Theorie und Praxis

Dieses Thema im Forum "Improvisation - Harmonielehre" wurde erstellt von ppue, 21.Januar.2018.

  1. slowchange

    slowchange Kann einfach nicht wegbleiben

    Der Vergleich mit dem Lernen einer Sprache drängt sich mir auch immer auf. Ich bin da aber bei @ppue , dass das Bild nur für das Lernen einer Sprache als Erwachsener passt. Das intuitive Lernen der Muttersprache ist dann doch was anderes. Keiner von uns hat das Saxophonspielen vor dem dritten Lebensjahr angefangen und dann mehr als 8h am Tag damit verbracht, würde ich mutmaßen;)

    Und beim Fremdsprachenlernen ist es meiner Erfahrung nach so: Das Tabellenlernen im stillen Kämmerlein reicht nicht. Dann kann man vielleicht klugscheißen, aber sprechen ist was anderes. Andererseits: Wer einfach nur drauf losquatscht, kann sich vielleicht verständlich machen, aber es bleibt dann doch fast immer bei einer sehr rudimentären "Pidgin"-Sprache. Beide Extreme gibt es durchaus.
    Parallel in der Musik - Klar kann man einfach losspielen und versuchen nur nach Gehör zu überleben. Damit klingt man im Zweifelsfall auch immer noch besser, als wenn man alle Arten von Coltrane-Changes rückwärts aufschreiben kann, das aber leider nur theoretisch.
    Für guten Jazz und (und gute Fremdsprachenkenntnisse) braucht es aber beides. Finde ich.
     
    Zuletzt bearbeitet: 23.Januar.2018
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  2. GelöschtesMitglied4288

    GelöschtesMitglied4288 Guest

    Der Vergleich mit der Fremdsprache, den ich hier und da ja auch benutze, hinkt ein wenig, weil er den Rhythmus total vernachlässigt. In der Musik kann man aus dem rhythmischen Flow ausbrechen und es klingt, wenn man es denn gut macht, nach mehr. Gerade das ist ja die Kunst. Bei der Sprache wirkt es allenfalls albern. :confused:
     
  3. Roland

    Roland Strebt nach Höherem

    Hm, wenn ich einmal gelern habe, was das PPP oder Gerundium ist und wie es in indogermanischen Sprachen gebraucht wird, kann ich dieses Wissen übertragen au andere Sprachen.
    Explizites Wissen.

    Andererseits: Schreibe ich "Die Zwerge kastabulieren heute im Wald." Und jetzt: "Die Zwerge haben gestern im Wald gekastabuliert." Das kommt einem komisch vor, unabhängig davon, ob man das Verb kennt. Man würde 'kastabuliert' erwarten.
    Implizites Wissen.

    Grüße
    Roland
     
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  4. giuseppe

    giuseppe Strebt nach Höherem

    Hast du ein musikalisches Beispiel?
     
  5. GelöschtesMitglied1589

    GelöschtesMitglied1589 Guest

    Natürlich kann man den Vergleich nicht eins zu eins übernehmen, aber die Alltagssprache ist doch ein gutes Beispiel, wie wir der Illusion unterliegen, "die Sprache" wirklich zu beherrschen. Schick doch mal jemanden, der sagt "klar kann ich reden" in den Bundestag und lass ihn an Stelle von Gregor Gysi, den ich für einen begnadeten Redner halte, sprechen.
    Begnadete Rhetoriker wie Walter Jens, geniale Schriftsteller wie Thomas Mann haben die Sprache studiert, sie haben sie nicht einfach verwendet. Auch sie haben höchstwahrscheinlich mit "mama" und "papa" angefangen und später begriffen, wie unsinnig die meistgestellte Frage an deutschen Kinderwagen ist. Es ist die nach dem Aufenthaltsort des Kleinkindes, der ja offensichtlich ist (wenn die Decke nicht zu hoch gerutscht ist): "Ei, wo isse(r) denn?"
    Sprache entwickelt sich nach dem Kindesalter je nach Interesse und Anregung des Individuums. Wenn in Gelsenkirchen der Mann seiner Frau hinterher ruft: "Weisse wat du bis'? Du bis' 'n Absatz am Verlieren" ist es kommunikativ korrekt, aber rhetorisch nicht am Anschlagslevel.
    Das gilt analog auch für die Musik. Als Kinder haben wir die ersten Melodien als "Gute Nacht-Musik" kennengelernt. Gut, meine beiden Töchter habe ich mit "Cemetery Polka" von Tom Waits in den Schlaf gesungen, aber das ist eine andere Geschichte. Wieviele Leute haben so das Singen gelernt, eine Ordnung von Tönen und harmonischen Verhältnissen abgespeichert? Viele dieser Menschen sind der Meinung, dass sie "die Musik" verstanden haben, genauso wie viele Menschen denken, dass sie die Sprache beherrschen. Bis zu einem gewissen Level stimmt das auch. Wenn dann die Illusion offenbar wird, beginnt die harte und, wie ich finde, auch lustvolle Arbeit an der Materie. Viele sind tatsächlich damit zufrieden zu sagen: "Beethoven, klar, kenn ich: ta ta ta tahh".
     
