Spannungsverhältnisse der Intervalle

Dieses Thema im Forum "Improvisation - Harmonielehre" wurde erstellt von Paul2002, 8.Januar.2020.

  1. Paul2002

    Paul2002 Strebt nach Höherem

    Ich lese gerade begierig in Frank Sikoras Neuer Jazzharmonielehre und eines will mir nicht einleuchten:

    Er bezeichnet die Prime, Quinte, Quarte und Oktave als die konsonantesten Intervalle, weil sie dem Grundton (Prime) am nächsten sein.
    An der Klaviatur unserer temperierten Stimmung kann dies kaum begründet sein, dann wäre ja die b2 auch ein konsonantes Intervall (ihre Schwingung weicht ja prozentual am wenigsten von der Prime ab). Begründet muss dies also über die Obertonreihe sein.

    Aber: Warum dann die Quarte und nicht die große Terz? Schließlich ist die große Terz der fünfte Ton der Obertonreihe und die Quarte kommt erst irgendwann nach dem 16. Oberton, beziehungsweise stark verzerrt als 11. Oberton.

    Klar, wenn man die Quarte unter den Grundton legt und dieser ihre Quinte ist, liegen Quarte und Quinte gleich nah am Grundton (Grundton zur Quinte -> 3. Oberton ; Quarte zum Grundton -> 3. Oberton der Quarte). Aber die Obertonreihe geht ja nur nach oben, was eigentlich heißen müsste, dass diese Betrachtung von unten keine Rolle spielen dürfte. Höchstens wenn man die Quarte eine Oktave nach unten legt, sodass sie eine Quinte unter dem Grundton erklingt.

    Vielleicht wird sich ja der Nebel noch etwas aufklären, so wie ich weiterlese.

    Ansonsten teilt bitte euer Wissen und eure Meinung mit mir!
     
  2. GelöschtesMitglied11524

    GelöschtesMitglied11524 Guest

    Ich bin da beileibe kein Experte, meine mich aber an Vorlesungen erinnern zu können, wo als Begründung für Konsonanz das Frequenzverhältnis erwähnt wurde.
    Also 1:2 die Oktave, 2:3 die Quinte etc.

    Cheers
     
  3. peterwespi

    peterwespi Ist fast schon zuhause hier

    Die reine Stimmung (wie von @Ton Scott erwähnt 1:2 Oktave, 2:3 Quinte, 3:4 Quarte etc.) ergibt Frequenzen. Im Vergleich zur temperierten Stimmung (12 gleich grosse Halbtonschritte) ist die Oktave so oder so rein (Referenzton): Die Frequenzen der Quarte und Quinte entsprechen fast der reinen und werden da nur minimal nach oben angepasst. Alle anderen Frequenzen der diatonischen Intervalle (Sekunde, Terz, Sexte, Septime) sind in der temperierten Stimmung einiges höher als bei der reinen, daher wohl auch die Bezeichnung "gross".
     
  4. Roland

    Roland Strebt nach Höherem

    Klavier ist da kein Maßstab. :)

    Siehe hier:
    http://www.musicademy.de/index.php?id=2077

    Grüße
    Roland
     
  5. Ralph

    Ralph Ist fast schon zuhause hier

    Schaust Du Sikora S. 19. Je einfacher das Frequenzverhältnis darstellbar ist (d.h. kleinere Zahlenwerte), um so konsonanter klingt es (3/2 ist konsonanter als 5/4)
     
    Florentin gefällt das.
  6. Paul2002

    Paul2002 Strebt nach Höherem

    Die Quarte als Verhältnis kommt ja schnell vor (Vom dritten zum vierten Oberton), das ist mir schon klar. Aber eben nicht die Quarte desund Grundtons als Ton selbst, das stört mich. Denn eigentlich müsste ja konsonant klingen, was dem Klang des Grundtons besonders ähnlich ist. Die Quarte kommt aber in des Klangspektrum (Obertonreihe) selbst gar nicht vor. Deshalb verstehe ich Sikoras Begründung ja auch nicht. Ja, man kann natürlich sagen, dass es ein einfaches Frequenzverhältnis ist (Grundton mal 4 und durch 3 für die Quarte), aber unsere Ohren sindund ja keine Mathematiker, warum sollte sie dies also so sehr freuen?

    Bei Akkordprogressionen klingen ja auch die Akkorde wenig spannungsreich, die viele Töne mit dem Grundton gemeinsam haben (Mollparallele, Subdominante).
     
