Kontrapunkt und Monochord, einige Ansätze zur Improvisationslehre

Dieses Thema im Forum "Improvisation - Harmonielehre" wurde erstellt von catflosse, 5.April.2022.

  1. catflosse

    catflosse Kann einfach nicht wegbleiben

    Ich bin mir nach einigem Nachdenken nicht mehr so sicher, dass die griechisch klingenden Namen der Kirchentonarten wirklich auf alte griechische Stämme und antike Musikpraxis verweisen. (Es sind keine Namen von Poleis (Stadtstaaten) sondern die Namen von Stämmen. (oder vielmehr von Oströmischen Provinzial-Regionen)

    Die Lyder und auch die Phrygier waren keine Griechen. Es sind indogermanische Völker aus Kleinasien, die nicht griechisch sprachen und nicht einmal gleichzeitig existierten. Bei Herodot gehen die Lyder gerade unter (Krösus, ihr König, greift Persien an und scheitert. Ein alter Ionier, der Athener Solon, begegnet ihm.). Die Phrygier sind zu Pythagoras Zeit schon Geschichte. Sie gehen im 7. Jh. v.Chr. unter. Wir haben keine Ahnung von ihrer Musik.

    Darum vermute ich, die Bezeichnungen stammen aus der Kirchentradition der Gregorianik. Man hat im frühen Mittelalter in der Westkirche kaum griechisch gesprochen oder gelesen, die frühe Scholastik war Latein. (graeca non leguntur) Durch den Kontakt der Kreuzfahrer mit den Arabern gelangten Aristoteles Schriften in den Westen über seine dortigen späten Schüler Avicenna und Averhoes, jedoch in Abschriften und Übersetzungen.

    In der Ostkirche und in Byzanz war das jedoch anders. Hier existierte das römische Reich bis es 1453 Mehmet II und den Osmanen unterlag. Die fliehenden byzantinischen Intellektuellen brachten das griechische Erbe zurück nach Europa. In Byzanz war die strenge Gregorianik als höfisch-sakrale Musik tief verwurzelt. Der Kaiser stand über den Pastriarchen und schlichtete in verschiedenen Konzilen ihre Streitereien. Er bestimmte, was Häresie ist, stand also über einem Klerus der wiederum ihn, den Kaiser, weihte und seine Macht als den Willen Gottes legitimierte. Die Tradition, dass ein römischer Kaiser deifiziert, vergöttlicht, wurde ist vorchristlich, die Praxis im späten Kaiserreich üblich.

    Die höfische Kunst also auch die Musik inszenierte diese Rituale der Macht und sie war ebenso mathematisch streng, dogmatisch und formal wie die Ikonographie der Malerei. In späten Ikonen werden Heilige z.B. immer in Gestalt der Zahl 8 gemalt.

    Die Ars Nova und die mittelalterliche Buchmalerei des Westens ist wesentlich experimentierfreudiger, lebendiger und unbekümmerter, weshalb in dem sehr guten Video über den Tritonus auch Perotin erklingt. Ich könnte mir vorstellen, in Byzanz hätte man das so vielleicht nicht aufgeführt. Die griechischen Namen sind also wahrscheinlich nur ein von griechisch sprechenden byzantinischen Kanonikern erstellter Katalog aller möglichen Varianten des Diatonischen Tonmaterials und sie sind wahrscheinlich eher gleichzeitig kompiliert worden. Wobei das Grundtonempfinden aus physikalisch-akustischen Gründen bei manchen Varianten stärker ist als bei anderen. Die haben sich nicht erst durchsetzen müssen, sie waren vielleicht immer schon ein beliebtes musikalisches Mittel.
     
    Zuletzt bearbeitet: 10.April.2022
  2. catflosse

    catflosse Kann einfach nicht wegbleiben

    bthebob gefällt das.
  3. ppue

    ppue Mod Experte

    Ich meinte dich, sorry. All die Namen, tz, tz.

