Swing, historisch, theoretisch, praktisch

Dieses Thema im Forum "Improvisation - Harmonielehre" wurde erstellt von ppue, 26.Juni.2016.

  1. Otfried

    Otfried Gehört zum Inventar

    Moin,

    Ich sehe es eher so, dass es gerade die unmenschliche Sklaverei war, die den Schwarzen ihre Kultur weggenommen hat, und dies in Nordamerika ja so gründlich, dass sie sich nach der Befreiung (die den Rassismus leider nicht beseitigt hat) quasi neu erfinden musste. Dass dabei alle möglichen und vorhandenen Einflüsse mit verwendet wurden schmälert ja in keinster Weise die Eigenidentität, die die schwarze Musik dann für sich entwickelt hat.

    Dein Vorwurf des tendenziellen Rassismus ist schon von daher völlig daneben.

    Gruß,
    Otfried
     
    Zuletzt bearbeitet: 4.Juli.2016
  2. gaga

    gaga Gehört zum Inventar

    Zwei Anmerkungen zu unterschiedlichen Aspekten von mir:

    1. Irgendwo habe ich gelesen, dass die Betonung des Back Beats ironischerweise zuerst von der weißen Original Dixieland Jazz Band praktiziert wurde, während die zeitgenössischen schwarzen Bands noch auf 1 und 3 betonten. Auch nach meinen Erwartungen hätte es sich genau andersherum gehört.

    2. Bei meiner langen Beschäftigung mit irischer und schottischer Musik hatte ich immer das Bild, dass das triolische Spielen etwas mit den Reels, Hornpipes und Jigs und den speziell schottischen Strathspeys der Einwanderer zu tun haben müsste. Und weil oben so viel von Märschen die Rede ist: die schottischen six-eight marches für pipe bands gehören auch dazu. Der swing hat dort aber eindeutig erst mit den Aktivitäten der Nachkriegsjugend unter dem Einfluss des Jazz Einzug gehalten. Die Aufnahmen aus den 50er Jahren sind für mein Gefühl steif und "stokelig", während ab den 70er Jahren der Swing einkehrte.

    Gaga
     
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  3. ppue

    ppue Mod Experte

    Das sehe ich auch so. Die Afrikaner aus den Gebieten, aus denen sie entführt wurden, hatten eine Art Tonhöhensprache. Sie konnten sich über diese Tonhöhen verständigen und sie konnten sich auch so über ihr Trommeln verständigen. Das hatten die Weißen spitz gekriegt und so verboten sie das Trommeln. Nur Sonntags durften die Afroamerikaner auf dem Combo Square singen, tanzen und sogar Handtrommeln verwenden.

    Mir gefallen solche Diskussionen wie hier, denn sie fordern mich, machen mich weiter recherchieren. So dringe ich tiefer in die Materie ein. Es war allerdings nicht mein Ansinnen, diese eine Theorie heraus zu stellen. Das liegt ja nur an dem Gegenwind, den sie auslöst.

    Jazz ist mit die erste Weltmusik, in der sich die afrikanische und europäische Kulturen verbinden. Und sicherlich haben alle verschiedenen europäischen Kulturen, die man in Amerika antraf, mehr oder weniger großen Anteil am Jazz gehabt. Was wenige wissen: In der Tin Pan Alley in New York wurden Anfang des 20. Jahrhunderts Kompositionen verkauft. Jedes Verlagshaus hatte Vorspieler, die die neuen Songs den Käufern vorspielten. Die Komponisten waren überwiegend Juden und eine Menge ihrer Kompositionen wurden später Jazzstandards.

    So hat auch diese Bevölkerungsgruppe ihren Fingerabdruck hinterlassen.

    Natürlich bekommt man das nicht mehr auseinander, @henblower, und ich führe auch keinen wissenschaftlichen Streit. Aber alleine die Beschäftigung mit der Zeit um die Wende 19./20. Jahrhundert verschafft mir doch sehr großen Einblick in die Materie. Und nur darum geht es mir selber.

