David Sanborn heute Abend (9.6.) im Fersehen

Dieses Thema im Forum "Musiker / Bands" wurde erstellt von Tröto, 9.Juni.2014.

  1. Gelöschtes Mitglied 7743

    Gelöschtes Mitglied 7743 Guest

    Womit wir wieder mal beim Thema wären:

    http://www.saxophonforum.de/forum/viewtopic.php?post_id=269936

    Gruß,
    Bernd
     
  2. Rick

    Rick Experte

    He, he, eine Definition ist aber per definitionem eine Grenzziehung. ;-)

    Ja, das ist auch meine persönliche Beschreibung.

    Aber muss man denn Jazz unbedingt eingrenzen/definieren?

    Für mich ist die Auseinandersetzung mit Jazz, auch seines begrifflichen Inhalts, seiner Bedeutung, ein Prozess gewesen, der meinen Umgang mit Musik, vielleicht sogar mit Kunst allgemein, stark geprägt hat.

    Als ich Mitte der 1970er Jahre anfing, mich mit Jazz zu beschäftigen, stand der Name für mich als Synonym für Improvisation, Spontanität, Freiheit.

    Ich geriet allerdings schon bald in die Kreise von "Altjazzern", die ganz genaue Vorstellungen davon besaßen, wie Jazz zu klingen habe. Den Begriff "Jazzpolizei" kannte ich damals noch nicht, aber er traf auf diese Leute perfekt zu.
    Glücklicherweise fand ich aber auch Gleichgesinnte, die mit mir zusammen experimentieren und Grenzen ausloten wollten. Wir forderten uns selbst ständig neu heraus, aber immer unter der Fragestellung: Is this Jazz?

    In Heidelberg traf ich dann Mitte der 1980er auf Amerikaner, darunter "echte" Jazzer, die schon mit wer-weiß-wem zusammengespielt hatten (u. a. mit John Coltrane, kein Witz!).
    Diese schmunzelten eher über die "Jazzpolizei"-Jungs, die sich ständig mit ihren Bebop-Licks abmühten und um "Authentizität" rangen. Ihr Motto war eher: "You must play from your heart; feel it, don't study it!" :cool:

    Sie meinten, Jazz entziehe sich einer wissenschaftlichen Analyse, weil es nicht um konkrete Melodien, Akkorde, Rhythmen ginge, sondern um das, was damit transportiert würde, WIE es gespielt werde.
    In etwa: Wenn unser erwähnter Coltrane schlicht "Alle meine Entchen" spielt, kann es trotzdem Jazz sein; wenn ein eingefleischter Klassiker hingegen ein typisches Jazz-Solo mit allen melodischen Floskeln, "Erkennungsmerkmalen" abliefert, muss das noch lange nicht Jazz sein. :-D

    Okay, aber das war DEREN Ansicht. Inzwischen sind sie alle weit über 70 Jahre alt und die heutige Musikergeneration schert sich kaum noch um die Meinung solcher Greise, stellt ihre eigenen Kriterien auf.

    Jazz ist nicht tot, gestorben mit den Zeitgenossen der "klassischen" Ära von den, sagen wir, 1920ern bis 1960ern, sondern Jazz ist im Gegenteil so aktuell und gegenwärtig wie immer.

    Durch die Auseinandersetzung mit Jazz haben sich auch andere Musikrichtungen verändert:
    Es gibt inzwischen so viel ungehemmte Improvisation in globaler Volksmusik wie selten zuvor, die ausufernden Instrumentalpassagen des ProgRock der 70er wären ohne die Vorbilder von Jazzern wie Coltrane oder Rollins nicht vorstellbar, selbst die klassische Interpretation erlaubt sich mittlerweile früher ungeahnte Freiheiten dank Anregung durch den individuellen Umgang von Jazzern mit ihren vorgegebenen Themen.

    Ich sehe Jazz als so eine Art individuellen, freiheitlichen "Wind", der alle Kunstformen umweht und überall seine Spuren hinterlässt.

    Und warum? Liegt es am Jazz selbst?
    Nein, es liegt daran, dass das aktive Hören von Jazz das Publikum verändert hat, es ist aufgeschlossener geworden, deshalb können sich die Musiker auch heute mehr erlauben.

    Das gilt gewiss nicht für die jugendlichen Pop-Konsumenten mit geringer Hörerfahrung und auch nicht für die Oma, die am liebsten die alten Schlager hört, weil sie dann so ein heimeliges Gefühl bekommt.
    Aber viele zwischendrin sind heute neugieriger und toleranter, finde ich, als vergleichbare Altersgruppen in früheren Jahren.

    Das "Jazz-Virus" wirkt und greift weltweit um sich.
    Es sind nicht die konkreten Töne oder Klänge, sondern es ist die Geisteshaltung, mit der man musiziert - und zuhört.