    (-:
     
    bthebob und Rick gefällt das.
  4. Rick

    Rick Experte

    Der andere nennt sich übrigens @bebob99, keiner "Bebop". :klug:
     
  5. Silver

    Silver Strebt nach Höherem

    Dann habe ich wohl die Frage nicht richtig verstanden.
    Macht aber im Kontext dieser Diskussion nichts, wollte nur behilflich sein.
     
  6. bthebob

    bthebob Strebt nach Höherem

    @ppue
    Moin, Moin,
    ich les' mir deinen Beitrag heute Abend noch mal in Ruhe
    durch. Melde mich.

    VG
     
  7. ppue

    ppue Mod Experte

    Ich war stehen geblieben bei der Konstruktion einer Tonleiter, deren Grundton ein C sein sollte. Das kann natürlich auch jeder andere Ton sein, hier also nur der Einfachheit so als Beispiel angenommen.

    In der Pentatonik mit Grundton C habe ich noch die beiden verbleibenden Löcher gestopft, indem ich die zwei quintverwandten Töne H und Fis auf unsere Quintkette C G D A E draufstapelte,

    [​IMG]

    Die Leiter beginnt mit drei Ganztonschritten und wer mal mit der Tonleiter gespielt hat, merkt schnell, dass sie sehr eigen klingt. Das Fis klingt sperrig und ein Blick auf den Quintenzirkel zeigt auch, warum:

    upload_2022-4-11_11-8-14.png

    C und Fis liegen jeweils am Ende unserer Quintenkette und sind sich von daher sehr fremd. C-Fis ergibt einen Tritonus (die Hälfte der Oktave), wird auch das Teufelsintervall genannt und ist äußerst disharmonisch. In einer Leiter mit dem Grundton C, der ja als Basis unserer Skala gehört wird, hört sich dieser Ton einfach fremd an.

    Mit dem Quintenstapel haben wir auch noch ein zusätzliches Problem: außer C und Fis haben alle Töne der Leiter zwei Quintverwandtschaften und fühlen sich so wohl geborgen in der Leiter an. C und Fis haben nur einen Verwandten. Das kann man beim Fis noch verkraften, aber der Grundton steht damit auf etwas verlorenem Posten.

    Es klang in den Reaktionen gestern schon an: Um das Loch zwischen E und G in der Pentatonik zu stopfen, (es klang gestern schon in den Postings an) könnten wir auch das F bemühen.

    Das ergäbe die C-Dur-Leiter, wie wir sie kennen.

    upload_2022-4-11_11-12-22.png

    Man sieht hier schön, dass die zwei Enden unserer Quintkette, jetzt F und H, an der Entstehung der Halbtonschritte in der Leiter verantwortlich sind.
    Schaut man sich nun das C im Quintenzirkel an, so hat es die zwei Quintverwandtschaften. Eine nach "unten" und eine nach "oben".

    upload_2022-4-11_11-20-32.png

    Sicher hat man schon mal die Begriffe Tonika, Oberdominante und Unterdominante gehört und sich gefragt, wie sich diese Begriffe ableiten. Hier kann man das schon erahnen. (Man sagt auch kurz Dominante für die Oberdominante).

    Dazu später mehr.

    Wichtig nur, dass sich unser Grundton nun besser eingebunden fühlt. Der Grundton C hat nun mit einem Mal sehr viel mehr Obertöne gemeinsam mit seinen Quintnachbarn. Das festigt das gesamte System. Es erklärt allerdings immer noch nicht, warum sich die Durleiter in unserer Musik durchgesetzt hat.

    Davon demnächst mehr in diesem Kino. Eine kleine Vorschau:

    intervalle.gif
     
    Zuletzt bearbeitet: 11.April.2022
    Rick, catflosse und Silver gefällt das.
  8. ppue

    ppue Mod Experte

    @Rick

    Die Symmetrie der Durleiter ist nur eine scheinbare, weil der untere Tetrachord vom oberen einen Ganztonschritt entfernt ist (von F nach G), während der obere Tetrachord den obersten Ton gemeinsam mit dem ersten Ton des unteren hat.

