Kreativität

Dieses Thema im Forum "Improvisation - Harmonielehre" wurde erstellt von pth, 17.Oktober.2019.

  1. pth

    pth Ist fast schon zuhause hier

    Vor einiger Zeit habe ich eine Aufnahme von Joshua Redman und Bad Plus kritisiert als nicht „ansprechend“ https://www.saxophonforum.de/threads/was-hoert-ihr-gerade.3655/page-206.

    @henblower meinte, dass ich meine Kritik begründen solle, womit er natürlich Recht hat.

    Als Beispiel habe ich ein Konzert von Bobby McFerrin angeführt.
    Ich schrieb dazu: „Ich finde, das ist ein wunderbares Beispiel für musikalischen Dialog bzw. Improvisation. So sollte es sein. Hören, Antworten, Hören….“

    @henblower fand meine Aussage: „So sollte es sein.“ dogmatisch, anmaßend.

    Meine Aussage betrifft den musikalischen Dialog zwischen Künstlern, die ein Werk erschaffen. Dabei ist es unerheblich, welche Art von Kunst kreiert wird. „So soll es sein", der Dialog, ist für mich der Schlüssel für Kreativität. Nur dann, im Dialog, entsteht etwas Besonderes, manchmal auch etwas Neues, im Hier und Jetzt, wie in der Intuitiven Musik.

    Wir haben hier im Ort ein kleines Kulturzentrum mit Bühne. Manchmal mache ich dort den Mix. Bei einem Konzert war ich sehr angetan von einem Bassisten und einem Gitarristen. Die beiden führten bei ihren Soli einen wunderbaren Dialog. Nach dem Konzert sprach ich mit dem Bassisten darüber. Dabei fiel auch der Satz von ihm: Manche Musiker kommen aus der Play-A-Long „Zwangsjacke“ nicht mehr raus.

    Ich wünsche allen Forumsmitgliedern sich darin einmal auszuprobieren. Sucht Euch, für den Anfang, einen Partner und probiert Euch aus, sucht nach einer neuen musikalischen Erfahrung.

    „Üben, üben, üben…..“, dass Instrument kennenlernen ist wichtig. Für mich ist es nicht minder wichtig, die eigene Kreativität zu fördern.

    Max Reinhard, der sehr kreativ war, ein Pionier seiner Zeit:
    »Charaktere, die keinen Kontakt zu ihren Mitspielern hatten, mußten verschwinden. Nichts blieb unangetastet, bis das Stück in eine reale Welt transzendierte und doch genug Raum für die Phantasie des Publikums ließ«

    Und das ist es doch - wir wollen begeistern, wenn wir auf der Bühne stehen.
     
  2. GelöschtesMitglied1589

    GelöschtesMitglied1589 Guest

    @pth: Danke für den Thread. Schön, dass wir den Disput an dieser Stelle fortführen und uns sachlich und nett streiten können.

    Noch einmal das von dir kritisierte Beispiel:



    @moloko_plus meinte dazu: ..."es flasht mich gerade völlig, wie die Musiker miteinander agieren."

    Ich kann mich diesem Eindruck nur anschließen. Die Musiker definieren "Zeit und Raum" in meinen Augen auf eine unglaublich intensive Art und Weise nicht im Wechsel von Einzelaussagen, sondern im Aufeinander-Hören im Zusammenspiel. Würde ich mich zu der Aussage verleiten lassen, dass es "so sein soll"? Niemals im Leben.

    Ich bleibe dabei: niemand hat das Recht, egal in welcher Kunstform, zu sagen: "so soll es sein". Ich finde einen solchen Ausspruch nach wie vor dogmatisch und unpassend. Natürlich spielt der Dialog in der improvisierten Musik eine große Rolle, das wollte ich nicht in Abrede stellen, dies aber absolut als Regel zu setzen finde ich halt....anmaßend im wörtlichen Sinne: Du setzt ein Maß für das Gelingen einer musikalischen Aktion, und das steht dir und auch niemand sonst zu, ganz einfach.
    Ich möchte mal ein Beispiel geben: Bei "My Favorite Things" in der Fassung von John Coltrane lebt die Freiheit von Trane auch und gerade dadurch, dass es keinen Dialog im eigentlichen Sinne gibt. Die Band legt ihm einen Klangteppich aus, auf dem sein Solo sich entwickeln kann.



    Es gibt unzählige andere Beispiele.
     
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  3. saxfax

    saxfax Strebt nach Höherem

    @pth und @henblower - Vielleicht könnt Ihr Euch drauf einigen, daß die Begriffe Kreativität, Improvisation und Dialog zunächst durchaus unterschiedliche Inhalte beschreiben. Improvisation ohne Dialog habe ich oft genug gehört - und wenn eine Rhythmusgruppe auf den Improvisierenden reagiert ist es noch Dialog, aber vielleicht zum Zuhören ein Genuß. Und genauso habe ich schon bei klassischen Konzerten - ohne jede Improvisation! - wunderbare Dialoge der Musiker erlebt.

