Der Hendrix-Akkord

Dieses Thema im Forum "Eigene (musikrelevante) Themen" wurde erstellt von ppue, 29.Januar.2020.

  1. ppue

    ppue Mod Experte

    Die Gitarristen nennen ihn "Hendrix Chord" oder "Purple Haze Chord":



    Die Beatles lernten den Akkord in einem Liverpooler Musikgeschäft und nannten ihn "Gretty Chord":



    Paul McCartney: "I'll tell you exactly where I learned that chord: from Jim Gretty, a salesman at Hessy's music shop in Liverpool ... I remember George and I were in the guitar shop when Gretty played it, and we said, Wow, what was that, man? And he answered, It's just basically an F, but you barre the top two strings at the fourth fret with your little finger. We immediately learned that, and for a while it was the only jazz chord we knew."

    Der Akkord wird gemeinhin als X7#9 bezeichnet.

    Mit seiner kleinen Septime scheint der Akkord zu den Dominantseptimakkorden zu gehören und wird so als 5. Stufe gerne in einer Moll-Kadenz verwendet. Das liegt am Eb, oh, Verzeihung, am D# (heißt ja Kreuz Neun), dass sich dann als Eb im Fm7 wieder findet.

    Db maj9,C7#9, Fm7, Fm7



    Gebräuchlicher allerdings ist der Akkord auf der 1. Stufe, so man noch von Stufen sprechen will. In Purple Haze bildet der Akkord auf E die harmonische Grundlage. Nennt man den Akkord hier E7#9, dann müsste man die Melodie, die Hendrix darüber singt, korrekter Weise mit Fisis, Fisis, E notieren. Denn Fisis ist die #9 vom E7-Akkord.

    Ich denke, es nimmt mir jeder ab, dass Hendrix hier keinen Hiatus (übermäßige Sekunde) singt, sondern Rockmusik macht und wie selbverständlich die Terz "blue" singt. Dann wäre es aber ein G und damit eindeutig die b10 von E7.

    Die Bezeichnung b10 mag der gängigen Nomenklatur in der Musiktheorie widersprechen, denn diese hat bis dato immer nur Terzen aufeinander gestapelt, um Drei- und Mehrklänge zu definieren. Die #9 passt da halt gut ins System und das wollen wir doch nicht in Frage stellen (-;

    Im Jazz tauchte der Akkord schon früher auf. In Coltranes Blue Train finden wir ihn, wiederum auf der ersten Stufe, wieder. Wie auch im Blues, macht es hier keinen Sinn, noch von einem Dominantakkord zu sprechen:



    Das Voicing des Pianos ist blue, gedrückt, keineswegs gespreizt oder übermäßig.

    Stellt sich die Frage, bleiben wir der Definition der traditionellen Abendländischen Musik treu und erhöhen die große None oder stellen wir uns dem, was das Gehör uns sagt?

    Schon zu Zeiten des Bebop passen die Regeln, die die Harmonielehre früher aufstellte, nicht mehr so ganz. In einer diatonischen Leiter komme jeder Stammton (A, B, C, ...) genau einmal vor, hieß es dort. Im Jazz gilt das nicht mehr. Die Halbton-Ganztonleiter z.B. hat zu viele Töne, als dass man sie von den 7 Stammtönen ableiten könnte, ohne dass sich einer wiederholt.

    Die alten Regeln gelten nicht mehr und so ist es fraglich, ob die Terzenschichtung als theoretisches Grundkonzept mit aller Gewalt beibehalten werden sollte oder ob wir nicht andere Wege finden, das Gehörte auch in der Theorie adäquat abzubilden.
    Die gängige Harmonielehre hat da nämlich großen Wert drauf gelegt und eben sehr genau darauf geachtet, dass die Nomenklatur mit dem Gehörten in Übereinstimmung steht.

    Die gedrückte Stimmung, die ein b10-Akkord ausdrückt, steht in Diskrepanz zu der Bezeichnung eines Akkordes mit übermäßiger None. Die machte noch Sinn, wenn die übermäßige None einen Drang hätte, hinauf zur Dezime zu leiten. Tut sie aber nicht.

