Wie umgehen mit "belasteter" Musik?

Dieses Thema im Forum "Eigene (musikrelevante) Themen" wurde erstellt von bebob99, 22.September.2017.

  1. Bereckis

    Bereckis Gehört zum Inventar

    Die Grundfrage ist doch: Ist Kunst immer auch eine politische Aussage? Oder anders ausgedrückt: Trage ich als Kunstausführender auch die politische Verantwortung für mein Tun?

    Ja - ist meine klare Aussage.

    @bebob99 : Du entscheidest und verantwortest selber, was du spielst!

    Ein gutes Beispiel für schwierige Kunst sind die Werke von Richard Wagner. Er selber war ein bekennender Antisemit. Die Nazis hatten seine Musik richtig gut missbraucht. Die Wagnerfamilie hat ohne Ende profitiert. Die Kompositionen gehören ohne Zweifel zur Weltkultur.

    Laut Aussage von @Ginos würde er diese nicht spielen.

    Barenboim spielte Wagner in Israel:
    http://www.faz.net/aktuell/feuillet...fuer-wagner-auffuehrung-in-israel-130789.html

    Ich habe einmal Wagner unter professionellen Bedingungen mitkonzertieren dürfen. Es war großartig!
     
  2. Claus

    Claus Mod Emeritus

    Nein.
     
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  3. Bereckis

    Bereckis Gehört zum Inventar

    Mit 8 Jahren hatte ich einen Stapel Akkordeonnoten von meinen in Krieg verstorbenen Opa gefunden. Da ich schon damals lieber forschte als übte, habe ich diese viel gespielt. Da war u.a. auch viel Filmmusik aus der UFA-Zeit und Nachkriegszeit drunter... Die Filme mit Hans Rühmann liebte ich sowieso.

    Irgendwann hörte mein Vater mich und sotierte schnellstens einige Stücke aus.

    Hauptkriterium war der Hakenkreuzstempel, da gab es keine Diskussion, egal ob ich das Stück gut fand oder nicht...
     
  4. Bereckis

    Bereckis Gehört zum Inventar

    Sorry, da fehlt mir die Argumentation.
     
  5. bebob99

    bebob99 Strebt nach Höherem

    Nun, "Vergebung" kann nur und ausschließlich aus menschlicher Hand erfolgen, da das Konzept natürlich rein menschlich ist. Man muss diesen Menschen auch gar nicht vergeben. Die meisten sind sowieso schon tot und Tote brauchen auch keine Vergebung mehr. Man soll es auch nicht vergessen. Aber mit den Jahren werden die persönlichen Beziehungen dazu weniger, das Grauen weicht einem Gruseln, wie bei den Schilderungen der Folterkeller der christlichen Inquisition. Das ist unausweichlich. In dieser Generation wohl noch nicht, aber wahrscheinlich in der nächsten oder spätestens übernächsten.

    Das muss man nicht bedauern. Würde sich die Menschheit in allen Einzelheiten an jede Grausamkeit erinnern müssen, die sie im Laufe der letzten 50.000 Jahre verübt hat, wir müssten uns alle vor Scham selbst umbringen. Es ist notwendig, dass auch schlimme Dinge - nach ihrer Verarbeitung - irgendwann katalogisiert und abgelegt werden können. Nicht vergessen, aber man muss sich nicht mehr darüber definieren. Homer schrieb über den Trojanischen Krieg. Karl der Große hat sein Reich auch nicht erweitert, indem er die Nachbarn mit Geschenken geködert hat, sich ihm anzuschließen. Hier wurde viel gestorben. Wir lesen darüber, aber wir leiden deshalb nicht mehr. Weder die Nachfahren der Täter, noch die der Opfer. Das wird mit den Gräueln der Nazis (und Stalinisten und Faschisten, ...) genauso geschehen. Bei einem früher, bei einem anderen später.

