Das Real Book

Dieses Thema im Forum "Eigene (musikrelevante) Themen" wurde erstellt von ppue, 1.Oktober.2019.

  1. ppue

    ppue Mod Experte

    Das erste Real Book wurde in den 70er Jahren am Berklee College of Music erstellt. Mit Unterstützung von Steve Swallow und Paul Bley stellten die Studenten eine Sammlung von Jazzstandards zusammen und transponierten sie zudem für Eb- und Bb-Instrumente.

    Ohne Rücksicht auf das Urheberrecht entstand damals das Standardwerk des Jazz, vielfach illegal kopiert, gedruckt und immer schnell vergriffen.

    Jeder ambitionierte Jazzmusiker hatte Ende des 20. Jahrhunderts das Real Book, meist, ohne zu wissen, woher es genau kam, wer es gedruckt oder kopiert hatte.

    Erst 2004, nach über 30 Jahren, gab die Firma Hal Leonard LLC die erste legale Version der Sammlung heraus. Sie besaß größtenteils schon die Rechte an den Noten und konnte nun das Real Book offiziell vermarkten.
    Bezeichnend, dass die erste legale Ausgabe im Layout und auch in der Bindung genau den illegalen Vorgängern glich. Ich weiß noch, wie ich mich in den 00er Jahren wunderte, dass die Bücher plötzlich im Musikladen auftauchten. Das war geschickt eingefädelt, denn der Hauch des Illegalen haftete dem neuen Produkt noch weiterhin an.

    Die Hal Leonard LLC ist ein amerikanisches Musikverlags- und Vertriebsunternehmen, das 1947 von Harold "Hal" Edstrom, seinem Bruder Everett "Leonard" Edstrom und seinem Musikerkollegen Roger Busdicker gegründet wurde. Es hält heute das Monopol in der Notenvermarktung.

    Es ist ein seltsamer Spagat, der sich zwischen der lizensierten und der sich damals illegal verbreitenden Ausgabe auf tut. Natürlich hätten die Komponisten damals Vergütungen bekommen müssen. Andererseits wurden diejenigen, deren Stücke im Real Book standen, unvergleichsweise öfter gespielt, ganz abgesehen von der Ehre, im Standardwerk des Jazz' zu stehen. Die Arbeit der Berklee-Studenten, ihrerseits Urheber des Real Books, hat wohl bisher kaum einer gewürdigt.

    Geschichte am Rande: Einer von denen konnte wirklich gut Noten schreiben und diese seine Handschrift ist genau diejenige, die man noch heute in erster Linie bei der Notation von Jazzkompositionen wieder findet. Keine Ahnung, ob der Urheberrechte an dem Font hat.

    Zurück zum Spagat: Wurden die früheren Noten als so etwas wie Allgemeingut des Jazzervolkes empfunden, steht man heutzutage dem Notenmonopol gegenüber, das wirklich alles zu Dollars macht, was nur geht. Selbst die längst lizensfreien Werke früherer Komponisten werden noch eifrig ausgeschlachtet.

    Da nun liegt mein Zwiespalt. Gefühlsmäßig ist mir der frühere Zustand näher als die heutige Situation. Das moralisch einzuordnen fällt mir schwer.



    PS.: Wir zahlen übrigens schon lange Tantiemen über die Abgabe bei Fotokopierern und Druckern. Das, meines Erachtens, ist eine Doppelmoral: Das Urheberrecht verbietet zwar die Kopien, man weiß aber, dass sie gemacht werden. Also sammelt die GEMA eine Abgabe auf Vervielfältigungsapparate wie Kopierer, mp3-Player u.Ä. ein. Eine merkwürdige Grauzone zwischen legal und illegal, wie mir scheint.
     
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  2. monaco

    monaco Ist fast schon zuhause hier

    Tolle Zusammenfassung der Entstehungsgeschichte! Ich habe mir zusammen mit dem Saxophon die ersten beiden Ausgaben in Bb von Hal Leonard gekauft. Für einzelne Ausdrucke nutze ich aber auch die Schweizer Internetseite (swiss jazz?). Von daher kenne und nutze ich beide Welten ohne schlechtes Gewissen.

    Übrigens gibt es immer mal wieder günstige Angebote der legalen Ausgabe.

    Für mich ist das Real Book ein unermesslicher Schatz von Kompositionen, die mich seit vielen Jahren begleiten.
     
  3. gaga

    gaga Gehört zum Inventar

    Die darfst du hier nicht nennen, weil sie auf ihrer HP ohne Umschweife die Hal Leonhard-Ausgaben zum Download anbieten. Komisch, dass sie das so ungehindert machen können.