    Das musikalische Universum ist doch deutlich vielfältiger ;)
     
  4. GelöschtesMitglied1589

    GelöschtesMitglied1589 Guest

    @saxfax: kein Problem. Wenn die Vielfalt eine Chance erhält und das Dogma gegen die künstlerische Freiheit getauscht wird, bin ich sofort dabei.
     
  5. dererik

    dererik Nicht zu schüchtern zum Reden

    The Bad Plus spielen auf einem so unglaublichem Niveau und so dermaßen tight miteinander, auch auf den Trio Scheiben, unglaublich.

    Bei den YT Kommentaren zu dem Stück mit Joshua Redman gibt es einen schönen Hinweis auf ein Zitat von Joe Zawinul über Weather Report: "We never solo, and we always solo."
     
  6. saxhornet

    saxhornet Experte

    Schwieriges Thema. Mir ist nur nicht klar was das genau mit Kreativität zu tun hat.
    Ich denke es geht viel mehr um den eigenen Geschmack und was einem selbst gefällt und das hängt von so vielen Faktoren ab, die sich über die Zeit immer wieder mal ändern können, was dann wieder auf den eigenen Geschmack einwirkt.

    Was der eine spannend und kreativ findet, findet der andere weniger spannend und gar nicht kreativ. Es gibt nur objektiv keine Parameter, die man ansetzen kann, um es objektiv zu beurteilen, denn kreativ heisst ja noch lange nicht daß es einem dann auch gefallen muss.
    Auch ist ein Dialog zwischen den Instrumenten nicht automatisch ein Anzeichen für hohe Kreativität oder guten Geschmack. Wenn man bei jedem Song nur noch diese Interaktion hat, kann das auch für den Spieler und den Zuhörer langweilig werden. Manchmal will man Interaktion, manchmal will man aber auch eine Teppich auf dem man sich austoben kann. Die richtige Gewichtung ist da hilfreich.
    Ich mag Joshua Redman gerne aber auf der verlinkten Aufnahme berührt es mich auch nicht und mir gefällt der Song nicht so gut. Das liegt an der Form der Modalität, mit der zu wenig für meinen Geschmack passiert. Das ist aber mein subjektiver Geschmack und wertet keinen der grossartigen Musiker ab, die toll spielen können, genauso wie ich mit Coltrane's Sopransound nie warm werde, ihn aber am Tenor generell mag.
    Das hat aber eher mit Geschmack und nicht mit der Kreativität zu tun, die da passiert. Auch bei Bobby McFerrin habe ich grossartige Sachen gehört undauch Aufnahmen oder Konzertmitschnitte, die ich langweilig oder ermüdend fand, weil vieles mir zu ähnlich war.
    Was wir vom Hören als "so sollte es sein" oder "nicht ansprechend" beurteilen ist komplett subjektiv und manchmal sogar abhängig von unserer Stimmung. Es gibt Leute, die halten die Ornette Coleman Aufnahme "Freejazz" als eine der besten Aufnahmen, die es je gab, für mich ist es eine CD, die ich nicht gerne höre und mich extrem langweilt. Da macht es dann auch keinen Sinn darüber zu diskutieren, warum es so toll ist oder nicht, wenn es wieder eine Frage des Geschmacks ist. Eine andere Sache wäre es wenn sich Jemand hinstellt und das Spiel von Joshua Redmann unter technischem Aspekt in Frage stellt und findet der Mann kann nicht spielen, denn das er das Instrument sehr gut beherrscht hört man auf genug Aufnahmen, aber ob einem das gefällt, muss jeder für sich entscheiden. Ich höre ihn gerne.
     
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  7. GelöschtesMitglied1589

    GelöschtesMitglied1589 Guest

    @saxhornet: ich weiß auch nicht, was das Thema mit Kreativität zu tun hat, aber ich bin deiner Meinung, dass es eher mit persönlichem Geschmack zu tun hat. Mit Sicherheit kann man Joshua Redman und seiner Truppe Kreativität nicht absprechen.
    Vielleicht lag mein Unbehagen genau hier, dass Kollege @pth seinen persönlichen Geschmack mit den Worten "so soll es sein" dogmatisch besetzt hat. Vielleicht wollte er das nicht, aber bei mir ist das halt so rübergekommen. Ich hätte aber deshalb keinen neuen Thread aufgemacht. Weil ich aber zitiert wurde, wollte ich schon klarstellen, was mir bei meiner Kritik im Kopf herumging. Ist jetzt geschehen und ich bin dann mal raus.
     
