Elitäre Kunst

Dieses Thema im Forum "Eigene (musikrelevante) Themen" wurde erstellt von ppue, 17.April.2015.

  1. Dreas

    Dreas Gehört zum Inventar

    Roland, ich liebe Deine Beiträge....:kiss:

    CzG

    Dreas
     
  2. ppue

    ppue Experte

    Natürlich spielt die Individualität des Betrachters da hinein. Meine Definition von Kunst schließt den Betrachter mit ein. Man kann von einer Eigenschaft des Kunstwerks sprechen, wenn wir es als sinnlich direkt erfassbar oder als eines bezeichnen, das man sich intellektuell erst erschließen muss.

    Filmmusik, die absichtlich nur auf emotionale Wirkung aus ist, ist ein Beispiel für selbsterklärende Kunst.
     
  3. antonio

    antonio Gehört zum Inventar

    Na ja...könnte man jetzt wieder diskutieren - welchen Kunstbegriff haben wir...

    Für mich ist Kunst schon aus dem einfachen Grund nicht "selbsterklärend", weil ich es ablehne hier Schulfunk präsentiert zu bekommen. Ich will keine Botschaft in dieser Disziplin, die mir eindirektional sagt, was ich zu sehen/hören habe. Das wäre für mich klar keine Kunst. Vielleicht einfach "handwerklich gut gemacht", eine verständliche Bedienungsanleitung oder so was...

    @Roland *grins*: Darum schrieb ich auch im "besten Fall" - unsere Ticketautomaten sind auch manchmal eher Zufallsgeratoren :)

    Gruss
    antonio
     
    Rick gefällt das.
  4. Rick

    Rick Experte

    Für meinen Geschmack werden hier die Kunstauffassungen unterschiedlicher Epochen verwirrend miteinander vermischt, denn natürlich hat der Kunstbegriff auch eine starke historische Komponente.

    Früher war Kunst vor allem Schmuck, diente zu Repräsentationszwecken von Mächtigen und Reichen. Klar: Eine filigrane Handwerksarbeit, die ganz offenbar keine konkrete Aufgabe hat, außer zu gefallen, "schön" zu sein, deutet auf Überfluss hin - an Zeit und Geld.
    Maler und Bildhauer bemühten sich, die Natur möglichst detailliert abzubilden oder wieder zu geben, Musiker arbeiteten ähnlich wie Köche an raffinierten sinnlichen Genüssen. Kunst um ihrer selbst willen war praktisch nicht existent, man erfüllte Aufträge von potenten Mäzenen, die damit in der Regel ihre Umwelt beeindrucken wollten. Höchstens hat mal ein Künstler zu Studienzwecken, um sich zu üben, seine Fertigkeiten zu vervollkommnen, ein Kunstwerk "für sich selbst" angefertigt.

    Der Umbruch geschah meiner Ansicht nach zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit dem Aufkommen der Idee des "Genies", also eines besonders begnadeten, talentierten Geistes, der sozusagen mit "dem Höheren" in Verbindung stand. Typisch Romantik, typisch Bürgergesellschaft, typische Missverständnisse bzw. Umdeutungen der Gepflogenheiten des Adels.
    Als erste "Genies" galten etwa der Dichter Goethe (das "Universalgenie") und der Komponist Ludwig van Beethoven, beide wurden in ELITÄREN Kreisen "vergöttert". Wer mit ihren Werken nichts anzufangen wusste, war eben von niedriger Natur, nur ein wahrer "Schöngeist" konnte das Genie ausreichend erkennen und würdigen.
    Ich denke, hier entstand im "Bildungsbürgertum" der Gedanke von der elitären Kunst.

    Mitte des 19. Jahrhunderts geriet auch die Idee der Evolution, also einer logischen Weiterentwicklung, in vielen Disziplinen extrem in Mode, nicht nur in der Biologie wurde das Prinzip gesucht und gefunden, auch in der bildenden Kunst und Musik postulierte man nun eine Art Evolution, wonach ein wirklich "wichtiger" Künstler etwas Wesentliches zum Fortschritt beizutragen habe, er müsse also Grenzen überschreiten, Neues erschaffen.

    Die Kunstkritik fahndete nach solchen "Pionieren" und verabscheute die "Kopie des Bestehenden", alles Rückschrittliche - meistens im Gegensatz zur allgemeinen Popularität des jeweiligen Künstlers, wodurch sich eine Schere zwischen "gefälliger" und "wahrer" Kunst öffnete.
    Der "wahren Kunst" wurde ein Kontakt mit überirdischen Sphären, dem "göttlichen Funken", unterstellt, im Gegensatz dazu war das allzu Gefällige, Populäre irdisch, diente dem Mammon, also gewissermaßen dem Teufel.

