Earl Jay's Mouthpieces - vom Rohling zum Mundstück

Dieses Thema im Forum "Mundstücke / Blätter" wurde erstellt von Earl Jay, 1.Dezember.2021.

  1. Earl Jay

    Earl Jay Ist fast schon zuhause hier

    Hallo liebe Sax-Gemeinde,

    ich denke es ist Zeit mal wieder einen kleinen Einblick in mein Schaffen zu gewähren. Ich möchte hier gern anhand einiger Bilder und kurzer Erklärungen die Produktion meiner Ebonit-Mundstücke vorstellen.
    Zwar sind 3d-gedruckte Mundstücke schwer in Mode, aber aus verschiedenen Gründen widme ich mich einer etwas aufwendigeren Technik, da ich ein Fan von massivem, guten alten Ebonit, auch als Kautschuk oder engl. hard rubber bezeichnet, bin.

    Ich betreibe schon seit einigen Jahren nebengewerblich die Bearbeitung von Mundstücken. Da kommt früher oder später natürlich der Wunsch auf, eigene Teile zu produzieren, die genau den eigenen Qualitätsvorstellungen entsprechen.
    Meine Philosophie ist dabei, nicht zum hundertsten Mal das Mundstück neu zu erfinden, sondern auf bewährte Designs zu setzen, diese aber in bestmöglicher Qualität zu produzieren und anzubieten. Das bisherige Feedback bestärkt mich auf diesem Weg.

    Wie geht das also, aus einer Ebonitstange ein tolles Mundstück zu machen?
    20211201_100404.jpg

    Zunächst einmal führen viele Wege nach Rom. Welchen man wählt hängt von den verfügbaren Produktionsmitteln und der Zeit ab.
    Während früher so einiges mit groben und eher unpräzisen Maschinen erledigt wurde, sind wir auch bei der Mundstückproduktion längst im CNC-Zeitalter angelangt, wie man an den aktuellen Produktlinien mancher Hersteller sehen kann.
    Dafür ist es zunächst notwendig, ein 3D-Modell zu haben.
    Woher nehmen, wenn nicht stehlen?

    Als erster Schritt findet eine umfassende Vermessung des Mundstücks, welches als Vorlage dient, statt. Für mein erstes Serienmodell ist dies ein Otto Link Florida Super Tone Master gewesen, welches sich als außergewöhnlich gut in Klang und Ansprache erwiesen hat.
    Die Bahn wird wie beim Refacing mit Glaslineal und Fühlerlehren gemessen, etwas aufwendiger ist es beim Baffle, wofür ich mir extra ein spezielles Messgerät gebaut habe.
    Hierbei kann ich das Mundstück einspannen und mit 2 Schiebelehren X und Z-Koordinate ablesen.
    20211201_091432.jpg 20211201_091438.jpg
    Mit diesen Messungen geht es ins CAD-Programm, wo das Mundstück parametrisch modelliert wird. Dies ist nicht ganz trivial, da das Modell nicht aus einer Punktwolke besteht (wie nach einem 3D-Scan), sondern sämtliche Flächen parametriert sind. Das bedeutet sie lassen sich nachträglich ändern und anpassen. Sehr wichtig um Details am Modell zu verändern, was im Designprozess immer wieder notwendig wird.
    CAD_design.jpg
    Mit dem fertigen Modell geht es ins Cam-Programm, bei dem die Fräsbahnen definiert werden. Das Prinzip ist hier, vom Groben (sog. Schruppen) hin zum Feinen (sog. Schlichten), wo erst in groben Schritten das Modell bis auf ein gewisses Aufmaß freigelegt wird, um anschließend im Feingang die endgültige Oberfläche herauszuarbeiten. Im Cam-Programm definiere ich auch die Gravur, welche nachdem das Modell vollständig gefräst ist, mit Gravierstichel aufgebracht wird.
    CAM.jpg

