Ergonomie Inline- vs. Offline-Bauweise

Dieses Thema im Forum "Saxophone" wurde erstellt von Sandsax, 1.November.2016.

  1. Sandsax

    Sandsax Gehört zum Inventar

    Warnung: nur was für interessierte und hartgesottene Hardware- und Verschwörungstheoretiker ;); die anderen sollten die Zeit sinnvoller zum Üben nutzen.

    Mit dem Super ("Balanced") Action wurde ja von Selmer erstmalig in der zweiten Hälfte der 40er Jahre die Offline Bauweise eingeführt, bei der die Tonlöcher der rechten Hand nach rechts versetzt sind, also nicht mehr alle Tonlöcher in einer Linie liegen. Nach diesem Vorbild werden mittlerweile infolge wilden Kopierens des erfolgreichen Designs wohl alle modernen Saxophone gefertigt.
    Es denkt auch heute niemand mehr groß drüber nach und nimmt es als "normal" und sowieso "besser" wahr.

    Es geht sogar soweit, dass es Spezialisten gibt, die alte Conns zersägen und offline mit entsprechender Mechanikanpassung wieder zusammenlöten (vielleicht auch nur, weil ja die moderne Großserienmechanik auf den alten Korpus passen soll).

    Selmer hat schon beim Balanced Action die Anbringung der Seitenklappen und der oberen Oktavklappe durch Anwinkelung (sieht man an verschieden langen Pfosten der Seitenklappen und Oktavklappe) auf die Instrumentenhaltung neben dem Körper optimiert, um das dann zusätzlich beim Super Action durch die Offline-Bauweise zu ergänzen.
    Beim Mark VI wurde die Anwinkelung der Klappen wieder weggelassen, die Offline-Bauweise aber beibehalten- das Design also vereinfacht.

    Meine Beobachtung / Meinung ist, dass "offline" für den sitzenden Spieler mit Instrument rechts neben dem Körper einen geringen ergonomischen Vorteil haben mag; für den stehenden Spieler, der das Instrument vor dem Körper hält, aber sogar nachteilig ist, weil die rechte Hand leicht nach außen überstreckt wird.

    Jedenfalls fühlt sich auf Dauer ein King Super 20 (inline) für mich (als "Hornflipper") angenehmer an, insbesondere wenn ich im Stehen spiele, als ein SBA oder MK. VI, irgendwie "richtiger" im Handgelenk.
    Die Ergonomie der linken Hand ist bei ähnlich angewinkeltem Kleinfingertisch vergleichbar.

    Mein Verdacht ist, dass Selmer die Seitenklappenanstellung wieder weggelassen hat, weil es aufwendiger und etwas teurer war als einfach nur symmetrisch zu bauen.
    Und weil ein weniger sichtbarer "moderner" Wettbewerbsvorteil davon ausging als von den offline angeordneten Tonlöchern für die rechte Hand, die eigentlich keiner braucht, jedenfalls für mich keinerlei Verbesserung (s. o.) darstellen.
    Hiermit hatten sie zunächst jedoch ein werbewirksames Alleinstellungsmerkmal; die wirkliche Designverbesserung stellte aber die geniale Anlenkung der Becherklappen mit optimiertem Kleinfingertisch des BA dar.
    Wenn sie die Seitenklappenanwinkelung weggelassen hätten, weil mehr Spieler stehend, bzw. vorm Körper spielten als früher, hätten sie konsequenterweise auch wieder inline bauen müssen.

    Also setzte sich geschichtlich mit der Offline-Bauweise vielleicht nicht zwingend das "Bessere" durch, sondern nur der Stärkere hatte Recht, hat es durchgezogen, und alle mussten es ihm gleichtun, weil der Markt es forderte?

    Was meint ihr?
     
