Kontrapunkt und Monochord, einige Ansätze zur Improvisationslehre

Dieses Thema im Forum "Improvisation - Harmonielehre" wurde erstellt von catflosse, 5.April.2022.

  1. The Z

    The Z Ist fast schon zuhause hier

    Das schließt sich mMn nicht aus.
    Genau, aber das (also Stimmführung) muss halt auch geübt werden. Das geht, und ich verallgemeinere hier, in der herrschenden Skalenfixiertheit sehr oft unter.

    Im Prinzip bildet das ja alles eine Einheit, man kann die Elemente aber auch getrennt oder in unterschiedlicher Gewichtung behandeln und üben. Für mich sind das auf tonaler Ebene Melodie, Harmonie und Skalen.

    Und wenn man noch weiter rauszoomt, sehe ich zb die beiden Bereiche der Intuition, des Gefühls auf der einen Seite und der Ratio auf der anderen. Auch beide wichtig.
     
  2. ppue

    ppue Mod Experte

    Wieso vierter Oktavraum? Für mich wäre er im Dritten.

    @catflosse
    Ich bedanke mich für die schöne Struktur.

    Die ist auch in der Improvisation von großer Bedeutung. Vertikale (akkordische) und horizontale Improvisation ist das eine. Die rhythmische oder die motivische Struktur z.B. sind auch entscheidende Elemente.

    Wiederholungen, motivisches Ausgestalten durch schrittweisen Aufbau der Phrasen und das Setzen von Pausen. All das kann man theoretisch erlernen. Man kann aber auch einfach versuchen, mit dem Instrument Sätze zu sprechen oder auch, seine Emotion in den Vordergrund zu stellen. Da verschwinden sehr schnell die gutgemeinten theoretischen Ansätze.

    Eine unentwegte Aneinanderreihung von Swingachteln ist vergleichbar mit der Langweile, die von einem Schwätzer ausgeht, ganz egal, ob vertikal oder horizontal.

    Ich weiß, ich komme vom Thema ab. Wollte nur aufzeigen, dass es sehr viel mehr als Stimmführung gibt.
     
    Zuletzt bearbeitet: 9.April.2022
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  3. The Z

    The Z Ist fast schon zuhause hier

    Sehr spannend und lohnend, auf jeden Fall für mich, finde ich die Beschäftigung mit der Hexachordlehre, bzw der Art der "alten" tonalen Organisation der Modi aus verschränkten Hexachorden. Fux streift die auch im Gradus, soweit ich weiß fehlt dieser Abschnitt aber in allen modernen Ausgaben.
     
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  4. The Z

    The Z Ist fast schon zuhause hier

    Die Musikerausbildung, kirchlich und auch weltlich, steht seit Jahrhunderten auch auf festem theoretischem Boden. Alte Traktate und Lehrwerke geben darüber Auskunft. Die Musik, der Geschmack und Stil hat sich sicherlich mit der Zeit verändert. "Probiert" wurde da in der Ausbildung relativ wenig. Das war eine wirklich lange dauernde umfangreiche und umfassende Ausbildung.
     
  5. ppue

    ppue Mod Experte

    Genau das meinte ich: Im Ausbildungsbetrieb verfestigen sich die "Gesetze".

    Die Innovationen kommen von Komponisten und praktizierenden Musikern, die sich schon mal über die gelehrten Regeln hinwegsetzen.

    Es ging ja um die Verbote. Kunst ist frei von Ge- und Verboten.
     
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  6. The Z

    The Z Ist fast schon zuhause hier

    Genau. Viel ist Handwerk, das sicher ein überwiegender Großteil der tätigen Musiker beherrschte, auch jene die sich über Regelwerke und Stilgrenzen hinwegsetzen.

    Für mich war ein großes Aha - Erlebnis als ich verstanden habe dass viele der ganz großen, zB JS Bach, Zeit ihres Lebens auch Handwerker waren und einfach abgeliefert haben, wenn auch auf unglaublichem Niveau.
     
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  7. catflosse

    catflosse Kann einfach nicht wegbleiben

    Finde ich auch. Du hast es auf den Punkt gebracht. Aber manchmal gebe ich mir mühe und komponiere ein Solo für ein Stück, dass ich standardmäßig im Repertoire habe. Dann greife ich auf Techniken zurück. Und dann übe ich tatsächlich viele Arpeggios und Intervalle, seltener Skalen. Das färbt dann die Improv.


    Klar, Schusselfehler! Sorry...

    Danke dafür, daran kann man nicht oft genug erinnert werden.