    Jetzt kommt der praktische Teil, und die CNC-Fräse ins Spiel.
    Hat man sehr, sehr viel Geld zur Verfügung, kann man mit 4 oder 5-Achs CNC-Fräsen arbeiten, wodurch sich das Mundstück fast vollständig vorfertigen lässt. Für kleine Hersteller ist das aber leider keine Option, daher muss ich mich mit einer 3-Achs-Fräse und ihren Beschränkungen arrangieren.
    Dies bedeutet, der Fräsvorgang findet auf X,Y und Z-Ebene statt. Das Werkstück kann weder gedreht, noch geschwenkt werden. Mehrseitige Bearbeitung findet durch Umspannen (Oberseite -Unterseite) statt.
    Das bringt einiges an Aufwand in Sachen Nachbearbeitung mit sich, aber das lässt sich leider nicht umgehen.
    Zunächst wird der Rohling eingespannt. Das Ebonit beziehe ich übrigens von S.E.M. Hitzacker, so wie D'addario, Ted Klum und viele andere Produzenten auch.
    Ich habe mir dafür eine spezielle Vorrichtung gebaut, um sonst übliche Haltestege vollständig vermeiden zu können. Dafür werden die Rohlinge im Vorfeld mit der Schaftbohrung versehen, das mache ich auf einer konventionellen Drehmaschine.
    Nachdem alles vorbereitet ist, wird das Maschinenprogramm gestartet und der GCode geladen, Achsen abgenullt, warmgelaufen und dann gehts los:
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    Wenn der maschinelle Teil geschafft ist, hat man so was hier vorliegen. Man sieht, dass die Oberfläche oben und unten schon sehr gut ist, an den Seiten aufgrund der 3-Achs-Beschränkung aber stark zu wünschen übrig lässt.
    Und ab da kommt die gute alte Handarbeit ins Spiel..
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    Zuerst muss die Kammer grob vorgebohrt werden. Das lässt sich mit Hilfe von CNC-gefertigen Spannbacken recht präzise und unfallfrei erledigen:
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    Danach wird die Kammer grob ausgefräst. Mit Hilfe von Werkstattmotor und großem Fräskopf, häufiger Sichtkontrolle und Schweiß auf der Stirn bekommt man dann ein Mundstück mit Kammer, aber noch ohne Hinterschliff an den Side-Rails. Hier müssen dann Dremel, Feile und Schleifstifte ran.
    Diese ganzen Schritte dauern sehr viel länger als die CNC-Fräse für das Mundstück braucht...
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    Wenn die Kammer soweit fertig ist, muss noch die äußere Oberfläche ran.
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    An der Stelle ist die grobe Arbeit getan. Die Gravur wird noch mit Lack versehen, und dann gehts ins Feintuning. Vorsichtige Nachbearbeitung und Messung der Bahn, Glättung des Baffles und zu guter Letzt:
    Testen testen testen :)
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    Soweit der kleine, oberflächliche Einblick in meine Produktion.

    Ich weiß dass Bilder zwar viel sagen, aber Klangproben noch viel mehr. Meine bescheidenen Fähigkeiten am Saxophon möchte ich hier niemandem zumuten. Daher lasse ich an dieser Stelle den von mir sehr geschätzten, großartigen Michal Skulski ans Saxophon, der mich dankenswerter Weise seit Jahren in meiner Arbeit unterstützt, mir mit Rat und Tat zur Seite steht und eine Schublade voll mit den besten Mundstücken der Welt hat. Er ist einer der besten Saxophonisten der Stadt und macht wundervolle, inspirierende Musik. Ich fühle mich sehr geehrt dass er mir diese Einspielung zur Verfügung gestellt hat.
    Michal Skulski!


    Mehr Infos findet ihr auf meiner Seite, ich bitte diese kleine Werbung zu entschuldigen und bedanke mich für die Aufmerksamkeit!

    VG,
    Jens, a.k.a. Earl Jay
     
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  2. fukaR

    fukaR Guest

    Sehr interessant.
    Wer das so schön und kompetent beschreibt und aufarbeitet, darf auch ruhig etwas Werbung machen für sich, finde ich.
     
  3. Wuffy

    Wuffy Gehört zum Inventar

    Oberklasse Jens :applaus:
     
  4. GelöschtesMitglied11524

    GelöschtesMitglied11524 Guest

    Also mich würde es interessieren.
    Wieviele hast Du denn auf Lager gemacht?
     
  5. GelöschtesMitglied4288

    GelöschtesMitglied4288 Guest

    Mich auch. Wie lautet denn deine Seite?
     
  6. Earl Jay

    Earl Jay Ist fast schon zuhause hier

    Ich habe jetzt noch keinen Riesenlagerbestand, ein paar sind aber da. Schreib mir einfach persönlich, oder Whatsapp o.ä. (siehe Kontakt meiner Seite).

    Es wird bald eine eigene Seite für die Mundstücke geben, aber hab es noch nicht geschafft die fertigzustellen (one man show, you know..). Solange kannst du auf www.je-refacing.de schauen.
     
  7. StanFan

    StanFan Ist fast schon zuhause hier

    Wow,
    ich habe schon von dir gehört...
    Ein befreundeter Profisaxophonist schwärmte :
    "Der Typ hat tierisch Ahnung von Mundstücken,ich bin total begeistert."
     
    slowjoe und Earl Jay gefällt das.
  8. antonio

    antonio Gehört zum Inventar

    Durchdachte handwerklich- technische Fertigkeiten stufe ich immer wieder hoch ein. Respekt!
    Ganz besonders, wenn man es schafft, sowas "manufakturmässig" anzugehen, ohne dieses "Konzerndenken". Es braucht weiterhin Leute, welche wissen, wie man mit Hardware umgeht und entsprechende Arbeiten abliefern können.
    Nicht alles ist mit einer App oder KI zu lösen. Gilt auch für den undichten Ablauf in Bad und Küche :)

    antonio
     
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  9. Matze44

    Matze44 Schaut öfter mal vorbei

    Sehr schön (das was du machst)!
    Endlich auch mal einer aus der Gegend hier ;-)
     
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