Wie wird aus Musik "Theorie" gelebte Praxis?

Dieses Thema im Forum "Improvisation - Harmonielehre" wurde erstellt von bebob99, 12.Januar.2022.

  1. bebob99

    bebob99 Strebt nach Höherem

    Ausgehend von der Diskussion um eine Literaturempfehlung zur Musiktheorie versuche ich, die an mich gerichteten Beiträge hier weiterzuführen, wo sie mehr Sinn machen:

    Ja, mehrere. Ich habe ach Deinen Harmonielehre Kurs mitgemacht und kann die Dinge an der Klaviatur nachstellen. Das ist nicht das Problem. Gaaaanz einfache Noten kann ich am Klavier auch vom Blatt spielen. Aussetzer hatte ich allerdings immer dann, wenn meine KL so nebenbei erklärt hat:
    Ja, wenn ich mir die Noten auf eine Linie als Akkord zusammenschreiben, kann ich durch geeignetes Abzählen die Aussage nachvollziehen. SEHEN kann ich das nicht.

    Ich arbeite daran. Ich beleuchte auch gut und hoffe, dass sich mir irgendwann eine leicht erkennbare Form zeigt.

    Jein. Ich kann einen Dur von einem Moll Dreiklang auseinander hören, ohne dass ich dazu die Noten aufzählen muss. Ob der nächste gehörte Akkord dazu allerdings ein II, IV, 99, oder quatsch ist, erschließt sich mir nicht. Das könnte auch genauso gut anders herum nummeriert sein, ich würde den Unterschied nicht merken.

    Ich kann die angenehme Struktur eines Quintenfalls nachfühlen, wenn man mir einen vorspielt, oder mich darauf hinweist. Ich kann wahrscheinlich aus den geschriebenen Noten auch ableiten, dass es sich um einen solchen handelt, wenn ich mir genug Mühe gebe. Aber wenn ich ein Musikstück oder eine Akkordfolge höre, stellt sich bei mir nicht die Erkenntnis "Ach ja, Quinten Fall. Wie schön!" ein. Wenn mir aber einer erzählt, das war jetzt ein I-V-II, dann muss ich das auch glauben. Es könnte auch "Graf Bumsti von Griffenstein" oder "22.7.1254" heißen. Geht links rein und rechts wieder vollständig raus.

    Ich kann keine 5 Takte "für mich allein und total auswendig" spielen, ohne dass es sich nach John Cage anhört. Und da sind Griff Kombinationen dabei, die gar keine Töne produzieren können und von denen ich WEISS, dass man das gar nicht greifen kann. :oops: Wenn ich meine Finger nicht andauernd und bewusst von der Menge der möglichen Fingerbewegungen auf den kleinen Satz von "korrekten" Fingerbewegungen einschränke, dann machen sie was sie wollen. Und aus diesen "korrekten" muss ich wenn möglich noch die "jetzt gerade sinnvollen" ausfiltern, damit Musik heraus kommt.

    Um auch nur halbwegs über ein einfaches Stück oder eine Phrase zu kommen, brauche ich Ankerpunkte wie den Start Ton, 5 Schläge weiter muss ein a' kommen (mit entsprechender und völlig unnötiger Visualisierung der Finger). Danach gehen wieder zwei Takte ohne Nachzudenken, aber wenn ich nicht an das JETZT folgende cis" (mit entsprechender Visualisierung der Finger) denke, dann kommt "irgendwas" und danach endet es im Chaos. In den meisten Fällen ist dann nicht nur einfach ein falscher Ton dabei, sondern ich finde mich unvermutet in der Abteilung Free-Jazz wieder.

    Ich komme so weit, wie ich mir die Ankerpunkte visualisieren kann. Das ist ohne optische Hilfe durch das Notenbild nicht weit.

    Eine sch... Vorgehensweise, aber ich kann nicht "nicht denken". Ich kann mich nicht dauern betrinken, nur damit die Quasselstrippe in meinem Gehirn mal Pause macht.