    C D E-F_G A H-C
    C D E F_G A H C D E-F_G A H-C
     
  9. ppue

    ppue Mod Experte

    Nein, hier geht es noch nicht weiter mit der Dur-Theorie.

    Ich habe das nicht nachgeprüft. Einige der Völker (wenn nicht alle) gab es aber zu den Hochzeiten der griechischen Musik.

    Egal, wer die Leitern benannt, stimmt der Übertrag der griechischen Leitern auf die mittelalterlichen Tonarten. Hier passierte ein tragischer Fehler, denn die Struktur der Tetrachorde wurde im alten Griechenland von oben nach unten gezählt.

    Die beiden Tetrachorde 1-1-1/2 1-1-1/2 ergaben das griechische Dorisch:

    upload_2022-4-11_15-2-40.png

    Von unten nach oben gespielt hieß das gleiche Material im Mittelalter dann Prygisch:

    upload_2022-4-11_15-3-55.png

    Somit sind die Kirchentonarten ein erstes Mal namentlich missbraucht worden.

    Ein zweites Mal haben die Professoren von Berklee Ende des letzten Jahrhunderts die Kirchentonarten vergewaltigt und sie in ihrem pädagogischen Konzept Skalen zugeordnet, mit denen man über die Changes improvisieren soll. Ein unglückliches Konzept, weil die Namen ersten völlig assoziationsfrei eine Leiter bezeichnen (wer hier kann die Leitern aufsagen?) und zweitens nicht ihren Bezug zum tonalen Zentrum preisgeben.

    So wäre statt Dorisch eine Bezeichnung wie Dur ab der Zwei oder knapp Dur2 eine Lösung gewesen, einmal die Stufe, zum zweiten das Tonmaterial und drittens das tonale Zentrum zu definieren.

    Kurz und knapp: Spiele C-Dur5, anstatt zu rechnen: Mixolydisch spielt man auf der fünften Stufe von Dur. Habe ich G-mixolydisch, muss ich also eine Quinte tiefer rechnen, gleich C, und bekomme so das Tonmaterial von C-Dur.
     
    catflosse gefällt das.
  10. The Z

    The Z Ist fast schon zuhause hier

    Hallo,

    Da geh ich nicht ganz d'accord.

    Auch wenn die Namen falsch aus Griechenland übernommen wurden, sind sie auch bei uns jetzt schon Jahrhunderte unter diesen Namen gebräuchlich, und die Kirchentonarten wurden ua in der Kirchmusik verwendet.

    Und sie, auch ihre Namen, haben ihre Berechtigung.

    Dorisch, modal gedacht ist halt wirklich was anderes als Dur von der zweiten Stufe. Eine Molltonleiter mit der großen Sext. In D Dorisch ist D das Zentrum, der Finalis. Im modalen Jazz kann ein dorische Skala überall auftauchen und muss gar keinen Hinweis auf ein tonales Zentrum geben.

    Mixolydisch ist für mich eine Durskala mit kleiner Sept. Ich denk mir alle Modi auch intervallisch vom Grundton.

    Und ja ich kann dir alle Namen aufsagen.

    Ob es wirklich sinnvoll ist, die Chord-Scale Theory oder das Lydian chromatic concept auf Standards anzuwenden und als alleinige Lösung zu sehen, ist wieder eine andere Frage.

    Grüße
    Z
     
  11. gaga

    gaga Gehört zum Inventar

    Eben. Egal. Sie heißen halt so - und welchen Sinn hätte das, sie jetzt umbenennen zu wollen - die Benennung ist doch eindeutig. Jede dieser Leitern hat in einem bestimmtem Umfeld und für besondere Konzepte ihre Berechtigung. Das alles immer wieder zu belamentieren halte ich für nervig.

