Kirchentonarten verstehen

Dieses Thema im Forum "Improvisation - Harmonielehre" wurde erstellt von Dingo, 14.Juli.2024.

  1. The Z

    The Z Ist fast schon zuhause hier

    Das halte ich im funktionsharmonischen Kontext für weniger sinnvoll. George Russel nennt diese Herangehenswiese in seinem LCCOTO übrigens "vertikal". Die unten stehende, also über die ganze Kadenz C-Dur zu spielen, wäre in seinem Vokabular "horizontal".

     
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  2. giuseppe

    giuseppe Gehört zum Inventar

    Wir waren von Oye Como Va als vermeintlich gutem Beispiel für ein dorisches Stück und der Feststellung dass nicht die Melodie sondern die (Funktions-)Harmonik das “dorisch” diktiert bei der Folgerung angekommen, dass wir (i.e. @Roland und ich und vielleicht auch andere) bei Kirchentonleitern aufgrund unserer wohl funktionsharmonischen Prägung die “Farbe” einer Tonleiter möglicherweise über die Harmonien empfinden, die uns die Skala anbietet.
    Ich finde den Gedanken einfach interessant und habe mich gefragt, welche harmonischen Klischees ich mit einer bestimmten Skala verbinde. Und ein paar Vorschläge gemacht (die zwar niemanden interessieren, was mich aber nicht davon abhält, den Gedanken weiterzuspinnen).
     
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  3. The Z

    The Z Ist fast schon zuhause hier

    Ich find es interessant, bin gespannt auf die Ergebnisse. :)
     
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  4. giuseppe

    giuseppe Gehört zum Inventar

    Naja, 5 Vorschläge hatte ich schon gemacht. ;)
    Natürlich grenzt es ans Banale, wenn man alle diatonischen terzgeschichteten Akkorde einer Skala bildet und hintereinander wirft. Aber - dachte ich mir - vielleicht gibt es auch harmonische Klischees, die durch eine Skala hervorgerufen werden.

    Hier ist Nummer 6:
    Bei äolisch kann man natürlich
    I- / IV- / V- denken oder II-7b5 / V- / I
    Mir kommt aber vor allem die andalusische Sequenz mit den tonalen Zentrum auf dem anfangsakkord in den Sinn (im Gegensatz zum lydischen mit dem Zentrum im Zielakkord):
    I - / bVII7 / bVI / V- (oder eher V7b9#9).
     
  5. Tafkah

    Tafkah Ist fast schon zuhause hier

    @guiseppe: nach etwas innerer Reflexion bleibe ich bei den "Entchen", d.h. bei einfachen Melodien und ein- oder zweitaktigen, bekannten Motiven im 5-Tonraum, um sich durch Transposition in die KiTonarten hinein zu hören und zu fühlen. Ich habe ja immer noch den Ansatz von @Dingo im Kopf, Kirchentonleitern zu verstehen.
    Schon meine "Birne Helene" (Atemlos) und erst recht Verdis Gassenhauer führten eigentlich schon zu weit weg vom "einfachen Verstehen-Wollen". Warum? Weil hier sofort viel stringenter als bei den Entchen die Kadenzharmonik im Hintergrund eine wichtige Rolle spielt. Mal abgesehen von der Dorian Mode, die ja mittlerweile in der Popmusik fest integriert ist, weil sie halt so nah an der Pentatonik gebaut ist, sind die anderen KiTonleitern eigentlich nicht für Kadenzen gedacht und gemacht.
    Trotzdem finde ich deinen Ansatz spannend.

    Entspricht genau dem, was ich oben mit dem Stichwort "Kadenzorientierung" meinte. "Yesterday" narrt ja den Hörer, weil es mit Paules Barré-Griff F-Dur beginnt und auch endet in der Schlusskadenz, aber sofort nach dem ersten Takt das Bb für ein B "opfert", die melodische Molltonleiter der parallelen Molltonart D-Moll aufgreift und somit die II-V-I Kadenz für D-Moll vorbereitet.
    Unter dem Strich ist das Stück in F-Dur angesiedelt, hat aber die melodische Molltonleiter D-E-F-G-A-B(H)-C#-D. Das "B" hier würde nur "dorisch" klingen, wenn dahinter das C anstelle von C# käme. Das würde aber Paule sicherlich nicht gefallen. Zum Experimentieren und Lernen ist es hübsch.
     
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  6. ppue

    ppue Mod Experte

    Genau. Ich finde es grandios, wie die auf- und absteigenden Melodien noch insbesondere in Bezug auf den Text konstruiert sind.

    Yesterday
    All my troubles seemed so far away -> melodisch Moll aufwärts
    Now it looks as though they're here to stay-> melodisch Moll abwärts
    Oh, I believe in yesterday

    Das ist, außer der zweiten Strophe, durchgängig so mit dem Text.
     
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  7. giuseppe

    giuseppe Gehört zum Inventar

    Ich nehme noch einmal die Andalusische Kadenz (Hit the Road) und habe gerade bei Wiki gelernt, dass meine Überlegung, dass sowohl der erste als auch der letzte Akkord das tonale Zentrum sein können, bereits musiktheoretisch erschlossen ist und dann als Ganzschluss mit Picardischer Terz oder Phrygischer Halbschluss bezeichnet wird. Man lernt nie aus. :)

    Auf jedenfall höre ich andalusisch sowohl bei Äolisch, ganz besonders aber bei Phrygisch als festen Bestandteil der Klangfarbe.
     
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  8. Roland

    Roland Strebt nach Höherem

    Bei mixolydisch fällt mir genau der Wechesl I - bVII ein, siehe, äh, höre z.B. 'On Broadway'.

