Maßstäbe für Qualität - welche Rolle spielt das Publikum?

Dieses Thema im Forum "Eigene (musikrelevante) Themen" wurde erstellt von Gelöschtes Mitglied 5328, 27.Juli.2018.

  1. hoschi

    hoschi Strebt nach Höherem

    wir waren letzes jahr im herbst in köln auf einer "jazzrally", nagelt mich jetzt nicht auf den begriff fest,
    vielen band´s in 3 häusern mit unterschiedlichen bühnen...mit kartenkauf...war im herbst ´17,
    die experimentellen bands hatten nur eigenes publikum,
    die nicht "hübsch, sich pärsentieren" band´s hatten a wenig mehr publikum...
    und die mit den bekannten songs, sich bewegenden musikern, saxophonisten, redenden zwischen den liedern...in kommunikation tretenden aktiven da "oben" haben die bühne gerockt...

    ich hab auch schon band´s gebucht, firmenfeiern, geburtstage...wenn der "bucher/bezahler" vorne mit tanzt, swingt oder im takt mitschwingt bleibt der rest bei ihm...
    auf stadtfesten, lockeren offenen veranstaltungen bleibt das publikum eher da stehen, wo die musik der masse gefällt, bierschiffchen in der nähe ist...frau/mann sich wohlfühlt...

    ich glaube, diese frage kann man schwerlich generell beantworten...
     
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  2. rorro

    rorro Ist fast schon zuhause hier

    jIch zuz hui
     
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  3. ppue

    ppue Mod Experte

    Hehe, hier fallen Künstler, Zuhörer und Kritiker in einer Person zusammen. Ich denke schon, dass sich der Pianist mit dem, was er da tut, auseinander setzt oder gesetzt hat.

    Es geht ja um die Aufgabe jedweder kultureller Arbeit. Und die ist es, die Gesellschaft zu spiegeln, sie zu verbinden, ihrem Zustand Ausdruck zu verleihen und gewiss auch, sie zu hinterfragen und zu provozieren. Es ist das Wechselspiel zwischen Künstlern, Rezipienten und Kritikern, welches über die Qualität kultureller Arbeit entscheidet.

    Zwei Beispiele:

    Gerne genommen: Helene Fischer, die ja nun wirklich viele Zuhörer gerne konsumieren. Aber dabei bleibt es dann auch. Kommunikation, Auseinandersetzung findet hier kaum statt, wie auch, wenn man vor tausend Leuten jeden Abend die gleichen recht einfachen Songs singt. Auch wenn musikalisch sauber gearbeitet wird und der Gesang gekonnt vorgetragen wird, so findet hier kaum eine Auseinandersetzung mit der Musik statt. Heißt nicht, dass ich das Verhalten der Zuschauer kritisieren will, heißt nur, dass ich es musikalisch und kulturell weniger hoch einstufe.

    Ein musikgeschichtlich einzigartiges Ereignis, das am 31. März 1913 im Musikvereinssaal in Wien stattfand, war die Aufführung von Arnold Schönbergs Kammersymphonie Nr. 1 E-Dur op. 9.
    Teile des Publikums waren entsetzt über die neuen Töne und es kam wohl zu handfesten Prügeleien.

    Watschenkonzert_Karikatur_in_Die_Zeit_vom_6._April_1913.jpg

    Der Begriff "Auseinandersetzung" ist hier durchaus wörtlich zu verstehen. Qualitativ wurde sicher gute Ware dargeboten.

    Nun nehmen wir beide Ereignisse und vertauschen die Zeit ihrer Aufführung: Helene Fischer singt 1913 im Wiener Opernhaus und Schönbergs Kammersymphonie wird in der Grugahalle uraufgeführt. Wie hätten Publikum und Kritiker wohl reagiert?

    Ersteres Schlagerkonzert hätte garantiert mehr Aufmerksamkeit erregt als es heutzutage die Aufführung der Kammersymphonie tut.
    Man sieht, die Kriterien für Qualität, so wie ich sie sehe, sind nicht alleinig in Komposition oder Aufführung zu finden. Sie sind auch abhängig von der Zeit, in der Musik aufgeführt wird.
    Ein Jahrhundert früher aufgeführt, wäre die Kammersymphonie vollkommen durch gefallen. Es hätte sie keiner verstanden.
     
