Tipps zur Improvisation

Dieses Thema im Forum "Improvisation - Harmonielehre" wurde erstellt von ppue, 7.September.2022.

  1. bthebob

    bthebob Strebt nach Höherem

    Ich hab' gezählt.
    Rund 16 Gedanken und vier mal das Wort -space-

    Was ich bei euch nicht einordnen kann, @47tmb und @ppue

    Steht ihr dem Wort -space- und der Idee dahinter,

    .... eher skeptisch und mit leichter Ironie gegenüber ?

    Oder nehmt ihr den Vorschlag von C.C. -wohlwollend- an ?

    In meinem Verständnis meint er:
    "Selbst einen Klangraum schaffen und damit dann "arbeiten / umgehen".

    Find ich soweit ok !

    VG
     
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  2. ppue

    ppue Mod Experte

    Nein, es ist eher der leere Raum, in dem kreative Ideen die Möglichkeit haben, ihren Platz zu finden.

    Es ist wie das Weiß des Aquarellpapiers, auf dem ein erster Strich seinen Platz findet. Der wird nicht irgendwo entstehen, sondern in der Kommunikation mit dem leeren Papier stehen.

    Du kannst ein Solo mit Achtelketten beginnen und alles bedienen, Dynamik, Groove und spannende Bögen über die Harmonien. Was du damit nicht schaffst, ist, einen Raum zu kreieren, der leer sein darf oder in dem die Möglichkeit erwächst, gezielt etwas hineinzustellen.

    Versuche, ein Solo mit einem bewussten kurzen Ton zu beginnen. Höre, wie viel Platz der haben kann, bis ein/zwei weitere Töne auf den ersten folgen. Die folgenden Töne kommunizieren mit dem ersten:
    upload_2022-9-10_10-19-1.png
    Was wir auf unseren Soloinstrumenten spielen, hat immer noch viel mit Gesang und Sprache zu tun. Wir verstehen Sätze intuitiv, wir erkennen Bögen, Wiederholungen und mögen es nicht, wenn wir zugetextet werden.

    In dem kleinen Beispiel oben nimmt sich die erste Note viel Raum. Dieser Raum erst macht die Note wichtig. In einer Kette mit anderen Tönen wäre der Ton recht unbedeutend, zumal er der Grundton der vorherrschenden Tonart ist. Das Besondere an ihm ist seine Stellung im Raum. Der Ton eröffnet ihn in diesem Falle regelrecht. Er macht die Tür auf und zeigt euch den leeren Raum dahinter.

    Die nächsten beiden Töne beziehen sich auf den Ersten, wiederholen ihn, was wie eine Bestätigung wirkt, und bauen das Motiv aus, erweitern es. Man spürt nun, dass da noch etwas kommen muss.

    Das lässt aber auf sich warten und auch das ist wieder die Platzierung im leeren Raum. Die Schlusssequenz nimmt Fahrt auf, kommt melodisch zum Höhepunkt und endet in schönstem Bogen wieder auf dem Anfangston.

    Was man alles schreiben kann, über die zehn Tönchen, enorm, was?

    So viel, wie man in diesen kleinen Notentext hineindeuten kann, kann man beim Solieren gar nicht denken. Nein, das läuft intuitiv ab und das geht, weil wir Sprache intuitiv benutzen können. Höre dir mal gute Redner an, wie die Pausen setzen, oder besser gesagt, wie sie mit Wörtern Räume erschaffen.
     
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  3. Saxoryx

    Saxoryx Strebt nach Höherem

    Oder mit einer Pause. Warum immer gleich mit dem ersten Ton? Und dann vielleicht noch schnelle Läufe ohne Unterbrechung? Das nervt. Aber mit einer Pause beginnen, dann ein paar Töne, wieder Pause, lange Gedankenpausen, das hört sich wirklich gut an. So etwas könnte man stundenlang anhören. Ich spiele automatisch mit vielen Pausen, wenn ich improvisiere, weil das für mich zur Melodie hinzugehört.

    Mir ist letztens aufgefallen, dass das selbst früher schon eine Technik war, die in von heute aus betrachtet uralten Zeiten verwendet wurde. Bach hat das z.B. bei fast allen seinen Präludien im "Wohltemperierten Clavier" gemacht. Es beginnt mit einer Pause. Und Bach war ja ein großer Improvisierer, wurde dafür bewundert. Jörg Demus erklärt das in seinen Videos wunderbar.

