Unfassbares Gehör

Dieses Thema im Forum "Improvisation - Harmonielehre" wurde erstellt von Roland, 4.Oktober.2016.

  1. Rick

    Rick Experte

    Hallo Helmut,

    das war mir prinzipiell schon klar, da habe ich mich wohl vorhin in der Eile missverständlich ausgedrückt.

    So ähnlich scheint es auch bei einigen schwäbischen Wörtern zu sein: je nach Aussprache, Tonhöhe und Betonung habe manches Wort unterschiedliche Bedeutungen, sagt meine Frau.
    Leider weiß ich gerade kein Beispiel - irgendwelche "Schwoba" anwesend?

    (Im Plattdütsch scheint es das ebenfalls zu geben, meine ich mich zu erinnern...) :roll:


    Schönen Gruß,
    Rick
     
  2. ppue

    ppue Mod Experte

    @bluefrog, ich denke, das haben die meisten, die sich dafür interessieren, längst gewikipediat und das wurde auch nie bestritten.

    Der Ausgangspunkt war ein völlig anderer.

    @Dreas, so glaube ich, warf die hohe Anzahl an absolut Hörenden (40%) in Asien in die Diskussion und sprach die Vermutung aus, dass es an den tonalen Sprachen im asiatischen Raum läge. Ich empfinde unsere Sprach als nicht weniger tonal, kenne aber wenig spezifischen Untersuchungen darüber.

    Eine Art Kurzzusammenfassung findet man hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Intonation_(Sprachwissenschaft)

    Unsere Sprache hat nicht die festen Gesetze wie das Hochchinesisch, wirkt auf mich dennoch ungleich musikalischer als das Mandarin. Die unterschiedlichen Wortbedeutungen selbst dürften für das absolute Gehör nicht entscheidend sein.

    Dass der Tatbestand, dass eine unterschiedliche Intonation unterschiedliche Bedeutungen des gleichen Ausdrucks hervorruft (wie im Hochchinesischen), ist für mich als Begründung der hohen Zahl an Menschen mit absolutem Gehör in Asien immer noch nicht zwingend.

    Dem Knirps in dem Video wurden ganz andere akustische Phänomene in die Wiege gelegt, nämlich recht moderne und komplexe Musik. Das Hochchinesische kommt mir dagegen wenig komplex in der Tonalität daher, fast eintönig. Besonders im Vergleich zum rheinischen Singsang des Beikirchers (-:übrigens ein Südtiroler), den ich natürlich genau wegen seines "Gesanges" als Beispiel nahm.

    Die Frage bleibt also: Ist das absolute Gehör anerziehbar und wenn ja, wie? Oder vielleicht besser gefragt: Wie kann man es vermeiden? (-;
     
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  3. Gelöschtes Mitglied 5328

    Gelöschtes Mitglied 5328 Guest

    Das werden wir wohl kaum beantworten können, wenn sich selbst Wissenschaftler nicht einig sind.

    Ich verweise da nochmal auf den von mir verlinkten Artikel weiter oben.

    CzG

    Dreas
     
  4. Juju

    Juju Strebt nach Höherem

    Ich denke, es gibt doch einen größeren Zusammenhang zwischen absolutem und relativem Gehör - vor allem was Intonation angeht. Ich meine, je nachdem, wo man aufgewachsen ist, ist die Referenz doch verschieden, z.B. der nicht unerhebliche Unterschied z.B. hier auf der Insel mit A= 440 und dem Kontinent mit 442 oder mehr. Was die Intonation angeht, ist doch das relative Gehör eher ausschlaggebend.
    Ich glaube schon, dass das absolute Gehör anerziehbar ist.
    Am Instrument, vor allem am Saxophon kann man gehörmäßig auch gut "schummeln", weil die einzelnen Töne so charakteristisch sind, dass man sie sich anhand des Obertonspektrums recht gut merken kann. Ich kann mir z.B. ein B am Saxophon gut vorstellen und singen, bevor ich den eigentlichen Ton gehört habe.

    LG Juju
     
  5. ppue

    ppue Mod Experte

    Da ich nicht weiß, wie sich das absolute Gehör anfühlt, kann ich wenig dazu sagen.

    Mich würden genau solche Dinge interessieren: Klingt eine Stimmung von A=435 Hz schief in deren Ohren. Ist es für sie in Ordnung, wenn es gleichschwebend temperiert ist oder hören sie lieber die reinen Intervalle. Wie empfinden sie Vierteltonmusik?