    Aber ich bin set 1.1.2022 im Impro-Kurs bei Lille und da darf ich erst einmal NUR auswendig spielen und NUR nach Gehör transkribieren. Da schaffe ich schon einen Chorus "Honeysuckle Rose", wenn ich mich streng an die Linie halte. Fünf Chorusse frei gespielt - ich arbeite noch daran. Die Frage ist aber auch - wie ÜBT man "frei spielen", ohne dass es erst wieder zum Auswendiglernen einer speziellen Melodiefolge wird?

    Naja. Bisher klappt das also nur sehr dürftig. Dafür mit viel Potenzial nach oben. Ich gehe mal davon aus, dass sich das in den nächsten 12-24 Monaten noch etwas bessert. :rolleyes:
     
  2. Gelöschtes Mitglied 5328

    Gelöschtes Mitglied 5328 Guest

    Es gibt auf Youtube z.B. viele Playalongs als II V I Verbindungen.

    Wenn man die hört und immer wieder dazu spielt gibt es schon ein Erkennungseffekt. Und man kann dann die Töne dazu üben. Irgendwann geht‘s dann auch automatisch.

    Auch die klassische Bluesform läßt sich gut verinnerlichen.

    CzG

    Dreas
     
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  3. Jacqueline

    Jacqueline Strebt nach Höherem

    Indem man es macht. Du könntest dir bei iReal einen Akkord nehmen und dann mit den Akkordtönen improvisieren.
    Ich kann das auch noch nicht so gut, aber das ist der Weg dahin.
     
  4. Gelöschtes Mitglied 5328

    Gelöschtes Mitglied 5328 Guest

    Ja, iReal ist ein super Übungstool. Und genau: machen!
    probieren!

    Das theoretische Verständnis hilft dann.

    Was war in der Musik zuerst? Praxis oder Theorie?

    CzG

    Dreas
     
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  5. Jacqueline

    Jacqueline Strebt nach Höherem

    Vllt hilft es auch, dass man den Anspruch es gut klingen zu lassen erstmal fallen lässt.
     
  6. Gelöschtes Mitglied 5328

    Gelöschtes Mitglied 5328 Guest

    Ja. Nach meiner Erfahrung braucht es um Improvisieren zu lernen eine hohe Fehlertoleranz und eine gesunde Scheissegaleinstellung.

    CzG

    Dreas
     
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  7. GelöschtesMitglied11073

    GelöschtesMitglied11073 Guest

  8. fukaR

    fukaR Guest

    ... und beim Improvisieren immer wichtig schauen und eine Körperhaltung einnehmen, die Selbstverständlichkeit ausstrahlt.
    Die Noten, die man spielt, sind pupswurscht.
     
  9. Frau Buescher

    Frau Buescher Ist fast schon zuhause hier

    @bebob99 ich bin ja auch in deinem Kurs dabei und für mich ist das die größte Herausforderung meines Lebens. Seit 1.Januar läuft der Song rauf und runter und hat mich erst zum dazu pfeifen gebracht, nachts wache ich mit diesem Ohrwurm auf und jetzt klappt sogar ein Durchgang auswendig. Ich hätte es nicht für möglich gehalten. Dranbleiben!! Spielen!!
     
  10. scenarnick

    scenarnick Admin

    Meine kleine Meinung dazu (bin auch Denker): Lass den Teil weg :)

    Ich bin ja noch nicht lange am Sax, hab aber einiges an musikalischem und auch theoretischen Überbau durch Gesangsausbildung. Auch beim Gesang hab ich immer irgendwelche Noten oder Funktionen vor dem geistigen Auge, denke an "avoid Notes" und weiß der Geier was nicht noch - und scheitere regelmäßig. Irgendwann in einer Probe mit meinen Jungs hatte ich mal von der Arbeit so die Nase voll, dass mir alles egal war - der Mitschnitt war klasse :) Genauso gestern in der Probe mit Sax. Beim Üben der Passagen haben sich meine Finger verselbstständigt, genau wie Du es beschreibst, noch bevor ich in den Bereich des Zieltempos gekommen bin. In der Probe als Bass und Gitarre loslegten hab ich mir innerlich ein "Scheix drauf" als Einzähler gegeben und - fehlerfrei die Passage durchgespielt und noch ne kleine Improvisation drangehängt (nix Wildes, ne F#-Moll Pentatonik mit hier und da ner Blue Note). Kennst Du den Film "der letzte Samurai"? Dort gibt es eine Szene, in der Tom Cruise Kendo trainiert und kläglich scheitert. Ein junger Samurai kommt zu ihm und sagt "Wenn Du kämpfst hast Du Bedenken, Bedenken Schwert, Bedenken Gegner, Bedenken Leute, die zuschauen - nicht denken". Das sag ich mir so oft (seit Jahren) und manchmal hab ich so einen kleinen Schimmer von "es klappt".