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  2. slowjoe

    slowjoe Strebt nach Höherem

    Hmmmmm das fällt wahrscheinlich in den Bereich "persönliche Vorlieben und Abneigungen"......
    Ich zum Beispiel halte das Instrument beim Spielen im Stehen nicht vor dem Körper sondern ebenfalls seitlich wie beim Spielen im Sitzen.......

    Der Stärkere?
    Selmer war damals eine winzige Firma in finsteren Hinterhöfen am Place D'Ancourt in Paris. Ein Zwerg gegen die Grossen im Geschäft. Gross wurde sie erst als das neue Designkonzept nach dem 2. Weltkrieg einschlug wie eine Bombe und innerhalb weniger Jahre ein beträchtlicher Teil der Weltklasse - Spieler auf Selmer umstieg.


    SlowJoe
     
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  3. GelöschtesMitglied11524

    GelöschtesMitglied11524 Guest

    Ich halte meine Instrumente auch seitlich, empfinde das Super 20 (hab leider nur ein Alto, irgendwann werde ich mir mal ein Tenor gönnen) als extrem angenehm.
    Probleme durch "schlechtere" Ergonomie hab ich nicht, vielleicht weil es sich für mich fast so anfühlt wie ein Inline-Yanagisawa.

    Cheers, Ton Scott
     
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  4. Sandsax

    Sandsax Gehört zum Inventar

    Schon klar,
    damit meine ich schon eher "der Stärkere" im Verlauf und in der Folge des Erfolges, der, wenn man mal im amerikanischen Forum wiederholt liest (und den Äußerungen Glauben schenkt), mit dadurch zustande kam, dass einige der Weltklassespieler auch umstiegen, weil sie neue Instrumente von Selmer geschenkt bekamen und dadurch, dass sie im Nachkriegseuropa billiger produzieren und damit auch billiger verkaufen konnten; aber das soll hier nicht Thema sein und ich neide ja auch Selmer den Erfolg nicht.

    Der Erfolgreiche wird von den Konkurrenten als der Stärkere wahrgenommen, und wenn man nichts besseres bauen kann, kopiert man halt das, was sich gut verkauft und populär ist, bevor man den Bach runter geht.
     
  5. Sandsax

    Sandsax Gehört zum Inventar

    Das würde meine Kernbehauptung stützen:

    "Offline" braucht man nicht- trotzdem bauen es alle (nach).
     
  6. GelöschtesMitglied11524

    GelöschtesMitglied11524 Guest

    Ich weiß nicht, ob ich da als Bekräftigung tauge.
    ppue hat das Selmer Limitee mal kritisiert, weil die Oktavklappe oben, die linke Platte für den kleinen Finger aber modern gebaut ist. Mir ist das völlig wurst, für mich passt es. Beim Super 20 hat mir mangels Umlenkung der Oktavklappe am ersten Tag der Daumen wehgetan, jetzt bemerke ich keine Unterschied zu den anderen Saxophonen. Ich hatte auch mit den Mark VII Monstern kein Problem. Das System justiert sich vollautomatisch nach. Liegt vielleicht und zugegebenermaßen aber auch daran dass meine technischen Fähigkeiten eher bei Paul Desmond als bei Charlie Parker liegen, hehe.
     
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  7. slowjoe

    slowjoe Strebt nach Höherem

    ist was dran. Ich habe inline Instrumente wie z. B. ein SML oder ein Balanced Action die ich als durchaus angenehm spielbar empfinde.....

    SlowJoe


    P.S. Und dein Super 20 habe ich auch als gut greifbar in Erinnerung.....
    Geiles Gerät.....
     
    Zuletzt bearbeitet: 1.November.2016
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  8. Sandsax

    Sandsax Gehört zum Inventar

    Parker4.jpeg

    @Tom Scott

    na ja, Desmond ist ja auch soo schlecht nicht ;)

    ...und Parker spielte nebenbei bemerkt sein Zeug auch überwiegend mit offline- Instrumenten, geht also.
     
