Immer wieder mal lese ich bei Mundstücktest, dass das Mundstück XY "oberton-reich" sei. Was genau bedeutet das in diesem Zusammenhang? Produziert das MPC einen fetten, singenden Ton? Klingt das andere Extrem dumpf, langweilig, nicht "zentriert" (noch so ein Begriff, den wohl niemand exakt definieren kann). In gespannter Erwartung grüßt Euch Uli
Für mich heißt obertonreich auf der einen Seite voll, es schwingen einfach mehr Töne mit als bei einem was für mich nicht obertonreich ist. Auf der anderen Seite hat es aber für mich auch immer einen Hang zum Schrillen. Kommt halt immer drauf an, was man spielen möchte.
Hi Ulli, also physikalisch ist das recht einfach zu beanworten. Bei einem natürlichen Ton hast Du nicht bloß die Grundfrequenz sondern immer auch die Obertöne. Siehe zB hier. Damit der Mensch eine definierte Tonhöhe empfindet, müssen diese Obertöne (annähernd) ganzzahlige Vielfache des Grundtons sein (*). D.h. bei einem A mit 110 Hz hast Du immer auch Obertöne der Frequenzen 220, 330, 440 Hz etc. ABER: Je nach Instrument sind diese Obertöne unterschiedlich stark ausgeprägt, was letztlich die Klangfarbe macht. Bei einer Querflöte ist im wesetlichen bloß der Grundton vorhanden, die nächsten beiden Obertöne sind schon sehr viel schwächer, bei einem Bariton-Saxophon siehst Du im Frequenzspektrum zahlreiche Obertöne mit deutlich ausgrägtem Formaten. Falls Du eine Soundkarte und ein Programm zur Fast-Forieranalyse (FFT) hast, dann kannst Du Dir das selbst mal anschauen. Beim Saxophon dient der Korpus des Instruments als Resonator, die Freuenzerzeugung geschieht durch das Rohrblatt am Mundstück (Strömungsgesetz von Bernoulli, funktioniert letztlich genauso wie ein Duschvorhang, der durch die vom Wasser erzeugte Strömung in die Duschkabine gezogen wird), wobei die Kammergeometrie mit darüber entscheidet, ob wenige oder viele Obertöne erzeugt werden. Weitergehende Literatur zur Physik im Abschitt Literatur auf meiner Webseite. Viele Grüße, Dirk (*) Annähernd reicht und selbst der Grundton darf fehlen, um in dennoch wahrzunehmen. Dazu gibt es auch ganz interessante psychoaktustische Experimente.
Moin Da dies immer wieder zu Missverständnissen führt, erlaube ich mir mal, das ein klein wenig zu korrigieren. Es schwingt beim Saxophon lediglich die vom Korpus begrenzte Luftsäule. Der Korpus schwingt zwar dann auch irgendwie mit, ist aber keinesfalls ein Resonator, bspw. vergleichbar dem von Streichinstumenten. Im übrigen muss man wohl unterscheiden zwischen dem, was die Physiker sagen und dem was die Musiker dazu meinen. Physikalisch heißt obertonreich, dass das System eben einfach viele Oberschwingungen zulässt. In diesem Sinne ist das Saxophon ein sehr obertonreiches Instrument mit bis zu 27 Obertönen (diese Zahl hat hwp mal genannt). Eine Trompete hingegen erleidet recht frühzeitig den sogenannten "cutoff" so irgendwo beim 10. bis 12. Oberton. Höhere Töne sind dann nicht mehr durch resonante Schwingungen der gesamten Luftsäule möglich (was nicht heisst, dass man nicht höher spielen könnte, wie man ja bei Arturo Sandoval hören kann). Der Musiker meint mit obertonreich, dass der Klang hell bzw. brillant ist, also die Obertöne in einem bestimmten Frequenzspektrum stärker ausgeprägt sind. Schrill wird es dann, wenn diese Ausprägung zu einem Missverhältnis zu