De gustibus non est disputandum...

Dieses Thema im Forum "Eigene (musikrelevante) Themen" wurde erstellt von Claus, 26.Dezember.2015.

  1. Nordstern

    Nordstern Ist fast schon zuhause hier

    Das ist gut, dann muss auch niemand traurig sein! :)
     
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  2. Brille

    Brille Strebt nach Höherem

    Mittlerweile ist der Fred an einem Punkt, wo es schwierig wird, die Verknotungen der persönlichen Befindlichkeiten zu lösen. Ich meine, jeder der Diskutanten sollte tatsächlich ganz am Geschriebenen bleiben, wenn er Behauptungen zu "elitär" oder Ch. Parker etc. aufstellt. Desweiteren ist klar erkennbar, dass auch mal wieder Animositäten ausgelebt werden. Und Reflexe auf Schlüsselbegriffe. Das ist nicht hilfreich und bei klarem Blick selbstentlarvend. Aber wahrscheinlich ist auch diese Aussage wieder arrogant!-?
     
  3. 47tmb

    47tmb Gehört zum Inventar

    ...und außerdem gibt es Pinguine.......
     
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  4. Brille

    Brille Strebt nach Höherem

    ....und Seelöwen?.....
     
  5. last

    last Guest

    Aber deswegen sind wir doch alle ständig hier... ;););)
     
  6. Brille

    Brille Strebt nach Höherem

    Alla hopp. Als druff!
     
  7. Bereckis

    Bereckis Gehört zum Inventar

    @Juju, @Rick, @saxhornet, @Dreas

    Es wird schon seine musikalischen Gründe haben, dass Chris Potter in der Jazz-Elite zu den bestbeschäftigten Musikern gehört.

    Ich kenne auch beste Improvisationen unterschiedlichster Art von ihm.

    Wenn ich nachschaue, wer das Geniale Solo gespielt hat, ist er es häufig.

    Brecker z. B. höre ich fast immer sofort raus.

    Vielleicht ist er mir als kleiner Musikanten einfach zu "perfekt" oder flexibel?
     
  8. flar

    flar Guest

    Moin, moin Bereckis

    Da stimme ich Dir voll und ganz zu, naturlich macht das für Dich einen Unterschied. Aber dem Typen der E, G, Fis, A, H, Cis über einen A Dur Akkord mag wird es realtiv egal sein unter welchen Voraussetzungen das was er mag aufgenommen wurde. Und selbst wenn ihn das nicht egal wäre, kontrollieren kann er so wieso nicht ob die Tonfolge in einem schweißtreibenden Gefühlsausbruch entstanden ist, einfach nur gespielt wurde weil der Ausführende wußte das er damit nicht patzt oder wohl kalkuliert auf eine bestimmte Käuferschicht getrimmt von einem Produzenten und/oder Arrangeur erdacht worden ist. Da kann man nur Vermutungen anstellen, meiner Meinung nach gilt das für jegliche Form aufgenommener, geschriebener und vielleicht häufiger als man denkt auch bei in Konzerten gespielter Musik!

    Klar gibt es Produktionen wo man das Kalkül leicht bemerkt, aber ganz so offensichtlich ist das eben nicht immer.

    Ich schätze zum Beispiel sehr was die Doors so gemacht haben, da scheint beim hören viel Spontanes dabei zu sein. Wenn man sich die Konzertmitschnitte mal anhört kommt man sehr schnell dahinter das die Jungs eine sehr perfekt spielende Band waren und das fast ausschließlich der Zustand von Jim Morrison der einzig nicht vorher kalkulierte Teil des Programms war.
    Das macht die Musik für mich nicht schlechter, hätte ich so aber als 15, 16 jähriger Teenager beim ersten Kontakt mit der Musik der Doors nicht erwartet.
    Wer keine Lust hat diese These nach zuhören, irgendwo fliegen im Netz Konzertkritiken der wenigen Auftritte der Doors in Deutschland herum. An denen konnte Herr Morrison leider nicht teilnehmen da er in Amsterdam etwas zu sich genommen hatte das ihm nicht so gut bekommen ist, ich vermute mal Gauda oder Edamer.:lol::lol::lol:
    Jedenfalls hat Ray Manzarek den Gesangsteil übernommen und in den meisten Kritiken wird den Doors doch tatsächlich angekreidet das sie perfekt wie auf Platte klangen und fast nichts improvisiert war!
    Jeder der schon mal einen Chuck Berry Auftritt erlebt hat, als er noch fit war (!), wo der Meister eine schlechte Begleitband von Veranstalter gestellt bekam wäre von oben genannten vermutlich begeistert gewesen. Auch das findet man im Netz, wenn man es denn braucht.;)

