Livemusik ist viel emotionaler als Musik aus der Konserve

Dieses Thema im Forum "Eigene (musikrelevante) Themen" wurde erstellt von Werner, 3.März.2024.

  1. Thomas

    Thomas Strebt nach Höherem

    Ja, lass uns das über Webex klären, da sind wir unter uns …. :)
     
  2. Tröto

    Tröto Ist fast schon zuhause hier

    Ja, das war sehr einseitig von mir in eine bestimmte Richtung gedacht und zugegeben provokativ formuliert.
    In aller Bescheidenheit greife ich bei diesen beiden Gesichtspunkte (Richtung und Provokation) nur das dürftige Niveau des verlinkten Spiegel-Artikels auf.

    Was genau steht im Mittelpunkt des Artikels? Nur ein einziger dürrer Aspekt, der in, wie ich finde, schreiend unzulässiger Weise alle weiteren Aspekte ausklammert, die notwendigerweise einbezogen werden müssen, wenn man diesen einen großen Vergleich anstellen will: musikalisches Erleben mittels Tonträger versus musikalisches Erleben durch Livemusik.

    Dieser einzige dürre Aspekt, der vom Autor als ausschließliches Argument zur Beweisführung für seine These ("Livemusik ist viel emotionaler als Musik aus der Konserve") lautet gemäß meiner verkürzten Wiedergabe: Nur auf der Grundlage einer zuvor erfolgten Interaktion rein musikalischer Natur ergeben sich darauf aufbauend "Rückkopplungs"-Effekte - das gegenseitige sich Befeuern - zwischen Musiker und hörendem/sehendem Konzertbesucher, die das Emotionszentrum des Gehirns so affizieren, dass Musik als hochgradig emotional empfunden wird.

    Was aber nun, wenn diese "Interaktion rein musikalischer Natur" gar nicht stattfindet? Rutscht der Besucher eines Vollplayback-Konzerts demzufolge sofort ungebremst in einen hochgradigen emotionalen Notstand?

    Natürlich nicht, denn es gibt einige Interaktionsbereiche, die viel, viel wichtiger für ihn/sie sind:
    - Ich treffe meinen "Star" nicht nur medial vermittelt, sondern in einer realen Begegnung
    - Ich treffe Gleichgesinnte in einer schönen Atmosphäre
    - Wir Gleichgesinnten und unser Star zeigen insbesondere durch außermusikalische Handlungen unsere gegenseitige Wertschätzung
    - Ich erlebe ein Zusammengehörigkeitsgefühl (basierend auf den zuvor genannten Aspekten)
    - ...
    - ...

    Meine innigsten Verbindungen zur Musik habe ich tatsächlich als Besucher von Live-Musik in kleinen Jazzclubs und Sinfoniekonzerten erlebt.
    Wie bereits schon gesagt wurde: Im Sinfoniekonzert gibt es keine musikalische Interaktion. Im Jazzclub natürlich schon, wenn Musiker XY, angetrieben von einem begeisterten Publikum, noch einen eigentlich nicht geplanten elften und zwölften Chorus spielt. Die Intensität meiner zuvor bereits gefestigten innigen Verbindung zur Musik hat das aber nicht zusätzlich befeuert, diesen interaktiven Impuls brauchte ich nicht.

    Ich habe das Privileg, Musik zu Hause ziemlich laut hören zu können, wenn ich das will. Ich mache das oft. Meine "Konserven" treffen dabei immer ins Herz und ins Hirn und sind im Gegensatz zum Tenor des Spiegel-Artikels sehr wohl ein vollwertiger Ersatz für das Livekonzert.
     
  3. charly-5

    charly-5 Ist fast schon zuhause hier

    Das ist doch das Prinzip eines wissenschaftlichen Experiments - im Gegensatz zum privaten Auskosten eines Erlebnisses: Die Sortenreinheit.
    Um als Psychologe eine Hypothese zu testen, muss er nunmal seine Idee operationalisieren. Unklare Kausalbeziehungen bringen ihn kein Stück weiter.
    In diesem Fall hätte es überhaupt nichts genutzt, die Gehirnströme eines Konzertbesuchers zu beobachten. Die können beeinflusst werden von der Betrachtung des Künstlers, von der Begeisterung der anderen Besucher, dem Popcornhunger des Nachbarn ...
    Hier wollte der Fragesteller eine ganz bestimmte Ursache-Wirkungsbeziehung testen, nämlich kann der Musiker bewusst Einfluss auf den Erregungszustand nehmen.
    Er wollte weder die Welt erklären, noch das komplexe musikalische Empfinden, nur diesen einzigen dünnen Aspekt. Von da an kann man nun zum nächsten dünnen Aspekt weitergehen und sucht sich wieder nur eine unabhängige Variable: Eine Stellschraube an der man dreht, um zu sehen, was dann passiert (abhängige Variable oder Wirkung).
    So geht die Psychologie schon vor, seit Wilhelm Wundt 1879 das erste Labor für experimentelle Psychologie an der Uni Leipzig gegründet hat.
     
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  4. Roland

    Roland Strebt nach Höherem

    @charly-5
    Mann, jetzt ziehst Du es wieder auf die Sachebene herunter! :)

    Grüße
    Roland
     
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  5. Tröto

    Tröto Ist fast schon zuhause hier

    Sehr gut beschrieben und natürlich vollkommen richtig.
    In meinem letzten Beitrag habe ich mich explizit auf den Spiegel-Artikel, nicht auf das Experiment von Frühholz bezogen.
    Der Spiegel-Autor zieht m.E. Rückschlüsse, die weit über das hinausgehen, was das Experiment an Ergebnissen präsentiert. Er wirkt auf mich wie ein emsiger Lobbyist, der für die Vereinigung deutscher Konzertveranstalter tätig ist (die es wahrscheinlich gar nicht gibt).