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  4. Rick

    Rick Experte

    Erst mal für den Veranstalter, klar: "wes Brot ich ess', des Lied ich sing'".
    Aber es muss natürlich schon alles aufeinander abgestimmt sein. Wenn ich ein williges, aufgeschlossenes Publikum habe, das in der Bierkneipe durchaus anwesend ist, um unsere anspruchsvollen Eigenkompositionen zu hören, interessiert es mich wenig, wenn der Barkeeper mosert, weil er lieber Dixieland mag und sich einer seiner Stammsäufer über "das unerträgliche Gedudel" beschwert hat (schon vorgekommen, Klinger-von Bracken-Quintett 1991 in Heidelberg - er hat uns in der Pause vor die Wahl gestellt: entweder ihr spielt Dixie, oder ich schmeiß euch raus. Wir haben uns auf Swing geeinigt und mit zusammengebissenen Zähnen "In The Mood" gespielt...). :shifty:

    Ich habe mich auch schon gerne nach dem Veranstalter gerichtet, wenn er lieber ein höheres Niveau anbieten möchte und einen ermutigt: "Es kann sein, dass nachher ein paar Leute kommen und Volksmusik hören möchten, das ist aber egal, denn ICH habe euch engagiert, wem es nicht passt, der soll halt gehen." :thumbsup:

    Aber es ist schon sehr unangenehm, wenn man das Gefühl hat, man ist hier komplett falsch, und dementsprechend böse Blicke aus dem Publikum erntet. Einmal gab es fast schon Tätlichkeiten zwischen Gästen und Musikern bei einer Silvestergala in einem Hotel: Die Musiker waren wegen ihres Repertoires engagiert, das internationale Tanz- und Pop-Musik umfasste, doch das Publikum bestand an dem Abend nur aus angetrunkenen ostdeutschen Touristen, die sich DDR-Schlager wünschten, die die Band einfach nicht drauf hatte... :frown:

    Haha, wir hatten diesbezüglich Mitte der 90er Jahre mit "Triplicated" einen Rekord: Mitternachts-Jazz im Frankfurter TaT-Café, das Lokal vollbesetzt, wir beginnen mit unserem anspruchsvollen Modern Jazz, ich spiele eine lange, sehr emotionale Sax-Impro mit geschlossenen Augen, öffne sie zum Schluss Applaus erwartend wieder - und der gesamte Raum ist praktisch leer, nur noch an zwei Tischen sitzen ein paar Leute. :eek: Ich hatte einen großen Laden mit nur einem Solo fast evakuiert, so etwas muss man erst mal hinkriegen! :D

    War erst mal ärgerlich, aber der Veranstalter nahm's mit Humor, er stand auf unsere Sachen. Leider war das zwar mein musikalisch anspruchsvollstes, zugleich jedoch kommerziell erfolglosestes Projekt, und von irgendwas muss man ja seine Miete zahlen, also mache ich heute eher unterhaltsamere Musik (bleibe mir dabei allerdings treu, "Schmerzgrenzen" habe ich durchaus).

    Zum Beispiel Swing zum Tanzen, das ist ein netter Kompromiss, letzten Samstag große Geburtstagsparty einer regionalen Industriellen-Familie, die mehrheitlich älteren Gäste sind leidenschaftliche Jazzfans und stürmen schon bei den ersten Tönen die Tanzfläche, sind unglaublich gut drauf und ein sehr dankbares Publikum. Sogar regelmäßigen Solo-Applaus gab es - überwiegend vom Tisch eines greisen Country-Musikers, der uns für unsere "große Musikalität" bewundert, er selbst habe es in seinem Leben nicht über 4-Akkord-Stücke hinaus gebracht.

    Klar, wenn man sieht, dass es den Leuten gefällt, dann ist man motivierter und spielt einfach besser, finde ich. Ansonsten muss man eben für sich selbst spielen, und für die Kollegen. Wenn die Stimmung im Ensemble passt, die Mitspieler sich gegenseitig respektieren und aufmuntern, ist es ebenfalls eine feine Sache.
    Wenn ich das Gefühl hätte, niemandem gefällt, was ich mache, dann würde ich wohl aufhören, denn für mich ist Musik immer eine soziale Angelegenheit; Kommunikation, ein "Draht zueinander", muss einfach sein.
     