    Ein paar Fundstücke. Wie schon beschrieben, war Ragtime ursprünglich keine Musik für Solopiano. Hier habe ich einen auf dem Banjo gespielten gefunden:



    Das war 1904 und man hört, dass die Achtel nicht binär gespielt werden. Nein, das ist kein Swing, dennoch aber ein Vorläufer von ihm.

    William Krells Mississipi Rag gilt als eine der ersten Ragtime-Kompositionen.
    Die populäre amerikanische Musik weist um die Jahrhundertwende allgemein eine starke Synkopisierung auf.



    Will Marion Cook hat in seinen Kompositionen ganz bewusst afroamerikanische Elemente aufgenommen. Er hat den ersten schwarzen Dirigenten ins Theater geholt, schrieb für die schwarze Comedy-Truppe
    Williams and Walker Company und leitete 1910 das New York Syncopated Orchestra.



    Ja, leider sind nur Aufnahmen weißer Komponisten aus der Zeit vorhanden. Afroamerikanische Kultur fand erst 20 Jahre später ganz allmählich Einzug ins Radio und in die Plattenläden.
     
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  4. gefiko

    gefiko Strebt nach Höherem

  5. GelöschtesMitglied1589

    GelöschtesMitglied1589 Guest

    Kommunikation ist die beste Voraussetzung, sich nicht zu verstehen bzw. misszuverstehen, lieber @ppue.

    Ich schätze deine Goldgräberei zu diesem Thema mit gefühlten einigen Metern Stollentiefe, aber wahrscheinlich war der Einstieg zu diesem Thread, der ja offensichtlich, wie du selber sagst, aus dem Harmonielehrekurs stammt, nicht so wirklich gelungen. Du sagst ja, du "führst keinen wissenschaftlichen Streit", wählst aber im Intro exakt diese Worte:

    “Die Geschichte des Swing liegt weitgehend im Verborgenen, was sich in den verschiedenen und meiner Meinung nach nicht gerade überzeugenden Meinungen der Wissenschaftler ausdrückt. ..... So bleibt mir nichts erspart, als es selber zu erklären [​IMG]"

    Mit Verlaub, hier sehe ich einen Widerspruch, der auch anderen nicht verborgen geblieben sein wird. Selbst wenn dein Zitat mit "tongue in cheek" und einem Augenzwinkern daher kommt, so sagt es doch sinngemäß, dass die Wissenschaft hier versagt und du dir mal schnell das Superman Cape oder die Zorro-Maske überstreift. Natürlich muss man in der Goldgräberei nicht alles auf die Goldwaage legen, aber da hast du doch ein massives Nugget gleich zu Beginn laut klimpernd in eine Schale geworfen.
    Das wirst du vielleicht nicht gewollt haben, aber so omnipotent kommt es in etwa rüber. Die "Content Analyse" ist ja mein Steckenpferd, und für den neutralen Beobachter muss das Abbürsten der Wissenschaft und die danach folgende Willenserklärung anmaßend wirken. Die Ironie, die du ja sicherlich im Hintergrundmodus laufen ließt, wird durch das Smiley leider nicht abschwächend genug transportiert, obwohl du das sicherlich so vorhattest. Ich sage auch ganz bewusst, dass du nicht anmaßend bist, sondern vielleicht entgegen deinem Willen so rüberkommst. Wie schon gesagt:

    Kommunikation ist die beste Voraussetzung......
     
    last und ppue gefällt das.
  6. ppue

    ppue Mod Experte

    Ich liefere mal einen nach: ;-)
     
  7. stefalt

    stefalt Strebt nach Höherem

    Ich kämpfe auch gerade mit dem Swing. Daher warte ich sehnsüchtig auf das "praktisch" aus dem Titel. Ausserdem gehen mir langsam die Popcorn aus ;):D

    Wie sieht es denn nun praktisch aus, mit oder ohne Theorem zur Herkunft?

    LG Stefan,
    der trotz seiner akademischen Vergangenheit eher ein Pragmatiker ist.
     