    So nebenbei, ich habe bei Chuck jedes mal Glück gehabt auch wenn oft deutlich zusehen war wie angestrengt die Begleiter ihm folgten weil sie nicht einmal wußten welcher Titel als nächstes kam, geschweige denn wann und wie lange die Solos gingen und wann man einen Break hatte weil der Gesang wieder einsetzte. Nun sind Chuck Berry Lieder nicht umbedingt kompliziert, aber wenn über den Ablauf innerhalb der Stücke spontan nur von einem entschieden wird muß man schon ganz schön aufpassen und es passieren eben auch leicht Patzer die nicht jeder Konzertbesucher unverärgert wegsteckt! Der Nächste schätzt gerade das Spontane und nimmt kleine Fehler in gerne kauf!

    So genug geschwafelt
    :topic::topic::topic:

    Viele Grüße Ralf
     
    Zuletzt von einem Moderator bearbeitet: 28.Dezember.2015
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  9. flar

    flar Guest

    Moin, nochmal

    Kleine Berichtigung; Jim Morrison ist in Frankfurt aufgetreten, in Amsterdam war er nicht dabei!
    http://www.quest.nl/artikel/amsterdam-nekt-jim-morrison

    http://en.paperblog.com/1968-09-15-concertgebouw-amsterdam-netherlands-753023/
    Zitat."The audience was told Jim was ill and was offered a refund, but everyone stayed to hear Ray Manzarek sing Jim’s parts, and the three Doors played two complete shows without him. Contemporary reviews in the Dutch press indicate that the band pulled this off with flying colors."

    So nun aber
    :topic::topic::topic:

    Viele Grüße vom leicht schusseligen Ralf
     
  10. Isachar

    Isachar Guest

    Hmm,

    Die ursprüngliche Frage war hier ja :
    Sind Geschmäcker eigentlich gleichwertig/gleichberechtigt?

    Da stellt sich mir nachträglich die Frage : Aus wessen Sicht eigentlich ?

    Wenn ein altes Muttchen sich das Musikantenstadl reinzieht und dabei zufrieden mit den Stricknadeln im Takt klappert, dann hat sie ja für sich selbst genau den richtigen Geschmack und die richtige Musik dafür gefunden und verbunden, denn sie fühlt sich damit wohl und darauf kommt es doch an !

    Ich kenne nicht wenige Zeitgenossen, denen ist das relativ egal, was für Musik gerade läuft, solange das rockt und man darauf abtanzen kann. Das kann ein Herbert Grönemeier oder Supertramp oder auch ABBA sein, völlig wumpe ! Tanzen wollen die und achten noch nichtmal auf die Texte. Solange es also abgroovt, haben die ihr Ding gefunden und sind zufrieden.

    Dann gbt es die Fraktion der "Sezierer" die gerne anspruchsvolle Musik hören, sei es nun Klassik oder Jazz, am liebsten im Wohnzimmersessel und die jede Note einzeln hören, zerpflücken, sortieren, so als ob sie einen Löffel Kaviar Krümel für Krümel einzeln geniessen. Auch diese haben damit ihr Ding gefunden und sind zufrieden.

    Nochmal anderen ist die Musik zweitrangik, sondern die Texte der Songs sind ihnen wichtig. Die hören Musik eher wie ein vertontes Gedicht, wo es vorrangig um die Lyrics geht und landen dann vielleicht bei den Liedermachern. Vielleicht kennt noch jemand den Sänger Bruce Low mit seinem Lied "Es hängt ein Pferdehalfter an der Wand" Eine traurig sentimentale Geschichte, wo es wirklich mehr auf den Text ankam als auf die Musik dazu.