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  6. abraxasbabu

    abraxasbabu Ist fast schon zuhause hier

    Da fragt sich doch ob es nicht Sinn macht SaxophonschülerInnen ohne Noten einen Ton vorzuspielen und sie müssen den auf dem Instrument finden. Also "Nachsprechen" Und erst wenn sie den vollen Tonumfang nachspielen können mit den Notenanzufangen.
     
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  7. Roland

    Roland Strebt nach Höherem

    Kadenz, Dur, Moll, II-V-I, ... also die Dinge, die ich schon vorher erwähnte.
    Übertragbar auf andere Instrumente, auf alleTonarten, teilweise auch auf verschiede Musikstile.
    Pentatonik ist fast eine universelle Kulturkonstante.

    Anekdote:
    Ein guter Bekannte war Hifi-Fan, hörte sehr viel Musik. Ich habe ihm am Klavier II-V-I gezeigt, erklärt, in verschiedenen Kontexten vorgespielt. Eine Woche später: "Boah, die ;usik ist ja voll davon! Das habe ich vorger nie gehört!"

    Grüße
    Roland
     
  8. Silver

    Silver Strebt nach Höherem

    Oooh - Einspruch ... ohne Rhythmus wird es nichts mit der Sprache. Den Berliner-Schnauze-Duktus erkennt man auch ohne "icke, wa und weeßte" genau so wie man allein an der Sprachmelodie und ihrem Rhythmus hören kann, ob jemand aus dem Rheinland, der Pfalz oder dem Südbadischen kommt.

    Und ohne den passenden Rhythmus kann der in Anglistik bestbelesene Teutone keinem Briten kein X für ein U vormachen. @Juju müsste davon berichten können.

    Und sobald Sprache zur Kunstform wird - gesprochen, gesungen oder geschrieben - finden sich beliebig viele Ausbrüche aus dem gewohnten Hör- bzw. Lese-Flow.

    Das ist damit auch gleich ein Einwand zu @ppue s Argument:
    "Theorieverweigerer" sprechen ihre Muttersprache intuitiv richtig, sind aber auf relativ wenige, angenommene Sprachmuster beschränkt (können also nicht auf Basis der Regeln frei verknüpfen sondern nur durch Versuch und Irrtum) und schreiben die Sprache so, wie sie sie hören. Das ist zunächst mal nichts Schlimmes. Würde ich für aber nur für die fehlerhafte Verwendung der Worte "seit" und "seid" hier im Forum je einen Groschen bekommen ...

    Übertragen auf die Musik: Lässig die Licks und Riffs der Großen abspulen können ist eine Sache. In einem Notenaufschrieb dann aber Ab und Gis falsch zu verwenden und nicht einmal zu wissen, warum es fehlerhaft ist (ist doch der gleiche Griff...) die andere.


    Und ja: es ist keine scharfe Grenze zwischen Schwarz und Weiß. Manche Blender erkennt man nur an Kleinigkeiten ... tolle Licks gespielt aber bei einem ungewöhnlichen Change die V7 nicht bedient ... geschliffen, fast gestelzt dahergeschrieben aber immer wieder die gleichen Fehler drin (die nicht von der Autokorrektur kommen können).
    Setzt natürlich voraus, dass es jemandem auffällt ;)

    LJS


    PS: Bei Interpunktion können in meinen Texten beliebig viele Fehler nachgewiesen werden - da kann ich noch so oft die Regeln nachschlagen. Wer so ein falsches oder fehlendes Komma findet, darf es gerne behalten.
     
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  9. Roland

    Roland Strebt nach Höherem

    Definitiv. Das habe ich schon auf dem Klavier immer gemacht, Musik nach Gehör nachgespielt. Zusätzlich zu den Toten des klassischen Unterrichts. Ich lange habe nie verstanden, warum andere Klavierspieler nicht nach Gehör spielen konnten, ich fand das immer 'natürlich' ...

    Grüße
    Roland
     
  10. ppue

    ppue Mod Experte

    Ich habe nicht verstanden, worin der Einwand besteht.
     
  11. GelöschtesMitglied4288

    GelöschtesMitglied4288 Guest

    Das beinhaltet für mich der rhythmische Flow bereits - die Verschiedenartigkeit der Jazzsprache, aber sprich mal mit vielen Pausen, Synkopen und am besten hier und da in Doubletime :D
    Dann kriegste von den Berlinern ganz sicher "ene uffe Fresse"!
     
  12. Gelöschtes Mitglied 11989

    Gelöschtes Mitglied 11989 Guest

    "Ich und mein Leben, die immer wiederkehrenden Fragen, der endlose Zug der Ungläubigen, die Städte voller Narren. Wozu bin ich? Wozu nutzt dieses Leben? Die Antwort: Damit du hier bist. Damit das Leben nicht zu Ende geht, deine Individualität. Damit das Spiel der Mächte weitergeht und du deinen Vers dazu beitragen kannst."

    ...und zwar mit oder ohne Theorie.

    ;) last
     
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  13. ppue

    ppue Mod Experte

    Sprachkunst von Walt Whitman, sollte man dazu sagen.
     