  8. GelöschtesMitglied1589

    GelöschtesMitglied1589 Guest

    Bevor dieser Thread etwas ins Persönliche abglitt, was @ppue und seiner mir aus persönlicher Erfahrung positiv bekannter Neugier nicht gerecht wurde, wollte ich den Titel "Swing-historisch, theoretisch, praktisch" eigentlich noch um "quadratisch, gut" ergänzen, jetzt traue ich mich aber nicht mehr, obwohl "Swing und Quadrat" wiederum das Phänomen kurz und prägnant umreißen.
     
  9. Rick

    Rick Experte

    Dies ist eines der Grundprobleme der europäischen Jazz-Betrachtung: Man sieht die Musik im wahrsten Wortsinn zu schwarz-weiß, und das ist leider ebenfalls eine rassistische Perspektive.

    (Rassismus bedeutet nun mal, Wert auf Hautfarbe und sonstige Kennzeichen der Abstammung zu legen, und ist immer zu vermeiden, völlig egal, ob man nun DIE Schwarzen oder DIE Weißen besser findet. Typischer "positiver" Rassismus ist etwa: "Der Neger hat nun mal den Rhythmus im Blut" - eine erschreckende stereotype Aussage, die nicht dadurch besser wird, dass da doch angeblich etwas Positives über Menschen bestimmter Abstammung gesagt wird.)

    Europäer haben sich viel an der Frage "schwarz oder weiß" abgearbeitet, und sicher hat die real existierende Rassendiskriminierung in den USA des 20. Jahrhunderts sie sehr entsetzt und ihre Sichtweise geprägt, doch die Diskriminierung hatte wohl mehr praktische Auswirkungen auf Arbeitsmöglichkeiten sowie -bedingungen der afroamerikanischen Musiker als auf ihre Kunst selbst.

    Es wurde hier schon mehrfach angesprochen: Jazz ist eine eigenständige Mischung aus unterschiedlichsten kulturellen Einflüssen, keine Bevölkerungsgruppe hätte ihn alleine aus sich heraus entwickeln können.

    Und man sollte mal die soziale Komponente nicht vergessen: Jazz entstand aus und in den Unterschichten, war eine Musik der Armen, egal welcher Hautfarbe oder Ethnie. Aber er hatte auch schon früh einen gewissen intellektuellen Anspruch, denn viele der Armen, gerade unter den Einwanderern aus Europa, waren nicht ungebildet oder gar dumm, sondern erstmal nur mittellos. Es waren ja überwiegend so genannte "Wirtschaftsflüchtlinge".

    Ähnliches galt aber auch für manche Afroamerikaner, besonders für Mischlinge, der Verbindung von weißen Herren mit ihren Sklavinnen entsprungen, die oft eine gewisse Bildung und sogar hausmusikalische Schulung genossen hatten, die Wissen über Harmonielehre, Notation usw. besaßen.
    Die Abschaffung der Sklaverei im 19. Jahrhundert hatte sie paradoxerweise ihrer früheren Privilegien beraubt, doch in einigen Familien gab es trotz der verschlechterten Bedingungen immer noch einen gewissen Stolz, weshalb sie nicht klein beigaben wie andere, die seit Jahrhunderten nichts als Sklaverei kannten.
    Das Selbstbewusstsein solcher eher bürgerlich geprägten "Herren-Nachkommen" oder auch Freigelassener hat sicher viel und Wesentliches zur Entstehung, Verbreitung und Bekanntwerdung des Jazz beigetragen - sie ergriffen die Chancen, die sich ihnen als Musiker oder Vermarkter boten, und machten das Beste daraus, so konnte eine in ihren Grenzen recht erfolgreiche "Subkultur" entstehen,

    Ich denke, dieser gesellschaftliche Aspekt bringt in den Fragen nach der Entstehung des Jazz und seiner Elemente mehr Erkenntnis als der Rassen-Aspekt, ob die Erfinder nun eher schwarz, weiß, grün oder lila gepunktet waren.
    Es sollte mal endlich der Tag kommen, an dem es weltweit komplett egal ist, wie stark oder schwach jemand pigmentiert ist!