Ungunsten der tieferen Schwingungsanteile führt. Ich hatte das Phänomen mal, dass ich das Gefühl hatte, dass meine Palmkeytöne auf dem Alt sich deutlich absetzen von den anderen Tönen, also viel schärfer klingen, was ich durch den deutlichen Bruch als recht unschön fand. Eine Frequenzanalyse hat dann tatsächlich ergeben, dass ab dem D''' ein Anteil in der Frequenz ab 8000 Hz deutlich stärker ausgeprägt war. Ursächlich verantwortlich war (und ist leider manchmal immer noch) vor allem ein etwas gepresster Ansatz im Zusammenspiel mit einem Mundstück, welches eine Tendenz zum scharf klingen mitbringt. Gruß, xcielo
Hi xcielo, im Falls von mechanischen Resonatoren hast Du recht, daß es das mechanische Gebilde ist, was schwingt. Im Falle von akustischen Resonatoren ist es die umschlossene Luftsäule, dennoch bezeichnet man den umschließenden Körper als Resonator (zB Helmholtz-Resonator), ebenfalls beim optischen Resonator (zB beim LASER). Siehe zB Thomas D. Rossing / Nevill H. Fletcher "Physics of Musical Instruments" oder auch einfach Wikipedia. In diesem Sinne stellt der Saxophonkorpus einen akustischen Resonator dar und da wir uns hier mit akustischen Phänomenen beschäftigen hatte ich impliziet angenommen, daß es klar sein würde, daß in diesem Kontext akustischer und nicht mechanischer Resonator gemeint sein würde. Viele Grüße, Dirk
um wieder zu kommen, obertonreiche mundstücke sind meist mit einer ausgeprägten stufe versehen. ausserdem sind sie enger. dies trifft auf fast alle modernen mpc's zu. alles weitere hätte uns 'hwp' erklären können, aber der hat sich leider zurück gezogen. ich möchte dazu auf den artikel: mundstücke im wandel der zeit von jo schnabl sonic 4.11 verweisen. jaaz47
Was heißt in diesem Zusammenhang "modern"? Modern = aktuelle Produktionslinien diverser Hersteller? Modern = Bestimmte Serien diverser Hersteller, die der "modernen" Klangvorstellung entsprechen? Es werden doch sicher auch aktuell (=modern?) ungestufte MPC hergestellt. Cheerio tmb
Ochgottchen. Entspannung. Ein sonniger Tag! Gemeinhin meint der Wortbenutzer mit "modern" im Zusammenhang mit Saxmundstücken in etwa das, was Jaaz beschreibt. Da kann man versuchen, spitzfindig zu sein. Das wird daran aber nix ändern. In diesem Sinne Grüße vooon Brille
tmb schrieb: Es werden doch sicher auch aktuell (=modern?) ungestufte MPC hergestellt. Ich habe mir vor einigen Wochen ein OL STM NY gegönnt. Gerader Einlass, große Kammer. Dieses NY klingt wesentlich kräftiger, brillianter und druckvoller, als mein bisher gespieltes OL Tone Edge. Obwohl dieses eine fast (augenscheinlich) gleiche Geometrie hat, aber eben aus Kautschuk war. Jetzt frage ich mich: Ist mein OL STM NY obertonreich ? Gruß Frank
Hi Brille, ich bin völlig entspannt und mir geht's nicht um Spitzfindigkeiten, sondern darum, dass neben alten Hasen hier auch Leute lesen, die sich erst sehr neu und unwissend mit der Materie beschäftigen. es bleibt ein sonniger Tag Cheerio tmb
Die Physik/Akustik ist ein weites Feld... Ich danke Euch für die z.T. sehr detaillierten Ausführungen! Ich schließe aus einigen der Beiträge, dass mein Ajustotone Mundstück (verstellbare, ziemlich ausgeprägte Stufe) recht obertonreich ist. Mein Tone Edge klingt im Vergelich dazu tatsächlich deutlich gedeckter, ist also wohl nicht so reich an Obertönen. LG Uli