  14. Roland

    Roland Strebt nach Höherem

    Zum Thema "Spracherwerb":

    Gibt es bei Sprechern von Fremdsprachen hier eine Korrelation zwischen Sympathie für Grammatik und Musiktheorie? Mich hat schon interessiert, wie meine Muttersprache aufgebaut ist, ich war also auch immer grammatikinteressiert. Und hatte beim Unterricht für meine erste Fremdsprache viele Aha-Momente.

    Ich reflektiere nur gerade über das Thema 'Struktur' und 'Strukturinteressierte'.

    These I:
    Wer sich für Strukturen interessiert, der interessiert sich eher(!) für
    - Grammatik
    - Musiktheorie
    - Mathematik
    Wäre so der 'Kopfansatz'.

    Beim Bauchansatz wäre es 'einfach drauflosrden und dadurch lernen (Fremdsprachenerwerb), ich höre das /mache es aus dem Buch raus (Musik machen), nur, wenn ich es wirklich brauche und Anwendungen dafür habe (Mathe)


    Mist.
    Alles schon geschrieben worden.
    http://saxophonforum.de/threads/improvisieren-fuer-anfaenger.27653/page-5#post-374746
    Von so einem Bekloppten. Aaaaahhhhh .....

    "Aaaaaaaaaale Jahre wieeeeedaaaaaa ...."

    Grüße
    Roland
     
  15. Silver

    Silver Strebt nach Höherem

    Wohl eher ein Einwurf ... insgesamt bezog ich mich aufs Hinken.
     
  16. Silver

    Silver Strebt nach Höherem

    :)
    Volkslied oder Jazz?

    Und die Berliner können nicht nur vulgär und sind trotzdem überall zu erkennen. Eigene Erfahrung
     
  17. bluefrog

    bluefrog Strebt nach Höherem

    Keine Ahnung, wie das allgemein ist. Ich war immer an Mathe und Sprache interessiert, habe dann im Endeffekt Linguistk zum Beruf gemacht. Glücklicherweise gibt es mathematische Linguistik, also die ideale Kombi.:) Musiktheorie finde ich einfach spannend, auch wenn ich bei weitem nicht alles praktisch umsetzen kann. Leider! Hätte früher damit anfangen sollen.:mad:

    LG Helmut
     
  18. Juju

    Juju Strebt nach Höherem

    Das ist eh ganz interessant beim Erlernen von Fremdsprachen, in wieweit man es tatsächlich schafft, wie ein Muttersprachler zu klingen. Es gibt ja Leute, die grammatikalisch völlig fehlerfrei sprechen, allerdings mit so einem heftigen Akzent, dass man sofort zurdnen kann, aus welchem Land jemand kommt. Oder ab wann/ob ein Nicht-Muttersprachler in der Lage ist, regionale Akzente in einer Fremdsprache zu erkennen und zuzuordnen. Ich erkenne zwar einen Yorkshire Accent, aber nachahmen kann ich ihn gar nicht. Ich könnte aber auch keine deutschen regionalen Dialekte nachmachen, aber es gibt Leute, die das richtig gut können. Interessant auch, wie viele britische/amerikanische Schauspieler mal eben für eine Rolle einen für sie fremden Akzent annehmen und ihn wirklich überzeugend rüberbringen.
    Beim Thema Rhythmus finde ich es ganz interessant zu sehen, wie Leute mit Swing-Feel und Off-beat Phrasierung umgehen, selbst wenn sie jahrelange musikalische Vorerfahrung in anderen Musikrichtungen haben oder Profis sind aber aus der klassischen Musik kommen. Das klingt bei denen dann oft wie eine Fremdsprache (mit heavy accent, irgendwie nicht authentisch). Ich habe heute versucht, jemandem Off-Beat Phrasierung beizubringen, für mich etwas, was ich seit meinem 16. Jebensjahr mache, das läuft bei mir völlig automatisch ohne dass ich darüber nachdenken muss. Für ihn dagegen war es ein Ding der Unmöglichkeit, es wollte einfach nicht klappen, egal mit welchen Tricks ich es versuchte.
    Aber die Leute sind wirklich ganz unterschiedlich, wie detailliert sie so Feinheiten wie Phrasierung und Time oder in Fremdsprachen Nuancen z.B. bei Vokalen/Konsonante/Betonung 1. überhaupt wahrnehmen 2. praktisch umsetzen können. Manchen fällt es wirklich leicht, bei anderen klappt es einfach gar nicht, und natürlich gibt es alle möglichen Zwischenabstufungen..
    LG Juju
     
    GelöschtesMitglied4288 gefällt das.
  19. Marko74

    Marko74 Ist fast schon zuhause hier

    Ich war schon beim Wort Zwerg überfordert.
    Bin 1,96 ;-)
     
  20. hiroaki

    hiroaki Ist fast schon zuhause hier

    Also ich hätte da erwartet, dass die Zwerge, im Gegenzug, im Wald gekastabuliert wurden. :D
    SCNR

    PS: kastabulieren ist übrigens unregelmäßig...
     
    Zuletzt bearbeitet: 23.Januar.2018
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