Gedanken zum Swing (-rhythmus)

Dieses Thema im Forum "Eigene (musikrelevante) Themen" wurde erstellt von ppue, 14.Februar.2015.

  1. saxfax

    saxfax Strebt nach Höherem

    Was ich mich in diesem Zusammenhang interessiert: was würde z.B. Archie Shepp dazu sagen?
     
  2. bluefrog

    bluefrog Strebt nach Höherem

    Entweder gar nichts oder "white bullshit". Dann würde er darauf hinweisen, dass seine Urgroßmutter Sklavin war.
     
    zwar gefällt das.
  3. Rick

    Rick Experte

    Es freut mich, dass diese These, der "Swing-Rhythmus" stamme ganz wesentlich aus Europa, die ich auch schon seit Jahren vertrete, mal wieder ins Bewusstsein gerückt wird!

    Allerdings ist sie nicht vollständig, wenn man den (europäischen) 12/8-Marsch nicht ebenfalls als wesentlichen Einfluss erwähnt, so kam wahrscheinlich das "ternäre Feeling" in die Marching Bands von New Orleans, De Sousas "Washington Post" lässt grüßen:



    Und in New Orleans lebten vor über hundert Jahren unter anderem sehr viele italienische Migranten, und was brachten die für eine Musik mit?
    Zum Beispiel die triolische Tarantella mit dem typischen extrem betonten "Off Beat":



    New Orleans war ein gewaltiger Schmelztiegel, und die Musik, die darin als neuartige Legierung zusammengekocht wurde, hat sehr viele Quellen, auch in rhythmischer Hinsicht, denke ich. Die allzu vereinfachende These, die Europäer seien vorwiegend für Harmonik sowie Melodik und die Afrikaner praktisch allein für den Rhythmus verantwortlich gewesen, stimmt sicherlich so nicht.

    Swingende Grüße,
    Rick
     
    Zuletzt bearbeitet: 15.Februar.2015
  4. GelöschtesMitglied1589

    GelöschtesMitglied1589 Guest

    "White bullshit" macht Spaß, und ich finde Peters Artikel und Hypothese sehr interessant. Ich habe den Gedanken weiter gesponnen und kam zur Gangart "Galopp" beim Pferd. Auch hier wird aus dem binären "ta-ka-tah", also Sechzehntel-Sechzehntel-Achtel ab einem gewissen Tempo ein ternäres "tak-tah" (Sechzehntel-Achtel). Wahrscheinlich hat Swing, wie viele rhythmische Phänomene, sehr viel mit Bewegung, mit Körperkoordination zu tun.
    Deine Analyse mit dem Walzer fand ich übrigens brilliant, da habe ich so noch nicht drüber nachgedacht, lieber Peter.
     
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  5. Gast_13

    Gast_13 Guest

    Nicht zu vergessen der Einfluss vom Balkan: ;-)

     
  6. Saxax

    Saxax Ist fast schon zuhause hier

    Moin ppue, moin zusammen,

    die These hat was :) musikalisch aus Hör- und Spielerfahrung sofort einleuchtend und schlüssig. An Wiener Walzer und 12/8 Märsche als Vorläufer mag ich ganz spontan nicht glauben. Die Tarantella und der Balkanswing sind dann schon wieder sehr nahe dran. In den 70rn und 80ern hatte ich das Gefühl, dass z.b. die polnischen Bands einen ganz besonderen Swing hatten. Aber, wer weiss noch, wie der Balkan vor der Erfindung des Swing geklungen hat? Die selbe Frage gilt natürlich in Europa für den Swing der Sinti und Roma: fiel der Swing hier auf besonders fruchtbaren Boden, weil das Swingfeeling auch vorher schon vorhanden war, oder wurde der Swing als neuer Einfluss des Jazz integriert?

    Wenn wir die Irische These von Ppue annehmen, wäre es jetzt interessant zu untersuchen, wie, bzw. über welche Personen, kam der irische Swing in den Jazz. Tendenziell wäre also in den frühen weißen Bands der 20er zu suchen. Spontan fallen mir hier eher italienisch klingende Namen ein, aber das kann täuschen.

    Bei Gene Krupa ist das klar: polnische Vorfahren http://en.wikipedia.org/wiki/Gene_Krupa. Das ist aber wohl auch ein paar Jahre zu spät. Wo müssen wir suchen? Nach meinem Gefühl in der Chicago Zeit, also z.B. bei der http://de.wikipedia.org/wiki/Austin_High_School_Gang Am "irischsten" klingt mir da Jim Lanigan. Eddie Condon????? Wie kriegt man das raus?



    Keep swingin´



    Euer Saxax
     
  7. Rubax

    Rubax Strebt nach Höherem

    Hm,

    ich habe keine Ahnung wovvon Ihr redet, aber McPartland... Mc ist ein schottischer Namenspräfix, bedeuted Sohn von, (im irischen ist das O'..., nichtwahr Juju?)
    Die schottische Volksmusik ist nicht soweit weg von der irischen, IMHO.
     