    Der Klang richtet sich nicht nach der Theorie, sondern die Theorie sollte Formen finden, die Klänge adäquat abzubilden.
     
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  2. Otfried

    Otfried Gehört zum Inventar

    Danke für die Erklärung und Klangbeispiele @ppue :)

    Kommt mir ein bisschen wie in der Physik vor. Die Schönheit und Widerspruchsfreiheit einer Theorie ist noch kein Garant dafür, dass die Realität adäquat abgebildet wird.

    Die Frage, die sich mir stellt ist aber. Muss die Theorie das "Gefühlte" wirklich wieder geben ? Kann sie das überhaupt leisten ? Oder belasse ich es bei einer allgemeinverständlichen Benennung, die dann aber eben nicht mehr als eine Nomenklatur ist ?

    Es taucht doch immer wieder das Problem auf, dass Musik sehr viel mehr ist als eine funktionstheoretisch saubere Aneinanderreihung von Akkorden und Melodien.

    Gruß,
    Otfried
     
  3. Roland

    Roland Strebt nach Höherem

    Ich habe immer diese Art von Akkorden als "unten Dur, oben Mollterz" intepretiert. Mein Gehör und ein Gefühl sagten nicht "#9". Sollte die Theorie das reflektieren? Natürlich. Ist dann aber eine "andere" Theorie als für Bach oder Beethoven. Mit der Bach/Beethoven-kompatiblen Theorie kann man auch keinen Blues erklären.

    Grüße
    Roland
     
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  4. GelöschtesMitglied1589

    GelöschtesMitglied1589 Guest

    Dito. Ich höre, dass die obere "Mollterz" bzw. #9, zumindest auf der Tonika, immer zum Grundton "schielt", vor allem weil sie als oberster Ton des Voicings so klar heraussticht. Ich wurde mir dieses Spannungsklanges das erste Mal bewusst bei meiner damaligen Leib- und Magenband "Cream" und ihrer ersten erfolgreichen Single "I Feel Free", die Eric Clapton mit diesem Akkord "als Tusch" einleitet:



    Bei "Michelle" von den Beatles höre ich, wie es auch in verschiedenen Ausnotierungen im Netz verzeichnet ist, nur den Mollseptakkord der Subdominante (G-Moll 7), der sich natürlich auch an der Tonika in Dur (D) reibt. Ich muss aber noch einmal genau in die Vocals reinhören, ob neben den angestammten Tönen G-Bb-D-F sich noch irgendwo ein G-B-F-Bb verbirgt (so wie es im Gitarrenvoicing mit dem bekannten Griff aus Grundton-Durterz-Septime-#9 gespielt wird, ohne Quinte).
     
  5. GelöschtesMitglied1589

    GelöschtesMitglied1589 Guest

    Hab noch mal in "Michelle" hineingehört, auch und gerade in die Vocals, und höre dann kein B und Bb im Reibungsverhältnis.
     
  6. Gelöschtes Mitglied 7743

    Gelöschtes Mitglied 7743 Guest

    @ppue: Danke für die schöne und sehr ausführliche Erklärung.
     
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  7. ppue

    ppue Mod Experte

    Das klingt, als wären Komposition und praktisches Musizieren auf der einen und Musiktheorie auf der anderen Seite, zwei getrennte Fachbereiche. Ich denke eher dass sich beide Bereiche ständig gegenseitig nähren, ergänzen und inspirieren.

    Hat der Theoretiker erfasst, wie die Musik funktioniert, stellt er seine Theorie vor, die das Gehörte erklärt. Der Komponist lerntr die Theorie, durchbricht sie seinerseits und stellt dem Theoretiker neue Anforderungen in der Deutung.

    Oder aber auch umgekehrt: Ein grandioses Werk der Musikgeschichte ist Bachs "Die Kunst der Fuge". Wahrscheinlich schrieb er es in dem Eifer, den Regeln des Kontrapunktes in Vollendung zu genügen.