  8. kokisax

    kokisax Strebt nach Höherem

    @saxfax ,

    "Dialoge" in klassischer Musik sind in der Partitur festgeschrieben und sollen(eigentlich) immer gleich klingen.
    Dialoge in freier Musik wie Jazz entspringen der jeweiligen Konstellation und dem Können der Akteure.
    Wenn Themen übernommen und wie sie weiter entwickelt werden hängt von der Kreativität und natürlich vom Können der Akteure ab, auf den Themen überhaupt aufzubauen.
    Klassiker können bzw. dürfen das nicht.

    kokisax
     
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  9. ppue

    ppue Experte

    Heftiger Einspruch. Da stehen zwar Tonwerte und -höhen in den Noten, den Dialog müssen die Musiker dennoch selber ausarbeiten und interpretieren. Die klassische Musik hat in mancher Hinsicht mehr Freiheit als dr Jazzmusiker. Man denke nur an die Tempobehandlungen. Außer Charles Mingus kann im Jazz kaum einer so das Tempo behandeln, wie es die Klassiker tun.

    Zum Geschmack: Es tut musikalischen Analysen gar nicht gut, wenn man mit dem eigenen Geschmack argumentiert.
     
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  10. Kohlertfan

    Kohlertfan Strebt nach Höherem

    Das Redman Ding ist mir viel zu verkopft. Die kommen doch vor lauter ungerade Takte zählen gar nicht mehr zum spielen, sorry. Meiner Ansicht nach sind die auf einem völlig falschen Trip. Excellente Musiker, ohne Zweifel, aber kein Leben!
    Musik für Ärzte, Anwälte und Zahnärzte! :sorry2:
     
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  11. kokisax

    kokisax Strebt nach Höherem

    @ppue ,
    in der Klassik DARF aber NIE improvisiert, sondern nur interpretiert werden.
    Das ist der feine Unterschied.
     
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  12. ppue

    ppue Experte

    Es gibt Kadenzen, in denen auch improvisiert werden darf.

    Ansonsten sehe ich den feinen Unterschied. Dennoch ist das Thema Kreativität und Dialog auch in der Klassik ein interessantes und zu diskutierendes.
     
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  13. Claus

    Claus Mod Emeritus

    Ob Du da aber den Geschmack richtig einschätzt?
     
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  14. Sebastian

    Sebastian Ist fast schon zuhause hier

    Da gibt es durchaus noch mehr. Kommt mal wieder in auf die Eingrenzung von "klassisch" an.
    https://en.wikipedia.org/wiki/Musical_improvisation
     
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  15. kokisax

    kokisax Strebt nach Höherem

    Das ist für mich Kreativität und Improvisation und Spielfreude :

     
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  16. dererik

    dererik Nicht zu schüchtern zum Reden

    genau, "für mich" ist doch gut
     
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  17. gefiko

    gefiko Strebt nach Höherem

    Heutzutage ja, früher aber nicht......
     
  18. Kohlertfan

    Kohlertfan Strebt nach Höherem

    Ausnahmen bestätigen die Regel. ;)
     
  19. kokisax

    kokisax Strebt nach Höherem

    @gefiko ,
    richtig, heute wird alles bis ins kleinste in der Partitur festgeschrieben.
    Früher gab es diese ausführlichen Partituren nicht und die Musiker hatten mehr künstlerische Freiheiten.
    Heute reglementieren wir uns in der Klassik (fast) zu Tode.
    Oft gibt es unter so genannten "Kunskritikern" richtige Grabenkämpfe ob man ein Passage überhaupt so spielen darf oder nicht.....
     
  20. GelöschtesMitglied7838

    GelöschtesMitglied7838 Guest

    So unterschiedlich sind die Geschmäcker.

    Der Limbo Jazz #15 ist für mich beispielsweise nicht so spannend, weil eher vorhersehbar.

    Dialog (im Sinne von wechselnden Einzelaussagen, wie @henblower es beschrieben hat) ist für mich kein Qualitäts- oder Kreativitätskriterium.
    Primär gehts mir darum, ob mich ein Musikstück packt oder nicht. Also eine sehr emotionale Angelegenheit.
    Geht mir ganz und gar nicht so. Finde es gefühlsmäßig sehr intensiv, meditativ. Für mich klingen die Musiker sehr fein aufeinander abgestimmt, auch ohne "klassichen Dialog". Einvernehmlich, als hätten sie schon sehr viel zusammen gespielt (und als hätten schon zu einem früheren Zeitpunkt Dialoge stattgefunden). Ich hätte große Lust mitzuspielen, ganz egal, an welchem Instrument (so ich es denn könnte).
    Was du als zwanghaft ungerade Takte zählen müssen empfindest, ist für mich das Salz in der Suppe, der Fluss, der das Stück durchzieht. Und ich hab nicht mal Abi... :duck:

    :top:

    In deinem Post klingt vieles an, was auch in deiner Musik (so wie ich sie hier im Forum kennengelernt habe) hörbar ist.
    "So soll es sein" habe ich nicht als dogmatisch empfunden. Mich eher gewundert, dass du so scharf ablehnend gegenüber dem Redman-Stück reagiert hast.

    Ansonsten ist mir das intuitiv miteinander Spielen so ziemlich das Wichtigste überhaupt in der Musik.

    Kreativität hat auch mit Offenheit zu tun. Mit Toleranz. Damit, Konträres aushalten zu können.

    Hier noch ein toller Dialog Alto Sax / Gitarre (ab 4:20 min.):

    :peace:
     
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