    Zuletzt bearbeitet: 30.Juli.2018
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  5. Marko74

    Marko74 Ist fast schon zuhause hier

    Das hatte wahrscheinlich nur sekundär mit euch zu tun.
    Rumschubsereien gehörten bei ostdeutschen Tanzveranstaltungen einfach dazu.
    Zumindest war es ein Abend, den ihr nie vergessen werdet,
    worauf sich die Frage aufwerfen kann:
    Will ich ein emotionales Publikum oder eines, das aus Anstand klatscht?
    Und man ertappt sich sogar dabei, sich danach mit dem musikalischen Schaffen von Frank Schöbel und Achim Mentzel auseinanderzusetzen. ;-)
     
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  6. GelöschtesMitglied1589

    GelöschtesMitglied1589 Guest

    Mich erschreckt die Vorstellung, dass grölendes Publikum am Ballermann oder sonstwo auf den Saufmeilen dieser Erde einen der Sommerhits diesen Jahres anstimmt:

    https://www.zeit.de/news/2018-07/25/bella-ciao-remix-ist-sommerhit-des-jahres-180725-99-288849

    Mich beruhigt aber die Vorstellung, dass sich trotz Promille und Feierlaune 99,9% des Publikums des Ursprungs dieses Arbeiter- und Partisanenliedes bewusst sein werden und irgendwo tief drinnen die feierliche Traurigkeit der Aussage dieses Liedes teilen. Ironie, welche Ironie? Mag aber sein, dass der eine oder andere verirrte doch den Titel mit Google-Übersetzer verdeutscht und dann weiß, worum es hier geht: man verabschiedet sich vom Mittwochs-Urlaubsflirt ('Ciao Bella'), um schnellstens dem Donnerstags-Urlaubsflirt entgegen zu feiern, solange die Kondome und die Sangria nicht ausgehen.
    Hier kommt zu allem Qualitäts-, Maßstabs- und Publikumsdenken noch einiges dazu: sozio-kulturelle Achtsamkeit oder deren Fehlen, Werktreue (ja, ja, sehr hoch gehängt in diesem Zusammenhang) und natürlich Fremdschämen.
     
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  7. Gelöschtes Mitglied 5328

    Gelöschtes Mitglied 5328 Guest

    @henblower

    Tja, so sind halt die Geschmäcker....auf einer heißen Sommerparty füllt halt das Stück die Tanzfläche....das finde ich gut...da mach ich mir doch keinen Kopf um die musikalische Qualität....Hauptsache alle haben Spaß....

    CzG

    Dreas
     
  8. bluefrog

    bluefrog Strebt nach Höherem

    Wie hast Du das denn gemacht?:D

    Genau!
    Das funktioniert in Deiner Bigband auch bestens. Die alten Swing-Nummern sind schließlich tolle Musik und das Publikum ist immer begeistert. Was soll schließlich an Tanzmusik schlecht sein? Wahrscheinlich gehörten Musik und Tanzen schon immer zusammen. Und der alte Bach - kein schlechter Musiker eigentlich;) - hat jede Menge Tanzmusik geschrieben.

    Toll finde ich, dass in der Bigband jede Menge Platz zum Solieren ist, da kann sich jede und jeder auch kreativ "austoben".