    Grüße
    Roland
     
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  9. Roland

    Roland Strebt nach Höherem



    Regards
    Roland
     
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  10. Sebastian

    Sebastian Ist fast schon zuhause hier

    Sieht in der zweiten Zeile deutlich nach der F-Dur-Skala aus, gerade mit IV-V7-I dahinter - oder etwaa nicht?

    [​IMG]
     
  11. giuseppe

    giuseppe Gehört zum Inventar

    Ne, eben, etwa doch nicht. @ppue und @Tafkah hatten ja aufgelöst.
    Anstatt eine Modulation von F-Dur nach A-Dur anzunehmen, was natürlich auch geht, erklärt sich alles mit der parallelen melodischen Molltonleiter, die Klassischerweise aufwärts mit großer Sext und Sept und abwärts mit jeweils kleiner gespielt wird. Tolle Konstruktion, zeugt von viel Verständnis, ob nun konstruiert oder unbewusst. Und bestätigt meine Hochachtung vor dem Komponisten McCartney…
     
  12. Sebastian

    Sebastian Ist fast schon zuhause hier

    Ach ja, lang ist's her...
     
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  13. Analysis Paralysis

    Analysis Paralysis Ist fast schon zuhause hier

    Und die Anzahl der Takte im A-Teil fasziniert mich noch viel mehr, dass man das so hinkriegt ohne dass es auffällt ist nicht von dieser Welt.

    Jo. Und im Jazz eher nicht, nur um es zu vervollständigen.
    https://en.wikipedia.org/wiki/Jazz_minor_scale
     
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  14. giuseppe

    giuseppe Gehört zum Inventar

    Ja, mich auch, jetzt wo du es sagst. Es war immer eine Form, die sich etwas plastisch verformbar und „ungriffig“ anfühlte, aber nie unkomplett oder so. Hab einfach nie nachgezählt. Dieser Hund!
     
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  15. ppue

    ppue Mod Experte

    Wenn du Skalen spielst, spielst du immer vertikal. Weiß nicht, was mir das sagen soll. Hier geht es nun mal um Leitern.

    Ich sage lediglich, wenn Kirchentonleitern, dann doch besser in einem Kontext, den man auch in der Praxis gebrauchen kann. Und ich versuche so zu schreiben, dass der Themen- und Fragenersteller damit etwas anfangen kann.

    Ist doch die erste Übung in der Stückeanalyse: Akkorde anschauen, tonales Zentrum finden, passen die Akkorde zu den Stufen des Zentrums?, wo sind Ausnahmen, wo wechselt das Zentrum?, Bass spielen, Akkorde üben, Skalen spielen. Ob du dann horizontal oder vertikal spielst, in C-Dur bleibst oder eine #11 einbaust, bleibt dir überlassen.
     
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  16. Tafkah

    Tafkah Ist fast schon zuhause hier

    Auch wenn es etwas off-topic ist, sei es doch erwähnt: "Yesterday" ist ein Meisterwerk des Songwriting. Die Musik folgt hier sehr konsequent dem Text. Die 7 Takte des A-Teils fallen deshalb nicht auf, weil es eigentlich 8 Takte sind. Mit dem Intro sind es 9 Takte, und der Takt 1 mit dem "eine Ewigkeit" dauernden Wort "Yesterday" ist so etwas wie ein "Innehalten", das aus der Form fällt. Ansonsten haben wir geschlossene 2-taktige Perioden:

    1+2 (Intro)
    "Extra-Takt" ("Yesterday")
    3+4 (All my troubles seemed so far away)
    5+6 (Now it looks as though they're here to stay)
    7+8 (Oh I believe in yesterday)

    Wenn man nur auf der Gitarre oder dem Klavier spielt und den dritten Takt ("Yesterday") rauslässt, erleben wir eine in sich geschlossene Form mit vier 2-taktigen Perioden. Erstaunlich, wie die Struktur dann sofort "langweilig" wird. EIN Wort und EIN Takt machen den Unterschied.

    Sorry für's Abschweifen, aber das Thema lag einfach auf dem Tisch und lohnte keinen eigenen Thread.
     
    Zuletzt bearbeitet: 19.Juli.2024
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  17. The Z

    The Z Ist fast schon zuhause hier

    Da geht's drum ob du dir jeden Akkord einzeln ansiehst, das nennt Russell vertikal, oder du ob du dir über einen längeren Abschnitt denkst, da spiel ich durchgehend C-Dur. Also keine Beschreibung was du mit dem Material machst, sondern wie du die Akkord und die dazugehörigen Skalen analysierst. Einzeln - vertikal, gemeinsam - horizontal. Ich habs mir nicht ausgemacht, ist von Russell.

    Und ich habe eine Übung gezeigt mit der man sich die Unterschiede der Kirchentonleitern erarbeiten/erhören kann. Wenn man sich wirklich damit auseinandersetzen will.

    Über eine Kadenz die tonal komplett in C-Dur bleibt in Modi zu denken, bzw. vertikal, halte ich nicht für sinnvoll. Für mich klingt das alles im Kontext von Dur, und eben nicht durch dorisch, äolisch...
     
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  18. ppue

    ppue Mod Experte

    Genau, das schrieb ich auch. Ob vertikal oder horizontal, zu einem Standard hilft das nicht weiter. Da finde ich es sinnvoller, die "Kirchentonleitern" zu spielen, die die Stufen vorgeben. Natürlich übt man beides, Akkorde und Skalen.


    Genau das schrieb ich auch, ganz abgesehen von Russell (-:
     
    Rick und giuseppe gefällt das.
  19. The Z

    The Z Ist fast schon zuhause hier

    Dann meinen wir ja fast das selbe. :)
     
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  20. ppue

    ppue Mod Experte

    Ja, fast (-;
     
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