    Da gibt es wohl noch viele unterschiedliche Gruppierungen und natürlich auch Mischformen.
    Nun stelle ich mal in den Raum,daß Musik eine Art Genußmittel ist, mit dem man sich wohlfühlen will und solange sich der Höhrer mit seiner Musik wohlfühlt, egal ob Musikantnstadl oder Heavy Metal, ist das Ziel gleichwertig erreicht.

    Daher würde ich die Ausgangsfrage mal mit einem eindeutigen ja beantworten.
    Chacon a son Gout sagt der Franzose doch dazu, ein jeder nach seinem Geschmack !

    Schwierig wird es eben, wenn unterschiedliche Charaktere aufeinandertreffen. Wenn Oma wieder ihre scheiß Volksmusik hören will, der Enkel aber lieber die furchtbar wummernde Rocksendung
    dann muß da entweder sehr viel Toleranz her oder aber es kaufen sich beide besser einen eigenen Fernseher.

    Vor vielen vielen Jahren lud mich auf einer Motorradtour eine gute Freundin mal in das "Aladin" in Bremen ein, das war ein riesiger Rockschuppen, wo es dermassen abdröhnte, daß man sich nicht zu nahe an die Boxen stellen durfte, sonst hat es einem die Bierflasche aus der Hand vibriert. Die Gute ist dabei voll abgegangen und hat die Nacht durchgetanzt. Mir hat das aber nicht so gefallen, also habe ich mich in das hinterste Cafe-Eck verzogen, wo es etwas friedlicher zuging und abgewartet, bis sie sich ausgetobt hatte.
    Darüber war sie absolut beleidigt, weil ich an ihrer Freude nicht treilgehabt hatte. Sie meinte, ich hätte ihr nachträglich damit den Abend versaut, was ich sehr intolerant fand, denn ich hatte mich ja nicht beklagt oder kritisiert, sondern mich lediglich still zurückgezogen.
    Im Grunde hatte ich meine Freude daran,zu sehen, wie die ansonsten eher schüchterne und stille Maid da aufblüht und abrockt, aber ihr ging es mit mir halt andersherum.

    Auch wenn unterschiedliche Geschmäcker also gleichwertig sind, so scheint es doch sehr schwer, das auch tolerant umzusetzen, vielleicht, weil Musik oft auch mit viel Emotionen verbunden ist.

    Wenn ich mir hier nun die Diskussionen über irgendwelche Jazzmusiker so durchlese, die immer wieder hochkochen, fühle ich mich an diesen Abend im "Aladin" erinnert.

    Grüßle

    Isach
     
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  11. Claus

    Claus Mod Emeritus

    Da sind wir genau wieder am (Ausgangs-)Punkt angelangt:

    Wenn ich feststelle, dass mir etwas nicht gefällt (weil ich, wie oben bereits beschrieben, persönlich einen anderen Zugang zur Musik habe), dann möchte ich nicht gleich immer mit einem fürsorglichen "Sorge Dich nicht, Du entwickelst Dich noch weiter..." bedacht werden. Egal, ob gewollt oder nicht: es hat etwas Herablassendes an sich.

    Darauf wollte ich nur in aller gebotenen Höflichkeit mit diesem thread aufmerksam gemacht haben.
     
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  12. Isachar

    Isachar Guest

    @Claus

    Das hast Du nach meinem Ermessen auch sehr gut rübergebracht und genau deswegen habe ich Deine Ausgangsfrage nochmal aufgegriffen und versucht sie nochmal aus einem anderen Blickwinkel zu beleuchten.

    ;-)

    Isach
     
  13. Bereckis

    Bereckis Gehört zum Inventar

    Hallo Claus,

    grundsätzlich hast du ja recht.

    Kommunikation besteht aber immer aus zwei Personen. Inzwischen habe ich gelernt, dass @saxhornet vieles wertfreier meint, als es bei mir ankommt. Wir hatten da auch schon unsere Diskussionen.

    Die Frage ist aber auch, warum du im Forum schreibst: "Mir gefällt die Musik von XXX nicht." Was willst du mit dieser Aussage bezwecken? Emotionalen Widerspruch erzeugst du hiermit garantiert. Die darauf folgende Frage, ob du zu dieser Musik überhaupt einen Zugang hast, ist aus meiner Sicht völlig ok.


