Gedanken zum Swing (-rhythmus)

Dieses Thema im Forum "Eigene (musikrelevante) Themen" wurde erstellt von ppue, 14.Februar.2015.

  1. ppue

    ppue Mod Experte

    Um später zu meiner eigentlichen Theorie zu kommen, will ich ein wenig die Anfänge des Jazz in Amerika beleuchten.

    Jazz, die erste Weltmusik, hat viele Wurzeln. Zwei mächtige Stränge reichen weit in die Geschichte des Abendlandes und des afrikanischen Kontinents zurück.

    Nicht so einfach, alle Faktoren zusammen zu tragen, die zu der Entstehung eines neuen Musikstils in jener Zeit führten. Ich will es dennoch probieren.

    Das Negro Spiritual war der religiöse Gesang der afroamerikanischen Sklaven in den USA mit dem typischen Klatschen und Stampfen (Trommeln waren zumeist verboten, galten sie doch als illegales Kommunikationsmittel).
    Spirituals, Field Holler und Work Songs waren musikalische Erscheinungsformen schon vor dem amerikanischen Bürgerkrieg. Sonntags durfte die schwarze Bevölkerung auf einem extra ausgewiesenen Gelände in New Orleans (Combo Square) singen, tanzen und sogar Handtrommeln verwenden.

    Ab Mitte des 19. Jahrhunderts gab es in den USA die Minstrel-Shows, in denen Tanz, Sprache und Musik der Afroamerikaner durch schwarz angemalte Weiße (Blackfaces) karikiert wurden. Später übernahmen immer mehr schwarze Musiker diese Aufgabe, färbten sich ihre Gesichter ebenfalls schwarz und umgingen so die rassistischen Auftrittsbeschränkungen.

    Aus Sankt Louis kam Ende des 19. Jahrhunderts der Ragtime ('zerrissene Zeit'), eine stark synkopische Instrumentalmusik, die in kleineren und größeren Ensemblen gespielt wurde. Heute ist sie nur noch als ein Pinao-Stil in Erinnerung.

    Zur gleichen Zeit entstand der Blues als vokale und instrumentale Ausdrucksform der afroamerikanischen Bevölkerung.

    Mit dem Ende der Bürgerkriege gab es billige Instrumente von der Armee, was die Gründung von Marching oder Street Bands begünstigte, dem farbigen Pendant zu den weißen Brass Bands. Sie spielten im Freien zur Hochzeit, zur Beerdigung oder zum Tanz auf.
    Das Aufkommen von Tanzhallen, zu denen auch Farbige Zugang hatten, bewirkte, dass sich die Bands verkleinerten. Dadurch, dass im Sitzen gespielt werden konnte, konnten die verschiedenen Trommeln nun von einem Musiker an dem (gerade erfundenen) Schlagzeug bedient werden.

    Neben diesen Musiktraditionen begünstigten weitere Faktoren die besondere Entwicklung der schwarzen Musik gerade in New Orleans.

    Zunächst war da die Eröffnung des Red Light Districts (Storyville), eines Vergnügungsviertels, in dem afroamerikanische Musiker schnell eine Anstellung fanden. Zum anderen gab es ein neues Gesetz in Louisiana (1889), welches den Kreolen ihre bürgerlichen Rechte absprach und sie so auf die Stufe der Farbigen stellte. Die Kreolen, die französische Wurzeln hatten, taten sich so mit den afroamerikanischen Musikern zusammen und brachten die zu der Zeit in Frankreich beliebte Klarinette in die Ensembles.

    Nun haben wir alle Zutaten zu einer Jazz- (früher auch Jass-) Band in New Orleans zusammen:

    Aus den verkleinerten Marching Bands die Brass Section, bestehend aus Kornett, Posaune, Tuba und die Rhythmusgruppe mit Schlagzeuger, Gitarre/Banjo und Kontrabass (alternativ zur Tuba).
    Dazu eine Prise kreolische Klarinette und das Ganze gut erhitzen.

    So sahen sie aus:

    [​IMG]

    Und so hörten sie sich an:



    Die beide großen musikalischen Einflüsse des Jazz sind also in Afrika und im Abendland zu finden. Ein kurzer Blick auf das Rhythmuskonzept der beiden Volksgruppen ist verblüffend.

    Ganz vereinfacht gesagt entsteht in der Afrikanischen Musik ein Rhythmus dadurch, dass einem durchgängigen Trommelschlagen Pausen hinzu gefügt werden oder einzelne Schläge betont werden: Aus einem
    dudududududududu, dem Metrum, entsteht ein
    dudududududududu, oder ein
    du__du_____du__du.