    Wahre Kunst hatte zweckfrei zu sein, sollte nicht allzu sehr bereits bestehenden Geschmack entsprechen und wie gesagt etwas "Wegweisendes" enthalten.
    Allerdings kann von so etwas Elitärem kaum ein unbekannter Nachwuchskünstler leben, daher rühren sowohl der Begriff der "brotlosen Kunst" als auch das Misstrauen der Kleinbürger gegenüber diesem merkwürdigen Zeitvertreib, der ihnen scheinbar auf ewig verschlossen blieb.

    Ich denke, wenn wir einen allgemein gültige Definition von Kunst finden wollen, sollten wir uns dieser romantisch-verklärenden Auffassung des 19. Jahrhunderts bewusst sein - und der Tatsache, dass die Auffassung von Kunst nicht immer gleich war und es vielleicht auch gar nicht sein kann oder sollte.

    Für mich liegt Kunst immer noch zuallererst im Auge des Betrachters. :cool:


    Schöne Grüße,
    Rick
     
    Zuletzt bearbeitet: 24.April.2015
  5. ppue

    ppue Experte

    Richtig. Aber dazu muss das Werk ja erst von einem Künstler geschaffen werden. Und dann hat man schon alles, was zur Kunst gehört. Meine Definition trifft auf alle Epochen zu.

    Beuys ist immer wieder spannend und auch in unserem Zusammenhang:

    http://de.wikipedia.org/wiki/Wie_man_dem_toten_Hasen_die_Bilder_erklärt
     
  6. Bereckis

    Bereckis Gehört zum Inventar

    Ich auch!!!

    :)
     
  7. Bereckis

    Bereckis Gehört zum Inventar

    Wunderbar definiert!

    Im Grunde stellt der Künstler stets die Kunst selber wieder in Frage. Wenn John Cage mit einem Orchester nichts spielt und die Geräusche des Alltags hören lässt, so ist dies die totale Reduzierung des Orchesterwerkes.
     
    ppue gefällt das.
  8. ppue

    ppue Experte

    Er hat es nur mit einem Klavier gewagt. Eigentlich witzig, denn das Arrangement für großes Orchester ist keine Meisterleitung und dennoch finde ich das Arrangement toll. Würde gerne wissen, ob GEMA und des Komponisten Rechteinhaber das als Bearbeitung anerkennen.
     
  9. Bereckis

    Bereckis Gehört zum Inventar

    Schade, ich hätte gerne im Orchester hierfür die erste Bassklarinette gespielt.

    Die GEMA sind Beamte...
     
  10. chrisdos

    chrisdos Strebt nach Höherem

    Deshalb lässt sich auch nicht festlegen, ob etwas Kunst ist. Individuell schon, aber nicht allgemeingültig.

    Ich habe hier 2 Strichmännchen, eigentlich sehr ähnlich. Keine Besonderheiten, Strichmännchen halt. (Schon toll, dass wir darin Menschen erkennen können, oder?) Strichmännchen sind ja eher selbsterklärend, eine reduzierte Darstellung von Mama, Papa, oder der Kindergärtnerin. Aber das eine wurde von einem Kind gemalt, das andere von Picasso. Zum Glück sind beide signiert, sonst würde man sie womöglich noch vertauschen und das falsche Bild in die Schublade mit der ersten Windel, dem ersten Schnuller und den übrigen Devotionalien legen.:)
    Ja, wir hatten das schon, mit der zerknüllten Zeitung, dem Erdhaufen und der Absicht des Künstlers. Und wenn nun beide, Picasso und das Kind, die Absicht hatten ein Kunstwerk zu schaffen? Was macht den Unterschied? Der Punkt ist doch, dass auch der vorgebildete Kunstkenner keinen Unterschied zu erkennen vermag ohne die Information, dass das eine Strichmännchen nicht Mama, Papa oder die Kindergärtnerin darstellt, sondern die Essenz von Picasso's Künstlerleben.
    An dem Punkt wird es für mich schwierig. Wenn ein Künstler erklären muss, was er mit einem Kunstwerk aussagen will, warum schreibt er dann nicht ein Buch:)
     
    Claus, cedartec und bluefrog gefällt das.
  11. bluefrog

    bluefrog Strebt nach Höherem

    Unterschreibe ich hundertprozentig.