    Ich habe auch die "Offiziellen" Bb-Bücher für Sessions und zum Blättern, obwohl ich auch alles irgendwie Verfügbare als Datei habe.

    Es gab mal eine (legale?) CD mit allen möglichen Fake/Realbooks - dort war ein "Masterindex" integriert, der mir immer noch gute Dienste beim Aufspüren von Leadsheets bietet. Die 6. Auflage der HL-Bücher ist dort allerdings noch nicht vertreten.

    Noch ein Wort zur "Sixth Edition". Ich finde die Änderungen im Programm wenig hilfreich. Wer zum Teufel braucht denn Leadsheets von "In The Mood" und "Some Skunk Funk"?
     
    Zuletzt bearbeitet: 1.Oktober.2019
  4. ppue

    ppue Mod Experte

    Welche Seite genau darf er hier nicht nennen?
     
  5. Roland

    Roland Strebt nach Höherem

    Moin!

    Mit einer einfachen google-Suche findet man hunderte Seiten mit Real Books. Die Informationen zu den Suchoperatoren dazu sind öffentlich und frei zugänglich, alles keine Hexerei.

    Ja, das macht es nicht legaler. Aber wer finden will, der findet.

    Grüße
    Roland
     
  6. Silver

    Silver Strebt nach Höherem

    Ich kenne einen, der hat einen Kumpel, der hat die ganzen Fakebooks irgendwie im Netz gefunden und runtergeladen.
    Der von @gaga erwähnte Master Index war auch dabei.

    Jetzt nennt mich komisch aber ich habe mir dann die Stücke, die mich interessieren, abgeschrieben (mit Musescore) - dann kann ich das Lead Sheet auf Sicher lesen. Und ich bilde mir ein, dass ich damit dazu beitrage, mir die Sachen systematisch einzuprägen.
    Und weil ich bei meinem Kumpel auch gleich alle Fake Books vergleichen kann, habe ich mir an vielen Stellen was anderes aufgeschrieben, als im Real Book steht - oder im Scan der Kopie der Kopie der Kopie vermeintlich zu lesen ist.
    Und wenn ich mir dann die Aufnahme anhöre, von der das mutmaßlich oder nach Angabe abgehört ist, werde ich bestätigt oder es kommt noch was ganz anderes raus.

    Real Book auf und loshupen hat bei mir noch nie so richtig funktioniert. Das liegt aber auch an meinen unterentwickelten Fähigkeiten. Da bewundere ich die Berklee-Jungs und Mädels, die das (wohl auch zur Übung) rausgehört haben. Nicht bewundernswert ist die Sauklaue von einigen.

    In meinem stillen Kämmerlein ist das aber eine Sache und vor 30 Jahren in einer sehr überschaubaren Szene wo man neben den Kosten vom Copyshop noch drei Bier oder eine Schachtel Kippen eingetauscht hat, auch.
    Jetzt, 2019, wo Dir der Abmahnanwalt schon am Hacken hängt, wenn Du auf Deiner popeligen Website ein falsches Cookie setzt ist das etwas ganz anderes.

    Jetzt kann man sagen „Schöne neue Welt - alles Mist!“ ... andererseits hast Du halt heute mit drei Mausklicks alle Fakebooks dieser Welt kostenlos zum Download.

    LJS
     
  7. Silver

    Silver Strebt nach Höherem

    Das ist nicht ganz richtig - die Links gehen auf die „5th Edition“ - also die letzte, bevor das bei HL gelandet ist (das wäre dann die 6th).

    Die selbstgesetzten Partitionen für Einzeltitel auf dieser Swiss- Seite für Jazz sind leider kein Augenschmei.chler.

    Also, habe ich gehört ;-)

    LJS
     
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  8. gaga

    gaga Gehört zum Inventar

    Die oben erwähnten Schweizer haben die "Sixth Edition" - in allen Ausgaben.
     
  9. Silver

    Silver Strebt nach Höherem

    Hmmm - ich finde da nur die 5th...
     
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  10. gaga

    gaga Gehört zum Inventar

    Sorry - du hast recht. Ich habe da was verwechselt...
     
  11. ppue

    ppue Mod Experte

    Was macht das rechtlich für einen Unterschied? Das Illegale ist nicht legal zu verbreiten und das Legale nicht illegal.
     
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  12. Otfried

    Otfried Gehört zum Inventar

    Ich verstehe es eh nicht.