    Wenn man nur tief genug gräbt, wird man auch fündig. Die Frage ist doch: MUSS man unbedingt versuchen, überall eine dunkle Seite auszugraben wenn niemand einen begründeten Verdacht hat? Da wir aus früheren Zeiten weniger Informationen haben als aus der Gegenwart, kann es durchaus sein, dass eine in der geschichtlichen Rückschau respektable Person eine ganz gehörige Macke gehabt haben könnte. Vergessen ist durchaus nicht immer ein Nachteil. Es bildet die geistigen Sedimente die die Skelette der Dinosaurier langsam zudecken und die Oberfläche für eine neue Generation bereiten.

    Siehst Du, der Bericht führt dazu, dass Du ganz selbstverständlich davon ausgehst, dass die Mitglieder der Musikkapellen standfeste Nazis sind und mit der Absicht angereist, den wenigen "erkennenden" Zuhörern subtil diese Gesinnung anzuzeigen, im sicheren Wissen dass der Großteil der Idioten das nicht kapieren wird. Du weißt also, was "die eigentliche Absicht" war? Ich weiß es nicht. Ich weiß aber, dass ICH ohne Bedenken diesen Marsch gespielt hätte, wie auch zuvor schon etliche male. Ganz ohne ideologische Hintergedanken. Die Reaktionen hier von "wusste ich auch nicht" muss nicht repräsentativ sein, aber die Unterstellung dass man "die eigentliche Absicht grinsend verschweigt" unterstützt das auch nicht direkt.

    Ich habe schon (einige wenige) Leute kennengelernt, die ihre braune Gesinnung nicht verbergen. Zu solch subtilen Provokationen wären die allesamt nicht fähig gewesen. Das verträgt sich gar nicht mit deren Selbstbild. Wie sagte mal wer Schlaues:
    Mir wäre jedenfalls einer lieber, der im Inneren vergammelt ist, sich aber dennoch wie ein Mensch verhält als einer der im Grunde ein anständiger Kerl ist, aber mit seinem Mundwerk alles vergiftet - obwohl ich nicht glaube, dass die Kombination häufig vorkommt.
     
  6. Bereckis

    Bereckis Gehört zum Inventar

    Ich korrigiere dies, um keine Paralleldiskussion zu initiieren.

    Nur noch: Trage ich als Kunstausführender auch die politische Verantwortung für mein Tun?
     
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  7. Gerrit

    Gerrit Guest

    Ich stimme Dir zu! Allerdings, der Genaugkeit Willen, lass uns dann in diesem Gedankenaustausch zuvor festlegen oder uns darauf einigen, wo Politik beginnt und wo sie endet!
     
  8. Bereckis

    Bereckis Gehört zum Inventar

    Ich bin nicht der Auffassung, dass du die Musik, die du spielen sollst, immer vorher auf politische Korrektheit hinterfragen musst. Vom Dirigenten würde ich dies aber erwarten!
     
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  9. Claus

    Claus Mod Emeritus

    Dass es Kunst auch ohne politische Aussage geben kann, hielt ich nicht für näher erläuterungsbedürftig..

    Das ist etwas anderes. Die beiden Sätze waren für mich nicht synonym.
     
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  10. Bereckis

    Bereckis Gehört zum Inventar

    Lieber Gerrit,

    darum habe ich auch mein Statement korrigiert.

    Für mich ist der Begriff Politik hier gut definiert:

    https://de.m.wikipedia.org/wiki/Politik

    Ich denke meine erste Aussage kann und muss nicht von allen geteilt werden. Wir können gerne hierzu einen eigenen Tread aufmachen: Wann ist Kunst unpolitisch?
     