    Da kann ich nur ganz laut applaudieren. :applaus: Gesang ist die Grundlage für alles. Denn jeder kann singen. Ohne jedes Instrument außer der eigenen Stimme. Das ist die direkteste Art, Musik zu empfinden und Musik zu machen. Meine Klavierlehrerin, die auch ausgebildete Sängerin ist, singt mir viele Dinge oft mit Phrasierungen und Bögen vor, sodass ich sie dann so nachspielen kann. Das sind keine Impros, sondern Stücke, aber es ist genau das, worum es geht. Dadurch bekommt man ein Gefühl für die Musik, das im eigenen Körper wohnt, nicht auf Notenblättern oder in Akkordbezeichnungen. Die ja nur eine Art Übersetzung der Musik sind, von einer Sprache in die andere. Aber das gesangliche Empfinden und Spielen von Musik ist der direktere Weg.

    Ich hatte immer Probleme damit, Akkorde in Impros umzusetzen. Seit ich das spielen kann, was ich auch singen kann, gibt es kein Problem mehr. Lange Zeit konnte ich das nicht, weil mir die Technik fehlte. Denn einfach eine Melodie im Kopf zu hören und die dann auf dem Sax umzusetzen, das konnte ich am Anfang nicht. Ich wusste nicht, welcher Ton das ist, den ich da singe. Denn beim Singen macht man sich keine Gedanken darüber, wenn man improvisiert. Beim Sax muss ich es wissen. Das war am Anfang ein großes Hindernis. Deshalb kann ich nur jedem, der improvisieren will, empfehlen, vom ersten Tag an nach Gehör zu spielen. Eine Melodie singen, dann auf dem Sax nachspielen. Ohne Noten. So wäre ich wesentlich schneller zum Improvisieren gekommen, als ich es bin.
     
  4. jimi

    jimi Ist fast schon zuhause hier

    @Saxoryx
    Da kann ich nur ganz laut applaudieren. :applaus: Gesang ist die Grundlage für alles. Denn jeder kann singen. Ohne jedes Instrument außer der eigenen Stimme. Das ist die direkteste Art, Musik zu empfinden und Musik zu machen. Meine Klavierlehrerin, die auch ausgebildete Sängerin ist, singt mir viele Dinge oft mit Phrasierungen und Bögen vor, sodass ich sie dann so nachspielen kann. Das sind keine Impros, sondern Stücke, aber es ist genau das, worum es geht. Dadurch bekommt man ein Gefühl für die Musik, das im eigenen Körper wohnt, nicht auf Notenblättern oder in Akkordbezeichnungen. Die ja nur eine Art Übersetzung der Musik sind, von einer Sprache in die andere. Aber das gesangliche Empfinden und Spielen von Musik ist der direktere Weg.

    :)
     
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  5. ppue

    ppue Mod Experte

    War doch nur ein Beispiel. Es ging nicht darum, wo der erste Ton erklingt. Es ging um den Raum, in dem er steht.
     
  6. bthebob

    bthebob Strebt nach Höherem

    @Saxory
    Vielen Dank für den Link zu Jörg Demus !

    Er war mir bisher unbekannt.
    Genau wie das "Wohltemperierte Clavier";)

    Was natürlich soo nicht stimmt, aber ....

    Ich habe mir die Einführung von J. Demus mit "offenem Munde" angehört.
    Komplett, die ganzen 25 Minuten.
    Obwohl ich eigentlich keine Zeit (und Muße) dafür hatte.

    Doch der Mann ist (war ?) so fesselnd.
    Inhaltlich, als auch in seiner Art des Erzählens ..... großartig !!

    BTW .... Da schliesst sich der Kreis zu @ppue und seinem Hinweis,
    sich gute Redner als Vorbild für Impro anzuhören..

    VG
     
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  7. ilikestitt

    ilikestitt Strebt nach Höherem

    Falsch gesetzte Pausen oder zu viele Pausen können genauso schlecht klingen, wie endlose Tonketten. Bei beidem ist es immer eine Frage wie sie eingesetzt werden. Mit beidem kann man ein Solo so richtig mies klingen lassen oder auch gut.

    Und Bach hat in einigen seiner Stücken auch schnelle Läufe ohne Unterbrechnungen und lange Tonketten. Ich würde ihn nicht als Meister der Pause bezeichnen wollen.



