Was bedeutet " handgearbeitete Mechanik...? "

Dieses Thema im Forum "Sonstige Instrumente" wurde erstellt von Timpani, 11.September.2011.

  1. Timpani

    Timpani Kann einfach nicht wegbleiben

    Hallo , alle zusammen...

    In die Saxophonthematik habe ich mich schon gut reingeschafft und zu etlichen Fragen gute Antworten gefunden . Das ist ja eine richtige Fundgrube hier . Allerdinfs beschäftigt mich etwas anderes , zu dem vllt der eine oder andere eine Antwort weiß .

    Ich spiele Flöte in einem Musikverein und immer wieder diskutiere ich mit einer Kollegin das Thema "Handgearbeitete Mechanik " .

    Ich habe vor 20 Jahren meine eigene Flöte bekommen , eine Yamaha 411 2 Vollsilberflöte für damals gute 4000 DM , ich bin immer noch zufrieden mit diesem Instrument . Eine M
    itmusikerin , die sich etliche Jahre später während des " Pearlflötenbooms " eine solche gekauft hat , als diese noch in Japan gefertigt wurden , meint , mir jedesmal , wenn die Rede darauf kommt , unter die Nase reiben zu müssen , dass ihre Flöte ( ich weiß keine Typisierung ) eine " handgearbeitet Mechanik " hat , was ihr vom Händler damals wärmstens empfohlen wurde .

    Wie muss ich mir das vorstellen?
    Werden da Klappen von Hand aus einem Metallblöckchen geschnitzt ?????

    Ich denke , jedes Instrument muss von Hand zusammengebaut werden , samt Feinjustierung und Anspielen , auf jeden Fall in dieser Preisklasse . Ich denke , dass auch meine Flöte eine solche " H.M. " hat ??

    Bitte , nicht lachen , ich komme mir jedesmal vor wie ein Depp , weil ich nicht genau weiß , was man unter " H.M. " zu verstehen hat .

    Weiß jemand eine Antwort ??

    Vielen Dank im Voraus und liebe Grüße...

    Pauki
     
  2. Gast

    Gast Guest

    Hi Timpani

    Das ist eine interessante Frage - jedoch gibt es keine einfache Antwort darauf, da der Begriff "Handmade" sehr dehnbar ist und vielfach zu Werbezwecken missbraucht wird.

    Bleiben wir beim Beispiel Flöte : Du kannst davon ausgehen, dass heutzutage NIEMAND mehr Klappendeckel von Hand schmiedet, vor allem nicht in solchen Massenproduktionen wie bei Pearl, Yamaha und Co. Die kommen allesamt aus einer Klappenpresse. Dann können sie evtl in einer Poliertonne einen Tag lang rotieren um entgratet zu werden, sie können auch von Hand entgratet werden und poliert > Qualitativ macht das wenig Unterschied.
    Sie können dann entweder maschinell auf Klappenärmchen und Achsen verlötet werden oder per Schablone von Hand > auch das macht in der Regel wenig Unterschied.....immer davon ausgehend daß der MENSCH welcher von Hand lötet an jedem Tag gleich gute Qualität produziert.
    So geht das immer weiter....inwieweit Maschinenproduktion oder Handarbeit im Spiel ist, das macht sich erst im Endstadium bemerkbar:
    Bei vielen Saxproduktionen werden z.B. die Polster alle mit ein wenig Schellack oder Heisskleber in die Klappen gehauen, dann gespannt und das Ding kommt in den Heissofen > So wird dann alles auf einmal ""Dichtgesetzt"". Hier hat die HANDARBEIT natürlich eindeutig den Vorteil und die bessere Qualität, kann die ""Heissofenproduktion"" durchaus übertrumpfen. Bei den Flöten ist s genauso >> meine erste Flöte war ein Chinahobel.... ABER mit kaltgepolsterten Klappen - ergo NICHT mit Abdruck eingebrannt, sondern von Hand unterlegt ( mit Papierchen). Du wirst den Unterschied wohl kennen .... GUT unterlegte Flötenpolster sind auf ewig dicht, eingebrannte nicht unbedingt.
    Da kommt dann das Thema "Handgemacht " zum tragen und hat auch seinen Wert....ebenso wie "Handgemachte " Feinjustierung und Qualitätskontrolle.