    Ich sage statt "Künstler XXX gefällt mir nicht." lieber "Zu Künstler XXX habe ich bisher keinen Zugang." Was mir gefällt oder nicht, ist mein privates Thema.

    Mich nerven schon die Medien, die mir andauernd propagieren, wie mein Geschmack sich entwickeln soll, damit ich möglich viel konsumiere.
     
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  14. Claus

    Claus Mod Emeritus

    Und ich sage ganz unverblümt: gefällt mir nicht. Diese politische Pseudo-Korrektheit geht mir tierisch auf den Nerv. Außerdem habe ich einen Zugang. Nur eben einen anderen, der deshalb nicht minderwertig sein muss.

    Das tue ich mit dem gleichen Recht, mit dem andere kundtun, dass sie Potter für "genial", "toll", "wow", "krass", "großartig", "herausragend" halten.

    Es ging nicht nur um Florian. Ich hatte generell den Eindruck, dass einigen nicht bewußt ist wie bestimmte Äußerungen bei anderen ankommen. Den Eindruck habe ich übrigens immer noch.
     
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  15. Gelöschtes Mitglied 5328

    Gelöschtes Mitglied 5328 Guest

    @Claus

    +1 sehe ich genauso....

    Und ich finde es gut, dass Du das Theme zur Diskussion gestellt hast....;)

    CzG

    Dreas
     
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  16. 47tmb

    47tmb Gehört zum Inventar

    Und eben da schwingt ja schon irgendwie der Zusatz mit: "..... aber da kommst Du schon noch hin....."
     
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  17. Isachar

    Isachar Guest

    @Bereckis

    Ich bin zwar nicht Claus, aber ich stimme Dir insofern zu, daß oft Dinge überbewertet werden, die garnicht so gemeint sind.
    Über meine Wortwahl sind hier ja auch schon öfters Leute "gestolpert" oder haben sich daran gestoßen. Das ist nunmal in Foren ein gegebenes Risiko.

    Aber wieso soll man nicht sagen, wenn einem was nicht gefällt ?

    Wenn ich in einem Künstlerforum unterwegs bin, wo plötzlich viel über die Farbe Lila diskutiert wird, weil sie vielleicht gerade in Mode ist und alle oder viele fahren plötzlich auf Lila ab, dann kann ich doch meine Ansicht vertreten, daß mir im Gegensatz zu anderen diese Farbe nicht gefällt !?!
    Da muß ich doch nicht erst Tagelang das Farbspektrum und die Zusammensetzung von Lila ergründen oder immer wieder etwas in Lila malen, um das genauer festzustellen !

    Wenn sich andere dadurch allerdings emotional angegriffen oder provoziert fühlen, dann landet man bei genau dem Problem, welches ich mit der Freundin im Rockschuppen erlebte.

    Wenn man nun, so wie Du sagt: Zu der Farbe Lila habe ich keinen Zugang, so ist das zwar sehr diplomatisch ausgedrückt, muß aber nicht unbedingt stimmen, denn vielleicht habe ich die Farbe ja ausgiebig studiert und sie gefällt mir trotzdem nicht ! Es ist also nicht unbedingt so, daß mir die Eingangstüre zu Lila verwehrt ist, ich mag sie nur ganz einfach nicht !

    Dich nerven die Medien, die Dir Deinen Geschmack vorschreiben wollen, ja aber vielleicht hast Du nur ihre Genialität noch nicht verstanden, vielleicht mußt Du Dich damit noch etwas mehr auseinandersetzen ?!?
    Wenn ich nun Mediendesigner wäre, könnte ich mich übrigens emotionell provoziert fühlen !
    Na, ich hoffe Du verstehst, daß ich das mit einem ironischen Augenzwinkern schreibe.

    Das ist halt alles nicht so einfach mit der Ausdrucksweise, der Toleranz und den Emotionen !