  8. bluefrog

    bluefrog Strebt nach Höherem

    Hallo Saxax,

    Das haben ppue und henblower wohl auch nicht gemeint. Interessant ist aber, dass es hier europäische Traditionen gibt, bei denen genau wie im Swing Metren asymmetrisch gespielt werden. Mir fällt dazu noch Chopin ein, dessen Polonaisen auch mit so einer Verzögerung wie beim Wiener Walzer gespielt werden.

    Welche europäischen Einflüsse dann tatsächlich den Swing geprägt haben, ist noch eine andere Frage. Für die irische und die italienische Musik spricht sicher viel, wenn man bedenkt, wieviele Einwanderer aus diesen Ländern in die USA kamen.

    @Nummer_13
    Der Balkanswing wie in Deinem Beispiel scheint eine ziemlich neue Entwicklung zu sein. Trditioneller, aber noch sehr lebendig:
     
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  9. Rick

    Rick Experte

    Hallo Saxax!

    Dagegen halte ich den 12/8-Marsch gerade für die Marching Bands in New Orleans besonders prägend, denn die spielten natürlich auch die damals enorm populären Sousa-Kompositionen, wenn auch wohl eher nach Gehör als nach Originalnoten. ;-)

    Anfangs war meiner Ansicht nach der erwähnte italienische Einfluss in New Orleans besonders deutlich; nicht umsonst hatten die wichtigsten Mitglieder der "Original Dixieland Jass Band", die ja immerhin auf den ersten Jazz-Plattenaufnahmen der Geschichte zu hören ist, italienische Vorfahren.

    Für die Entwicklung sind einzelne Personen und ihre Namen zu vernachlässigen, meine ich, es ging wohl eher um das, was auf den Straßen und in den Lokalen zu hören war, um die "musikalische Atmosphäre", in der die Menschen lebten und musizierten; dazu gehörten sicherlich italienische, irische sowie Balkan-Volkslieder, afrikanische Trommelfiguren, europäische Märsche, aber auch "feine Salonmusik" in den gehobenen Storyville-Etablissements mit Wiener Walzer, Chopins Polonaisen und Ragtime aus St. Louis.

    Wie beim indischen Curry kann man hinterher die einzelnen Zutaten kaum mehr herausschmecken, aber wären manche nicht dabei, würde man sie vermissen.

    Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile; es wurde eben alles auf eine besondere Weise zu einem schmackhaften, die Welt elektrisierenden "Süppchen" gekocht. :cool:


    Schöne Grüße,
    Rick
     
    Zuletzt bearbeitet: 15.Februar.2015
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  10. Gelöschtes Mitglied 172

    Gelöschtes Mitglied 172 Guest

    Da möchte ich deiner Erinnerung doch auf die Sprünge helfen, weil das definitiv nicht stimmt. Der Walzer hat die Schritte auf eins-zwei-drei, wenn auch mit den von ppue erwähnten Nuancen. Bei den 3-Schrittfiguren im 4/4 geht es slow- quick - quick (Halbe - Viertel - Viertel), so z.B. im Foxtrott oder Rumba. Das ist aber nicht bei allen Tänzen im 4/4 so, und mit 2 gegen 3 oder 3 gegen 4 hat es nichts zu tun.
     
  11. Gast_13

    Gast_13 Guest

    Nicht zu vergessen der Einfluss vom Balkan: ;-)


    Tja, dann hatte ich das - als überzeugter Nichttänzer - falsch in Erinnerung
     
  12. ppue

    ppue Mod Experte

    Der Foxtrott tanzt sich definitiv Drei auf Vier.

    Zwei lange Schritte auf die Eins und Zwei, zwei kurze auf Drei und Und. Dann wiederholt sich das Muster beginnend ab der Vier.
     
  13. Gelöschtes Mitglied 172

    Gelöschtes Mitglied 172 Guest

    Stimmt doch so mit dem Foxtrott. Dabei verschieben sich die Taktteile, auf denen die Sequenz beginnt. Aber 3 gegen 4 ist es nicht.
     
  14. Otfried

    Otfried Gehört zum Inventar

    Moin,

    wenn man zu einem afrocubanischen 6/8 Salsa tanzt, und zwar so, dass man die 6/8 clave wie eine 4/4 (besser gesagt 2/2) betanzt, ergibt sich ein überaus spannendes 3 gegen 4.

    Gruß,
    Otfried
     
  15. ppue

    ppue Mod Experte

    Hast du natürlich Recht. Völlig fehl gedacht.
     
  16. ppue

    ppue Mod Experte

    Gerade im Wikipedia gefunden:

    "Als Minstrel (englisch für „kleiner Diener“, abgeleitet von Ménestrel, einer Bezeichnung für mittelalterliche Spielleute) wurde eine im 19. Jahrhundert populäre Form der Unterhaltungsmusik in den USA bezeichnet.