    Ich kann Dich aber in soweit beruhigen : Weder Yamaha noch Pearl haben in der Regel mit Papierringen unterlegte Polster....die Dinger werden reingeschraubt ( bei Pearl mit einem Kunststoff-Futter unterlegt -) nass gemacht - und im Ofen eingebrannt.
    Wo darin das ""Handmade"" liegt, mag der jeweilige Hersteller mal genauer definieren. Das ist m E. eine reine Marketingstrategie.

    Sieh Dir desweiteren mal meine Saxophone an > Link dazu findest Du in meinem Profil >>
    die sind HANDGEMACHT. Monatelanges Feilen, Löten und Polieren, Einpassen, überdenken und nochmals neu entwerfen, löten feilen Polieren .......
    Deswegen sind sie aber als Solche keinen Deut besser als andere....zumindest vom Handwerklichen Prinzip her.
    Würde man die Klappen und Aufsätze maschinell herstellen, wären sie evtl sogar noch präziser und einheitlicher.....
    und vor allem WIEDERHOLBARER in der Massenproduktion.

    Da gibt es SOOO viele Aspekte, so viele Pros und Kontras und vor allem auch sehr viel Werbeschmuh ...da darf man sich nicht von kirre machen lassen.
    Sobald irgendwo mal jemand was von Hand macht...vielleicht eine Schraube festziehen...spricht man von "HANDgemacht" und verlangt den doppelten Preis.
    Kommen wir mal auf meine "Chinaflöte" zurück.....da SIND die Polster Handgemacht ... bzw mit VIEL Geduld Handeingesetzt > Das Ding hat mal 110.- Euro gekostet und ist heute noch die beste Flöte, die ich habe - obwohl ich inzwischen eine qualitativ WEITAUS anspruchsvollere besitze
    die ich zur Hälfte sogar selbst gebaut habe... Handmade und Handgepolstert also....besser spielen tut sie deswegen jedoch nicht.

    LG

    CBP
     
  3. Thomas

    Thomas Strebt nach Höherem

    da haben wir doch sicher docs, die sich darüber auslassen können.
    Normalerweise ist das ungefähr so ( wenigstens bei den Klarinetten): die Klappen werden irgendwie gesenkgeschmiedet oder sowas, also am Stück gebaut. Dann wird beim Bauen des Instruments die fertige Klappe auf das Instrument gebastelt.
    Handgearbeitet sieht dann im Normalfall so aus, dass die einzelnen Klappenteile (Röhrchen, Deckel, Stangen...) zusammengesetzt und gelötet werden direkt für das einzelne Instrument.
    Früher waren das keine Klappenteile, sondern das wurde alles noch so richtig mit Hammer und Amboss gemacht. Ob das noch gemacht wird weiss ich nicht, ist sehr aufwendig...
     
  4. Gast

    Gast Guest

    @ Thomas

    Ich BIN ein "Doc" und habe mich soeben darüber ausgelassen
    ;-) ;-)

    CBP
     
  5. Thomas

    Thomas Strebt nach Höherem

    das konnte ich zum Zeitpunkt des Schreibens ja noch nicht ahnen, dass Du grad am schreiben bist :lol:
     
  6. Gast

    Gast Guest

    Thomas

    ;-) ;-)

    CBP
     
  7. Brille

    Brille Strebt nach Höherem

    Möchte an handangepasste Mechaniken erinnern, wie sie bei den Spitzenmodellen deutscher Vorkriegssaxe wohl vielfach üblich waren. Eine sinnvolle Sache, finde ich :)

    Brille
     
  8. Gast

    Gast Guest

    @Brille

    Nun ... das sind hübsche Teile !
    Abgesehen davon, dass die Klappenphasen etwas paralleler sind als bei vielen Industriell gefertigten Hupen ( also ein rein optischer Vorteil) geht aber aus der Seite nicht hervor, was das sonst für einen Vorteil haben sollte AUSSER natürlich, man lässt sich von denen ein Sax exakt auf die eigenen Finger zurechtbauen - eine Sonder-Einzelanfertigung also.

    Nicht, dass man mich FALSCH versteht....ich STEHE total auf Handarbeit ! > Aber hier ging es ja ursprünglich darum, ob Handgefertigte Instrumente BESSER seien , als andere - bzw, WAS dieses Wort heutzutage noch beinhaltet.
    Da bin ich eben der Meinung, daß wenn Timpanis Kolegin mit einer "Handgearbeiteten" Flöte aufprotzt, selbige wohl eher einem Marketing-Irrtum erlegen ist.