    Ich habe gute Ohren, höre viel, und Verstimmungen, wie z.B. die von Laienorchestern oder bei ethnologischen Musikaufnahmen, mitunter sogar gerne. Ich empfinde zu gut gestimmte Musik oft als zu glatt. Gibt es absolute Hörer, die das ähnlich empfinden? Vom Bauchgefühl kommen sie mir ein wenig etepetete (wie schreibt man das?) vor. Die Natur hat die Töne ja so, wie wir sie benutzen, nicht zusammen gestellt. Ist es womöglich eine Allergie ?-;

    Ich sehe schon, ich sollte mal recherchieren.

    Ich bin mir auch nicht sicher, ob man eine feste Grenze zwischen absolutem und relativen Gehör ziehen kann.

    Die Töne auf dem Sax kann ich auch recht gut an ihrem Obertongehabe erkennen. Auch zucken meine Finger meist richtig, will ich irgendwo spontan mit einem Ton einsteigen. Geht allerdings nur am Alt. Auf dem Tenor bin ich glatt ne Quinte daneben. Quasi eher ein "absoluter Altfinger". Ich denke, es gibt da mannigfaltige Abstufungen im Gehör und ebenso mannigfaltige synaptische und synästhetische Verbindungen im gesamten Körper.

    Wahrscheinlich ist das Ganze als Forschungsgebiet für die Wirtschaft uninteressant und deshalb weiß man wenig drüber.
     
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  6. bluefrog

    bluefrog Strebt nach Höherem

    Das ist ja gerade der Witz bei der Geschichte: Tonsprachen können eigentlich keine ausgeprägte Satzmelodie haben, weil diese die einzelnen Töne "überschreiben" würde.
    Eben.
    Ja. Interessant wäre jetzt zu wissen, ob es Unterschiede zwischen Chinesen und Japanern gibt. Dann hätte man wenigstens einen Hinweis auf den möglichen Einfluss der Tonsprache.

    LG Helmut
     
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  7. bluefrog

    bluefrog Strebt nach Höherem

    Denke ich auch. Auf dem Sax treffe ich die Töne nicht, aber einen vorgespielten Ton nachsingen geht. Es muss also die Fähigkeit vorhanden sein, einen Ton nach Gehör absolut einzuordnen.

    Würde ich nicht sagen. Psychoakustik ist ein eingeführtes Forschungsgebiet.

    LG Helmut
     
  8. ppue

    ppue Mod Experte

    Ja, dem sollte man nachgehen.

    Der Artikel unterstreicht @Dreas These:

    https://de.wikipedia.org/wiki/Absolutes_Gehör
     
  9. ppue

    ppue Mod Experte

    Ja, eingeführt, hehe, aber ob die Psychoakustiker so viel aus den Töpfen bekommen wie zB. die IT-Techniker, bezweifle ich.
     
  10. Gelöschtes Mitglied 5328

    Gelöschtes Mitglied 5328 Guest

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  11. bluefrog

    bluefrog Strebt nach Höherem

    Sehr interessant. Wir hätten demnach das absolute Gehör "verlernt", weil diese Fähigkeit bedeute:

    Sie würde keine Verallgemeinerung zulassen. "Mit ihr könnten wir nicht erkennen, dass "Happy Birthday in zwei Tonlagen gesungen das gleiche Lied ist, oder dass das Wort "Tasse" aus dem Mund eines Mannes und einer Frau das gleiche Wort ist.

    LG Helmut
     
  12. ppue

    ppue Mod Experte

    Na, das halte ich für unwahrscheinlich. Warum sollte das absolute Gehör ein relatives bzw. transponierendes Ausschließen. Habe ich noch nie gehört.
     
  13. ppue

    ppue Mod Experte

  14. saxology

    saxology Ist fast schon zuhause hier

    Von einem gewissen Standpunkt betrachtet ist das relative Gehör viel erstaunlicher als das absolute.
    Beim Sehen wäre es undenkbar, dermaßen im Farbspektrum zu verrutschen und dasjenige als blau und orange zu bezeichnen, was uns zu einem anderen Zeitpunkt noch als grün und rot erschienen ist.
     
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  15. Juju

    Juju Strebt nach Höherem

    Ich habe zwar kein absolutes Gehör, aber ich hatte Probleme, als ich auf die Insel überwechselte. Ich fühlte mich sowas von zu hoch und musste erstmal umlernen. Letztes Wochenende mit einer Gastbigband aus Deutschland gespielt und dacht prompt, wow sind die sharp... Aber das hat glaube ich nichts mit perfect pitch zu tun sondern mit Gewohnheit.