  7. GelöschtesMitglied11524

    GelöschtesMitglied11524 Guest

    Weil es eine Disposition des Gehörs gibt - angeblich.
    Ich hatte ein Fach am Konservatorium, das hieß "Harmonikale Grundlagenforschung".
    Unter anderem beschäftigten wir uns damit:

    https://www.amazon.de/meßbare-Einklang-Grundzüge-empirischen-Weltharmonik/dp/3129032304

    Long ago, and far away...
     
  8. Ralph

    Ralph Ist fast schon zuhause hier

    der Mathematiker sitzt sozusagen zwischen den Ohren: kurzer Weg !
     
  9. Sebastian

    Sebastian Ist fast schon zuhause hier

  10. Wanze

    Wanze Strebt nach Höherem

    Spannungsverhältnisse der Intervalle kann ich ja noch nachvollziehen - auch wenn es da Verschiebungen im Lauf der Zeit gab... (wie z.B. das Teufelsintervall, Tritonus)
    Wo ich aber echt Probleme mit habe, ist die unterschiedliche Stimmung, die den Tonarten zugeordnet wird.
    Siehe z.B. hier
    oder da: http://www.wellermusik.de/Padagogik/Tonarten/tonarten.html

    Ziemlich krass, aber man sieht auch, wie sich die Eigenschaften, die den Tonarten zugeschrieben wird, innerhalb von 100 Jahren teilweise schon ins Gegenteil verkehrt haben.

    Grüße,

    Wanze
     
    bluefrog gefällt das.
  11. Paul2002

    Paul2002 Strebt nach Höherem

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  12. Sebastian

    Sebastian Ist fast schon zuhause hier

  13. gaga

    gaga Gehört zum Inventar

    Meine unwissenschaftliche praktisch-musikalische Vorstellung von der Quarte ist, dass sie die Quinte zur Oktave ergänzt. Und dass der Dreiklang auf ihr in der Mutter aller unserer Tonleitern zusammen mit dem Dreiklang auf der Tonika und auf der Root das Grundgerüst unserer Akkordlehre bildet.
     
  14. claptrane

    claptrane Strebt nach Höherem

    Das Verhältnis von Quart und Quint zum Grundton wurde ja schon erklärt.
    Gerade die große Terz ist zwar vom Schwingungs Verhältnis relativ konsonant, klingt aber durch unsre “gleichschwebende“ Stimmung eher dissonant.Die Terzen sind -in unserer gleichschwebenden Stimmung-jeweils über 20 Cent zu hoch bzw zu tief.
    Man kann das sehr gut mit einer Gitarre zeigen : Legt man im vierten Bund den Finger leicht auf die tiefe E-Seite , erklingt die “reine“ Terz (natürliches Schwingungs Verhältnis) .Drückt man den vierten Bund auf der hohen E-Saite ganz durch, erklingt das G# -in unserer Stimmung, deutlich höher.
    Darum klingen normale Dur-Dreiklang-Akkorde auch immer etwas schief.Der Grundton generiert gleichzeitig zur Terz auch die Terz im normalen Verhältnis und das beißt sich dann etwas.Gerade auf dem Klavier erklingt die natürliche Oberton Terz relativ laut, weil die Saite am Rand angeschlagen wird, was die Schwingung der höheren Obertöne begünstigt.
    Bei Moll Akkorden fällt das deutlich weniger ins Gewicht weil der natürliche Moll Terz Oberton viel leiser erklingt, weil er später bei den Obertönen auftaucht.
     
    Zuletzt bearbeitet: 8.Januar.2020
    Paul2002, Otfried und scenarnick gefällt das.
  15. ppue

    ppue Experte

    Ich denke, die Erklärung ist nicht ganz richtig. Es sind die Intervalle konsonant, deren Schwingungsverhältnis einfach sind. Die Quarte schwingt im Verhältnis 3/4, das sieht dann so aus:

    upload_2020-1-9_11-26-45.png

    Drei Schwingungen (1.Zeile) addieren sich zu vier Schwingungen (2. Zeile). Die resultierende Kurve sieht man in Zeile 3.

    Schön, zu sehen, wie dadurch eine etwas komplexere Welle entsteht.