    Wenn ich es in Musescore eintippe kann ich es da veröffentlichen und hier verlinken.

    Das originale Real Book war ja nur rausgehört, aber illegal.

    Die Harmonien wiederum gibt es ganz offen bei Ireal und sonstwo.

    Gruß,
    Otfried
     
  13. Claus

    Claus Mod Emeritus

    Das Urheberrecht in Bezug auf Noten ist total bescheuert.

    Das darfst Du anscheinend.

    Und das wohl schon nicht mehr.

    Hier gibt es eine ganz gute Zusammenfassung der nicht so guten Rechtslage:

    https://www.vg-musikedition.de/file...Broschueren/Legal_kopieren-Wir_wissen_wie.pdf
     
  14. Werner

    Werner Strebt nach Höherem

    Akkordfolgen sind nicht urheberrechtlich geschützt.





    https://swing-jazz-berlin.de/sorano-solo/
     
    Rick und Gelöschtes Mitglied 5328 gefällt das.
  15. gaga

    gaga Gehört zum Inventar

    Wohl wahr - aber offensichtlich über kurz nicht zu ändern, und über lang habe ich bei dem Durchblick der Gesetzgeber auch so meine Zweifel...

    Dadurch entsteht (schon länger - seit Aufkommen der Kopierer) eine doppelte Moral: Um nicht bestraft zu werden, vermeiden wir kopfschütteln alles, was eventuell verboten sein könnte, was man aber häufig weder überblickt noch versteht und deshalb noch restriktiver handelt - und gleichzeitig stehen allen, die schlau genug sind, alle Wege offen, fast jedes geschützte Material fast risikolos für lau zu kriegen.
     
  16. altoSaxo

    altoSaxo Strebt nach Höherem

  17. ppue

    ppue Mod Experte

    Es ist absolut lächerlich, was die Lobbyisten der Verlage da mit der Politik ausgehandelt haben. Es geht nur um das Geld der Verlage, schon lange nicht mehr um die Tantiemen der Komponisten, deren Werke nicht noch nicht mal von kopierten Notenblättern abgespielt werden dürfen. Am Aberwitzigsten ist die Regel, dass ich meine eigene Abschrift von Noten nicht kopieren darf. Da dürfte ich ja noch nicht mal ein Backup meiner eigenen Dateien machen.

    Ich muss die Kollegen von den Verwertungsgesellschaften mal fragen, ob ich von meinen eigenen Kompositionen denn Kopien anfertigen darf. Man muss dazu verstehen, dass ich als Mitglied der GEMA selber GEMA-Gebühren zahlen muss, wennn ich meine Kompositionen auf CD vervielfältige oder auch nur ins Netz stelle.

    @matThiaS sollte sogar die von mir hier angehängte Datei aus der noch nicht erschienenen Sammlung "Avifaunische Wunderungen" löschen, die noch gar nicht bei der GEMA gemeldet ist. Das ist nämlich gar nicht entscheidend. Die GEMA verwertet nicht nur die eingetragenen Kompositionen, sonderm generell alle von mir bis jetzt und in Zukunft gemachten Kompositionen.

    Das System Verwertungsgesellschaft belohnt nur diejenigen, die es eh schon dicke haben und bestraft diejenigen, die im unkommerziellen Umgang mit Literatur zum Straftäter werden.

    Ich rufe zum bewussten Boykott eines solchen Blödsinns auf.
     

    Anhänge:

  18. altoSaxo

    altoSaxo Strebt nach Höherem

    Ich finde es auch unverhältnismäßig, dass ich mir nicht für private Zwecke Kopien meiner gekauften Noten anfertigen darf, sei es um mir Anmerkungen dort rein zur kritzeln oder um aus verschiedenen dicken Büchern Stücke in einer Mappe für eine private Session zusammenzustellen.
     
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  19. Gelöschtes Mitglied 5328

    Gelöschtes Mitglied 5328 Guest

    Denkst Du, dass sich irgendwer daran hält? (weil Niemand die Logik dafür versteht)

    Und.....wie soll das im privaten Bereich kontrolliert und geahndet werden?

    Insofern ist das Gesetz ein Witz.

    CzG

    Dreas
     
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  20. saxhornet

    saxhornet Experte

    Richtig spassig ist das mit einer Big Band wo beim Auftritt Original Noten benutzt werden müssen und man sich dann nicht wirklich Notizen reinschreiben kann. Das macht das Spielen nicht leichter. Ich kann nur zustimmen es ist unverhältnismäßig.
     
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