Dislokation und Tempowechsel

Dieses Thema im Forum "Eigene (musikrelevante) Themen" wurde erstellt von Gelöschtes Mitglied 13399, 5.April.2023.

  1. Gelöschtes Mitglied 13399

    Gelöschtes Mitglied 13399 Guest

    Hi, alle

    Diese Frage bezieht sich aus Klavierspiel.
    Ich übe gerade verschiedene Bachinventionen und dabei gibt es verschiedene, bei denen mir Glenn Goulds Spiel gefällt (nicht bei allen).

    Offensichtlich spielt er nicht alles strikt nach Metronom und auch nicht immer beide Hände perfekt synchron. Dies klingt aber gut und ich versuche, es auch zu übernehmen.

    Ich höre diese beiden Stilmittel (vor allem Dislokation) bei modernen Aufnahmen (z.B. bei den Klassikaufnahmen, die George Collier bei Youtube reinstellt und transkribiert) aber nur sehr selten bis gar nicht.

    Was meint ihr dazu?
    Bei Stücken fürs Klavier allein ist es wohl sowieso jedem selbst überlassen, aber meine Mutter beispielsweise, die sich mit Klassik auskennt, mag vor allem Dislokation auch nicht hören, stört sich daran.
     
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  2. Gelöschtes Mitglied 13399

    Gelöschtes Mitglied 13399 Guest

    Mal ein Beispiel:

    Den ersten Triller würde ich spielen, dass das ausklingende C vor dem E im Bass kommt.
    Den zweiten, der eine Quinte höher liegt, würde ich hingegen in time spielen.

    An der Stelle im zweiten Photo würde ich das Tempo erhöhen und dann gegen Ende des Sinnabschnitts wieder zurücknehmen, da hier ein Muster aus den Takten 5 und 6 wieder aufgegriffen, aber auf einer höheren Tonstufe und in D-Moll gespielt wird, was hier aber wieder zur Tonika C zurückmöchte und für mich weniger stabil klingt als das G-Dur in Takt 5.

    Allgemein nehme ich gerne gegen Ende ein wenig Tempo raus (zumindest das ist ja auch immer noch gängig).
     

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  3. Gelöschtes Mitglied 13399

    Gelöschtes Mitglied 13399 Guest

    Schade, dass es hier wohl kein Interesse an diesem Thema gibt, aber es ist ja auch kein Klavierforum...
     
  4. gaga

    gaga Gehört zum Inventar

    Stimmt. Ich z.B. kann weder Bach noch Klavier. Aber das Wort "Dislokation" finde ich geil. "Laid back" oder "rushing" oder jemand schleppt - ab jetzt ist das alles Dislokation.
     
  5. giuseppe

    giuseppe Gehört zum Inventar

    Ich kann schon nachvollziehen, was du meinst. Es reicht mir die Komplexität, meine Stimme in Vergleich zu einem Puls du "dislozieren" (ich denke da an ausgekugelte Gelenke).
    Beides zugleich zu liefern, überfordert meine Vorstellung. Nicht als genießender Zuhörer, aber als Ausführender. Mein Respekt, dass dich solche Fragen umtreiben. :)
     
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  6. Werner

    Werner Strebt nach Höherem

    Ev off topic, oder auch gerade nicht: Ich hatte mal vor Jahrzehnten bei einem workshop mitgemacht, mit David Liebman und Richie Beirach. Letzterer hat dann mal demonstriert, wie weit unterschiedliche Zeitauffassungen gleichzeitig laufen können. In der linken Hand spielte einen typischen Shuffle / Boogie Woogie Groove, rechts hat er darüber soliert. Mit der rechten Hand ist er dann langsam und kontinuierlich langsamer geworden, während die linke Hand eisern in time weiterspielte. Ich hatte kurz das Gefühl, schizophren zu werden. Dann wurde er wieder schneller, inklusive Überholens der linken Hand.
    -
    Gibt da nette Übungen für sowas, zB. man singt eine einfache Melodie, bleibt in time, eine Hand geht vor dem Körper auf und ab, und wird schneller und langsamer.
    Schön auch bei Billie Holiday den Gesang mitsingen und die Viertel der Band mitklopfen, zB. bei When You´re smiling.
     
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  7. gaga

    gaga Gehört zum Inventar

    Mir macht es schon Probleme, sauber im Tempo mitzuwippen und mit den Fingern nicht so ganz hinterherzukommen. Da muss ich den Fuß stillhalten und nur das Metronom die Arbeit machen lassen, bis ich die Stelle kann. Da merkt man den persönlichen Unterschied zwischen Schleppen und laid back. Beim laid back-Spielen läuft mein Fuß gnadenlos in time, aber wehe, ich verhaspele mich beim Üben eine Mikrosekunde lang.
     