    Als Parallelbeispiel dazu: Es gab mal eine Teesorte, welche anpries, daß ihr Tee "HANDVERLESEN " sei....
    De facto war es so, dass etliche junge Frauen in Indien die Teeblätter von HAND aus Körben auf Trocknungssiebe schaufelten
    ...mit Schaufeln eben und nicht mit nem Förderband.
    Wo heutzutage "HAND" draufsteht, muss daher nicht unbedingt "HAND" drangewesen sein. So meinte ich das.

    LG

    CBP
     
  9. Rick

    Rick Experte

    Hallo CBP,

    vielen Dank für diese sehr objektiven, neutralen und einfach zutreffenden Ausführungen!

    Absolut einer Meinung mit Dir:
    Rick
     
  10. fonkysax

    fonkysax Kann einfach nicht wegbleiben


    @ Rick,

    dem kann auch ich mich nur uneingeschränkt anschließen.

    Zu den HD- (Dallhammer) Saxen muß man sagen, das dort wirklich die Mechanik nach Kundenwünschen angepasst wird, wenn gewünscht! Tolle Sache. Dieses ist auch bei Saxophonen "von der Stange" möglich, wenn auch mit mehr Aufwand.

    Gruß

    Udo
     
  11. Gast

    Gast Guest

    Hi,

    wenn ich mich interessehalber mit einer Frage dranhängen darf:

    Wieviel ist dann eigentlich an den amerikanischen Saxophonen, die in den 20ern entstanden sind, Handarbeit?

    LG, Claudia
     
  12. Rick

    Rick Experte

    Hallo Udo,

    solches spezielle "Customizing" steht freilich auf einem anderen Blatt, da hast Du Recht.
    Wenn der Kunde bestimmte Änderungen wünscht und bekommt, ist das ein besonderer Aufwand und er muss dafür mehr zahlen, logisch.

    Aber nur, wenn jemand allgemein irgendetwas per Hand "rumgefriemelt" hat, ist ein Instrument nicht automatisch höherwertig - eventuell sogar im Gegenteil... :roll:


    Schöne Grüße,
    Rick
     
  13. Thomas

    Thomas Strebt nach Höherem

    Hallo Rick,
    die Zustimmung will mir nur sehr zögerlich über die Lippen kommen. Ehrlich gesagt "durfte" ich leider bei den Klarinetten in den letzten 37 Jahren immer wieder das Gegenteil erfahren/erleiden. Ein Instrument aus einer Edelschmiede ist dann schon noch was anderes als ein Massenprodukt. Da lasse ich dann doch sehr gerne einen Top-Instrumentenbauer per Hand dran rumpfriemeln...
     
  14. fonkysax

    fonkysax Kann einfach nicht wegbleiben

    Ja, da gebe ich Dir nochmal Recht. Kommt immer darauf an wer "rumfriemelt" und wie, gell?!
     
  15. Brille

    Brille Strebt nach Höherem

    Tja, Rumgewurstel an einer Applikatur mit dem in einen Fred zu werfen, was HD macht, spricht von totaler Unkenntnis (hinsichtlich HD).

    @Frage hinsichtlich USA Vintage und Antithese: Conn war der este Massenfertiger für Strumente der angesprochenen Art. Und ich kann nicht erkennen, warum dies ein Qualitätsvorteil gewesen sein soll...

    tschö zur Nacht Brille :)
     
  16. slowjoe

    slowjoe Strebt nach Höherem


    Die wesentlichen Teile (S - Bogen, Korpus und Becher) werden auch heute noch fast genau so hergestellt wie in den zwanzigern:

    Die S - Bögen werden aus einem Blechstreifen zu einem Konus zusammengeschweisst, über einen Dorn gezogen und dann nachdem man den Konus ausgegossen hat (früher mit Blei, heute mit anderen Speziallegierungen) in Form gebogen, das Füllmetall ausgeschmolzen und dann fertigbearbeitet. Das Schweissen geschah früher mit dem Brenner von Hand, das ist heute automatisiert.


    Für den Korpus gilt im Prinzip dasselbe. Konus aus Blech schweissen, über den Dorn ziehen, richtig ablängen. Auch hier geschieht der Schweissvorgang heute automatisch.

    Das untere Knie wird heute wie damals aus zwei tiefgezogenen Hälften zusammengeschweisst.

