Seid ihr mit eurem Saxspiel "angekommen"?

Dieses Thema im Forum "Eigene (musikrelevante) Themen" wurde erstellt von Gelöschtes Mitglied 5328, 4.März.2016.

  1. GelöschtesMitglied1589

    GelöschtesMitglied1589 Guest

    Ich wage mal eine Plattitude am späten Abend mit eigentlich schon zu viel Rotwein im Hirn (Rebsorte Primitivo):

    "Angekommen ist, wer abkommt."

    Klingt absurd widersprüchlich, ist aber ernst gemeint. Ich glaube zu verstehen, dass der angehende Jazzer lernt, sich mit den "Linesklischees" (wie von @Mugger so bezeichnet), mit zu erwartenden Abweichungen (z.B. "melodic minor approach") und Phrasen in Form von melodisch vertrauten Mustern zu arrangieren ("die Tritonus-Substitution, sie lebe hoch").
    DAS ist aber noch nicht "Ankommen", obwohl man diese Schule durchlaufen habe muss, um sie......wieder hintan zu lassen, zu vergessen und neue Wege zu gehen. Musik ist ja Sprache, und wer meint, Poesie zu zelebrieren, aber nur Altbackenes und Konventionen wiederkäut, ist halt nicht angekommen, er reproduziert und produziert nicht. Trotzdem macht es Spaß, sich in dieser Sprache unterhalten zu können, so man es denn kann. Dann kann man halt mitreden, aber nicht verzaubern. Ich selber wäre froh, wenn ich eines Tages einigermaßen vernünftig mitreden könnte, erkenne aber mit Demut, dass ich oft besser die Klappe halte als das Maul aufreiße.

    Erfolgreiches "Abkommen" meine ich in diesem Beispiel zu erkennen:



    Von @Mugger ja schon im TOTM März angeführt, spielt der gute Joe Henderson hier in "Bye Bye Blackbird" einige Lines, die für mich als Laien weitab von Klischees angesiedelt sind. Beispiel von ca. 0:23 bis 0:30: Diese wunderbaren Abwärtslinien und Falls, so leicht und unüberlegt dahin gespielt, sozusagen aus dem Ärmel geschüttelt mit der unglaublichen Leichtigkeit des Seins, das ist das große Kino in kleinen Momenten, das mich am Jazz begeistert. Poesie heißt für mich, das Unerwartete zu äußern und zu erfahren, in Sprache wie in Musik, und auf dieser Platte "PopPop" von Rickie Lee Jones ist für mich (nicht nur) Joe Henderson wunderbar poetisch. Darum beneide ich manche Musiker, um diese Fähigkeit, Poesie hörbar und erlebbar zu machen.

    War Joe deshalb angekommen? Er würde abgewunken haben, aber für mich als HÖRER ist er auf dieser Scheibe angekommen, weil ich nicht denke "Ach ja, ganz nett", sondern vielmehr "Wow, wie leicht und spielerisch und doch ernst zu nehmen". Da ist sie wieder, diese venezianische Maske, dieser Januskopf der Kunst, der Dialektik und der unauflösbaren Widersprüchlichkeit unseres bescheidenen Strebens.

    Ankommen? Never ever.

    Der Schöpfende kommt niemals wirklich an, der Konsument als Teilhabender verleiht dieses Attribut aber gerne und immer wieder ("Abgefahren=Angekommen"). Widersprüche ohne Ende......

    Hätte man Coltrane nach "My Favourite Things" beglückwünscht mit "Boah, Alter, du bist angekommen", hätte man nur ein müdes Lächeln geerntet.
     
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  2. sachsin

    sachsin Strebt nach Höherem

    ... wie gern würde ich "ankommen". Doch hätte ich Angst davor. Denn dann würde ich Alles erreicht haben und die Sehnsucht mich mit dem Saxophon zu beschäftigen verlieren; glaube ich :(

    Danke @henblower für diesen wunderbaren Beitrag. Über den könnte man (bei einem Tempranillo) wunderbar philosophieren.

    Grüße in den Abend :)
     
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  3. Rick

    Rick Experte

    Ja, schön gesagt, vor allem Deine weiterführenden Gedanken dazu gefallen mir gut. Der Primitivo scheint Dir zu bekommen (mag ich auch gern).

    Ja, gut, aber das betrifft nicht das, was ich hier im Thread vorher mit "Angekommensein" meinte.