  11. bebob99

    bebob99 Strebt nach Höherem

    Also kommt es doch auf die Intention an und nicht ausschließlich auf das Stück und den Komponisten. Barenboim ist dafür aber sicher geeigneter als vielleicht andere Dirigenten. Dem wird man kaum unterstellen, rechtes Gedankengut verbreiten zu wollen.
    Selbstverständlich tue ich das, so wie bei jedem anderen Tun auch. Ich wünsche mir aber auch, dass mir nicht gleich das Schlechteste unterstellt wird, selbst wenn ich nicht so offensichtlich "nicht Nazi" bin wie Barenboim, sondern nur ein kleines, zweites Alt-Sax in einem Blasorchester. Wie das Beispiel zeigt, kommt ein und die gleiche Handlung nicht unbedingt auch gleich beim Publikum an. Darauf wie dieses mein Handeln interpretiert habe ich jedoch nur wenig Einfluss. Wenn einer was schlechtes rein interpretieren will, wird ihm das immer gelingen.
    Und da wären wir wieder bei dem Problem werten zu müssen, welche Stücke zu welchem Anlass zu belastet sind und welche nicht. Dein Beispiel mit Richard Wagner trifft's auf den Punkt. Ist das "wertvoll" genug, um über die geschichtlichen Hintergründe großzügig hinweg zu sehen? Ist es belanglos genug, um ihm nicht durch aktive Ächtung mehr Gewicht zu verleihen als es verdient? Darf man "Die Internationale" aufführen? Wäre das eine gute Idee, das am Veteranen treffen zu machen?

    Die Stücke sollten dem Anlass entsprechend gewählt sein. Der Aufmarsch am Oktoberfest ist nun wirklich nicht so ein sensibles Ereignis, da fliegen noch ganz andere Sprüche. Beim nächsten mal wird der Marsch vermutlich nicht mehr dabei sein. Ende der Aufregung. Das war keine Nazi Verschwörung.
     
  12. Pil

    Pil Strebt nach Höherem

    @bebob99
    Nein, nein! Ich will da nicht alle Kapellenmitglieder über einen Kamm scheren.
    Die Ältesten der Truppe würden es wohl wissen, manche Jüngere vielleicht auch was sie da taten.
    Und auch wenn welche dagegen gewesen wären, hätten sie im Detail auch nicht Gegenwehr geleistet.
    Zu einem sind sie eine Trachtenkapelle da gilt das soziale Zusammengehörigkeitsgefühl auf dem Land und Politik wäre zweitrangig.
    Die Teilnahme ist eine Ehre verbunden mit einen zugesicherten Platz im Festzelt und Freigetränke.
    Auch wenn der Vergleich hinkt. Ein US-Olympionic wird wohl nicht freiwillig zu hause bleiben, weil sein Präsident Fehler macht.

    Künstler die von der Feier des Präsidenten fernblieben gab es wohl genügend. :D
     
  13. Gelöschtes Mitglied 5328

    Gelöschtes Mitglied 5328 Guest

    Welche Stücke man wann und wo spielt hat doch immer was mit Sensibilität zu tun und ein politischer Hintergrund ist da nur ein Aspekt.

    "Watermelon Man" auf einer Beerdigung ist fehl am Platz (es sei denn der Verstorbene war Melonenverkäufer) und "Gangsters Paradise" passt nun mal nicht in eine Weihnachtsmesse.

    Insofern hat der Vortragende, der Bandleader oder Dirigent immer sensibel auszuwählen.

    CzG

    Dreas
     
    Zuletzt von einem Moderator bearbeitet: 24.September.2017
    Pil gefällt das.
  14. Pil

    Pil Strebt nach Höherem

    @Dreas :thumbsup:
    Zu dem Zweck, dass meine Beerdigung besser gestaltet wird, werde ich mir kurzfristig einen Nebenjob als Melonenverkäufer suchen und in meinen Lebenslauf eintragen.

    LG
    Pil
     
  15. Gerrit

    Gerrit Guest

    Irgendwie, so mein Eindruck, drehst Du Dich gedanklich im Kreise! Mag sein, daß es einige gibt, die einen Teil ihres Selbstverständnisses über das Erinnern, Mahnen und Gedenken erfinden. Diese Vorgehensweise ist aber ggf. allein deren Angelegenheit! Niemand zwingt Dir Irgendetwas auf!