    Rhythmus setzt sich hier aus den kleinsten Einheiten zusammen.

    Ganz im Gegensatz zur abendländischen Art, einen Rhythmus zu erzeugen. Am Notenbild liest man Ganze, Halbe, Viertel und Achtel ab. Rhythmus entsteht also durch das Unterteilen der größten Einheiten.

    Musik ist immer Abbild der gesellschaftlichen Zustände und die Art und Weise, Rhythmus zu erzeugen, gehört dazu.
    Gleich der Architektur eines Schlosses mit Haupt- und Nebengebäuden komponierten abendländische Komponisten ihre Sonaten und Sinfonien in Haupt und Nebensätzen. Teile und Takte ordnen sich hierarchisch dem Ganzen unter und selbst innerhalb des Taktes gibt es diese Hierarchie mit einer betonten Eins und der weniger betonten Drei.
    Dagegen wirken die Rhythmusketten der afrikanischen Musik wie aneinander gebaute kleine Hütten, die mehr oder weniger dicht beieinander stehen. Mal gibt es Lücken dazwischen, mal nicht. Eine Hierarchie ist architektonisch kaum auszumachen.

    Beim Verschmelzen dieser beiden grundverschiedenen Ansätze entstehen nun im jungen Amerika neue Muster. Der hierarchische Takt mit seinen Betonungen trifft auf das afrikanische, eher fließende Muster. Kein Wunder, dass sich die beiden Elemente angleichen. Den strengen europäischen Marsch aufhebend, findet mit dem afrikanischen Element der Backbeat in den Takt und hebt just die vorgegebene Hierarchie wieder auf.
    Das erste Element des Swing ist geboren.
    Das gleiche Prinzip setzt sich bei der Behandlung der Achtelnoten fort. Die auch hier vorherrschende Betonung der vollen Zählzeiten wird aufgehoben durch eine Verstärkung des Off-Beats, einer Betonung der "Und" und eine zunehmende Synkopisierung des Materials.

    Langer Rede kurzer Sinn kommt nun die Kardinalfrage zum dritten Element, dass den Swing bis heute aus macht:

    Wie kommt die ternäre Spielweise der Achtelketten zustande? Dem Aufteilen von zwei Achteln im ungefähren Verhältnis 2:1. Weder in der Klassischen Musik, noch in Afrika scheint sie stärker verwurzelt zu sein.

    Die Idee kam mir bei der Recherche zum New Orleans Jazz. Ich hörte Musik aus den Bürgerkriegen und mir fiel der Einfluss auf, den die irische Volksmusik wohl auf diese hatte. Jeder kennt aus irgend einem Western den irischen Fiddler, der in der Bar aufspielt:



    Hier ist alles zu finden, 4/4-Takt und ternäre Achtelketten. Ja, und sogar ein Banjo ist dabei, aber halt, das kommt eigentlich aus Afrika.

    Hier noch ein wenig irische Volksmusik, allesamt im besten "Irish Swing":



    So heißt meine etwas provokative Hypothese: Die ternäre Spielweise des Swing hat ihre Wurzel in der irischen Folklore.

    Auf zur Diskussion und beste Grüße,

     
  2. Wanze

    Wanze Strebt nach Höherem

    Oh, das finde ich - als Tin Whistle Spieler - aber auch gar nicht nicht provokativ. Eher erstaunlich, dass das nicht allgemeines Gedankengut ist. Klar wird es bei einer Jig, insbesondere einer Slip oder Hop Jig.


    Ich lege Wert auf Feststellung, dass nicht ich im Video zu sehen bin :p

    Grüße,

    Wanze
     
    Rick und Ranky gefällt das.
  3. Gelöschtes Mitglied 5328

    Gelöschtes Mitglied 5328 Guest

    @ppue

    Super Beitrag!!!!! Schöne Herleitung.

    Ich finde es auch nicht so abwegig, denn genau in der Zeit (beginnend 1845 nach der großen Hungersnot in Irland) sind ja viele Iren in die USA ausgewandert (es gab in Irland verheerende Sommer mit Missernten und entsprechend Hunger). Zwischen 1850 und 1913 verließen über 4,5 Mio Iren ihr Heimatland. Ein Großteil ging in die USA. Man bedenke, dass die Einwohnerzahl der USA 63 Mio betrug. (10 Jahre später schon 75 Mio.)

    Die meisten kamen über New York in die Staaten und wurden beileibe nicht mit offenen Armen aufgenommen....