    Ich glaube auch das zieht sich quer durch Relativ- und Absoluthörer. Ich kann die Verstimmungen, wie Du sie beschreibst, im Kontext mit klassischer Musik nicht ertragen. Das war schon als Kind so. Meine Eltern haben mich regelmäßig zu klassichen Konzerten auf dem Konzertabo unseres städtischen Musikvereins geschickt und da musste ich mir dieses Orchester antun, welches zwar kein Laienorchester war aber trotzdem die von Dir beschriebenen Verstimmungen aufwies. Ich konnte das nur schwer ertragen und wollte da nie hin. Besonders Streicher, selbst bekanntere Solisten, kann ich nicht gut ertragen, es sei denn, sie intonieren nahezu perfekt. Beim Jazz fühle ich das allerdings etwas anders, da ist meine Toleranzschwelle etwas höher, zumal ich viele Intervalle anders empfinde als in der Klassik. Wobei sich mir bei Jazz & Strings regelmäßig die Fußnägel hochklappen, z.B. bei Chris Potters Album. Da frage ich mich dann, wieso ein Musiker wie er das nicht hört oder ob er es hört und einfach mit den Schultern zuckt...
    Grundsätzlich kann es für mich nicht gut genug gestimmt sein. Aber: "Zu gut gestimmte Musik" empfinde ich zu glatt, wenn sie autogetuned ist, das kann man ja durchaus auch hören, z.B. bei Künstlern wie Adele, da ist ja wirklich fast jede Note, die sie singt, nachgetuned.

    Yepp, geht bei mir nur am Tenor, am Alt ist es dann so schlimm, dass ich an den Changes kleben muss, sonst liege ich eine Quarte falsch...

    LG Juju
     
  16. Werner

    Werner Strebt nach Höherem

    Also, das klingt für mich schon nach absoluten Gehör. Wenn du sogar Centunterschiede ohne Referenz wahrnimmst, würde mir nie einfallen.
    Möglicherweise gibts da auch Spezialbegabungen, ähnlich wie beim relativen Hören.

    Ganz so schlimm ist es bei mir nicht, aber es ist der Grund warum ich nur Alt (und Sopranino) spiele. Und warum ich Gitarre und Keys idR nur in Eb-Stimmung spiele, also transponiert bzw umgestimmt.

    Der Wechsel zwischen Eb- und Bb-Stimmungen müsste für abolutes Gehör kontraproduktiv sein, die gleiche Tonhöhe wird unterschiedlich genannt, die Eindeutigkeit geht flöten.



    http://www.swing-jazz-berlin.de/swing-affair
     
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  17. quax

    quax Gehört zum Inventar

    Dafür solltest Du keine Hand ins Feuer legen.
    Gerne hängt die Wahrnehmung einer Farbe von den Umgebungsfarben ab.
    Bunte Grüße quax
     
  18. quax

    quax Gehört zum Inventar

  19. saxhornet

    saxhornet Experte

    Was Juju beschreibt ist eigentlich eher typisch für Vielspieler. Mir geht das manchmal auch so. Wenn man mit bestimmten Leuten oder Ensembles länger spielt, ist man an eine bestimmte Stimmung eher gewöhnt und man merkt schnell, wenn diese anders ausfällt, da reicht auch schon mal der Unterschied von 440 Hz zu 443Hz als Stimmton. Das macht sich dann im Zusammenspiel doch bemerkbar.
     
    claptrane und Juju gefällt das.
  20. saxology

    saxology Ist fast schon zuhause hier

    Die Farbkonstanz baut auf dem "absoluten" Erkennen von Wellenlängen des Lichtes auf. Sie ist dessen Verfeinerung und Steigerung.

    Dass Sehen mehr ist als Frequenzwahrnehmung (aber eben nicht weniger) ist ja unbestritten.
    Ebensowenig, dass man durch gezielte Manipulationen leichte Verschiebungen der wahrgenommenen Farbe erzeugen kann wie bei der Munker-White-Illusion (die dann auch sehr konstant wahrgenommen wird).

    Mal ein Experiment:
    [​IMG]
    Markiere das Zentrum des wahrgenommenen roten, blauen, grünen und gelben Bereichs.
    Wiederhole das Ganze bei gleicher Beleuchtung zu unterschiedlichen Zeitpunkten.

    Wie groß werden die Abweichungen sein?


    Gruß
    Joachim
     
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