    ;-)

    Isach
     
  18. Gelöschtes Mitglied 7743

    Gelöschtes Mitglied 7743 Guest

    @Isachar:

    Aus Wikipedia:

    "Musik (griech. μουσική (sc. τέχνη) mousikḗ (nämlich téchnē): „musische Kunst, Musenkunst“, besonders „Tonkunst, Musik“)[1][2] oder Tonkunst ist eine Kunstgattung, deren Werke aus organisierten Schallereignissen bestehen.[3][4][5][6][7][8][9][10][11][12][13][14][15] Zu ihrer Erzeugung wird akustisches Material – Töne und Geräusche innerhalb des für den Menschen hörbaren Bereichs –, das einerseits physikalischen Eigengesetzlichkeiten, wie zum Beispiel der Obertonreihe oder Zahlenverhältnissen unterliegt, andererseits durch die Art seiner Erzeugung mit der menschlichen Stimme, mit Musikinstrumenten, elektrischen Tongeneratoren oder anderen Schallquellen gewisse Charakteristika aufweist, vom Menschen geordnet. Aus dem Vorrat eines Tonsystems werden Skalen gebildet. Deren Töne können in unterschiedlicher Lautstärke und Klangfarbe erscheinen und Melodien bilden. Aus der zeitlichen Folge der Töne und Geräusche verschieden langer Dauer entstehen Rhythmen. Aus dem Zusammenklang mehrerer Töne von jeweils anderer Tonhöhe erwächst Mehrstimmigkeit, aus den Beziehungen der Töne untereinander entsteht Harmonik."

    Musik ist folglich - wie auch die Kunst und die Literatur - zunächst ein Ausdrucksmittel. Mit dem, was er ausdrücken möchte, wählt der Künstler sein Stilmittel. Musik interagiert und reagiert auch immer mit seinem gesellschaftlichen Umfeld, indem es produziert und rezipiert wird.

    Rap z.B. als Auflehnung gegen die etablierte "weiße" Lebensweise. In den 1990er Jahren wird in den Texten des Raps das Leben in den amerikanischen Ghettos seit den 1970er Jahren wieder aufgerollt und im Kollektivgedächtnis der Schwarzen verarbeitet. Dabei handeln die Texte oft von den Problemen der Kriminalität und Drogen, manche distanzieren sich eindeutig davon, andere heißen dasselbe gut.

    Oder der Bossa Nova. Ursprünglich ist „Bossa Nova“ der Name einer Bewegung, die in den späten 1950er Jahren in Brasilien entstand und dort ihren Höhepunkt bis Ende der 1960er Jahre hatte. In einem sehr modernen gesellschaftlichen Klima wurde in der gebildeten Mittelschicht mit neuen Formen und Ausdrucksweisen in Musik und Film experimentiert. Im Wandel der Zeit hat er nunmehr eine andere Bedeutung erhalten. Der Militärputsch 1964 veränderte das politisch-gesellschaftliche Klima in Brasilien vollständig: Die Musik wandelte sich, da unter der Zensur Kritik nur noch in doppeldeutigen Texten ausgedrückt werden konnte, exemplarisch dafür steht Chico Buarque mit seinem Album Construcao. Heute weist man dem Bossa Nova zu Recht einen bestimmenden Einfluss auf die brasilianische Popularmusik zu.

    So auch im Jazz: Seit Ende der 50er Jahre experimentierten junge afroamerikanische und europäische Jazzmusiker mit unerhört neuen Klängen: mit einem Durchbruch in den Raum der freien Tonalität, mit einer Aufgabe der Funktionsharmomik bzw. dissonanten (d. h. spannungsgeladenen) Akkorden, wie sie im Jazz bis dahin nicht vorstellbar gewesen waren. Vorbereitet war diese Ausweitung des musikalischen Materials bereits seit 1941 von der Tristanoschule, aber auch von George Russel etc. und durch die kammermusikalischen Experimente eines Jimmy Giuffre. Die schockierende Wirkung dieser Musik - in den frühen 1960er Jahren auch „Jazz der Avantgarde“ oder „The New Thing“ genannt - wurde noch gesteigert durch neuartige Spieltechniken und ausgefallene Klang- und Geräuscheffekte, wie extrem hohe, schrille, „schreiende“, „pfeifende“, „quäkende“ oder „grunzende“ Töne. Hinzu kam eine Betonung der Intensität, wie sie in früheren Jazzstilen unbekannt war.

