Analyse Akkordfolge

Dieses Thema im Forum "Improvisation - Harmonielehre" wurde erstellt von antonio, 22.Oktober.2025.

  1. antonio

    antonio Gehört zum Inventar

    Könnte mir jemand von euch mit mehr theoretischem Background als ich ihn habe erklären, wie man hier die Bridge verstehen muss? Also ab Takt 21ff...die ersten 4 Takte verstehe ich ev. noch halbwegs, bin aber auch nicht sicher.
    Was es dann mit Takt 25-27 auf sich hat...Bahnhof.. Also Takt 28 scheint mir ja zwar dann wieder klar, da geht es von der V. zurück auf die I. (Em), aber vorher?

    Den A Teil habe ich, glaube ich, kapiert.

    Vielen Dank schon mal...

    antonio IMG_0915.jpg
     
  2. giuseppe

    giuseppe Gehört zum Inventar

    Da bisher noch nichts kam: Ich bin nicht versiert genug, das vom anschauen zu analysieren, und kenne das Stück nicht, aber ich hab ein paar spontane Gedanken - vielleicht bekommen wir es irgendwie gemeinsam hin.

    Ich würde als erstes nach 4 Takten einen gedanklichen Doppelstrich ziehen und dann erst mit der 1 zu zählen beginnen. Dann ist es eine klassische 32taktige Form im AABA-Shema. Ist zwar Haarspalterei, aber macht mir das denken leichter. 33 Takte hat es nur, weil im letzte n A-Teil der vorletzte Takt aufs halbe Tempo „ritardiert“ wurde als Schluss.

    Die Nummer hat ein Kreuz, beginnt und endet auf E-Moll, die Melodie des A-Teils ist komplett natürlich Moll, nur mit dem harmonischen Leitton in der Dominante. also E-Moll passt. Der siebte Takt enthält meines Erachtens keinen Akkord der 6.Stufe (das müsste auf C sein), sondern C vermindert ist das gleiche wie B7b9, nur ohne Basston. Es ist also nur eine Bassbewegung, und deshalb würde ich das C#dim davor auch als chromatische Rückung eines Gitarristen deuten.

    Jetzt der B-Teil. G dur wäre die parallele Molltonart. G Moll würde ich daher als Modal Interchange interpretieren, d.h. der Tonartbezug ist schon noch da, aber das Geschlecht wird verändert. Die Melodie ist überwiegend in harmonisch Moll. Es gibt aber keine Dominante in G (D7) und einen Drall zu E Moll. Also nur ein Ausflug. Aber was machen wir aus Ab Moll und Eb?
     
  3. antonio

    antonio Gehört zum Inventar

    Hallo @giuseppe

    Schönen Dank für deine Beschreibung und Mühe.

    Ja, die die ersten 4 Takte sind entweder als Intro gedacht oder dann halt rein darstellerisch- im 4. Takt steht dann der Auftakt. Form und A-Teil sind mir soweit klar, es geht mir nur um die Bridge.

    Hab zuerst auch gedacht, Ah, Em im A-Teil und die dann die Bridge halt G dur...
    Zu Anfang in G moll, dann F...also vielleicht die Bridge in F? Gm also zweite Stufe? Aber wo ist die Fünfte? Halt keine...? Und dann dieses Ebmaj...
    Mir geht die ganze Akkordfolge der Bridge nicht in den Kopf.
    Ist das halt einfach keine der üblichen und bekannten Stufenfolgen die man so kennt? Oder nur halt ich nicht :)
     
    Zuletzt bearbeitet: 23.Oktober.2025
  4. giuseppe

    giuseppe Gehört zum Inventar

    Nun, die ersten vier Takte sind überwiegend in diesem G Moll, zu dem mir wie gesagt der Modal Interchange die plausibelste Erklärung erscheint. Dann kommt ein E Moll (Akkord auf der großen Sext) obwohl die Melodie harmonisch Moll mit der kleinen Sext (Eb) hat. Für mich deshalb am ehesten ein kurzer Schwenk zurück zur Grundtonart, eine funktionalere Erklärung kann ich momentan nicht sehen.
    Dann kommt kurz dieses Ab Moll. Bei Akkorden auf der b2 denkt man natürlich an Phrygisch. Nur dann müsste der b2-Akkord in dur sein. Außerdem ist die Melodie gar nicht Phrygisch. Mangels besserer Erklärung werte ich es (wie oben den cis vermindert) als die chromatische Rückung eines Gitarristen. Harmonisch ist das einfach eine Gitarrennummer.

