Theorie & Praxis

Dieses Thema im Forum "Improvisation - Harmonielehre" wurde erstellt von MathieuR, 3.März.2023.

  1. Werner

    Werner Strebt nach Höherem

    Na die Frage ist, entsteht das Ganze (einer sinnvollen Improvisation) aus den zusammengesetzen Teilen, oder bildet das Ganze die Teile aus sich heraus?
    Also entstehen Sätze aus halbwegs gelungenen Verbindungen von Wörten, die dann hoffentlich irgendwie Sinn ergeben, oder hat man was im Sinne, wofür man dann die Worte sucht beim Sprechen. Also weniger feste Blocks von Wörtern, Halbsätzen, Sätzen, sondern übergreifende Linien.

    Will sagen, es gibt durchaus unterschiedliche Herangehensweisen zur Improvisation. Ich meine, es war Wayne Shorter, der sinngemäß gesagt hat, wenn man Patterns übt, läuft man Gefahr, sie auch zu spielen.
     
  2. saxfax

    saxfax Strebt nach Höherem

    Auf einem Workshop erzählte er, wie er mit ca. 15 zum ersten Mal Maceo Parker gehört hat und dann wusste „so will ich spielen können". Diese Leidenschaft merkt man ihm heute noch an - vermutlich ist das das ganze Geheimnis (neben der harten und vor allem effektiven Arbeit ;)).
     
  3. gaga

    gaga Gehört zum Inventar

    Bestehen die Linien nicht schon aus Patterns? Tonleitern wird auch Wayne Shorter geübt haben. Und jede davon birgt einige bis etliche Patterns. Wenn ich G-F-E-D spiele, ist das ein Stück Tonleiter und gleichzeitig ein Pattern, das über G7 im Durumfeld passt.

    Klar, auch 4taktige komplexe Linien über II-V-I kann man als Patterns lernen, richtig gut ist man aber erst, wenn man sie taktweise oder motivweise einbauen kann und nicht als Ganzes "abdrückt".
     
  4. giuseppe

    giuseppe Strebt nach Höherem

    Das ist so wichtig, da liegt aber auch ein großes Missverständnis bei der Begabungsfrage. Es wird immer so getan, als hätte irgendwer behauptet es sei "entweder - oder", Talent ODER Üben. Bei der Materialfrage wird übrigens das gleiche Missverständnis ins Feld geführt. Aber das ist doch nicht so. Ohne Übung lässt sich nicht sehr viel erreichen, weder mit Talent noch ohne. Es gibt aber Menschen, die mit wenig Übung große Schritte machen, denen Grundabläufe relativ intuitiv gelingen, während andere sehr viele Wiederholungen brauchen, um ans gleiche Ziel zu gelangen oder dort gar nicht hinkommen können. Und es gibt Menschen, denen es primär nicht "leicht von der Hand" geht, denen aber das Üben selber "leicht von der Hand geht", die dort ihr Talent haben. Und dann auch noch die, die fast ohne Arbeit ein passables Level schnell erreichen, aber sich schwer tun mit dem Üben und dann Gefahr laufen zu verharren. Wenn man die Menschen auf ihre Stärken und Schwächen aufmerksam macht, hilft man ihnen vielleicht auch, die richtigen Entscheidungen zu treffen, woran sie arbeiten.

    Thorsten Skringer ist für mich ein sehr "positiver" Improvisator, was er spielt ist Power Play, freundlich, sehr aktiv, sehr kommunikativ. Was er spielt ist sein eigenes, auch wenn es Licks enthält. Ich halte seine Spielweise für einen Ausdruck eines Charakterzugs und sehe da großes Talent. Es gibt Leute, die haben die gleiche Schule durchlaufen, haben vergleichbare Technik drauf und spielen ganz anders. Das Resultat geht für mich über das hinaus, was das Üben ermöglicht. Und ich bin mir sicher, dass Skringer auch als Sax-Schüler mit nur der halben Technik interessant solieren konnte. Zumindest klingt er jetzt so.
     
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  5. GelöschtesMitglied11524

    GelöschtesMitglied11524 Guest

    Antwort auf Frage Nummer 1, und für mich ein Unterschied zwischen Session Player und Improviser (mit höchstem Respekt für Leute wie Torsten Skringer gesagt):



    Beispiel:

     
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  6. Werner

    Werner Strebt nach Höherem

    Würde ich nicht unbedingt sagen. Also, als Beispiel, Guide Lines können eine Orientierung für übergreifende Linien geben, die dann durch kürzere Töne / Notenwerte aufgefüllt werden können. Dann ist eine große Bewegung da, die noch verziert wird. Patterns sind in dem Fall da erstmal nicht.

    Mir fällt grade das Sopransolo in "Englishman in New York" ein, also ich höre da auch keine Patterns, sondern eine ziemlich konsequente, fast strenge Durch- und Weiterführung einer Entwicklungslinie. Man stelle sich vor, da käme jetzt ein übliches beboplick rein.