    LG Helmut
     
  12. ppue

    ppue Experte

    Ganz recht, es lässt sich nicht festlegen, was Kunst ist. Erst dann, wenn das Publikum entschieden hat. Kann sehr gut sein, dass die Strichmännchen von Picasso (kann ich sie mal sehen?) für die einen Kunst ist und für die anderen nicht. Das ändert aber nichts an der Definition, denn die schließt mit ein, dass sich ein Publikum so oder so entscheidet.

    Ich war auf einer Ausstellung von Picasso, auf der die Werke seiner letzten beiden Jahre ausgestellt waren. Das war todlangweilig und ich war regelrecht verärgert darob. Zum großen Teil hätte ich gesagt: keine Kunst! Oder besser: Picasso hat sein Werk durch die inflationäre Produktion ähnlicher Werke stark entwertet.

    Wenn ein Künstler lieber ein Buch schreibt, dann steht er vor genau der gleichen Schwierigkeit. Man lese nur ZETTEL'S TRAUM von Arno Schmidt. Vielleicht bräuchte man da erklärende Zeichnungen (-;
     
  13. a.g.

    a.g. Ist fast schon zuhause hier

    Hallo,
    habe hier viel gelesen, lange nicht alle Beiträge. Finde Kunst und elitär paßt für mich nicht zusammen. Es liegt doch in der Wahrnehmung des Betracher wie Kunst, oder was als solches tituliert wird, erlebt oder beurteilt wird. Ein gewisses Grundverständnis über den Bereich in dem ich Kunst beurteile darf natürlich da sein, ist aber keine Voraussetzung.

    Herzliche Grüße

    Andreas
     
  14. ppue

    ppue Experte

    Ich möchte das Thema mal praktisch beleuchten. Ein für mich überaus gelungenes Kunstwerk ist Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin:

    1.png

    „HolocaustMahnmalLuft“ von de:Benutzer:Schreibkraft - Eigenes Werk (own photography). Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons - http://commons.wikimedia.org/wiki/File:HolocaustMahnmalLuft.jpg#/media/File:HolocaustMahnmalLuft.jpg

    Das Mahnmal ist riesig: Ein Stelenfeld, welches sich über 19.000 Quadratmeter erstreckt. Um das Kunstwerk von Peter Eisenman zu begreifen und deuten zu können, ist zumindest ein Wissen über die in Europa ermordeten Juden nötig. Die Absicht des Kunstwerks erklärt sich über den Titel. Gerät man zufällig zu diesem Ort, so ist es möglich, dass man den Titel aber gar nicht mit bekommt. Auch bekommt man nicht mit, dass das Kunstwerk mit seinen 2.711 Blöcken von oben stark an einen Friedhof erinnert. Möglicher Weise assoziiert man die Blöcke dennoch mit Sarkophagen.
    Geht man durch die schmalen Gänge, so taucht man über enge, gepflasterte und wellige Wege immer tiefer in die Wüste dieser Särge ein. Das ist alleine schon ein akustisches Phänomen, denn die Alltagsgeräusche verschwinden mehr und mehr und werden durch eine ganz eigene Akustik ersetzt. Die Wege sind so eng, dass man nicht zu zweit nebeneinander gehen kann. Alles wird grau, man assoziiert vielleicht Asche. In der Mitte sind die Klötze so hoch, dass man sich verloren und klein fühlt ob ihrer Übermacht. Schaut man hier an den Kreuzungspunkten nach oben, bleibt vom Himmel nur ein kleiner Ausschnitt in Form eines Kreuzes zu sehen.
    Die unmerklich schiefen Stelen und der wellige Boden vermitteln Unsicherheit. Leicht stößt man mit anderen Besuchern des Denkmals zusammen oder wählt einen anderen Weg, um ein Zusammentreffen zu vermeiden.
    Eine Interpretation der Bedeutung des Mahnmals will Eisenman bewusst jedem Besucher selbst überlassen: „In unserem Denkmal gibt es kein Ziel, kein Ende, keinen Weg hinein oder heraus. Die Zeit der Erfahrung des Individuums gewährt kein weiteres Verstehen, denn ein Verstehen ist nicht möglich. Die Zeit des Denkmals, seine Dauer von seinem oberen bis zu seinem unteren Ende, ist getrennt von der Zeit seiner Erfahrung.“

    Wir haben hier ein Kunstwerk, welches sich ausschließlich sinnlich erfahren lässt. Ohne die Absicht des Künstlers bzw. den Titel des Werkes aber fällt der wichtigste Aspekt des Mahnmals weg. Hier braucht es Vorkenntnisse. Ist man es gewohnt, Kunst zu interpretieren, dann ergibt sich eine Fülle von Assoziationen und interpretatorischen Ansätzen. Führt man die Schüler einer achten Klasse durch das Werk, so werden auch diese Emotionen benennen können. Sie sind aber noch nicht so weit, das Mahnmal in vollem Umfang analysieren und deuten zu können.