    Weder ist Gesang die Grundlage für alles, noch kann Jeder singen. Ich kenne genug Leute, die es nicht schaffen eine Note nachzusingen und sehr lange brauchen, bis sie den Ton finden oder wenn sie selber singen Probleme haben Melodien zu singen bzw. mitzubekommen, ob sie den gleichen Ton nochmal singen oder einen anderen. Singen hat viel mit der Fertigkeit zu hören zu tun und die ist nicht bei allen gleich ausgelegt am Anfang. Ich kenne auch Profis, die toll spielen aber beschissen Singen.

    Gefühle sind immer nur in uns drin und nie in Noten oder in Worten, was diese dann in uns auslösen ist bei Jedem ganz anders.
     
  8. bthebob

    bthebob Strebt nach Höherem

    @ilikestitt
    Diese Aussage steht aber krass im Gegensatz
    zu Kapitel 13 im Lehrbuch:

    "Wie komponiere ich Ohrwurm" :D

    VG
     
  9. ilikestitt

    ilikestitt Strebt nach Höherem

    Nö,
    Atemlos von Helene Fischer hat schon immer bei mir eher einen Würgereiz ausgelöst, während andere den Song frenetisch feiern. Kein Orhwurm funktioniert für alle gleich.
     
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  10. GelöschtesMitglied11524

    GelöschtesMitglied11524 Guest

    Der Tip mit den Pausen ist zweifellos ein guter.
    Wie natürlich auch die anderen Tips am Zettel im ersten Posting sehr hilfreich sind.

    Was nicht am Zettel steht, und was hier oft auch gerne übersehen wird ist der Aufwand, überhaupt die Wahl zu haben, was oder wie viel zu spielen, oder eine Pause zu machen.
    Das setzt ein immenses Ausmaß an Übung voraus, ohne das sämtliche Jazzgrößen nicht das gespielt hätten, was wir von ihnen kennen und wofür wir sie bewundern.
    Ich mag diese Glorifizierung und Mystifizierung ehrlich gesagt überhaupt nicht.
    Wer hat den Spruch von 99% Transpiration und 1% Inspiration geprägt, Thomas Alva Edison?
     
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  11. bthebob

    bthebob Strebt nach Höherem

    @ilikestitt
    OK .... einverstanden.

    Aber wenn wir nicht über verschiedene Geschmäcker reden,
    sondern über "bewährte und erforderliche Zutaten"
    sieht's schon anders aus.

    Da gibt's echt Bücher drüber,
    z.B.dieses ....

    Martin Schleske: Geigenbauer
    -Der Klang-

    Kösel, 2010
    10. Auflage in 2015

    VG
     
  12. ilikestitt

    ilikestitt Strebt nach Höherem

    Auch wenn es da Bücher gibt, heisst das gar nichts. Ob ein Song oder Klang erfolgreich wird oder nicht hat oft mit so vielen Dingen zu tun, unter anderem auch mit Zeitgeist. Wenn diese Formeln universell einsetzbar wären, würde alles gleich klingen und erfolgreich sein. Unterschiedliche Menschen mögen unterschiedliche Dinge und dafür sollten wir extrem froh sein.
    Dein Buchtip enthält mir übrigends zu viele Bibelzitate und etwas viel Religiosität für so ein Thema.
     
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  13. jimi

    jimi Ist fast schon zuhause hier

    @Saxoryx
    Da kann ich nur ganz laut applaudieren.


    Gesang ist die Grundlage für alles. Denn jeder kann singen.
    @ilikestitt
    Weder ist Gesang die Grundlage für alles, noch kann Jeder singen. Ich kenne genug Leute, die es nicht schaffen eine Note nachzusingen und sehr lange brauchen, bis sie den Ton finden oder wenn sie selber singen Probleme haben Melodien zu singen bzw. mitzubekommen, ob sie den gleichen Ton nochmal singen oder einen anderen. Singen hat viel mit der Fertigkeit zu hören zu tun und die ist nicht bei allen gleich ausgelegt am Anfang. Ich kenne auch Profis, die toll spielen aber beschissen Singen.


    I got the impression that what @Saxoryx was referring to was also singing through the instrument. Perhaps i misunderstood.

    There is a saying in english about the ability to carry a tune. Sometimes you will hear a comment relating to an instrumentalist. Great technique, but he couldn’t carry a tune in a bucket.

    Reference… The ability to sing through your instrument.

    I think it was Branford who said in ref. to jazz education…Today there are more very gifted technial players but the music is not as good.:)
     
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  14. gaga

    gaga Gehört zum Inventar

    Das würde ich auch gern betonen wollen. Die Tipps dieser Liste von Chick Corea berücksichtigen zu wollen gelingt nur in dem Maße, in dem es gleichzeitig heißt: HÖREN - so viel wie möglich und SPIELEN (also in erster Linie Üben) auch so viel wie möglich.