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  8. Werner

    Werner Strebt nach Höherem

    Naja, das ist mit Instrument schon schwerer, deswegen kann man es ja eben entkoppeln, also eben zb. Singen plus Handbewegung. Ich finde es jedenfalls interessant.
     
  9. Tafkah

    Tafkah Ist fast schon zuhause hier

    Hallo @Paul2002 . Hatte schon gedacht, dass das hier niemanden wirklich interessiert.

    Lies dich mal im Netz etwas ein zum Thema "Barocke Aufführung- und Interpretationspraxis". Ich halte persönlich nichts von der "Romantisierung" und "Individualisierung" barocker Literatur mit Agogik und dynamischer Extravaganz. Ich mag die Interpretationen von Gould, deshalb lasse ich ihm einiges durchgehen beim Hören, etwa seine Interpretation des 1. Präludiums in C-Dur aus dem Wohltemperierten Klavier, das er durchgängig "portato", also mit deutlich voneinander abgesetzten Tönen spielt.
    Tzimon Barto spielt dieses Präludium mit deutlicher Dynamik, er setzt z.B. die zweitaktigen Phrasen wie Frage und Antwort, Ruf und Echo voneinander ab. Ist in dieser Deutlichkeit auch nicht mein Ding, aber halt auch Geschmacksache.
    Gerade bei diesem Präludium, das ja zu "Ave Maria" verwurstet wurde, ist der Trend, sich davon zu distanzieren, bei allen möglichen Aufnahmen erkennbar.

    Goulds Interpretation der "Goldberg Variationen" ist aber immer noch für mich ein interpretatorischer Fixstern, und die Interpretation von tollen Pianisten wie etwa Lang Lang gefällt mir dagegen nicht ansatzweise.
    Die "Zweistimmigen Inventionen" sind pure zweistimmige Architektur, und ich habe sie (habe nicht alle gespielt), immer "sachlich" und "nüchtern" gespielt und mich lediglich darum bemüht, die Bögen auszuspielen, also z.B. nicht vor dem Ende einer Periode an Dynamik zu verlieren.
    Ich würde sie an deiner Stelle auch so "nüchtern" spielen, bis sie wirklich laufen, und würde dann erst mit Agogik und Dynamik experimentieren.

    Gould spielt sie, wie ich finde, auch sehr sachlich und gestaltet erst am Ende agogisch mit Verzögerung.

     
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  10. Nilu

    Nilu Ist fast schon zuhause hier

    kenne ich von der Drum, mit einigem gefaxe
     
  11. Gelöschtes Mitglied 13399

    Gelöschtes Mitglied 13399 Guest

    Struktur:

    Danksagung

    Vielen lieben Dank für deine interessanten Anregungen.

    Geschwafel
    Ich bin ja Jazzer und spiele und höre Klassik nur für Spasss, deswegen tue ich mich schwer damit, den "Klassik-Lifestyle" zu inhalieren.
    Allgemein halte ich auch bei Dichtung und Literatur wenig vom Ansatz "Was wollte der Urheber uns sagen".
    Daher tue ich mich prinzipiell etwas schwer damit, mich selbst bei der Interpretation zurückzunehmen und nur nach dem Werk und dessen Enstehungskontext zu gehen.
    Gewissermaßen ist die Auffassung, der Pianist sei nur ein Werkzeug Gottes (=Bach/Mozart/Beethoven) und dürfe kein Ego haben für mich etwas verquer und nicht selten sind Leute, die mit dieser Einstellung auftreten meiner Erfahrung nach weder nahbar noch besonders uneitel.
    Für mich ist interpretieren eben immer auch experimentieren...

    Vorauseilende Entschuldigung
    Vielleicht lese ich aber auch mehr aus deinem Post, als du meintest.

    Synthese
    Deinen Rat werde ich trotz dieses eben beschriebenen Bauchwehs allerdings befolgen und die Inventionen erst einmal alle so nüchtern wie möglich spielen lernen, dann kann ich ja, wenn sie anfangen, mich aus technischer Perspektive zu langweilen (also so in 10 Jahren dann), immer noch experimentieren, wie ich lustig bin.

    Jedenfalls finde ich sie gerade wegen ihrer Schlichtheit und Reduziertheit große Klasse.
    So, wie Lester Young meistens "langweilige Dixielandnoten" spielt aber Phrasierungs- und Timing-mäßig in einem anderen Sonnensystem unterwegs ist, so sind Bachinventionen für mich quasi destillierte Polyphonie, intensiv aromatisch - wenn vielleicht auch nicht so differenziert wie Rosenduft - und daher mehr als nur Übungen für Schüler (-:
     
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  12. Gelöschtes Mitglied 13399

    Gelöschtes Mitglied 13399 Guest

    Ich habe sie erst vor einer Woche zu üben begonnen, aber ich werde am Wochenende mal am Klavier in meiner Mutter die hier thematisierte No1 in einer nüchternen Fassung aufnehmen, ohne Spielereien, dann kannnst du, @Tafkah, ja sagen, was noch zu wild ist.
     