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  9. Otfried

    Otfried Gehört zum Inventar

    Moin,

    Ich mag offline lieber, vielleicht weil ich damit groß geworden bin, saxophonistisch.

    Bei den Inlinern ist mir tendenziell zu wenig Platz zwischen Klappen und Becher. Das hat mich nebenbei bei einigen Einstellungsarbeiten bei solchen Instrumenten fast zur Verzweiflung gebracht.

    Eine ungünstige Handstellung kann ich bei meinen offline Instrumenten nicht feststellen.

    Gruß,
    Otfried
     
  10. Claus

    Claus Mod Emeritus

    Würde mir schon reichen...:)
     
  11. Sandsax

    Sandsax Gehört zum Inventar

    Ja, Schrauber-ergonomie, bzw. Servicefreundlichkeit ist sicherlich ein weiterer Aspekt.

    Wobei da die Gewichtung durchaus im Auge des Betrachtes liegt; so wurden ja die Selmer Instrumente bis zumindest einschließlich Mk.VI für den amerikanischen Markt beim dortigen Zusammenbau an der abnehmbaren (servicefreundlichen) Becherverbindung verlötet, weil die Amerikaner diese Neuerung offenbar für zu gefährlich avantgardistisch französisch hielten. (off-t.: der teutonische Autoliebhaber würde es wohl als "citroenesque" bezeichnen :evil:). Aber das ist wieder ein anderes Thema...

    Meinst Du denn, dass der geringere Platz zwischen Klappen und Becher im wesentlichen durch inline vs. offline bedingt ist, oder liegt es nicht vielleicht daran, dass inline Instrumente noch fast ausnahmslos auch über die alte Becherklappenanordnung und Ansteuerung verfügen, der Schallbecher noch nicht nach rechts ausgedreht war und da der Hase im Pfeffer liegt?
    Hier bringt nur der direkte Vergleich BA zu SBA/Mk VI Aufschluss; kann es als Nicht-Schrauber nicht beurteilen.


    BA oben, Mk. VI unten:


    DSCF5491.JPG DSCF5494.JPG
     
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  12. Otfried

    Otfried Gehört zum Inventar

    Ist es, aber meine Platzangst bezog sich durchaus auch und vor allem auf das Spielen
     
  13. Bereckis

    Bereckis Gehört zum Inventar

    Hallo @Sandsax, dies sollten wir nochmals persönlich testen.

    Dein Tenor-Rampone war doch offline und dein Tenor-King online?

    Einen massiven Unterschied in den Fingern verspürte ich damals, als ich meine Tenöre Selmer SA 2 und MK6 verglich.

    Das SA2 empfand ich total sperrig und das MK6 extrem leichtgängig. Und beide sind offline!

    Ich glaube, dass ich eher darauf reagiere, wie das Instrument generell eingestellt ist.

    @slowjoe hat ein MK6, dass etwa in gleicher Zeit wie meins gebaut wurde. Beide waren in meinen Fingern und auch vom "Soundcharakter" völlig unterschiedlich.
     
    Zuletzt bearbeitet: 30.September.2018
  14. ToMu

    ToMu Strebt nach Höherem

    offline, inline:

    das dürfte doch nicht einmal einen Atemzug wert sein!

    natürlich off-line.

    Warum das früher so gebaut wurde verwundert mich noch heute. - sorry ...sogar bei der Blockflöte wurde das beizeiten gewürdigt!!
     
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  15. Gelöschtes Mitglied 5328

    Gelöschtes Mitglied 5328 Guest

    Ich komme wunderbar mit „Inline“ klar.....

    CzG

    Dreas
     
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  16. quax

    quax Gehört zum Inventar

    Auf Alto auch Inliner
     
  17. Sandsax

    Sandsax Gehört zum Inventar

    Du kannst das gerne ausprobieren, nur bringt Dir das voraussichtlich bezüglich der Frage keinen Erkenntnisgewinn.