    Ohne immense Hörerfahrung lerne ich nur unbeholfenes Töne absondern und ohne ausdauerndes und umfassendes Üben habe ich nichts, um den Raum zwischen den Pausen sinnvoll zu füllen.
     
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  15. 47tmb

    47tmb Gehört zum Inventar

     
  16. bthebob

    bthebob Strebt nach Höherem

    @ilikestitt
    Du weisst aber schon, welche Worte Bach unter seinen Kompositionen setzte ?!

    Falls nicht, den Link Jörg Demus anhören.
    Beitrag hier im Tread #23

    VG
     
  17. ilikestitt

    ilikestitt Strebt nach Höherem

    Ja und? Schau dir mal an wann Bach gelebt hat und wann Martin Schleske geboren wurde (1965). Zu Zeiten von Bach hatte die Kirche eine andere Bedeutung als heute.
     
  18. ppue

    ppue Mod Experte

    Mir scheint es, dass die Wahl, eine Pause zu machen, die einfachste aller improvisatorischen Möglichkeiten sein müsste.
    Mir scheint es aber auch gang und gäbe zu sein, so viel wie irgend möglich, am Stück zu spielen. Das haben nicht nur die Saxophonisten dieses Jahrhunderts über die Maßen betrieben. Es langweilt mich in weiten Teilen.

    Die Pause erwähnt Corea, wenn ich mich richtig erinnere, nur einmal. Sicherlich wichtig, ist die Pause das Gegenteil des Raums, den er meint.

    Die Pause strukturiert die Notenkette, bestätigt sie.
    Die Note strukturiert den Pausenraum, bestätigt ihn.

    Ich gebe zu, dass der Raum nicht alles ist und dass zu viel Raum langweilen kann. Ich höre aber in den meisten Improvisationen immer nur das Bestreben, den Raum möglichst dicht und mit möglichst vielen Noten zuzupacken. Deshalb ist mir ein Entgegendenken gegen diese Flut von Tönen so wichtig.

    Ein ausgewogenes Verhältnis des Sprechens und Zuhörens wäre mir das Liebste. Zuhören im Solo kann man nur, wenn man Raum gibt, sich selber zuzuhören.
     
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  19. giuseppe

    giuseppe Strebt nach Höherem

    Ich hätte gesagt ein Teil des Raums, wie auch immer. Aber ich sehe den Punkt genau wie du, dass Raum hier nicht Pause bedeutet!

    Meines Erachtens geht es um die Gestaltung von etwas Musikalischem, das Chick Corea eben plastisch bzw. dreidimensional empfindet. Pausen sind ein Teil davon. Es geht aber für mein Verständnis mehr um Intention und Struktur und weniger um die Frage, ob die Textur eines musikalischen Konstrukts viele oder wenige Töne hat.

    Vor dem Hintergrund seiner eigenen Musik greift es meines Erachtens zu kurz, die Regeln als Rechtfertigung für viele Pausen und wenige Töne zu deuten. Durchaus aber als Hinweis dass man nicht schnell und viel spielen sollte, wenn man es nicht kann.
     
    Rick, bthebob und ppue gefällt das.
  20. Otfried

    Otfried Gehört zum Inventar

    Ist sie meiner bescheidenen Meinung nach nicht, jedenfalls nicht, wenn man, wie bei Jazz Standards die Form halten will. Da ist die Pause das schwierigere. Am einfachsten sind durchgehende Viertel oder Achtelketten, was wohl der Hauptgrund dafür ist, dass viele Solos eben keinen oder zu wenig Raum lassen.

    Zu deiner Assoziation irgendwo vorher im Thread des weißen Papieres am Anfang des Solos.
    Wenn ich alleine auf eine Bühne trete und ein unbegleitetes freies Solo spiele stimmt das. Spiele ich bspw. einen Jazz Standard mit einer Combo, so ist das Blatt Papier nicht mehr weiß, sondern es hat schon eine ziemlich feste Struktur und Aufteilung durch Thema, Form und Rhythmus des Stückes. Das Solo ist dann eher die Ausgestaltung einer Skizze, bisweilen fast mehr das Ausmalen mit Farben, was an Zeichnung schon da ist. Ja, und ggf. hat auch ein vorheriger Solist schon einiges an Farben aufs Papier gebracht.

    Gruß,
    Otfried
     
    ilikestitt, Sax a`la carte, Rick und 3 anderen gefällt das.
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