    Die Intervalle mit komplexeren Schwingungsverhältnissen sind dissonant. Das hat mit einem Grundton nichts zu tun. Die gleiche Grafik nun mit dem 8. und 9. Teilton, die einen Ganzton auseinander sind. So entsteht eine große Sekunde:

    upload_2020-1-9_11-40-47.png

    Man sieht schön, wie die untere Welle stark in der Lautstärke pumpt. Das wirkt sich im Ohr als ein unangenehmes Flirren aus. Erst nochmal die Quarte:



    Hier die große Sekunde:



    Hat also nichts mit dem Grundton zu tun, obwohl ...

    In den Bildern oben habe ich dort, wo sich die addierte Welle wiederholt, eine Markierung gemacht. Die Länge der resultierenden Kurve entspricht genau der Grundschwingung des 3. und 4., bzw. 8. und 9. Teiltons. Deshalb kann man auch einen Grundton hören, selbst wenn die Frequenz, z.B. beim Telefon, abgeschnitten wird. Das Gehirn merkt, wo sich eine Welle wiederholt.

    Oft wird beschrieben, dass das Gehirn so eine Art Fourieranalyse macht und die einzelnen Teiltöne seperat auswerten kann. Das ist nicht meine Ansicht: Es erkennt die länge der resultierenden Welle.

    Wer sich den Spaß machen will, erzeuge in Audacity Sinuswellen mit 200 Hz, 300 Hz, 400 Hz usw. bis vielleicht 700 Hz und spiele sie zusammen ab (Achtung, die Spuren vorher leiser machen). Man hört dann tatsächlich einen 100 Hz-Ton. (Merke gerade, dass man schon in den beiden Soundbeispielen oben mittels Kopfhörer die 100 Hz hört).

    Die Quarte hat aus oben genannten Gründen dann doch einen Bezug zum Grundton, da wir die Quarte gewohnt sind aus unseren Obertönen, die ja in jedem natürlichen Ton mit klingen. Klingt die Quarte G1-C2, so ist ein tiefes C der Grundton und das erklärt auch die Hierarchie zwischen G und C. Das C ist nämlich der Stärkere (durch den Bezug zum Grundton). Das erklärt nun vieles. Z.B. den Karnevals-Tusch GC GC GC.

    Spielt man den anders herum CG CG CG, dann entspannt sich die Sache nicht und bleibt offen, weil wir nicht auf dem Grundton (wenn auch oktaviert) landen.

    Das alles erklärt auch, warum wir II V I-Verbindungen spielen. Die Quinte hat ja die gleichen Töne wie die Quarte und wenn wir vom G herunter hüpfen aufs C, dann kommen wir nach Hause, zum Grundton. Und wenn man dann Quinte für Quinte herunter hüpft, dann ist das ein langes Nachhausekommen:

    III VI II V I

    Die Quinte zieht es nach unten, die Quarte nach oben. Beide sind als Intervall ähnlich harmonisch.

    Scheiße, ich muss ja mit dem Hund. Dem steht das Pipi in den Augen, bis Peter
     
    Zuletzt bearbeitet: 9.Januar.2020
  16. ppue

    ppue Experte

    Die Reihe geht gar nicht. Die Teiltöne ertönen ja gleichzeitig, so dass sie keine irgendwie geartete Abfolge haben.
     
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  17. Paul2002

    Paul2002 Strebt nach Höherem



    Das ist dieeben Erklärung, auf die ich gehofft hatte. Sehr gut nachvollziehbar. Vielen herzlichen Dank!
     
  18. ppue

    ppue Experte

    Ich glaube, dass das ein Missverstandnis ist.

    Wenn er sagt, die Intervalle seinen konsonant, die nahe am Grundton einer Obertonreihe liegen, dann hat er insofern Recht, dass der 3. und 4. Teilton näher am Grundton liegen als der 8. und 9.

    Ich spreche überigens lieber von Teiltönen. Die sind nichts anderes als die Obertöne auch, aber Teiltöne werden anders gezählt. Der erste Teilton ist die Grundschwingung, der 2. Teilton ist der 1. Oberton.
    Das hat den Vorteil, dass man bei Teiltönen gleich die Schwingungsverhältnisse abnehmen kann: 5. zu 6. Teilton hat ein Verhältnis 5/6.
     
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  19. GelöschtesMitglied11524

    GelöschtesMitglied11524 Guest

    @Sebastian :
    Ich hätte genau seine (richtigen und auch falschen) Antworten gegeben, aber genau :)
     
  20. Paul2002

    Paul2002 Strebt nach Höherem

    Allein: Was will unz der Dichter hiemith sagen?

    (Nur Spaß, keine Kritik ;))
     
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