    LG Helmut
     
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  9. saxhornet

    saxhornet Experte

    Klar ist es dass Ziel für Jeden der Musik spielt auch seinem Publikum zu gefallen und natürlich ist ein positives Feedback durch Zuhörer etwas schönes und motivierendes. Nur hat man als Musiker nicht immer die Möglichkeit sich sein Publikum auszusuchen und das kann so viele Gründe haben. Gerade wenn man als Sub gebucht wurde oder sich auf den Veranstalter verlassen muss wird es schwierig. Und auch ein Veranstalter kann nicht immer den Musikgeschmack seiner Gäste einschätzen. Und man kann nicht mit jeder Band alles bedienen und auf alle Situationen flexibel reagieren. Wer genug Auftritte gemacht hat, wird automatisch genug Auftritte erlebt haben wo die Kombination aus Band und Publikum suboptimal war, manchmal kann man so einen Auftritt retten, manchmal nicht. Und manchmal spielt man Gigs wo man nur die Luxusvatiante eines CD~Players ist und Hintergrundmusik abliefert, da wird dann üblicherweise nicht oder kaum geklatscht selbst wenn es den Leuten super gefällt (z.B. typische Empfänge oder Get~together können so ablaufen). Man muss trotzdem abliefern können, egal ob Jemand klatscht oder nicht. Und selbst wenn viele Leute klatschen, muss man trotzdem selber seine Qualität immer hinterfragen , weil sonst eine Verbesserung eventuell nicht mehrlich stattfindet und es zum stilstand kommt, denn nicht immer hat man ein Publikum, das die handwerkliche Qualität beurteilen kann. Wenn man sich darauf ausruht, dass man nichts verbessern muss, weil es den Zuhörern gefällt, tritt man schnell in eine Falle, die die Qualität einer Band schnell dann verschlechtern kann oder man hält die Qualität für besser als sie ist und irgendwann reagiert da dann auch das Publikum. Applaus ist gut, aber die eigene Qualität und Leistung sollte man trotzdem unabhängig davon hinterfragen und anstreben, diese immer zu verbessern.
     
  10. bluefrog

    bluefrog Strebt nach Höherem

    Aber sicher.
     
  11. edosaxt

    edosaxt Strebt nach Höherem

    Mal aus der Sicht eines Baritöners in einem Musikverein:
    - Standartkonzert, musikalischer Frühschoppen oder ähnliches: meistens läuft man als Hintergrund, einzelne hören aufmerksam zu, gehen mit, applaudieren höflich....
    Die Qualität ist tagesform abhängig, meist stelle ich auf Routine.
    Das ändert sich, wenn das Publikum mitgeht, vllt sogar tanzt. Meine Aufmerksamkeit steigt, es macht mir Spass, ich bin besser.
    - Karnevalsmucke: volles Festzelt, Stimmung großartig, die Leute schunkeln, tanzen, gröhlen mit
    Für mich immer immenser Ansporn...
    Auch wenn das Publikum nicht mehr viel von der Qualität mitbekommt, ist es mir / uns wichtig zu liefern.
    - Jubiläums- Weihnachtskonzerte (konzertantes Programm, für das wir monatelang geprobt haben): volle Aufmerksamkeit bei mir, Qualität wird richtig wichtig, Publikum, ist mir hier völlig egal, die Musik muss stimmen
     
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  12. saxhornet

    saxhornet Experte

    Publikum kann einen motivieren und zu Höchstleistungen anspornen aber es kann einen auch verunsichern, manchmal auch abhängig davon wie sicher man selber ist mit dem was man spielen wird. Wichtig ist immer sein bestes zu geben, ob Jemand zuhört, klatscht oder auch nicht, denn auch wenn nicht geklatscht wird heisst das noch lange nicht, dass die Leute nicht zuhören oder dass es Ihnen nicht gefällt.
     
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  13. gaga

    gaga Gehört zum Inventar

    "Sein Bestes geben" kann auch heißen, Brücken zu bauen. Ich habe z.B. das Glück, mit meiner Jazz-Combo, die mit Vorliebe Parker-Bebop-Heads spielt, in der Musikmuschel unseres Kurstädtchens jeden Sommer mehrere Kurkonzerttermine zu spielen. Gleichzeitig bin ich nach einem langen Berufsleben als Tanzmucker jetzt als "Amateur" nicht mehr sehr kompromissbereit, was "meine" Musik angeht. Aber wenn ich alle Titel anmoderiere und die vielen Wahrheiten und Anekdoten aus der Bebopära an passender Stelle zum Besten gebe, dann "geben die Leute alles". Und wenn wir - nach passender Moderation - Parkers Ornithology mit How High The Moon im Swingstil einleiten, dann weiß ich, dass diese Leute dankbar für neue Erfahrungen sind und beim nächsten Mal wiederkommen. Der Gagenergänzungshut zeigt dann auch, dass es wieder mal gut war.
     
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