    Welchen griechischen oder nichtgriechischen Stämmen sie eventuell zugeschrieben werden können und was mittelalterliche Mönche damit angestellt haben, ist doch nur von musikwissenschaftlicher Bedeutung. Statt sowas zu erforschen, mir anzulesen, in Einzelheiten oder komplett anzuzweifeln oder anderswie rumzuschimpfen, liegt mir eher nicht. Ich spiele lieber Saxophon, auch als beinharter Atheist in allen Kirchentonarten, die mir unter die Pfoten kommen.
     
    Rick, catflosse und The Z gefällt das.
  12. ppue

    ppue Mod Experte

    Das habe ich ausführlich erklärt: Ein Kürzel für das tonale Zentrum + Grundton + Stufeninfo fasst drei Informationen zusammen. Die griechischen Namen haben keine einzige davon.

    Es geht ja noch kürzer, wenn man Stücke so "skaliert":

    C-Dur(1)-----6--------2--------5--------3--------6--------2--------5

    Schreibt man Leitern nach Berklee auf, sieht die gleiche Phrase so aus:

    C-Dur A-Aeolisch D-Dorisch G-Mixolydisch E-Phrygisch A-Aeolisch D-Dorisch G-Mixolydisch
     
  13. Gelöschtes Mitglied 5328

    Gelöschtes Mitglied 5328 Guest

    Wir arbeiten aber doch mit dieser Nomenklatur, nur mit römischen Ziffern, oder?

    CzG

    Dreas
     
  14. ppue

    ppue Mod Experte

    Warum?
     
  15. gaga

    gaga Gehört zum Inventar

    Ich kann die Leitern auch aufsagen. Während man sie spielen und benutzen lernt, lernt man nebenbei auch diese etwas illustren Namen. Verwirrung herrscht nur unter Anfängern, wenn diese Namen ihnen zuerst begegnen. Es gibt ja noch lydian#2 und andere Verrücktheiten. Wenns einem begegnet und man es mag, lernt man die Leiter und nebenbei eben den Namen.

    Eine Leiter, deren Name deiner ordnungsliebenden Buchstabenzahlenkurzsystematik entspricht, habe ich aber auch noch. Es ist die HM5, in den 40er Jahren von dem ollen Griechen Charlie Parker nicht erfunden, aber exzessiv benutzt.
     
  16. ppue

    ppue Mod Experte

    Nein, das Problem reicht weit in die Kreise der Fortgeschrittenen hinein, behindert das Verständnis auf lange Zeit bei vielen Lernenden.
     
    Nilu, catflosse und Rick gefällt das.
  17. The Z

    The Z Ist fast schon zuhause hier

    So ein Schmarrn. Sprich bitte für dich selbst.
    Wenn du es vertikal analysiert ja, horizontal gesehen reicht ein "da spiel ich c-dur". Gleichzeitig gäbe es noch andere Möglichkeiten über einige dieser Akkorde.

    Und nochmal: Ich bin kein Skalenjünger.
     
    Rick gefällt das.
  18. Gelöschtes Mitglied 5328

    Gelöschtes Mitglied 5328 Guest

    Kein Schmarrn. Ich folge da @ppue .

    CzG

    Dreas
     
    The Z gefällt das.
  19. gaga

    gaga Gehört zum Inventar

    Doch ein Schmarrn. Ich folge da @The Z . Und jetzt? :smil3dbd4e29bbcc7:
     
    The Z gefällt das.
  20. Roland

    Roland Strebt nach Höherem

  1. Diese Seite verwendet Cookies, um Inhalte zu personalisieren, diese deiner Erfahrung anzupassen und dich nach der Registrierung angemeldet zu halten.
    Wenn du dich weiterhin auf dieser Seite aufhältst, akzeptierst du unseren Einsatz von Cookies.
    Information ausblenden