Warum Dur?

Dieses Thema im Forum "Eigene (musikrelevante) Themen" wurde erstellt von ppue, 31.Januar.2020.

  1. ppue

    ppue Mod Experte

    Warum ist in unserer Kultur die Durleiter vorherrschend? Ein paar Gedanken dazu.

    Der Aufbau und auch die Vorherrschaft von Dur steht in historischem Kontext. Es ist die Leiter einer Herrschermusik, die mit ihrem strahlenden, aufrechten, aber auch harten Klang die Stärke und Kraft der Herrscher wiedergibt.

    Ein leidendes Volk oder eine unterdrückte Minderheit sucht sich eine andere Leiter aus. Im Blues ist die strahlende Drei erniedrigt, die feste Quinte erschüttert (flatted fifth) und der Leit(kultur)-Ton zur Oktave ersetzt durch eine kleine Septime, die in der Tendenz nach unten zieht. All diese Intervalle drücken das Leid und die Knechtschaft dieser Bevölkerungsgruppe aus.

    Dagegen strebt die Durleiter ausschließlich nach oben. Aufsteigend sind alle Intervalle groß oder rein. Es ist von daher die aufrechteste aller Kirchentonleitern und hat zudem den großen Vorteil, dass die quintverwandten Stufen IV und V auch in strahlendem Dur erklingen. Diesen Vorteil hat keine der anderen Kirchentonleitern und ist ein weiterer Grund, dass sich Ionisch gegenüber den anderen Leitern in der aufkommenden Mehrstimmigkeit durchgesetzt hat.
     
    Zuletzt bearbeitet: 1.Februar.2020
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  2. Mini

    Mini Ist fast schon zuhause hier

    Äolisch, also Moll?
    Meinst Du vielleicht Ionisch?
     
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  3. TootSweet

    TootSweet Ist fast schon zuhause hier

    @ppue: Interessanter Gedankengang. Wenn man eine Tonleiter nach den Obertönen des Grundtons herleitet, kommt man zu einer lydischen Skala. Lydisch ware so gesehen die "natürliche" und Ionisch die "herrliche" Skala sein.

    Ich habe gerade das neue Buch von Goia (Music - a subversive history) angefangen. Der wäre von deiner Hypothese wohl angetan, würde aber sofort anmerken, dass es neben des repressiven Einflusses auf die Musik seit Menschengedenken auch deren subversive, aufbegehrende Seite gegeben hat.
     
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  4. quax

    quax Gehört zum Inventar

    "Die Gedanken sind frei"
    In C-Dur?
     
  5. ppue

    ppue Mod Experte

    Richtig, die betreffen dann aber innerkulturelle Zusammenhänge und nicht die Art und Weise, wie ganze Kulturen sich unterscheiden.

    1842 wurde es in C-Dur verlegt, richtig.
     
  6. GelöschtesMitglied1589

    GelöschtesMitglied1589 Guest

    Ich glaube auch, dass sublime ästhetische Ableitungen zur Präferenz der Dur-Tonleiter geführt haben und dieses "Strahlende" den Herrschern durchaus genehm war, bezahlten diese doch durch die Jahrhunderte hindurch die Komponisten.
    In diesem Sinne wäre der Auftritt von Donald Trump in Davos mit "Pauken und Trompeten" (oder noch besser Fanfaren) in Dur dem Twitterkönig sehr genehm gewesen ("perfect deal"), während Greta Thunberg in ihrer Mischung aus Zorn und gefühlter Disharmonie eher bei etwas wie lokrisch rausgekommen wäre.
    Im Musikunterricht habe ich oft bei der Behandlung der Modes die Pubertierenden begeistert, wenn ich "Alle Meine Entchen" lokrisch gespielt habe. Kommt gut.
     
  7. visir

    visir Gehört zum Inventar

    Und wenn sich die Dur-Tonleiter einfach bei Menschen etabliert hat, die guter Laune waren? Als wäre nicht der größte Teil der Volksmusik in Dur!
    Warum muss immer alles an herrschen - unterdrücken gemessen werden?
     
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  8. Sebastian

    Sebastian Ist fast schon zuhause hier

  9. quax

    quax Gehört zum Inventar

    Ja und? Ging es den Leuten da plötzlich besser? Oder wurde er Titel ins herrscherliche Gesangbuch aufgenommen?
     