    Der Becher wird aus einem grob vorgeschnittenen Stück Blech als Konus geschweisst, grob über einen Formkörper gehämmert und dann auf der Drückmaschine in seine endgültige Form gebracht- Auch dieser Arbeitsgang entscheidet sich fast nicht von der Herstellung in den zwanziger Jahren.

    Auch das Vorbohren und ziehen der Tonlöcher wurde damals wie heute mit Bohrlehren und Ziehmaschinen durchgeführt. Ein manuelles Ausmessen und Ansetzen der Ziehhülsen hätte hier sicherlich deutliche Qualitätsschwankungen verursacht. Das konnte man sich damals wie heute nicht leisten.

    Und die Mechanik wurde damals wie heute gestanzt oder gesenkgeschmiedet. Auch da hat damals schon keiner mehr von Hand aus dem Vollen gefeilt. Zumindest nicht bei den grossen Herstellern in USA.

    Die grösste Veränderung gab es bei den Drehteilen für Schrauben, Achsen, Walzen und Böckchen. Die werden heute ausnahmslos von CNC - Automaten automatisiert gefertigt. Hier standen früher Dreher an ihren Drehbänken.

    Auch das Polstern und einregulieren unterscheidet sich fast nicht vom Prozess in den zwanzigern.


    Um Deine Frage abschliessend zu beantworten: An den alten Saxophonen ist gar nich so viel mehr reine Handarbeit wie an einem Neuen. Natürlich sehen Maschinen und Vorrichtungen heute "moderner" aus, laufen heute nicht mehr -zig Transmissionswellen an der Hallendecke, gibt es Absauganlagen und es wird - zumindest in Europa und USA viel mehr auf Arbeitssicherheit und Umweltschutz geachtet, aber heute wie in den zwanzigern ist die Herstellung eines Saxophons mit viel Handarbeit verbunden.

    Und an den Stellen bei denen es auf bestmögliche Reproduktionsgenauigkeit ankommt (Mensur, Tonlochnetz) arbeitete man damals wie heute mit Maschinen.



    SlowJoe
     
  17. Timpani

    Timpani Kann einfach nicht wegbleiben

    Danke an Alle , die mir so ausführlich geantwortet haben !

    So habe ich mir das auch gedacht--das ist doch ein sehr dehnbarer Begriff , in den man sehr viel hineininterpretieren kann .Nun kann ich wenigstens beruhigt Freude an meinem Flötchen haben und ich bin ganz sicher , dass es nicht minderwertig ist ,nur weil die Mechanik nicht unter Wasser mit dem Munde gewebt wurde .

    Schön zu lesen , dass solche Themen immer zu einem munteren Gedankenaustausch führen , dabei kann ich viel lernen .

    Schönen Sonntag noch und bis die Tage...

    Timpani
     
  18. tomaso

    tomaso Strebt nach Höherem

    Interessanterweise hat man in den 20er Jahren das Prädikat "handgemacht"
    werbetechnisch verwurstet,um die aussergewöhnliche Haltbarkeit und Klang-Qualität
    seines Produkts hervorzuheben.

    Ich kann mir nicht vorstellen, daß sich damals die Produktionsabläufe bei den diversen Herstellern großartig unterschieden haben.
     
  19. geräusch

    geräusch Ist fast schon zuhause hier

    Danke für den feinen Beitrag! Eine Korinthe möchte ich aber trotzdem fallenlassen:
    Kurvengesteuerte bzw Kopier-Drehautomaten sind seit Mitte des 19 Jahrhunders bekannt, anders hätte man bei solch Fitzelzeugs wie Säulchen sicher keine Maßhaltigkeit hinbekommen. Insofern ebenfalls wie heute, nur sind die Arbeitsbedingungen nicht mehr gar so infernalisch...
     
  20. Gast

    Gast Guest

    @Slowjoe

    Eine Besonderheit gibt es heutzutage, die Du in Deinem Herstellungsbericht vergessen hast:
    In der Massenindustrie werden Korpusse heutzutage sehr häufig "aufgeblasen" und nicht mehr aus einem Blechstreifen zusammengelötet (und schonmal GARnicht "geschweisst" )

    Man steckt ein passendes Stück Rohr in eine passende Form und pumpt es Hydraulisch in Schallbecher- oder Korpusform.
    Kein sehr schöner Gedanke...aber so ist es.

    Nicht jeder Hersteller macht das so...aber doch sehr viele.

    LG

    CBP
     
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