    Die Instrumente unterscheiden sich in so vielen Punkten, wie Fingerspreizung, Federlänge, Federstärke- und anlenkung, Klappenaufgang, etc., dass der nach meiner Überzeugung sowieso vernachlässigbare Einfluss von inline vs. offline wohl kaum zu ermitteln sein wird.
     
  18. ppue

    ppue Mod Experte

    Ich glaube, man sollte etwas früher anfangen:

    Warum heißen die Saxophone denn überhaupt "Balanced Action"?

    Balanced Action bezieht sich auf die Mechanik der tiefen Becherklappen. Nimmt man ein Vintage Conn Martin oder Buescher und schaut sich die Mechanik von Tief-B und -Bb, so erkennt man folgenden Aufbau:

    Vom Spieler aus betrachtet geht die Mechanik von der Tasten nach links weg. Die Tasten drehen sich also um ein Gelenk links des Drückers, eigentlich genau so, wie auch der kleine Finger selbst aufgehängt ist. Das Gelenk selbst ist die lange Achse, die dann weit nach unten bis auf die Höhe der entsprechenden Klappe führt und mit dieser mit einem recht langen Hebel verbunden ist.

    Dieser lange Hebel macht das Schließen der Klappen so schwer und das wollte man ändern.

    Das revolutionäre am Balanced Action ist nun, dass die Achsen für die Becherklappen rechts vom Drücker liegen und die Taster somit auch um eine Achse rechts von ihnen kippen. Die Achsen liegen nun nicht mehr hinten links am Rohr sondern oben drauf und führen direkt über die "rechte Hand" nahe an die großen Klappen. Kleine Wege, wenig Hebel, weniger Kraft. Enstanden ist eine ausbalancierte Mechanik mit kurzen Wegen.

    Alles etwas umständlich zu beschreiben. Hier zwei Tische von Selmer. Erst die alte Mechanik, die Tasten (nun von vorne gesehen) gehen nach rechts weg hinter das Rohr:

    SELMER Large Bore Alto Sax Saxophone #10636 Model 28__ 1929.png

    Dann das Balanced Action:

    selmer ba.jpg

    Die Verlagerung der langen Achsen nach oben (auch das C# muss ja da noch lang) hat zur Folge, dass das Gestänge über die Klappen der rechten Hand läuft und da wird es nun eng. Nicht nur für die Finger, sondern auch für den Ton, der dort aus den Klappen kommt.

    Also verlässt man das Prinzip der in einer Linie liegenden Tonlöcher und verdreht die Klappen der rechten Hand, auf dass sie wieder frei liegen.

    Erst in line:

    Unbenannt1.jpg

    Nun off line:

    Unbenannt-1.jpg

    Nun liegen die Klappen viel freier. Ob das der Ergonomie wirklich nutzte oder das diese Behauptung nur ein werbetechnischer Verkaufstrick war, weiß ich nicht.

    Ich schreibe das deshalb, weil ich oft lese, das der revolutionäre Schritt bei Selmer das Verdrehen der rechten Hand war. War es für mich nicht, das bahnbrechende war die bessere Balance in der Bechermechanik, die den linken kleinen Finger deutlich entlastet.
     

    Anhänge:

    Zuletzt bearbeitet: 30.September.2018
  19. elgitano

    elgitano Ist fast schon zuhause hier

    Hi ppue,
    besten Dank für die Erklärung.
    Sind dadurch - andere Drehrichtung der Achsen - auch die tiefen Becherklappen nach rechts gewandert?
    Claus
     
  20. Sandsax

    Sandsax Gehört zum Inventar

    @ppue

    So (bis auf die entstandene Enge für den Ton vielleicht)sehe ich es auch.

    Dein oberes inline Anschauungsbild zeigt allerdings mein früheres (offline) Mk. VI

    Das silberne in Beitrag 11 ist das BA
     
    Zuletzt bearbeitet: 30.September.2018
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