    Obwohl ich selbst nicht wissenschaftlich arbeite und deshalb den Ball flach halten sollte, stellt sich mir dennoch eine Frage: Geht nicht bereits Frühholz zu weit in seinen Schlussfolgerungen, verlässt er nicht den Bereich seiner Untersuchung, wenn er vom Spiegel-Autor dahingehend wiedergegeben wird, dass bei Livekonzerten ein gegenseitiges "Befeuern" zwischen Band und Publikum stattfindet - eine somit als positiv eingestufte Interaktion?
     
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  6. SaxPistol

    SaxPistol Strebt nach Höherem

    Der Spiegel hat diese Meldung im Übrigen 1:1 von der DPA übernommen. In anderen Tageszeitungen, etwa dem Tagesspiegel befindet sich der gleiche Artikel in exakt dem gleichen Wortlaut.
    Wissenschaftsjournalismus kann halt nicht jeder.
     
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  7. visir

    visir Gehört zum Inventar

    Ich habe weder den Artikel noch die Publikation gelesen, aber kann es sein, dass Frühholz nicht "dass", sondern "sofern" meint, in aller Kürze? Also dass es live-Situationen gibt, wo das stattfindet, bzw. genau dafür geeignete Konzerte/ Musikrichtungen der Untersuchungsgegenstand waren?
     
  8. Sohn der Alpen

    Sohn der Alpen Ist fast schon zuhause hier

    Wie kommen dann diese sehr allgemein gefassten Aussagen im Artikel zustande:
    "Livemusik ist viel emotionaler als Musik aus der Konserve"
    "Musik im Stream oder vom Tonträger hören, anstatt viel Geld für Konzertkarten auszugeben? Geht natürlich – ist aber für das Emotionszentrum des Gehirns kein Ersatz."
     
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  9. Sohn der Alpen

    Sohn der Alpen Ist fast schon zuhause hier

    Das war ein stilistisches "Wir" gegen "die Kritiker". Hab ich wohl nicht deutlich gemacht.
    Ich kritisiere den Artikel bzw. die allgemein formulierten Schlüsse, welche aus den Messungen gezogen werden.
     
  10. quax

    quax Gehört zum Inventar

    Möglicherweise wurde der Titel nicht von den Wissenschaftsschaffenden verfasst, sondern von Journalisten, vielleicht sogar noch mit Unterstützung einer KI.
    Wie
    schon schrub.
    Neulich habe ich einen Artikel über Prozessinsspinner gesehen, in dessen Überschrift groß und dick das Wort Nervengift stand.
     
  11. SaxPistol

    SaxPistol Strebt nach Höherem

    Davon gehe ich aus, also zumindest von den Wissenschaftsjournalisten, nicht unbedingt von der KI.
    Aus persönlicher Erfahrung (ich arbeite in einer Forschungseinrichtung, allerdings nur als Verwaltungsfutzi) kann ich berichten, dass z.B. unsere Leute von der Öffentlichkeitsarbeit größtenteils Übersetzungsarbeit leisten: Forschungsergebnisse so aufbereiten, dass sie auch der "Normalsterbliche" versteht. Wer da nicht sorgfältig arbeitet und immer wieder Rücksprache mit dem verantwortlichen Wissenschaftler hält, der läuft Gefahr, in der Tat Bullshit herauszugeben. Und der Bullshit ist in dem Moment nicht die wissenschaftliche Arbeit (jede Publikation, die in einer renomierten wissenschaftlichen Zeitschrift erscheint, unterliegt strengsten Qualitätsansprüchen), sondern die Übersetzungsarbeit.
     
  12. JES

    JES Gehört zum Inventar

    Es wird also fertiggericht aus der Tüte mit individuell selbst gekocht verglichen, wobei letzteres noch nachgewürzt werden darf, ersteres nicht. Mmhhh.
    Da finde ich schon den Ansatz des Experiments fragwürdig. In welchem live-konzert geht ein Künstler individuell auf jeden einzelnen Besucher ein und optimiert anhand der Reaktion seinen Vortrag. Bei 10 bis 50.000 zuschauern dürfte das schwer werden. Und was ist mit meinem sitznachbarn in der Oper, der trotz toller Darbietung tief und fest schläft?
     
  13. Gelöschtes Mitglied 13399

    Gelöschtes Mitglied 13399 Guest

    Viele alte Leute haben ja eine so kleine Rente, dass sie überhaupt nur in der Oper und im Theater schlafen können, weil sie keine Miete zu zahlen vermögen. Da muss man Empathie aufbringen.

    Haben allerdings wahrscheinlich Musik studiert, also selbst Schuld
     
  14. elgitano

    elgitano Ist fast schon zuhause hier

    Frage:
    ¿Hat jemand die im link angegebene Untersuchung gelesen? https://www.pnas.org/doi/10.1073/pnas.2316306121
    Ist in Englisch, mir zu schwer zu verstehen. Der Titel wirkt "anständiger".
    Vielleicht kann derjenige mitteilen, ob diese Untersuchung auch so "stumpf" ist.

    Claus
     
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