    Wie bei vielen Kunstwerken will auch dieses Kunstwerk anregen, sich mit ihm zu beschäftigen. Die Assoziationen des Rezipienten, dessen eigenen Gedanken sind es, die der Künstler hervorrufen möchte. So steht bei vielen Werken die geleistete Assoziationsarbeit des Betrachters deutlich im Mittelpunkt. Ein anderes einfaches Beispiel dafür:

    2.png

    Ein Vexierbild. Was der Betrachter hier auf den ersten Blick sieht, weiß man nicht. Sieht er zwei Frauen oder das Portrait eines Kopfes links der Mitte des Bildes? Und wenn er das Portrait sieht, erkennt er darin das Gesicht des alten Voltaire? Sicherlich nur der, der Portraits von Voltaire kennt. Das richtet sich klar an eine Elite von Gebildeten.

    3.png

    Beide Kunstwerke, und ich denke, dass sie das unumstritten sind, wirken alleine stehend für sich. Wieweit sich aber die Tiefe des Werks erschließt, hängt eindeutig vom Bildungsgrad des Betrachters ab.

     
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  15. Claus

    Claus Mod Emeritus

    Das Berliner Mahnmal ist ein gutes Beispiel für ein mögliches Auseinanderfallen von Kunst und Handwerk. Die Handwerkskunst ist nämlich bescheiden, wenn ich mir die ganzen Risse im Beton anschaue.

    Oder gehörte das mit zum künstlerischen Plan?
     
  16. ppue

    ppue Experte

    Ne, aber auch nicht hierher (-;
     
  17. Claus

    Claus Mod Emeritus

    Aha, Danke!
     
  18. cedartec

    cedartec Ist fast schon zuhause hier

    Ist doch irgendwie lustig. einerseits beziehen wir uns gerne beim Begriff Kunstwerk, auf das was andere Kunst nennen (andere = können Gelehrte, Wissenschaftler oder wer auch immer mit mehr oder weniger schlauen Erklärungen), und dann haben wir festgestellt
    dass erst durch den Betrachter oder Zuhörer für den jeweiligen sich festlegen wird ob etwas Kunst ist.
    Dem kann ich folgen, wenngleich es auch dazu führen kann, dass z.B. meine Tochter ein geniales Saxophon-Solo von Joe Henderson, Charlie Parker oder Dexter Gordon einfach Müll findet. Ist schon ok. Aber dies ist zutiefst individuell und schwer mitteilbar

    Dann gibt es die verschiedenen lehrhaften Ansätze sich mit Kunstwerken auseinanderzusetzen, mal nur am Kunstwerk, mal im geschichtlichen Kontext, vielleicht im sozi-kulturellen Kontext des Künstlers oder des Betrachters, mit psychoanalytischer Analyse oder was weiss ich was.

    Und die Perspektive des Künstlers, kreativer Akt, bewusst, unbewusst, im Auftrag oder ohne gezielte Absicht.

    Und dann gibt es das, wofür die Leute mehr oder weniger Geld ausgeben, oder was in Museen hängt, wo eine "Bildungselite", oder zumindest halten sie sich dafür, entscheidet was ihrer MEinugn nach unzweifelhaft ein Kunstwerk ist.

    Allesamt unterschiedliche Kunstbegriffe...
     
    Rick, Juju, Claus und einer weiteren Person gefällt das.
  19. ppue

    ppue Experte

    Genau das macht den Reiz der Kunst aus. Sie fordert eine Auseinandersetzung mit ihr. Egal, mit welchem Ergebnis. Selbst, wenn unser Urteil vernichtend ist, kommunizieren wir es.

    @ Claus, verzeih meine schnoddrige Art. So ein Monument wird nach der Idee des Künstlers von einer Baufirma angefertigt, die nicht den Anspruch hat, künstlerisch tätig zu sein. Das Kunstwerk ist also die Idee. Die schlechte handwerkliche Ausführung durch ein Unternehmen dagegen betrifft nicht das künstlerische Schaffen, es sei denn, der Künstler hätte die bauliche Umsetzung selbst zwingend bis zu der Art des Betons vorgeschrieben. Ich weiß nicht genau, wie es sich in diesem Fall verhält.
     
  20. antonio

    antonio Gehört zum Inventar

    Ja und es wird noch komplizierter, weil es noch zu unterscheiden gilt, ob es sich beim fraglichen Werk um eine Auftragsarbeit oder um eine "freie" Arbeit handelt. Das ist definitiv nicht das Gleiche.

    antonio
     
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