    @The Z Kannst Du das genauer ausführen? Ich hab nur eine moderne Ausgabe. Was Hexachorde sind weiss ich, beim Urschleim brauchst Du nicht anfangen. Aber wie wird das bei Dir zu Jazz?

    @ppue Deine listig gestellte Frage, warum sich die Ionische und Äolische Skala als Dur und Moll durchgesetzt haben, steht immer noch unbeantwortet im Raum. Ich habe viel gegrübelt... ohne Erfolg.
     
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  8. The Z

    The Z Ist fast schon zuhause hier

    @catflosse Ich beschäftige mich nicht nur im Jazzbereich damit. Ganz einfach gesagt: mich interessierts einfach. Es scheint für sehr lange Zeit ein fundamentales Ordnungsprinzip gewesen zu sein, dass aber in Vergessenheit geraten zu sein scheint.

    Im Jazz verwende ich es kurz gesagt als Hybrid zwischen Pentatonik und normaler 7töniger Tonleiter. Man kann im Gegensatz zur Pentatonik schon einige Akkorde, auch mehrere Vierklänge bilden und auch ausdrücken, der Tonvorrat ist aber im Gegensatz zur 7tönigen Tonleiter schon reduziert und hat einen stärkeren Eigensound. Ich hab mir da ein System an Hexachorden zurechtgelegt. Mir gefällt was ich höre und ich komme auf neue Ideen, sowohl beim Improvisieren als auch beim Komponieren.

    Ich bin da selber noch stark beim Forschen, Lernen und Üben. Wie eigentlich überall. :)

    Tolles Buch zu dieser Thematik, allerdings nur auf Englisch:
    The Solfeggio Tradition - A Forgotten Art of Melody in the Long Eighteenth Century
    Nicholas Baragwanath

    Einiges an Info zum Thema auch hier:
    http://www.hexachord.at/deutsch/schriften/fami/index.html
    unten Links gehts zum weiterklicken, insgesamt sinds 31 Seiten
     
  9. gaga

    gaga Gehört zum Inventar

    Genau da lande ich mit dem Konzept der "triad pairs", d.h. ich spiele z.B. über Bbm7 mit den Durdreiklängen über Db und Eb. Die bilden die dorische Leiter über Bb ab - allerdings ohne das C. Wenn ich die beiden Akkorde über Ab-Dur spielen würde, fehlte also ausgerechnet die Terz.

    Ich bin noch nicht sehr weit damit, weil ich meistens Bebopnummern spiele, wo für dieses Konzept die Changes zu schnell wechseln. Jetzt habe ich aber Jeannine von Duke Pearson am Wickel, das im A-Teil 8 Takte Bbm7 am Stück aufweist - eine gute Gelegenheit, das mal zu probieren - als Alternative zu Dorisch, Penta oder Bluesscale.
     
  10. The Z

    The Z Ist fast schon zuhause hier

    Genau, mit den Triad pairs kommt man teilweise auf identes Tonmaterial. Ich sehe die Hexachorde aber eher als Klangebene oder Tonleiter.
     
  11. ppue

    ppue Mod Experte

    Ich versuche mal, das so zu erklären, dass ein jeder mitkommt. Das bedeutet aber, dass ich weit ausholen muss und es ein paar Postings braucht, bis alles erklärt ist (-:

    Die Quinte im Schwingungsverhältnis von 2 zu 3 ist nach Prime und Oktave das harmonischste Intervall. Harmonisch bedeutet, die Töne verschmelzen stark. Das liegt an ihren einfachen Schwingungsverhältnissen bzw. an den vielen Obertönen, die sie gemeinsam haben.

    Zwei Töne im Quintabstand nennt man quintverwandt. Im Quintenzirkel findet man die quintverwandten Töne schön aufgereiht nebeneinander. Deshalb heißt der ja Quintenzirkel.

    upload_2022-4-10_10-3-46.png

    Fünf dieser quintverwandten Töne habe ich markiert, denn die bilden die von vielen so geliebte Pentatonik. Setze ich diese Töne in einen Oktavraum, so ergeben sie folgende Leiter:

    upload_2022-4-10_10-8-3.png

    Den meisten wird sie bekannt sein und tatsächlich ist sie auch den verschiedensten Kulturen bekannt. Ich habe hier einige Beispiele pentatonischer Musik collagiert. Alle Melodien in diesem Beispiel (schon öfter mal gepostet) spielen ausnahmslos mit den fünf Quintverwandten Tönen.