    Die Minstrel-Musik begann in den 1830er Jahren bekannt zu werden und löste sich Anfang des 20. Jahrhunderts in moderneren Musikformen auf. Ursprünglich wurden die so genannten Minstrel Shows von weißen Unterhaltungsmusikern aufgeführt, die ihre Gesichter schwarz färbten (Blackface) und auf heute als rassistisch zu betrachtende Weise das vermeintliche Leben der Afroamerikaner karikierten. Sie imitierten zur Belustigung eines zumeist weißen Publikums ihre Sprache und versuchten, die afroamerikanische Art des Tanzens in übertriebener Weise nachzuahmen. Die Musik wurde als afroamerikanisch ausgegeben, war aber generisch rein europäische Fiddlemusik. Sie imitierte die Art afroamerikanischer Musiker, denen man auf den Plantagen das Spielen irischer Fiddletunes beigebracht hatte und die diese auf ihre spezielle Art spielten. Besonders seit dem Ende des 19. Jahrhunderts gab es immer mehr afroamerikanische Minstrelmusiker, die sich zumeist ihr Gesicht ebenfalls schwarz färbten. So konnten sie teilweise rassistische Auftrittsbeschränkungen umgehen, weil die Zuschauer gar nicht merkten, dass sie wirklich einen Schwarzen vor sich hatten. Die Minstrelmusik beeinflusste besonders maßgeblich die US-amerikanische Musik dieser Zeit, aber auch Bluegrass und Country. Viele der afroamerikanischen Minstrels leisteten auch Beiträge zu einem archaischen Jazz."


    Hier wird die Verbindung von irischer Musik und Swing ganz deutlich.
     
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  17. saxhornet

    saxhornet Experte

    Ich denke man kann wie so oft davon ausgehen, daß Einflüsse, die später einen Musiktstil geprägt haben nicht nur ausschliesslich aus einer Richtung gekommen sind. Erst recht nicht wenn so viele Einwanderer auf engem Raum zusammen kommen, wie es damals in Amerika der Fall war. Insofern werden auch die Iren ihren Teil zu beigetragen haben, wie viele andere auch.

    LG Saxhornet
     
  18. GelöschtesMitglied1589

    GelöschtesMitglied1589 Guest

    Die Frage nach der Entstehung bzw. den Wurzeln des Swing lässt sich offenbar nicht eindeutig klären. Das wäre auch ein Wunder, denn letztlich sind wir alle Kinder dieses Kosmos, die schon im Mutterleib mit Rhythmen konfrontiert werden. Geht doch mal aus Spaß auf diese Seite:

    http://www.blaufuss.org/

    Dort findet ihr im Untermenü den Punkt "Heart Sounds Quiz". Hier können (wahrscheinlich) Medizin Studenten überprüfen, ob sie Systole und Diastole sowie Herzgeräusche richtig zuordnen können. Schon im ersten Beispiel hört man.....einen ternären Swing (Achtel-Viertel), zu dem der Fötus, wäre er schon in der Entwicklung fortgeschritten, bequem mit den Fingern schnippen könnte. Auch im zweiten Beispiel geht es in den ternären Bereich mit Achtel-Viertel, und wahrscheinlich ist der Swing tatsächlich das Grundmuster unserer Herzschlag-Rhythmik. Her mit euch Medizinern: stimmt das, oder gibt es beim Herzschlag auch binäre Rhythmen?
    Ich hänge mal das Fenster mit der Graphik zum ersten Beispiel der oberen Seite an. Wieder mal ein Beweis: alles, was wir zu erfinden glauben, haben wir eigentlich nur in der kosmischen Ordnung gefunden. Obwohl: eine Ausnahme sind ja die Mathematiker mit ihrer irrationalen Zahlen und Parallen, vielleicht sind das die wahren Erfinder. Oder kann jemand im Univerum echte Parallelen und irrationale Zahlen belegen? Herz-Swing.jpg
     
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  19. Rick

    Rick Experte

    Guter Einwand, Henblower, denn selbst wenn der "Swing" ursprünglich aus Europa stammt, wer hat ihn dann dort erfunden?
    Und Deine Herzton-Theorie könnte auf jeden Fall erklären, warum uns dieses ternäre Feeling so eingängig ist, warum es sich so erfolgreich verbreiten konnte.
    Interessant wäre jetzt nur die Frage, weshalb nicht ALLE Musikkulturen den "Swing" bevorzugen - schlagen die Herzen auf verschiedenen Kontinenten unterschiedlich? :rolleyes:

    Schöne Grüße,
    Rick
     
  20. GelöschtesMitglied1589

    GelöschtesMitglied1589 Guest

    Na ja, das Material, das uns in die Wiege gelegt und dann ausgelebt wird, ist vielfältig, zuweilen auch widersprüchlich: wenn auch das Herz "im Swing" schlägt, so haben wir doch zwei Beine, die uns alternierend, also binär, vorwärts tragen.
    Andererseits liegt auch hier wieder eine Tücke, die uns der unvergleichliche Stan Laurel als Gleichschrittkiller nahebringt:



    Übrigens, der Trippelschritt zwischendurch ist auch wieder ternär. Schaut euch mal Kinder an, die sich hüpfend vorwärts bewegen. Da wird aus dem binären "rationalen" Gehen ein ternäres "emotionales" Hüpfen.
     
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