    Den Vorwurf, das Gedenken und Erinnern fände in unserem Lande unter Zwang und Aufgabe der Selbstbestimmung statt, höre ich i.R. nur aus rechten, völkischen Kreisen oder von Leuten, deren Selbstwertgefühl aus irgend einem Grunde gestört ist und die möglicherweise diese Angelegenheit nicht weit genug durchdenken.

    Du gehörst gewiss zu keiner dieser Gruppen.

    Aber weißt Du, auch wenn ich mich ebenfalls wiederhole: niemand vermag Dich unter Zwang zu Trauer, Freude, Gleichgültigkeit oder Mitgefühl bewegen. Du selbst entscheidest über Deine Gedanken und Gefühle!

    Du zerbrichst Dir den Kopf über eine Angelegenheit, die eigentlich recht klar ist: Du lebst in einem freien Land. Es steht Dir offen zu fühlen und zu denken, wie es Dir selbst entspricht. Es steht Dir also ebenfalls völlig frei, mit Rücksicht auf die Gefühle oder das Schicksal anderer von der Aufführung bestimmter, möglicherweise belasteter Werke abzusehen oder nicht! Wenn Du verzichtest drückst Du auf diese Weise Mitgefühl und Achtung aus, aber darauf baut sich in keiner Weise ein grundsätzliches Selbstverdtändnis auf. Es geht entschieden zu weit, anzunehmen, daß Dein Selbstverständnis, Dein Leben in unserem Land, Deiner Heimat vom Andenken bestimmt oder abhängig sei .

    Es gibt im Grunde zwei Gruppen, die einen das gelegentlich Glauben lassen wollen: die einen setzen das Erinnern und Mahnen ein, um mitunter, in gewissem Maße auf bestimmte Entscheidungen der Zeitgeschichte Einfluss zu nehmen; die anderen Verteufeln das Erinnern und Mahnen, reden es groß, nämlich zu einem Akt der Fremdbestimmung, ebenfalls um Einfluss und Macht zu gewinnen. Beide Gruppen missbrauchen auf ihre Weise das Erinnern und verhöhnen damit die Opfer.

    Wahres Erinnern und Mahnen hingegen ist Ausdruck der Mitmenschlichkeit und als solches leicht zu erkennen und ihm schließt man sich gewiss gerne an, ohne die Lebensfreude zu verlieren!
     
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  16. Gerrit

    Gerrit Guest

    Wir liegen inhaltlich wahrscheinlich recht nahe beieinander. Die betreffenden Grenzen sind mitunter unglaublich schwer zu ziehen oder erkennbar oder was meinst Du?
     
  17. Bereckis

    Bereckis Gehört zum Inventar

    @bebob99 was geschehen ist, ist geschehen. Auch die Reaktion sind da.

    Aber mich würde interessieren, ob du das Nazi-Stück nochmals spielen würdest, wenn du z. B. als Aushilfe bei einer anderen Kapelle auf dem Programm hättest.

    In der Uni-Bigband sollten wir einen Frank-Sinatra-Hit spielen. Ein Teil der Mitspieler/innen meuterte, weil er nachweislich mit der Mafia verbandelt war. Wir haben es nicht gespielt, mit einer anderen BigBand habe ich es gespielt.
     
  18. Pil

    Pil Strebt nach Höherem

  19. Gerrit

    Gerrit Guest

    Tja, andererseits setzte sich Sinatra gegen Rassismus und Rassentrennung ein, öffentlich, spendete sehr große Summen für entsprechende Einrichtungen...
     
  20. Gelöschtes Mitglied 11184

    Gelöschtes Mitglied 11184 Guest

    gut, dass Jazz als entartete Musik galt..... Da muss ich mir keine Gedanken machen was ich spiele....
     
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