    CzG

    Dreas
     
    Zuletzt von einem Moderator bearbeitet: 14.Februar.2015
  4. antonio

    antonio Gehört zum Inventar

    Na, gut, möglich wärs...aber vielleicht entstand die ternäre Spielweise auch schlicht aus dem Bedürfnis heraus, es anders zu machen, als die meisten weissen Komponisten es vorlebten - und aus dem Tanz- und Bewegungsdrang heraus.

    antonio
     
  5. Gast_13

    Gast_13 Guest

    Als Einfluss sollte man auch nicht die Musik Osteuropas vergessen und die Jiddische Musik. Auch von da kommt der Off-Beat.
    Der ternäre Einfluss kommt aus der Polyrhythmik Westafrikas , wo 2 gegen 3 allgegenwärtig ist.
     
  6. ppue

    ppue Mod Experte

    2 gegen 3 sind eher Vierteltriolen. Gerade den afrikanischen Einfluss halte ich aus der oben beschriebenen Rhythmusauffassung für gering. Wüsste nicht, warum sie vom gleichmäßigen Trommelmetrum zu dieser 2:1-Aufteilung wechseln sollten.
     
  7. Gelöschtes Mitglied 5328

    Gelöschtes Mitglied 5328 Guest

    Wobei ich aber denke, dass der Einfluss von "jiddischer Musik" nicht unerheblich war....zumal u.a. Gershwin und Berlin
    jüdische Wurzeln hatten....

    CzG

    Dreas
     
  8. bluefrog

    bluefrog Strebt nach Höherem

    Sehe ich auch so. Die (west-) afrikanischen Rhythmen sind sehr gleichmäßig. Das Bild von den aneinandergereihten Hüttchen trifft sehr gut. Vielleicht sollte man die Swing-Viertel sich gar nicht sosehr als aus Triolen-Achteln zusammengesetzt denken, sondern als mehr oder weniger asymmetrisch aufgeteilte Viertel. (Ich hoffe, mich verständlich machen zu können.)

    Der Off-Beat bei den Afrikanern (und den Afro-Cubanern) wird ebenfalls ganz gleichmäßig gespielt, siehe Clave.

    LG Helmut
     
  9. ppue

    ppue Mod Experte

    Ich sehe es auch als Asymmetrie. Ein ähnliches Phänomen gibt es beim Wiener Walzer, dessen drei Viertel nicht gleichmäßig lang sind. Die Zwei ist lässig vorgezogen und die Drei kommt einen Ticken zu spät mit der Wirkung, dass es einen kleinen Hänger auf der Zwei gibt und die Tänzer wörtlich in der Luft hängen.
     
    kokisax gefällt das.
  10. Gast_13

    Gast_13 Guest

    hmusauffassung für gering. Wüsste nicht, warum sie vom gleichmäßigen Trommelmetrum zu dieser 2:1-Aufteilung wechseln sollten.[/QUOTE]

    Viertel oder Achtel ist vielleicht beim Wein trinken relevant. Ansonsten ist es akademisches Denken. Der frühe Jazz war ja eher Two Beat (2/4) als Four Beat. Ob Achtel oder Viertel ist eher die Frage, wie schnell ich spielen will und wie ich das Metrum dazu denke. ;-)
     
  11. Werner

    Werner Strebt nach Höherem

    Hi ppue,
    ich habe beim Unterrichten von irischen Stücken meinen Schülern gelegentlich gesagt, sie sollen quasi Swing spielen. Auf die Idee, das das der Ursprung des Swings sein könnte, bin ich allerdings nicht gekommen. Ich finde die Idee des irischen Swing Ursprungs oder zumindest starken Einflusses gut nachvollziehbar.
    . . . und höre mir gleich ne irische Session an, hier in Berlin am Fuße des Kreuzbergs, der Name des Pubs fällt mir nur gerade nicht ein.



    http://swing-jazz-berlin.de/
     
  12. bluefrog

    bluefrog Strebt nach Höherem

    Unten ist der B-Teil von 'Doxy' von Sonny Rollins. Wenn man den ersten Takt versucht, wie eine Clave zu spielen, wird das nix. Es wird aber auch nix, wenn man das G stur als dritten Teil einer Achteltriole spielt, finde ich.
     

    Anhänge:

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  13. Otfried

    Otfried Gehört zum Inventar

    Moin,

    wenn man sich bewusst macht, dass ein gewisser Teil afrikanischer Musik auf dem 6/8 basiert, also zumindest der, den wir aus Cuba kennen, dann ist die ternäre Spielweise gar nicht so weit weg, wenn sie auch nur eine der vielen Möglichkeiten darstellt.