    Ich bin übrigens gar nicht gegen Patterns, ich übe auch welche, in allen keys, ich versuche aber nicht, sie in soli einzubauen. Patterns in allen keys klärt das Material, das man dann zunehmend frei verwenden kann, ohne konkrete Patterns verwenden zu MÜSSEN.

    Ist natürlich alles Geschmackssache. Es gibt Musiker, die wollen eben einfach wie Charlie Parker klingen. Ich will nur darauf hinweisen, das es verschiedene Strategien gibt, und nicht alles Pattern basiert ist.
     
  7. Silver

    Silver Strebt nach Höherem

    Das mit den Licks/Patterns und den Linien als Analogon zur Sprache finde ich hilfreich, um das Prinzip zu verstehen.
    Man muss die Worte und bestimmte Redewendungen einer Sprache, die man sprechen will, kennen bzw. können. Also üben.

    Aber kennen wir nicht alle Menschen, die uns mit den immer gleichen, meist inhaltsarmen Stanzen auf den Zeiger gehen?

    Aktuelle Beispiele aus der Politik: „Fakt ist: …“ in jeden zweiten Statement (ist alles vor dieser Floskel nur Illusion?). Oder: „wir haben immer gesagt, …“ (hättet ihr mal lieber gemacht…)

    Das Gleiche gibt es bei musikalischer Improvisation.
    Als nicht allzu großer Skringer-Kenner und bekennender Nicht-Fan höre ich bei den wenigen Gelegenheiten immer wieder ähnliche Licks, die er sich mal draufgeschafft hat. Man kann das natürlich „Signature Sound“ nennen…

    Nicht falsch verstehen: ich wäre glücklich, hätte ich als kleiner Amateur einen größeren Beutel voll ausgereifter „Signature Licks“, auf die ich aufbauen kann.
     
    Zuletzt bearbeitet: 7.März.2023
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  8. bthebob

    bthebob Strebt nach Höherem

    Das Solo in post #185 bestätigt meinen alten Verdacht ....:)

    Ausdrucksstarke Lyrik und Sax-Solos können viel Gemeinsames haben.

    Es zählt weder der einzelne Buchstabe noch das Wort.
    Auch nicht der der komplette Satz.

    Was ist zählt, ist dieses schwer zu formulierende "Etwas"
    Manche nennen es Gefühle oder Stimmungen.

    Gustav Mahler nennt es: "Ein Sehnen über die Dinge dieser Welt hinaus"

    Konstantin Wecker meint: "Ein wirklich guter Song zeichnet sich aus
    durch seine spirituelle Kraft"

    Sax oder Bleistift, ... beides Handwerkzeuge einer Kette.

    In der Kette:
    Künstler als Träger des Emotionalen und gleichzeitig Produzent der Emotionen.

    Und immer hoffend, das am Ende das Ganze viel Resonanz
    beim Publikum hervorruft :D

    VG
     
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  9. Gelöschtes Mitglied 15173

    Gelöschtes Mitglied 15173 Guest

    Das ist eine mögliche Auffassung, wie man an Improvisation herangeht.
    Das "Zusammenbauen" von Links und Patterns ist eine von vielen Musikern angewendete Vorgehensweise. Man muss das halt geschickt genug machen, dass das musikalisch und nicht nach "Büchsenravioli" klingt - und das braucht lange Übung.

    Ein anderer nicht ganz unbekannter Saxophonist - Reiner Hess - sagte: "Licks sind der Tod jeden Solos". Er verwendet keine Licks und verlässt sich auf seine Intuition und improvisiert mit dem, was er von seinem Mitspielern hört.

    Ich für meinen Teil finde beides schlüssig, die 2. Methodik aber irgendwie spannender :cool:. Ein gewisses Handwerkszeug an "Vokabular" ist aber mit Sicherheit nicht verkehrt.
     
  10. Roland

    Roland Strebt nach Höherem

    "Wer seine Licks hintereinander hängt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren."
    -- sehr, sehr frei nach Karl Lagerfeld

    Im Ernst:
    Ich habe es auch nicht so mit der Lickeritis und versuche sie zu vermeiden. Mal mehr, mal weniger gut ...

    Grüße
    Roland
     
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  11. gaga

    gaga Gehört zum Inventar

    Es geht m.E. gar nicht ohne. Ab einem bestimmten Tempo kannst du nicht mehr einzelne Töne auswählen und gekonnt aneinanderreihen. Wie soll das gehen? Um Geläufigkeit beim Spielen zu bekommen, übe ich Tonleitern, und zwar nicht rauf und runter, sondern gestuft und geschichtet in Terzen, Quarten. Alles das sind "Licks", die in jedem Solo vorkommen. Wenn man das vermeiden wollte, müsste man jegliches Üben von vornherein unterlassen.
     