    Man könnte meine Auffassung des Themas von Dreas vielleicht so beschreiben:
    Angekommen auf der Startlinie, bei der Voraussetzung, BEVOR man sich auf die große künstlerische Reise begeben kann, die dann jedoch kein wirkliches Ende oder Ziel mehr kennt, höchstens Etappen (gerade bei Coltranes Fortschreiten gut erkennbar)...


    Ewig reisende Grüße,
    Rick
     
  4. Gelöschtes Mitglied 5328

    Gelöschtes Mitglied 5328 Guest

    Rick, wunderbar! Genau SO meine ich das! Um irgendwo starten zu können muß man gewisse Fertigkeiten und Fähigkeiten entwickelt haben. Hat man die, geht es erst richtig los.

    CzG

    Dreas
     
    Zuletzt von einem Moderator bearbeitet: 10.März.2016
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  5. Mugger

    Mugger Guest

    Äh, das denke ich mir auch oft, bevor ich nochmal genau hinhöre und merke, was dazu alles noch fehlt.
    Insofern, Gratulation!
     
    last gefällt das.
  6. Gelöschtes Mitglied 5328

    Gelöschtes Mitglied 5328 Guest

    Ja, es kommt halt drauf an, ob man beim Kreissportfest oder bei einer Weltmeisterschaft an den Start geht.

    Ich freu' mich auf das Kreissportfest...;)

    CzG

    Dreas
     
  7. Wuffy

    Wuffy Gehört zum Inventar

    Na wenn ich so meinen Mist bei Black Bird anhöre, bin ich wohl noch lange nicht angekommen, sondern eher in die falsche Richtung abgebogen.

    Akürzungen nehmen ( irgendwie durchmogeln ) geht halt nicht bei jedem Song.

    Werde mir mal die Cocker-Version genauer anhören, dass dürfte zu schaffen sein.

    Gr Wuffy
     
  8. Mugger

    Mugger Guest

    Trotzdem schadet es uns beiden - wie auch den meisten hier im Forum glaube ich - nicht, nochmal die Schnürung der Schuhe bzw. die Schibindung zu überprüfen, hehe.

    Cheers
     
    Zuletzt von einem Moderator bearbeitet: 10.März.2016
  9. Gelöschtes Mitglied 5328

    Gelöschtes Mitglied 5328 Guest

    Das ist doch selbstverständlich....sonst machst Du Dich hoch motiviert auf den und fliegst schon nach 100m auf die Schnauze...hihi...

    CzG

    Dreas
     
  10. Gelöschtes Mitglied 5328

    Gelöschtes Mitglied 5328 Guest

    So, ich habe den Eindruck von vielen völlig falsch verstanden worden zu sein (dann hab' ich mich wohl dämlich ausgedrückt)

    Ich lese in vielen Beträgen zwischen den Zeilen:

    "Wie erdreistet sich die Amöbe über "ankommen" zu reden. Der kann eigentlich noch gar nix! Das ist arrogant und selbstgefällig"

    Das betrübt und frustriert mich, es ist aber auch nicht einfach, daß was ich grad empfinde zu vermitteln.

    Es ist völlig richtig: Natürlich kann ich (fast) gar nichts, stehe immer noch am Anfang! Und ich habe noch gaaanz viel zu lernen, zu üben, zu entwickeln....Ich bin Welten von unseren Profis, engagierten Amateuren, erfahren Hobbysaxophonisten entfernt....das habe ich wohl nicht richtig klar gemacht.

    Solch ein Vergleich liegt mir fern!

    Das wäre anmaßend! Sorry, wenn das so angekommen ist. Doofes Internet!

    Dennoch fühle ich für mich "angekommen" zu sein. Warum?

    Ich kann heute...

    ...mehr oder weniger alle Tonleitern, Akkordbrechungen, etc. (vor 5 Jahren wußte ich nichtmal, dass es das gibt)
    ...relativ schnelle Läufe (auf'm Conn...hehe!)
    ...einfache bis mittlere neue Stücke vom Blatt relativ schnell umsetzen
    ...rudimentär ansprechend improvisieren
    ...erkenne zunehmend Changes und es gelingt mir denen auch hin und wieder zu folgen...hihi..
    ...mal zu Stücken im Radio oder CDs mitspielen, darüber improvisieren
    ...einen für MICH schönen Ton spielen MEIN Sound gefällt mir...JETZT!
    ...einigermaßen vernünftig intonieren
    ...zu Playalongs spielen, ohne ständig rauszufliegen
    ...in einer Band angemessen mitspielen zu könnenund das Publikum zu begeistern...) die Band hat mich nicht rausgeschmissen)...DAS IST DAS HIGHLIGHT SCHELCHTHIN!
    ...höre was die Band macht, kann zunehmend interagieren
    ...fange an mit der Band zu kommunizieren
    ...fühle mich jetzt wohl, mit dem was ich mache! ....geiles Gefühl!