    Den wünsche ich Dir auch

    Wenn meine Finger jetzt machen, was sie wollen, lasse ich das zu und frage irgendwann "War's das jetzt? Können wir wieder normal Üben?" Irgendwann ist die Antwort: "Ja!"
     
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  11. Roland

    Roland Strebt nach Höherem

    Keine Ahnung, ob das eine gute Idee ist, aber:

    Aber, wie wäre es denn, wenn man sich erst einmal auf hinreichend einfache Musik beschränkt und dort erst einmal die wichtigen Stufen I, IV, V, vulgo Tonika, Subdominante, Dominante) erkennt? Aus dem Gehör, natürlich. Und dann nach und nach weitere Akkordbeziehungen hinzu nehmen? Das geht natürlich am Besten, wenn man einen hat, der Dir entsprechendes Material auf Klavier vorspielt. Sonst must Du selbst spielen und Dir zuhören. :)

    Und dann nach und nach ausbauen: Wie klingt das, wenn ich zur IV (Paralleltonart) gehe, wie, wenn ich die die dazu passende Dominante davorschalte? Kann man genauso gut auch mit den Jazz-Idiomen machen. Die berühmte II-V-I, einfache Turn-Arounds. Schritt für Schritt.

    Wenn man sie hört und wiedererkennt, dann ergeben die Dinge auch einen Sinn.

    Ich gebe zu, ich wr immer an Mustern interessiert. Sobald ich ein neues Muster hörte, habe ich ausprobiert, was man damit machen kann und geschaut, wo das auftaucht. Spielerische Neugier, mit der Musik spielen.

    Grüße
    Roland
     
  12. Atkins

    Atkins Strebt nach Höherem

    Ich lese das ganz interessiert mit und bin völlig verunsichert. Nein nicht wirklich, gar nicht, aber ich gehe das kpl. anders an und wundere mich halt etwas.
    Gerade gestern hatte ich ne Bandprobe mit ca. 10 Bläsern, wo ich auch mal ( das 1. Mal dabei) ein solo mit Begleitung spielen konnte/durfte.
    Ich habe da grob die passende Tonleiter im Kopf und lege dann einfach los und zwar völlig frei. Habe viel Applaus bekommen, wobei ich gar nicht weiss, wofür:)
    Wenn ich improvisiere, denke ich eigentlich an nix und schon gar nicht an Musiktheorie. Ich schiebe dann den Notenständer beiseite und spiele , was mir so im Kopf dazu einfällt. Einzigst das passende Ende bereitet mir immer wieder Probleme, ich verliere mich da oft im timing , aber es wird besser.
    @fukaR dein Beitrag ist hoffentlich nur ein Scherz, oder? Machst du das tatsächlich so ? :):)

    Ich glaube nicht, dass ich das gut oder gar richtig mache, aber ich kann nicht anders, habe in Sachen Theorie eh ein dickes Brett vor dem Kopf und das gefällt mir !

    Ich lebe musikalisch quasi die Praxis fast ohne Theorie.
     
    Zuletzt bearbeitet: 12.Januar.2022
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  13. philipp_b

    philipp_b Ist fast schon zuhause hier

    Ich finde die Fragstellung ja schon problematisch. Warum wird aus der Theorie Praxis? Ich würde es eher so betrachten, dass man, wenn man in der musikalischen Praxis Strukturen erkennt und diese benennt, um besser mit anderen kommunizieren zu können, von Musiktheorie spricht. Ich kann dir an dieser Stelle das Vorwort von Frank Sikoras Buch empfehlen. Der Untertitel ist Verstehen-Hören-Spielen und dass die drei Elemente eine Einheit sind, ist das erklärte Ziel dieses Buches..
     