  13. Tafkah

    Tafkah Ist fast schon zuhause hier

    Was man auch nicht außer Acht lassen sollte, ist, dass die temperierte Stimmung zwar zu Bachs Jugendzeiten von Andreas Werckmeister, einem Freund von Bachs Lehrmeister Buxtehude, "erfunden" wurde, indem die reinen Intervalle zugunsten einer gleichmäßigen Stimmung der Halbtöne in gleichem Abstand aufgegeben wurden, es aber noch kein Klavier gab.
    Das Cembalo eröffnete dem Spieler durch das Prinzip der Tongestaltung ("Anreißen" der Saite durch einen Federkiel) überhaupt nicht die Möglichkeit einer dynamischen Gestaltung, die das moderne Klavier mit der Hammertechnik bietet.
    Wer also am modernen Klavier Bach und andere barocke Literatur interpretiert, betritt gewissermaßen immer Neuland. Zu Bachs Zeiten mag die 1. Invention so geklungen haben:



    Ich habe mir mal einige Cembalo-Aufnahmen angehört, aber die meisten "jagen" durch die Invention durch im Galopp. Gustav Leonhardt macht das in meinen Ohren "besser", aber auch hier wieder....Geschmacksache.
     
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  14. Tafkah

    Tafkah Ist fast schon zuhause hier

    Das werde ich sicherlich und tunlichst unterlassen, lieber Paul, das maße ich mir nicht an. Es wäre aber vielleicht eine Idee, in ein Forum für barocke Musik oder noch spezieller für Bach zu wechseln und dort deine Aufnahme zur Diskussion zu stellen. Da gibt es dann vielleicht eine interessante Diskussion unter fachkundigen Pianisten, zu denen ich mich nicht zähle.
     
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  15. Gelöschtes Mitglied 13399

    Gelöschtes Mitglied 13399 Guest

    Ich schätze dich sehr und mich deine Höreindrücke würden mich ungeachtet deines Könnens oder deiner Expertise interessieren (-:
     
  16. Tafkah

    Tafkah Ist fast schon zuhause hier

    @paul: es gibt hier im Forum ja einige Pianisten und sogar Klavierlehrer, wenn man Ehepartner mit einbezieht. Ich finde es mutig, aber dennoch durchaus hilfreich und informativ für dich, hier deine Fassung einer Zweistimmigen Invention einzustellen, und vielleicht entwickelt sich dann unter Fachleuten eine interessante Diskussion. Ich nehme auch gerne Stellung, aber dann lieber in Form einer Unterhaltung ;-)
     
  17. gefiko

    gefiko Strebt nach Höherem

    Hier noch was, auf Clavichord. War zu jener Zeit DAS Instrument für Hausmusik, flexibel aber leider relativ leise........
    Die Interpretation finde ich auch gut.

     
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  18. Gelöschtes Mitglied 13399

    Gelöschtes Mitglied 13399 Guest

    Mit den Tremoli (?) kenne ich das gar nicht, interessant
     
  19. Gelöschtes Mitglied 13399

    Gelöschtes Mitglied 13399 Guest

    Eine Frage, die sich mir jetzt zu den Inventiones stellt, ist, wie man die Hände im Verhältnis zueinander spielt.
    @Tafkah meinte ja, er spiele die Bögen aus.
    Ich sehe aber auch Stellen, wo wichtige Motive in einer Hand auftauchen, während die andere noch einen Gedanken beendet.
    Gerade in der No9.

    Da würde sich vielleicht auch anbieten, die andere Hand zurückzunehmen, damit das markante Motiv in besser durchkommt?
     
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  20. Gelöschtes Mitglied 13399

    Gelöschtes Mitglied 13399 Guest

    So. Das Hausinstrument unserer Zeit ist das Keyboard.

    Allgemein kann ich jedem das Keyboard empfehlen, ich spiele darauf immer mit quietschigen Sounds und maximaler Lautstärke, so dass ich gezwungen bin, auf einen sauberen, sanften Anschlag zu achten, wenn ich kein Ohrenbluten bekommen möchte.
    Am echten Klavier geht dann nach einer Keyboardsession alles viel besser.

    Und danke dir, @Rick für deine Ausführungen zum Thema Keyboard in einem anderen Thread.
    Ihnen folgend habe ich nämlich dieses schöne Yamaha-PSR520 für 50€ inklusive Ständer auf Ebay gekauft und bin sehr zufrieden damit (-:
     

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