    DAS hätte ich vor knapp sechs Jahren nicht geglaubt, daß ich NUR annähernd das erreichen könnte. ICH habe gezweifelt, daß ich überhaupt ein Instrument lernen kann!

    JETZT gibt mir das ein stückweit Sicherheit, macht mich gelassen, inspiriert und motiviert mich für die vielen Möglichkeiten. die auf mich zukommen. gibt mir die Erkenntnis, daß es kein wirkliches "Ankommen" gibt, das jetzt vieles möglich wird!

    Aber für mich, für meine Musik, für mein Wohlfühlfaktor, für das was ich JETZT kann, für meine ehemaligen Erwartungshaltung, bin ich für MICH sicher "angekommen"! Ich kenne meine (lokale) Startlinie!
    Ich hadere nicht ständig mit meinen Unzulänglichkeiten, mit meinem Unvermögen....das gehört zu MIR!..Ich konzentriere mich beim Spielen NICHT auf das, was ich NICHT kann, sondern auf das was ich kann (!), bin mir dessen aber bewußt, und kann alles was kommt auf mich zukommen lassen.....Lernen, lernen, lernen! Beim Üben konzentriere ich mich dann auf meine "Baustellen", möchte ständig besser werden!

    Eine immerwährende Fokussierung auf all das was man NICHT kann führt m.E nur zu einer ständig währenden Unzufriedeheit!

    "Ankommen" von im Sinne "Ziel erreicht" werde ich in diesem Leben nicht MEHR....

    War das nun verständlich?

    CzG

    Dreas
     
    Zuletzt von einem Moderator bearbeitet: 11.März.2016
    Nohpoxas, jabosax, Smoothie und 4 anderen gefällt das.
  11. 47tmb

    47tmb Gehört zum Inventar

    Ankommen im Sinne von fertig sein haben leider einige "verstanden", war aber eindeutig aus der Anfangsfrage nicht ableitbar.

    Ankommen im Sinne von "es hat "klick" gemacht" - "Ja, das ist mein Ding" wurde ja auch von anderen so verstanden und gepostet ;-)



    Cheerio
    tmb
     
    Rick gefällt das.
  12. ppue

    ppue Mod Experte

    Das Dilemma um den Begriff "angekommen" ist doch leicht zu lösen.
    Wie alle wissen, ist heutzutage der Weg das Ziel.

    Solange man noch unsicher ist, ob es das richtige Instrument ist, oder ob da jemals ein vernünftiger Ton heraus kommt oder was einen sonst anfänglich umtreibt, fühlt man sich noch nicht so ganz auf dem richtigen Weg.

    Bei @Dreas, so behaupte ich ganz einfach, ist es seine Band, die ihm das Gefühl gibt, auf dem richtigen Weg zu sein.
    Und das Phänomen wird sich bei den Meisten einstellen, genau dann, wenn man mittels des Instrumentes kommunizieren kann, im Blasorchester, der Musikschulband, einem privaten Spielkreis oder auch hier in den TOTMs.

    Solange man alleine zu Hause übt und spielt, kann man quantitativ seine Qualität erhöhen. Mittels der Musik zu kommunizieren, ist dann aber eine völlig neue Qualität.

    Ich bin mit 14 beim Saxophon angekommen. An dem Tag, wo mein Klarinettenlehrer mir das erste Saxophon überreichte, das sich die Musikschule angeschafft hatte, und ich hinein blues.

    Quatsch, im Grunde war ich da sogar schon vorher angekommen, hatte nur kein Horn.
     
  13. guemat

    guemat Ist fast schon zuhause hier

    der ist guut...

    lg

    gue
     
  14. Rick

    Rick Experte

    Genau, Andreas, das ist meiner Ansicht nach ein ganz wichtiger Punkt, denn das Musizieren soll ja auch einem selbst Freude bereiten und nicht immer nur harte Arbeit sein!
    Und das gilt beileibe nicht nur für Hobbymusiker - auch ein Berufsmusiker sollte Spaß an seinem Tun haben. Wie einem mürrischen Schalterbeamten merkt man es auch dem Musiker an, ob er hier nur pflichtschuldig seinen Job erledigt oder wirklich leidenschaftlich dabei ist (und das schließt das Unterrichten ein).