    Wie man hört, könnten die Kulturen sogar miteinander spielen, ohne ihre Tradition verlassen zu müssen.
    Es muss also etwas dran sein, wenn so viele Völker ohne eine Absprache auf diese Basistonleiter gekommen sind. Die Antwort, warum das so ist, ist die große Harmonie der Quinte.

    Nun hat die pentatonische Leiter zwei Löcher von der Größe einer kleinen Terz in ihren Sprossen.

    upload_2022-4-10_10-21-29.png

    Um die zu füllen, böte sich an, zwei weitere Töne unserer Quintkette mit ins Boot zu holen.
    Also zurück zum Quintenzirkel und H, sowie das Fis, in die Tonleiter eingefügt:

    upload_2022-4-10_10-27-39.png

    Das erinnert spontan an den vierten Oktavraum unserer Obertöne. Na ja, zumindest die ersten fünf Töne.

    So, und nun muss ich raus mit dem Hund. Die Sonne lacht und das Tier drängelt. Also bis Peter
     
  12. The Z

    The Z Ist fast schon zuhause hier

    Ich glaube der Siegeszug von Ionisch und Äolisch, genauer eigentlich: unserer Dur und Moll Tonarten, lässt sich nur mit dem Wandel von modaler zu mehrstimmiger Musik bzw vom Denken in Intervallen zum Denken in Akkorden verstehen.

    Bei Äolisch ist die Sache auch nicht so eindeutig, da es hier auch noch die Varianten harmonisch Moll und melodisch Moll gibt.

    Viele Musikkulturen, zB arabische, persische und türkische verwenden verschiedenste modale Skalen mit für uns sehr exotischen Intervallen. Alle modal und nicht mehrstimmig.
     
  13. ppue

    ppue Mod Experte

    Da ist viel Richtiges dran, @The Z (-:
     
  14. Rick

    Rick Experte

    Nun, die ionische Dur enthält zwei gleiche Tetrachorde, ist also symmetrisch, was früher mal in großer Mode war.
    Und die Moll-Parallele eine kleine Terz tiefer stammt aus der Pentatonik: nur daraus lässt sich neben der "Stamm-Dur" ein Dreiklang bilden.
     
  15. The Z

    The Z Ist fast schon zuhause hier

    Zwei idente Tetrachorde hast du zb auch bei Mixolydisch. Die Teilung der Oktave ist eine andere, in der Quinte bei Ionisch, in der Quartet bei Mixolydisch.

    In unserer mitteleuropäisch geprägten Musikkultur kommt Moll nicht aus der Pentatonik. Ursprünglich lag Moll auf der zweiten Stufe, das Denken als Mollparallele auf der sechsten Stufe kam erst viel später.
     
  16. catflosse

    catflosse Kann einfach nicht wegbleiben

    Spannend!!!! Ich geh mit dem Hund.

    Man könnte auch das F mit ins Boot holen, ohne dass sich die Quintenbreite verändert. Dann hat man den Tonvorrat von C - Dur. bzw. F Lydisch wenn wir das F als Grundton wählen. Mit dem Fis und dem Grundton C ergäbe sich wieder eine Lydische G Tonleiter. Also weder Ionisch noch Äolisch.

    Pentatonik ist die Tongruppe mit der kleinsten Quintenbreite (QB = 4, das bedeutet, wir müssen auf dem Quintenzirkel 4 Schritte machen) und vermeidet das dissonante Intervall der kleine Sekunde. Diatonik ist die Tongruppe mit der kleinsten Quintenbreite (QB = 6) welches benachbarte kleine Sekunden vermeidet. (so nach Kissenbecks Videos) Nun gilt das aber für alle Kirchentonarten, sie sind alle diatonisch. Auf die Antwort, warum es die Ionische und Äolische Variante geschafft haben, sich durchzusetzen bleibe ich weiterhin gespannt.
     
  17. Ralph

    Ralph Ist fast schon zuhause hier

    zwei gleiche Tatrachorde (aufgebaut auf Grundton und Quinte) enthalten neben ionisch auch dorisch und phrygisch.
    Die Mollpentatonik ist in allen Moll-Tonarten enthalten (dorisch, phrygisch, äolisch)
     
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  18. Ralph

    Ralph Ist fast schon zuhause hier

    ... und die Mutter aller Tonarten ist natürlich dorisch. Nur hier ist der Tonleiteraufbau symmetrisch (Intervallabfolge ist aufsteigend von Grundton und absteigend vom Grundton identisch)
     
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  19. Ralph

    Ralph Ist fast schon zuhause hier

    Zusatzfrage zum Thema 'zwei gleiche Tatrachorde':
    Kennt jemand einen Namen für die Tonleiter, die sich ergibt, wenn man den Tetrachord "HT-Hiatus-HT" (wie in HM5 auf dem Grundton)
    auf den Grundton und auf die Quinte stellt ?
    Das hört sich recht interessant an, ich kenne aber keinen Namen dafür.
     