    Gruß,
    Otfried
     
  14. bluefrog

    bluefrog Strebt nach Höherem

    Bei allen afrikanischen oder afro-cubanischen Rhythmen gibt es IMHO kein Swing-Feeling. (Brasilien nehme ich mal aus.) Auch die 6/8 laufen gerade durch. Nimm die 6/8 Clave:
    |1-.-3-.-5-6|.-2-.-4-.-6|
    Der Clou ist, dass im zweiten Takt, die "Löcher" |1-.-3-.-5-.| durch leise Schläge ausgefüllt werden können. Es ergibt sich genau das von ppue beschriebene gleichmäßige Trommelmetrum. Der Off-Beat bleibt dabei trotzdem dominant.

    LG Helmut
     
    Zuletzt bearbeitet: 14.Februar.2015
    Rick gefällt das.
  15. Otfried

    Otfried Gehört zum Inventar

    Hallo Helmut,

    das ist richtig. Die Möglichkeit, ins ternäre Spiel zu gelangen ergibt sich dann, wenn der zu Grunde liegende 6/8 in einen 4/4 gezwungen wird.

    Gruß,
    Otfried
     
  16. Gast_13

    Gast_13 Guest

    Zustimmung, Helmut und Otfried! Mein ursprünglichre Gedanke war ja nicht, dass der Swing aus Afrika kommt, sondern das 2 gegen 3 Prinzip im Rhythmus - der auch im Swing eine treibende Kraft ist. Die Südamerikanischen Rhythmen haben sich ja aus der Verschmelzung zwischen Afrikanischer Polyrhythmik und spanischer bzw. portugiesischer Musiktradition entwickelt. Wobei es immer die Volksmusik und nicht die höfische, ergo klassische Musik war, die eingeflossen ist.

    Allerdings begegnet uns das 2 gegen 3 Prinzip auch in Europa - beim Tanz. Bin kein Tanzexperte aber wenn ich mich recht erinnere sind es beim Walzer immer 2 Schritte auf die 3/4 und bei 4/4 Rhythmen immer 3-Schritt Figuren als Grundmuster.
    Überhaupt Walzer - auch da gibt es sehr viele Möglichkeiten der Rhythmisierung, wobei Wiener Walzer nur eine davon ist. Auch Walzer kann, wenn man denn will ganz schön swingen. ;-)

    Aber 2 gegen 3 und Off-Beat Feeling bringt immer den Schwung und gleichzeitig das Entspannte in die Musik - egal ob Latin oder Swing!
     
  17. ppue

    ppue Mod Experte

    Und eben dies eben scheint mir in der irischen Volksmusik am ausgeprägtesten zu sein. Ich kenne keine afrikanische Musik, die das hätte vorgeben können. Aber vielleicht irre ich und jemand findet da Beispiele.

    Der jüdische Einfluss, dreas, begann etwas später durch die Kompositionen der Komponisten der Tin Pan Alley. Ich denke mal, 80% der älteren Standards des Jazz sind von Juden geschrieben. Die waren in New Orleans aber nicht stilprägend dabei.
     
    Rick gefällt das.
  18. Otfried

    Otfried Gehört zum Inventar

    Hallo Helmut,

    das ist richtig. Die Möglichkeit, ins ternäre Spiel zu gelangen ergibt sich dann, wenn der zu Grunde liegende 6/8 in einen 4/4 gezwungen wird.

    Gruß,
    Otfried
     
  19. Dsharlz

    Dsharlz Ist fast schon zuhause hier

    Tach,
    wuerde ich nich als Zwang bezeichnen,
    z.B. in der westafrikanischen Musik kann man diese 12 (2 x 6) Einheiten entweder als 3er Takt (z.B. mit Sechzehntel: 3 x 4) oder als 4er Takt (z.B. mit Achteltriolen 4 x 3) auffassen,
    und beide Varianten gelten gleichzeitg
    triolische Gruesse
    Dsharlz
     
  20. Otfried

    Otfried Gehört zum Inventar

    Hallo Peter,

    ich wollte deiner These nicht wirklich widersprechen, dazu habe ich viel zu wenig Ahnung davon.

    Nur denke ich, dass es nie eine einzige Ursache für eine derartige Entwicklung in der Musik gibt.

    Es ist immer ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren, wo mehrere Kulturen aufeinander treffen und sich gegenseitig beeinflussen.

    Gruß,
    Otfried
     
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