    Schöne Grüße,
    Rick
     
  3. Tröto

    Tröto Ist fast schon zuhause hier

    Alljährlich wird das "Unwort des Jahres" gekürt. Gäbe es eine Wahl zum "Unwort in der deutschen Geschichte", wäre dies für mich "Endlösung".

    Für bestimmte Generationen ist und wird es sicherlich der zynischste und brutalste Begriff in der deutschen Sprache bleiben.

    Seit der Ermordung von 6 Millionen europäischen Juden in der Nazi-Zeit kann dieses ursprünglich wertfreie Wort eigentlich nur noch in Anführungszeichen oder mit einer sofort im Anschluss seiner Äußerung erfolgenden Erläuterung verwendet werden.
    Wer es hingegen in einem anderen Kontext ohne solche "Legitimationshilfen" benutzt, sieht sich zumindest des Vorwurfs der Missverständlichkeit auf einer dann noch niedigen Erregungsstufe ausgesetzt.

    Mit den ermordeten Menschen sind meinem Verständnis nach in den polnischen Vernichtungslagern der Nazis aber auch scheinbar fest im menschlichen Bewusstsein verankerte ethische Prinzipien wie beispielsweise Mitmenschlichkeit verbrannt worden.
    Eine solche gleichzeitige bzw. nebeneinander vollzogene Nennung beider Sachverhalte würdigt oder schmälert nicht das Leid der Toten herab.

    Diese Analogie "verbrannt" - diese Metapher "verbrannt" !! -, wie im eben aufgeführten Beispiel auch gegenüber einem jüdischen Bürger eines anderen Landes zu gebrauchen, bereitete mir keine Probleme, wenn über Täter und Mitwisser, den Holocaust, die "Endlösung" geredet würde. Denn solche Sprachbilder führen nach meinem Empfinden das Geschehene noch plastischer vor Augen.

    Und genau in diesem Sinne, als Analogie und Metapher, habe ich den Aspekt "verbrannt" auf die ursprüngliche Wertfreiheit des Wortes "Endlösung" bezogen.

    Jemanden im Forum mit meiner Wortwahl zu provozieren, lag nicht in meiner Absicht.
    Wenn es geschehen sein sollte, bedaure ich dies.

    :topic:
     
  4. annette2412

    annette2412 Moderatorin

    hi trötomanski,

    danke für deine ausführliche erläuterung.
    so kann ich verstehen, was und wie du es meinst.

    dann ist ja jetzt alles wieder gut! :)

    liebe grüße
    annette
     
  5. Bereckis

    Bereckis Gehört zum Inventar

    Hallo Rick,

    ich habe deine Infos mit Interesse gelesen.

    Sehr vieles habe ich ähnlich erfahren, obwohl ich vermutlich etwas jünger bin.

    Gruß

    Michael
     
  6. Rick

    Rick Experte

    Hallo Michael,

    freut mich!

    Das kann ich mir vorstellen, hast Du ja schon erwähnt.

    Nein, Du bist vier Jahre älter als ich.
    Ich habe einfach verdammt jung mit Jazz begonnen, meine erste Platte kaufte ich mit 12, Behrendts Jazz-Buch dann mit 13, als ich auch meine erste Band (aus den Mitgliedern unserer Fahrrad-Bande) gründete.

    Was wir damals machen wollten:
    Swing alla Benny Goodman.

    Was bei uns Jung-Teenagern stattdessen anfangs herauskam:
    Modaler Jazz mit Anflügen von Free, im Endeffekt versehentlich sehr aktuell für 1977.
    War eine spannende und lustige Zeit! :)


    Schöne Grüße,
    Rick
     
  7. Bereckis

    Bereckis Gehört zum Inventar

    Lieber Rick,

    dann siehst du aufgrund des vielen gespielten Mainstream-Jazz einfach "verbrauchter" aus! Nur Freejazz hält jung... Lach!

    Ich bin erst 1982 zum Jazz gekommen, aber dann mit voller Wucht. Der Jazzclub domicil war quasi mein zuhause.

    Fast jedes zweite Wochenende hatte ich jahrelang für die meist internationalen Bands den Ton gemischt. Wenn ich nicht mischte, saß in der ersten Reihe und roch förmlich den Atem des Saxophonisten. Es war eine unglaubliche tolle und aufregende Zeit.

    Manche Konzerte werde ich nie vergessen.

    Im Gegensatz zu dir, hatte ich mich letztendlich für einen "bürgerlichen sicheren" Beruf entschieden, mit allen Vor- und Nachteilen.

    Aber vom Herzen bin ich Nischen-Jazzer und mache künstlerisch was ich will! Und damit sich keiner aufregt, bezeichne ich mich offiziell als Musikant.

    Gruß

    PS.: Benny Goodman mochte ich nie. McCoy-Tyner "Atlantis" war meine erste Schallplatte (heute noch genial) und ein launischer Sam Rivers eins meiner ersten Konzerte. Swing und Mainstream hatte ich erst später wahrgenommen, als ich die Jazzbibel von Berendt durchgeackert hatte.