    Auf die Frage, was die wichtigsten Kriterien für die Berufswahl seien, antwortete mir mein Lateinlehrer in der Mittelstufe (damals war ich an der Schule schon als ausübender Jazzer bekannt):
    "Wenn es etwas gibt, das man jeden Tag tun möchte, sieben Tage die Woche, 52 Wochen im Jahr, dann sollte man das wählen."
    Das war bei mir die Musik. Egal wie "schlecht" ich da noch war, wie viel es noch zu lernen und können gab, Musik war einfach "mein Ding", ich konnte mir nichts Anderes vorstellen, als Musik in meinem Leben an vorderste Stelle zu setzen.

    Aber ich kannte und kenne auch Kollegen, die ständig betonen, woran sie noch alles zu feilen haben, die sich ständig über ihre Fehler und Unzulänglichkeiten auslassen und offenbar nie zufrieden sind. Glücklich sind sie höchstens kurzfristig, wenn mal etwas wirklich gut geklappt hat, ansonsten wird ständig der Kopf geschüttelt und weiter an Baustellen gearbeitet.
    Ich finde das schade, denn so erscheint das Glas stets halbleer.

    Dabei erwartet das Publikum oft überhaupt keine Perfektion, sondern will vor allem gut unterhalten werden. Will Musiker erleben, deren gemeinsame "Spielfreude" auf die Zuhörer überspringt.
    Natürlich sollte die Darbietung schon "gut" sein, also überzeugend, aber in jeder Hinsicht perfekt? Das schafft sowieso keiner, wie sehr er sich auch anstrengt und dem Horizont hinterher rennt.


    Gut Sax,
    Rick
     
    Zuletzt bearbeitet: 11.März.2016
  15. Gelöschtes Mitglied 1142

    Gelöschtes Mitglied 1142 Guest

    @Dreas: so hat eben jeder seine individuelle Vorstellkng davon, wann er sich "angekommen" fühlt.

    Mit 12 Jahren fing ich an, Gitarre zu lernen. Angekommen fühlte ich mich ca. 15 Jahre später. Wenn ich auf der Bühne stand, ein Solopart anstand und ich keine Schweißausbrüche oder Schnappatmung kriegte, sondern locker, entspannt und im Vertrauen darauf losspielen konnte, dass was anhörbares dabei rauskommt.

    Als ich genießen konnte, was ich tat und keine Panikatacken mich lähmten.

    Wenn es bei Dir und bei vielen anderen anders ist, ist das doch okay. Oder wie bei @ppue sich dieses Gefühl schon beim ersten hineinbluesen einstellte.

    LG Bernd
     
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  16. GelöschtesMitglied1589

    GelöschtesMitglied1589 Guest

    @Rick : exakt und folgerichtig analysiert. Ich habe in der Bekanntschaft einen Pianisten und Klavierlehrer, der den Typ des unzufriedenen Musikers lebt. Er ist ständig unzufrieden mit seinem Spiel, konzertiert deshalb schon seit langen Jahren nicht mehr, gibt seinen Kontrollzwang an Schüler ab, die irgendwann, entnervt von seiner Pedanterie, was Fingerhaltung und Anschlag angeht, abwandern oder aufhören.
    Was für ein Typ hingegen war mein Prof in Musikpädagogik, der alles mit Freude spielte. Man sagte ihm zwar nach, dass bei ihm alles gleich klang, egal ob Bach oder Bartok, aber wenn der die Noten auf den Flügel knallte, wusste man, dass jetzt Spaß angesagt war.
    In meinem 1. Staatsexamen spielte ich Bach auf der Gitarre. Gerade waren die ersten Noten erklungen, als ich irritiert zur Kenntnis nehmen musste, dass er kurz vorher die Kaffeemaschine angestellt hatte, die jetzt zu Bach daher blubberte. Das musste zwar auch nicht sein, ist aber ein Beispiel für seine Unbekümmertheit und seinen Verzicht auf Manierismen jeder Form.
     
    Rick und Gelöschtes Mitglied 5328 gefällt das.
  17. Mugger

    Mugger Guest

    Wo sitzt der Widerspruch?

    Cheers
     
  18. Gelöschtes Mitglied 1142

    Gelöschtes Mitglied 1142 Guest

    Als ob nicht auch der Weg Spaß machen könnte. Beim Wandern geht's ja primär auch ums Wandern. Nicht um das Ziel. Außer, das Ziel hat eine sonnige Gartenterasse und es gibt dort Weizenbier
     
  19. Rick

    Rick Experte

    In der Betonung.
    Wie schon @Dreas schrieb: Worauf ist man fokussiert, auf die Freude oder die Unzufriedenheit?
     
    Regor und Gelöschtes Mitglied 5328 gefällt das.
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