  10. ppue

    ppue Mod Experte

    Weil die Kultur eines Volkes eine recht homogene Ausdrucksform hat. Und das in allen kreativen Bereichen, sei es darstellende Kunst, Musik, Literatur, Film oder auch Architektur. Man hätte nicht Sinfonien geschrieben, hätte der König in einem kleinen Erdloch gewohnt und die Untertanen in gleich kleinen Löchern daneben.

    Afrika:

    [​IMG]

    Hier steht Hütte an Hütte gereiht. Zwischendurch vielleicht mal ein kleine Lücke. Hütten und Lücken ergeben die architektonische Gesamstruktur.

    Diese Struktur findet man in der Afrikanischen Trommelmusik, deren Rhythmus dadurch entsteht, dass von den stetig aneinandergereihten Trommelschlägen einzelne weg gelassen werden.

    Europa:

    [​IMG]

    Hier steht das Große, das Ganze im Fokus, unterteilt in Nebengebäude, Trackte und Zimmer.

    Ganz ähnlich einer Sonatenhauptsatzform

    upload_2020-1-31_15-14-58.png

    Rhythmus ensteht im Abendland nicht durch das Aneinanderreihen von kleinsten Einheiten, sondern durch das Teilen des Großen, wie eben auch des ganzen Taktes in kleinere Teile.


    Es mag Menschen gegeben haben, die das Dur protegiert haben, weil sie gute Laune hatten. Sie werden aber dadurch nicht die Grundfesten der abendländischen Kultur geprägt haben. Vergiß nicht: Dur ist die einzige Leiter, die auf den drei Hauptstufen I, IV und V einen Dur-Dreiklang hat. Das alleine ist schon Grund genug, sie für die Mehrstimmigkeit zu favourisieren.


    Ich weiß nicht genau, worauf du hinaus willst. Was hat das mit besser- oder schlechtergehen zu tun? Ich spreche in sehr groben Zügen von unserer Kultur und nicht davon, dass ein Protestsänger besser in Dorisch sänge.
     
    Zuletzt bearbeitet: 31.Januar.2020
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  11. quax

    quax Gehört zum Inventar

    :thumbsup:
    Und wenn der große weißer Vater meint, dass Afrika wesentlich aus Laubhüttendörfern bestand.Wer bin ich...
    Jedenfalls erstmal weg.
     
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  12. Gelöschte 11056

    Gelöschte 11056 Guest

    Schönes Wochenende!
     
  13. ppue

    ppue Mod Experte

    Ja, so ändern sich die Zeiten, @quax. Ich wohne auch schon länger nicht mehr auf meinem Schloss.
     
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  14. Blofeld

    Blofeld Ist fast schon zuhause hier

    Interessante, aber gewagte These. Dur ist doch wohl nicht als Herrschermusik, sondern als Volks- und Alltagsmusik entstanden. Und wenn es um das maximal Strahlende, Aufstrebende geht, wäre doch eher Lydisch die Skala der Wahl.
     
  15. Gelöschtes Mitglied 5328

    Gelöschtes Mitglied 5328 Guest

    @ppue

    Ich finde es gut, dass Du das in den gesellschaftlichen, kulturellen Zusammenhang bringst.

    Kunst gibt es nicht ohne diesen.

    Ich kann Deine Herleitungen sehr gut nachvollziehen.

    CzG

    Dreas
     
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  16. Kohlertfan

    Kohlertfan Strebt nach Höherem

    Jimmy Doyle (Robert DeNiro) sagt im Film "New York, New York" er möchte, dass sein Leben wie ein C - Dur Akkord wird.
    Er meint damit weniger das herrschaftliche, sondern eher das freundliche und unkomplizierte.
    Mich haben die Moll - Tonarten immer eher angezogen. Klingen die doch dramatischer und lebendiger als die Dur - Tonarten. Hängt aber sicher mit meiner Biographie zusammen.
     
  17. GelöschtesMitglied11524

    GelöschtesMitglied11524 Guest

  18. Claus

    Claus Mod Emeritus

    Interessante Seite!
     
  19. gefiko

    gefiko Strebt nach Höherem

    Dein Vergleich ist nicht korrekt. Blues gehört nicht zu unserer Kultur.
     
  20. ppue

    ppue Mod Experte

    Ließ es einfach noch mal (-;
     
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