    Die jahrelangen Clubmitglieder hatten mich dann in die Welt des Jazz durch zahlreiche Plattensession "reingeholt".
     
  8. ppue

    ppue Experte

    Ich benutzte das Wort Endlösung mit Absicht. Die Endlösung der Nazis verurteile ich ebenso wie die Endlösung in den Köpfen der Deutschen. Ich zähle mich zum Volk der Deutschen und wüsste nicht, was daran politisch unkorrekt sein soll. Es ist so gesehen eine Selbstkritik.

    Noch etwas: Ich mag es gar nicht, wenn ich Zeichen, Wörter und Gesten deshalb nicht benutzen darf, weil sie von den Nationalsozialisten ge- oder missbraucht wurden. Diese Macht gestehe ich ihnen nicht zu.
     
  9. Rick

    Rick Experte

    Lieber Michael,

    gut, mit Mainstream Jazz betätige ich mich seit inzwischen etwa 20 Jahren vorwiegend, doch vorher habe ich neben Pop und Tanzmusik hauptsächlich "experimentellen Modern Jazz" gemacht, ebenfalls mit vielen Free-Elementen, auch Fusion, was damals eben so aktuell war.

    Aber Bart und Anzug machen einfach älter und respekteinflößender - wegen dieser Wirkung trage ich das ja, das erleichtert Vertrags- sowie Gagenverhandlungen. :lol:

    Klingt super, kann ich mir vorstellen!
    Auch so um den Dreh 1980 rum wurde in Marburg die "Cavete" eröffnet, der erste öffentliche Jazzclub, den ich mitbekam.
    Dort gab es ebenfalls internationale Stars, besonders der Schlagzeuger Elvin Jones beeindruckte mich sehr, und es gab JAM SESSIONS, wo "Alte Hasen" mit uns "Jungspunden" gemeinsam jazzten, das war eine tolle Erfahrung (aber leider auch etwas "Jazzpolizei-mäßig"...).

    Gut, dass Du eine Alternative hattest. Ich konnte und kann leider nur Musik. :-(

    Herzlichen Glückwunsch! :)

    Grundsätzlich mache ich auch im Großen und Ganzen, was ich will. Möglicherweise mit etwas mehr Kompromissen zu Gunsten der "Verkäuflichkeit", aber nicht ängstlich um die Publikumsgunst buhlend, sondern im Zweifelsfall eher im künstlerischen als kommerziellen Interesse.

    Ich brauche auch nicht so viel Geld und mein Sohn sollte sich endlich daran gewöhnen, dass er von seinen Eltern keinen Porsche geschenkt bekommt, den muss er sich gefälligst selbst verdienen. :cool:

    Das kommt wahrscheinlich darauf an, wie man ihn kennen lernt.
    Ich sah ihn zuerst in einem coolen Jazzfilm mit Danny Kaye, dann hatte ich eine Platte mit seinem abgefahrenen Quintett der 1940er, von seiner Big-Band erfuhr ich erst später.
    Und ich liebe den Film "Benny Goodman Story"!


    Da hast Du's Dir aber voll gegeben - sehr außergewöhnlicher Geschmack! :-D

    Ja, ich habe auch viel durch gemeinsame Plattenabende mit erfahrenen Jazz-Fans und -Musikern profitiert.

    1993 wohnte für ein paar Monate ein alter Schlagzeuger aus New York bei mir, der früher u. a. viel mit Dexter Gordon gespielt hatte.
    Seine Kommentare zu meiner Plattensammlung waren großartig, erhellend und gaben mir hoch interessante Einblicke in die klassische New Yorker Szene, die ich sonst nie erhalten hätte.

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    Hallo Pü,

    diesen Standpunkt der Selbstkritik kann ich nachvollziehen, allerdings finde ich es zu verallgemeinernd, wenn alle Deutschen der damaligen Zeit pauschal mit Nazis in einen Topf geworfen werden.
    Denn die Mitbürger jüdischen Glaubens waren und sind natürlich Deutsche, denen nur willkürlich von einer Gruppe Spinner die Volkszugehörigkeit abgesprochen wurde.

    Weiterhin gab es sehr viele, die im "Dritten Reich" aus politischen Gründen drangsaliert, ins KZ gesperrt und sogar hingerichtet wurden (u. a. wg. Beteiligung an der Stauffenberg-Verschwörung 1944), ihre direkten Angehörigen wurden durch die Nazis enteignet.

    Die gängige Auffassung, alle Deutschen seien damals auch irgendwie Täter gewesen, ist meiner Ansicht nach ein Schlag ins Gesicht all derer, die aufrecht für den Widerstand gegen die Machthaber gelitten beziehungsweise ihr Leben gelassen haben. :roll:

    Da bin ich völlig bei Dir! :applaus:

    Schöne Grüße,
    Rick
     
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