    Die nächsten 4 Takte der Bridge lassen die Basslinie mit auf der äolischen Tonleiter absteigen. Wir folgen erstmal nur bis zur Dominante auf d. Bis zur der Dominante sind die Akkorde darauf diatonisch in G natürlich Moll, das Ist das ein beliebtes Motiv, von der Kirchenmusik bis zur spanischen Gitarre, eine sogenannte andalusische Kadenz. Die endet aber eigentlich auf der Dominante, D7. Hier bleibt der Akkord diatonisch in Moll und verzichtet auf seine Dominantfunktion mit dem Leitton fis. Stattdessen geht es diatonisch weiter auf C und dann eben nicht auf Bb weiter, sondern auf H7, die Dominante der Grundtonart. Für mich also eine auf einer Basslinie konstruierte Überleitung aus dem Modal Interchange in die Originaltonart. Was meinst?
     
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  5. antonio

    antonio Gehört zum Inventar

    Ha, das ist für mich ja sehr neu - noch nie so betrachtet, von Gitarre hab ich eh keine Ahnung :)
    Andalusische Kadenz- ja, das ich schon gehört und auch schon gesehen...insgesamt klingt das Ganze aber doch recht kompliziert, vielleicht sollte ich doch einfach weniger Denken und mehr Spielen :)
    Ich muss mal sehen, wie weit ich deine Analyse nachvollziehen kann, vielen Dank erst mal dafür-

    LG
    antonio
     
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  6. Silver

    Silver Gehört zum Inventar

    Die Bridge steht einfach in einer anderen Tonart: G-Moll (Parallele Bb Dur) und biegt dann in den letzten zwei Takten wieder Richtung E-Moll ab.
     
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  7. ppue

    ppue Mod Experte

    Es ist nicht immer alles mit der Stufentheorie zu erklären und du hast recht, dass der B-Teil doch sehr ungewöhnlich und spannungsreich daherkommt.

    Die ersten vier Takte sind alle in Moll gehalten. Wenn du auf dem Klavier völlig durcheinander Molldreiklänge spielst, merkst du, wie dein Hirn diese Verwandtschaft erkennt, eine fast permanente Hoffnungslosigkeit und Melancholie macht sich breit. Die Akkordzusammensetzung in dieser Folge hat was von großer Filmmusik, von ausweglosem Schicksal, dass durch die spannungsreichen Nonen ("Reiztöne" habe ich diese Woche gelernt) noch verstärkt wird.

    Der Harmoniewechsel zum E-Moll ist für unsere Ohren einfach ungewohnt, der Schritt zum Abm durch 2 chromatische Versätze (G->Ab, E->Eb) schon erklärlicher, wenn auch verblüffend und zurück zum Gm mit drei Leittönen einleuchtend.

    Darüber zu spielen, ist natürlich ungewohnt. Hilfreich könnte sein, sich die Akkorde aufzuschreiben und sich Leitlinien zu suchen. Darüber frei zu Spielen, bedarf es Vorstellungskraft und das Voraushören der Harmonien. Muss man üben.

    Wie @giuseppe schon schrieb, sind die nächsten vier Takte eindeutiger einzuordnen. Bei mir heißt sie Hit-The-Road-Jack-Sequenz (-;
    Landet anstatt auf der erwarteten Dur-Dominante auf Dm, wird aber weiter durchgereicht. Die diatonische Fortsetzung der Sequenz landet dann auf dem B7, um Anschluss an die Tonika zu bekommen.
     
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  8. Sebastian

    Sebastian Ist fast schon zuhause hier

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  9. giuseppe

    giuseppe Gehört zum Inventar

    Modal Interchange halt, oder? Parallele Durtonart in Moll. Oder gibt es einen besseren Grund für die Art der Modulation?
     