    Schöne Grüße,
    Rick
     
    Zuletzt bearbeitet: 4.Juli.2016
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  10. Marko74

    Marko74 Ist fast schon zuhause hier

    Der Mensch an sich ist meiner Meinung nach in erster Linie daran interessiert, alles erklären, oder besser gesagt, einordnen zu müssen.
    Die Erfinder des Wäscheschranks, der Werkzeugkiste oder der Schublade haben (wahrscheinlich ungewollt) mehr die menschliche Psyche erklärt als Philosophen wie Kant, Sokrates etc.
    Wobei der Erfinder der Schublade im wahrsten und übertragenen Sinne die beste Arbeit geleistet hat, denn eine Schublade klemmt immer... ;-)

    Kulturelle Einflüsse in der Musik lassen sich wahrscheinlich sehr sehr schwer eindeutig erklären, besonders eine vielseitige Musikrichtung wie Jazz.
    Die ist nun mal in Amerika entstanden bzw publik geworden. Ein Land, dass ohne mehrere kulturelle Einflüsse gar nicht entstanden wäre.
     
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  11. Saxfreundin

    Saxfreundin Strebt nach Höherem

    Aus vollstem Herzen: MIT !
     
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  12. Gast_13

    Gast_13 Guest

    Nachdem das Ganze hier dermaßen zu Fehlinterpretationen und Missverständnissen geführt hat, werde ich mich aus dem Forum etwas zurück ziehen.

    Wünsche allen eine schöne Zeit! ;-)
     
  13. Otfried

    Otfried Gehört zum Inventar

    Moin @Nummer_13

    Fehlinterpretationen und Missverständnisse können aufgeklärt und klargestellt werden. Sich (schmollend ?) zurückzuziehen finde ich ist nicht die optimale Lösung.

    Gruß,
    Otfried
     
  14. JES

    JES Gehört zum Inventar

    Ich stelle einfach auch mal eine Theorie in den Raum:
    Swing kommt aus Asien. Die ersten Swingmusiker waren Asiaten....
    JEs
     
  15. Gelöschtes Mitglied 5328

    Gelöschtes Mitglied 5328 Guest

    Ich find's schade, daß das hier in eine völlig dämliche Richtung gelaufen ist.

    Und @Nummer_13 die Schmollecke ist auch nicht angesagt. Du hast doch gute Argumente gebracht, wie @ppue auch!

    Ich, als völlig Unbedarfter, fand eure Diskussion spannend...und andere Beiträge auch, das Thema sowieso.

    Irgendwo, irgendwann warst Du persönlich angefressen...da gibt es sicher einen Grund, aber der war wohl ein persönlicher.

    Auch wenn wir an vielen Stellen (im wesentlichen politisch) nicht einer Meinung sind, so mag ich Dich hier nicht missen.

    Disput tut gut!

    Wenn wir immer alle einer Meinung wären, würde es hier tot langweilig werden.

    Also weiter machen.

    Liebe Grüsse,

    Dreas
     
    bluefrog gefällt das.
  16. prinzipal

    prinzipal Ist fast schon zuhause hier

    vielleicht lernt es sich ja leichter durch zuhören. ich denke, wynton kann sehr gut trompete spielen usw. usf.

     
  17. gefiko

    gefiko Strebt nach Höherem

    Wer möchte denn lernen? Ich denke hier geht's um Recht haben usw. usf.
     
  18. Roland

    Roland Strebt nach Höherem

    Genau, es ging um die Betrachtung: Wie isses entstanden? Mein Saxlehrer empfiehlt für das Thema 'swing' immer Oscar Peterson.

    Grüße
    Roland

    PS:
    'Rexht haben' klingt jetzt ein wenig negativ ... vielleicht sich dem Thema im Diskurs annähern?
     
  19. ppue

    ppue Mod Experte

    Zuhören ist immer erst mal der beste Lehrer. Mit dem praktischen Teil wird es noch etwas dauern, Aldi weil ich gerade Urlaub machen muss.
     
  20. Gelöschtes Mitglied 1142

    Gelöschtes Mitglied 1142 Guest

    :ironie: Oooooh, Du Armer, Musst Urlaub machen. Bei Aldi o_O

    Viel Spaß und erhol Dich gut!

    LG Bernd
     
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