  14. saxer66

    saxer66 Ist fast schon zuhause hier

    wie wird aus Theorie Praxis? ... nicht dass ich die Theorie beherrschen würde, ganz im Gegenteil, aber was m.M.n. essentiell ist:
    HÖREN!!! und zwar die Musik die du machen willst und das jeden Tag über einen langen Zeitraum!
    und zweitens:
    SPIELEN!!! ich hab mir sehr lange einfach Musik aufgelegt und dazu gespielt, ohne Noten, ohne Theorie, einfach dazu spielen und mit großen Ohren registrieren was passiert, merken ob und wie die Töne die du spielst zur musik passen oder eben auch nicht!
    Mit der Zeit baust du dir dadurch ein Vokabular auf dass du instinktiv beim solieren verwenden kannst. Und das basiert eben nicht auf Musiktheorie sondern auf deinen Ohren und deiner Erfahrung. So entwickelst du Linien und entwirfst Melodien.
    Zumindest funktioniert das bei mir (meist)!
     
  15. fukaR

    fukaR Guest

    @Atkins
    Das ist mir bierernst … :D
     
    GelöschtesMitglied11524 gefällt das.
  16. Atkins

    Atkins Strebt nach Höherem

    Ach RomBl, schade, dass du das Thema so veralberst....das ist es echt nicht wert.
    Theorie und Praxis ist bestimmt von vielen hier ein ernst zu nehmendesThema und das kann dann auch gerne sachlich behandelt werden.
     
  17. fukaR

    fukaR Guest

    @Atkins
    Genau … sachliche Diskussionsführung ist ja Deine Kernkompetenz :D:D:D


    aber :topic:

    Theorie-Überfrachtung ist kontraproduktiv, das habe ich selber erlebt. Aufgrund meines Interesses war ich damals mit der Theorie meinen praktischen Fähigkeiten weit voraus. Das ist frustrierend, wenn man zwar weiß, was zu spielen ist, dies aber motorisch nicht hinbekommt bzw. nicht in den Fingern hat.
    Ich würde die Sache vermutlich mit dieser Erfahrung heute eher anders angegeben - also sich nicht erst den Sikora reinziehen, sondern viel übers Hören lernen. Die Theorie dann nachziehen.
     
  18. Roland

    Roland Strebt nach Höherem

    Ja, natürlich. Irgendwann habe ich das verinnerlicht. Was mir allerdings wichtig ist: Ich weiß gerne, was ich da tue und könnte es auch benennen.

    Grüße
    Roland
     
  19. GelöschtesMitglied725

    GelöschtesMitglied725 Guest

    Dieser Untertitel trifft meiner Ansicht nach den Punkt sehr genau. Wenn eines dieser drei Elemente fehlt bzw nicht gut funktioniert, wird man nie über ein höheres Level als belangloses Hobbygesaxe kommen. Selbst für anspruchsvolle Hobbyanwendungrn ist z.B. mangelnde Theorie oft ein Hinderniss.
     
    saxhornet und Viper gefällt das.
  20. Dsharlz

    Dsharlz Ist fast schon zuhause hier

    Tach auch,

    die JazzPopRock-Theorie workshops, die in unseren Musikschulen angeboten werden, heißen deswegen auch "Angewandte Theorie", weil in der darauffolgenden Einheit das Zeugs umgesetzt wird -
    von Sängerinnen, Saxes, Schlagzeugern, Pianisten,.. aus welcher Klasse eben die Leute kommen,

    ich nenn das statt "Theorie" auch gern "Musikgrammatik" - z.B. wenn wer nach Noten spielt, braucht man sich um Zusammenhänge, Hintergründe,.. nich kümmern - steht eh alles da,
    man liest praktisch einen Txt in einer fremden Sprache runter,
    wenn ich in dieser Sprache aber eigene Sätze bilden und frei reden möchte, dann ist etwas Kenntnis von Grammatik vl hilfreich...
    Grüße
    Dsharlz
     
    SusiHa und scenarnick gefällt das.
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