  10. giuseppe

    giuseppe Gehört zum Inventar

  11. Silver

    Silver Gehört zum Inventar

    Ich würde es eher Tonartwechsel nennen, weil es halt so gar kein modales Stück ist.

    @ppue hat es gerade fachlich auseinandergedröselt.
     
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  12. antonio

    antonio Gehört zum Inventar

    Vielen Dank @ppue - ich hatte gehofft, dass ich dich hiermit vielleicht kitzeln könnte um was dazu zu sagen :) Dient mir jetzt sehr...
    Ich spiele das Stück mit einem Akkordeonspieler und wir haben schon beschlossen nur über den A-Teil zu improvisieren, haha...

    Danke auch @Sebastian - den Link kenne ich bereits, sehr interessant, wenn man sich mit dieser Musik beschäftigen möchte. Bin aber auch leicht überfordert, das alles zu verstehen.

    Danke euch allen für euere Inputs werde jetzt mal in Klausur gehen (zumindest innerlich) um vielleicht doch noch etwas davon in den Kopf zu bekommen :)

    antonio
     
  13. Blofeld

    Blofeld Ist fast schon zuhause hier

    Auf dem Sheet steht ja „Traditional“. Vielleicht wäre es erhellend, wenn wir wüssten, aus welchem Kulturkreis das stammt.
     
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  14. Blofeld

    Blofeld Ist fast schon zuhause hier

    Habs gerade gegoogelt: Niguns sind Melodien, die aus der mystischen chassidischen Bewegung stammen und ohne Worte gesungen werden. Da würde ich mich mal einhören, um ein Gefühl zu bekommen.
     
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  15. antonio

    antonio Gehört zum Inventar

    Klezmer, aber die ursprüngliche Herkunft ist mir auch nicht bekannt. Die Noten hatte ich aus einem kleinen Script einer hierzulande bekannten Klezmerband mit Personal jüdischer Herkunft.
    Das war nur so eine Kopie eines handschriftlichen Faksimile- ich dachte, dass ich da vielleicht auch nicht alles richtig lesen konnte und es möglicherweise Fehler hatte.
     
  16. antonio

    antonio Gehört zum Inventar

    Hab ich schon mehrfach getan- ich bilde mir ein, dass ich im Ohr habe, wie es klingen könnte. Aber ja, ich bin natürlich kein Klezmerspieler, mir gefällt einfach diese Musik. (nicht alles und nicht in jeder Form und Vortragsweise)
     
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  17. bthebob

    bthebob Strebt nach Höherem

    @antonio
    Würde ich auch so sehen.
    Die notierte Melodie einfach spielen, ohne viel Nachdenken.

    Wenn die "sitzt", auch auswendig, kommen später Verzierungen fast von allein.


    VG
     
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  18. Sebastian

    Sebastian Ist fast schon zuhause hier

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  19. Still

    Still Schaut öfter mal vorbei

    Vielleicht helfen die Grundlagen, wenn man sie denn irgendwo findet, Nigun ist hebräisch und heißt übersetzt soviel wie Melodie, jedenfalls in diesem Kontext.
    Leider finden sich unter der Angabe Nigun sehr viele verschiedene traditionelle Melodien.
    Sich eher an der Melodie zu orientieren als an den Akkorden ist hier glaube ich nicht nur für den Zwischenteil sinnvoll sonder für das gesamte Stück, wenn sich nicht all zu weit von dem Gefühl was die Melodie vermittelt entfernen will.
    Klar geht es auch rein über die Akkorde das übliche Jazz-Einerlei zu spielen, bringt das Lied aber glaube ich in eine ganz andere Richtung und es wird Unterumständen schwierig das Ganze dann wieder sinnvoll zum Thema zurück zuführen.
    Aber am Ende muß es ja jeder selber wissen was er gerne draus machen will!
     
  20. antonio

    antonio Gehört zum Inventar

    Das spielt man meiner Wahrnehmung nach eben gerade nicht im Klezmer. Diese Musik nutzt ihre eigenen Skalen, welche für unsereins zuerst mal gehört, geübt und verinnerlicht werden müssen. Nicht einfach, jedenfallls für mich :)
     
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