  12. Rick

    Rick Experte

    Ja klar, aber das mag auch dem musikalischen Genre geschuldet sein, in dem er sich überwiegend bewegt. Während es in den 1960ern und 70ern noch in Blues, Funk, Soul experimentellere Ansätze gab, herrscht dort inzwischen die Bluestonleiter vor. Das liegt auch an der Erwartungshaltung des Publikums, das nach meiner Einschätzung sehr konservativ in puncto Tonmaterial geworden ist.
    Je populärer ein Stil, desto enger ist der Gestaltungsspielraum, weil sich eben bestimmte Formeln erhärtet haben. Weicht man deutlich davon ab, wird die Musik den Fans zu "fremd", erzeugt nicht mehr das kuschelige Gefühl des Erwartbaren.

    Also greift man auf die bewährten "Licks" zurück und alle sind glücklich - der Fan, weil er das geliefert bekommt, was er kennt und liebt, und der Musiker, weil er mit dem Zeug erfolgreich ist. ;)
     
  13. Silver

    Silver Strebt nach Höherem

  14. Silver

    Silver Strebt nach Höherem

    Ja, da ist was dran.

    Die Plüsch-Radiostationen für ältere Semester spielen heute das, was in der Jugendzeit unserer Generation neu und aufregend war.

    In Frankreich heißt der Marktführer „Nostalgie - Generation 80“ … und spielt jede Menge „Classic Rock“
     
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  15. Gelöschtes Mitglied 15173

    Gelöschtes Mitglied 15173 Guest

    Die Hübschen hängen ihre T.... in die Kamera, die Hässlichen müssen einen Licks mehr als 7500mal vor einem blinkenden Plastik-Weihnachtsbaum spielen - so bekommt man YT-Klicks :D
     
  16. Silver

    Silver Strebt nach Höherem

    nicht „einen“ - DEN Lick.
    Berühmt und berüchtigt.

    Ausserdem: T… wie „Tasteninstrumente“ oder hab ich da was falsch verstanden?
     
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  17. giuseppe

    giuseppe Strebt nach Höherem

    Lickeritis ist nicht unbedingt schön. Aber es gibt viele Abstufungen. Bird, Dizzy, Cannonball, Hank Mobley, Maceo sagten alle nicht nein zu einem guten Lick, dass man raushauen kann und sind deswegen nicht weniger originell und aussagekräftig gewesen in ihrem Spiel. Ihr kennt doch die Anfängerimprovisationsübungen mit einem Ton, zwei, drei Tönen, oder einem kurzen Lick, auf den man limitiert ist, das man aber verwursten soll. Durch geschickte Platzierung, Phrasierung, Artikulation, rhythmische Variation - es klingt beim einen Sch... und beim anderen wie ein reifes Solo. Am Lick liegts meist nicht, wenns so klingt, als würde jemand nur Licks spielen. :)
    Ich improvisiere persönlich immer stümperhaft und frei. Beim Üben nehme ich aber gerne Licks, weil es gutes Material ist um 12 Tonarten zu üben.
     
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  18. Rick

    Rick Experte

    Als improvisierender Musiker muss man daran denken, was man bei wem erreichen möchte.

    Auf die Sprache übertragen: Halte ich einen wissenschaftlichen Vortrag an der Universität vor einem fachkundigen Publikum - oder will ich auf dem Marktplatz vom Durchschnittsbürger verstanden werden?

    Meinen Impro-Einsteigern zeige ich anfangs gerne, wie man schon mit wenigen Tönen effektvolle Solos gestalten kann, indem man sie abwechslungsreich und rhythmisch interessant einsetzt.
    Ob sie sich dann mit komplexen Läufen und erweiterter Tonalität auseinandersetzen wollen, entscheiden sie selbst, aber für ein anhörbares Solo über ein gängiges Akkordschema ist das nicht notwendig. Doch wenn man nicht die rhythmische Sicherheit und die Routine hat, wie man eine Melodie geschickt einsetzt, wird man auch kein größeres Publikum überzeugen.
     
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  19. bthebob

    bthebob Strebt nach Höherem

    Und jetzt alle .... den Lick laut nachsingen, aber fehlerfrei ! :D

    Im Ernst, .... mich hat's nach wenigen Minuten in den Fingern gejuckt.
    Sitze leider am Schreibtisch ohne Sax.

    Ansonsten hätte ich's gern für mich ausprobiert ....

    Wie lange brauch ich, um's nachzuspielen ?

    VG
     
  20. gaga

    gaga Gehört zum Inventar

    Gerade Cannonballs erste Chorusse in vielen Bluesnummern bestehen aus vermeindlich furchtbar abgelutschten Blueslicks - und er klingt wunderbar...

    In vielen biographischen Berichten aus der Frühzeit des Jazz liest man immer wieder, dass der junge Sowieso abends um die Clubs und Tanzsäle schlich, um von draußen seinen persönlichen Helden spielen zu hören, um sich "Tricks" abzuschauen, die man dann zu Hause wieder und wieder übte, um sie sich zu eigen zu machen. Oder dass sie deren Platten abhörten, bis sie die "Tricks" selber drauf hatten. Heutige Licks sind nichts anderes als diese "Tricks".
     
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