-V-Is mit Countdown Changes substituiert wurden und wie das funktioniert. Nachdem der Groschen gefallen war, habe ich dann gezielt die "Countdown" Sequenz durch alle Tonarten geübt und weiß, dass ich im Prinzip diese Sequenz über jede x-beliebige II-V-I spontan einleiten kann (dazu muss ich natürlich eine Rhythmusgruppe haben, die das in Echtzeit schnallt und sofort mitzieht...). Das braucht noch eine Ewigkeit, bis ich dazu tatsächlich in der Lage sein werde, aber vor ein paar Jahren hätte ich mir das nicht träumen lassen. Vor sieben Jahren wußte ich noch nicht mal, was eine II-V-I ist.
    Voraussetzung bei der "No-Theory-Methode" ist allerdings, dass man über ein so gutes Gehör verfügt, dass man hören kann, ob und wann man daneben liegt. Leider ist das bei vielen nicht der Fall, und dementsprechend hört es sich dann auch an... :(
    LG Juju
     
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