    Ähnliche Intentionen verfolgt m.E. auch die moderne Avantgarde von Michael Brecker über Chris Potter, die - manchmal mehr oder weniger geglückt; solche Experimente dürfen ja auch mal scheitern - die Möglichkeiten der Tonalität und Harmonik zu ergründen suchen. Als "Avantgarde" sprechen Sie nicht jedermanns Sprache - wie auch nicht ein Jeder den Künstler Jackson Pollock mag, sondern sich z.B. Poster des Künstlers "Diddl" an die Wand hängt -, haben aber in der Welt der Kunst ihre Berechtigung und ihren Markt. Auch die damalige Avantgarde eines "Charlie Parker" oder eines "Miles Davis" ist heutzutage etabliert.

    Daher ist die eingangs gestellte Frage durchaus berechtigt (de gustibus non est disputandum). Man kann sich herrlich darüber streiten, welche Kunstform nun die schönere oder gar die höher entwickelte ist, eine plausible Antwort darauf wird sich nicht ad hoc finden, sondern höchstens ein mit Argumenten unterfüttertes Plädoyer für die jeweils eigene Sichtweise sein. Was sich in Zukunft aus den künstlerischen Ansätzen entwickelt, wir allein die Zeit zeigen. Wie bei jedem Werk eines Künstlers, darf/muss aber auch Kritik erlaubt sein, auch wenn der Kritiker selbst nicht die künstlerische Perfektion des ausführenden erreichen kann.

    Zum Anschluss einige sehr schöne Videos des umstrittenen Künstlers Chris Potter, zunächst eine "Variation" des Werks eines anderen Künstlers, "Tune Up" von Miles Davis, inklusive einer Version mit Transkription:





    Das Stück ist technisch einwandfrei und sehr virtuos gespielt, das Motiv wird zunächst stringent und strukturiert vom einfachen zum komplexeren entwickelt, enthält einige humorvolle Einfälle (leider nicht so viele wie bei den Werken von Dexter Gordon, dessen Humor ich wirklich sehr schätze), und Zeigt die Klasse des Künstlers, das Thema auch ohne Unterstützung durch eine Rhythmusgruppe als Solo virtuos und gekonnt umzusetzen. Allerdings ist das Solo für meine Geschmack deutlich zu lang und gegen Mitte verliert der Künstler m.E. die Form, so dass es für den Zuhörer, der sich mit dem Stück beschäftigen möchte und der Struktur folgen möchte (im Geiste die Taktabschnitte mitzählt), alleingelassen wird. Die Atempausen sollen dabei wahrscheinlich jeweils einen thematischen einen Abschnitt kennzeichnen, sind aber recht kurz gesetzt und erfolgen im Laufe des Stücks zeitweilig unregelmäßig, so dass eine Orientierung daran schwer fällt. Ob das Intention war, kann wohl nur der Künstler selbst beantworten. Erst gegen Ende wird er Zuhörer wieder an die Hand genommen, kurz bevor das Thema einsetzt. So meine Kritik.

    Ein weiteres Chris-Potter Beispiel (Invitation, eigentlich ein Bossa Nova), das ähnlich gut strukturiert und virtuos gespielt ist:



    Bei diesem Video kann man auch die Reaktion der Zuhörer verfolgen. Einige sitzen ganz gebannt und still auf ihren Stühlen, andere fangen an, sich mit etwas anderem, z.B. der Fotokamera zu beschäftigen und wieder andere rutschen unruhig auf ihren Stühlen hin und her. Es zeigt, wie unterschiedlich das Stück aufgenommen wurde.

    Viele Grüße,

    BCJ
     
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  19. Gelöschtes Mitglied 5328

    Gelöschtes Mitglied 5328 Guest

    Ich stell' mir grad vor wir hätten als Auslöser der Diskussion nicht Chris Potter sondern Kenny G gehabt....:eek:

    Einige der "Lordsiegelbewahrer" von Potter und Co. hätten sich ausgelassen an einem vergnüglichen "Kenny G Bashing" beteiligt....:lol:

    CzG

    Dreas
     
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  20. Mugger

    Mugger Guest

    Auch das ist nicht notwendig, lieber Dreas.
    Es schadet nicht, mal handwerklich gutes Zeug zu hören. Es hilft sogar manchmal, den Horizont zu erweitern, auch wenn man nie im Leben plant, so zu spielen.

    Cheers, Guenne
     
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