  20. catflosse

    catflosse Kann einfach nicht wegbleiben

    obwohl mir die Argumentation von @The Z und @Ralph einzuleuchten beginnen, brauche ich noch ein Weilchen, ehe ich es richtig verstehe.

    Immerhin hat sich ja eine weiter Mischform stark behauptet, der Blues - eine Moll Pentatonik über einer Durtonleiter. Das ist vielleicht ein gutes Beispiel dafür, dass sich Musik am radikalsten durch Musiker neu erfindet, die sich einfach nicht an Konventionen binden lassen wollen, bzw. die an Gewohnheiten gebunden sind (in moll Pentatonik zu singen) die sie auch beim Erklingen einer Durtonleiter nicht abstellen wollen. Das gemeinsame pentatonishe Singen ist ein mystisches Erlebnis, dass zu gemeinsamer Trance führen kann. Unserer Kultur ist diese Erfahrung abhanden gekommen, weil wir die temperierte Stimmung verwenden. Vielleicht liegt des Rätsels Lösung auch ein wenig in dem, was uns alle verbindet, im Mensch-sein. Viele Mythen und Märchen auf der Erde ähneln einander, die Naturreligionen sind alle verwandt. Joseph Campbell, der Mythenforscher aus Princeton, schreibt darüber (The hero with a thousand faces) C.G. Jung nennt diese in allen Menschen lebenden Urbilder, die auch in unseren Träumen und Meditationen wiederkehren, die Archetypen. Vielleicht schafft es die Musik mit ihren Mitteln, an diese Saite in jedem Menschen zu rühren, egal aus welcher Kultur er oder sie stammt und in langen Versuchsreihen haben sich einfach die Intervalle und Skalen bewährt, die am besten dazu taugen.

    Pythagoras hat erkannt, dass diese Intervalle Naturphänomene sind, die mathematischen Gesetzen folgen. Damit gehört die Musik in die Naturreligion und ist Teil ihres Ritus gewesen von Stonehenge bis zu Stravinsky (le sacre du printemps). Die Kirchentonarten sind vielleicht nur Abweichungen, ein Ergebnis der Scholastik und ihres dogmatisierenden Ordnungssinnes. Vielleicht sind sie aber auch Teile der Versuchsreihen, welche die Entdeckung des Pythagoras in Griechenland auslöste.

    Als Pythagoras auf Akragas weilte, herrschte dort ein Tyrann - Phalaris. Er hatte ein Musikinstrument, den sizilianischen Stier. (Akragas ist das heutige Agrigent) Das war eine hohle Bronze-Skulptur mit einer Luke im Bauch. Dort hinein steckte man einen Verurteilten und zündete unter dem Stier ein Feuer an, der dann zu Brüllen anfing. Dazu gab es Häppchen und Wein, das war die Musik der Macht. Pythagoras hat sich beschwert und gemeint, das ist keine Musik, das ist Heavy Metal! und entwickelte seine Idee der Sphärenklänge. Musik ist nach ihm die Abbildung der Harmonie der Sphären, des Kosmos, der schmuckvollen Ordnung der Welt. Sie folgt Naturgesetzen und nicht der Willkür eines Tyrannen. Ein Aufstand fegte den Tyrannen hinweg und es wurde zum Gesetz, dass jede Musik auf Sizilien pentatonisch zu sein hatte. (Pythagoras fand den Quintenzirkel). Jede Lyra durfte nur 5 Saiten haben. Das galt noch unter den Spartanern. Wenn ein Ionier mit seiner acht-saitigen Laier einreiste, wurden alle bis auf fünf Saiten durchgeschnitten. Pythagoras hat die ganze griechische Welt beschäftigt, er ist ein kulturelles Fixum, genau wie Homer. Nun waren die Griechen in Stadtstaaten, den Poleis, unterschieden, die alle ein unterscheidbares Merkmal, einen eigenen Stil griechisch zu sein, verwirklichen wollten. Das gemeinsame Griechische ist also die Diatonik, die unterschiedliche Auslegung des Tonmaterials vielleicht der Ausdruck der kulturellen Vielfalt der griechischen Welt.
     
    Zuletzt bearbeitet: 10.April.2022
    Gelöschtes Mitglied 13399, ppue und Rick gefällt das.
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