    Aus Wikipedia:

    "Nach einer 1983 veröffentlichten Studie wäre die Kunst der Fuge die Antwort auf jene Herausforderung, die Johann Mattheson 1739 in seinem Vollkommenen Capellmeister mit Blick auf seine eigene Fugensammlung Die wol-klingende Finger-Sprache mit der Hoffnung ausspricht, etwas dergleichen von dem berühmten Herrn Bach in Leipzig, der ein grosser Fugenmeister ist, ans Licht gestellet zu sehen."

    So kann auch die Theorie Herausforderung für den Komponisten sein.

    Oder aber, Theorie und Ausführung fallen zusammen in eine Person: Arnold Schönbergs Zwölftontechnik ist ein Beispiel dafür, wie ein Komponist nach der von ihm entwickelten Methode, also seiner eigenen Theorie, komponiert.


    Zurück zum Thema:

    Ich verwechsele gerne die Begriffe erfinden und entdecken. So behaupte ich, dass das Tritonussubstitut nicht eine Erfindung der Bebopper war, sondern die zufällige Entdeckung dieses neuen Klanges.

    Eine einfache II V I-Verbindung:

    Dm9, G6, Cmaj7

    upload_2020-1-30_12-44-51.png


    Auf der Session nun kürzt der Bassist die Dominante chromatisch ab, ohne sich um die verduzten Kollegen zu kümmern. Also, gleiche Akkorde mit chromatisch wanderndem Bass:

    upload_2020-1-30_12-47-30.png


    Kein Mensch ahnte, dass hier das berühmte Tritonussubstitut entstanden ist, dass es in der Folgezeit galt, zu erforschen:

    upload_2020-1-30_14-38-49.png

    Na, besser:

    upload_2020-1-30_14-42-52.png



    Ja, und Mist, tatsächlich ist ein 9+ Akkord entstanden (-;

    Hätte der Bassist mal'n C# anstatt Db gespielt.
     
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  8. ppue

    ppue Mod Experte

    Man hört es besser, wenn man die Vocals freistellt:



    Ein klarer Dominantseptakkord. Der Gesang "my ..." setzt die b10 oben drauf.
     
  9. Atkins

    Atkins Strebt nach Höherem

    Hendrix Akkord?? War für mich immer genau der. Der musste auch so "dreckig" gespielt werden

     
    Zuletzt bearbeitet: 30.Januar.2020
  10. Roland

    Roland Strebt nach Höherem

    Oder semi-systematisch.

    Ich habe mir einfach Septakkorde am Klavier genauer angeschaut und festgestellt, dass (modulo enharmonischer Verwechslungen) die Taste h und f zu zwei Septakkorden passt. Sogleich probierte ich dann, ob man den einen durch den anderen ersetzen kann und ja, das klappte. Bebop kannte ich damals noch nicht, den hörte ich Jahre später zum ersten Mal im Schulunterricht.

    Ja, ich habe damals viel am Klavier experimentiert. Zum Leidwesen meiner Eltern, die nicht verstanden, was ich da mache. :)

    Grüße
    Roland
     
  11. Gelöschtes Mitglied 13399

    Gelöschtes Mitglied 13399 Guest


    Ich höre da eher Moll, nicht einen Durakkord mit gedrückter Stimmung. Ich würde ihn daher als X-7b11 bezeichnen
     
  12. ppue

    ppue Mod Experte

    So ging es mir auch. Ich habe quasi mein ganzes harmonisches Wissen selber am Klavier erspielt. Man drück mal hier, mal da, eigentlich ohne Sinn und verstand, spielt plötzlich

    Db b5, Db b5, Db b5, Db b5, Csus4, Csus4, C, C

    und denkt, Mensch, so haben die das gemacht!!!

    Was wars?
     
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  13. ppue

    ppue Mod Experte

    Was soll das sein? 7-b11 oder 7b-11?

    Man hört die untere große Terz schlecht. Wie in dem Beatles-Song ist sie durch die kleine Duodezime recht verdeckt.
     
  14. GelöschtesMitglied1589

    GelöschtesMitglied1589 Guest

    Jetzt wird es spannend: mit welchem Grundton hörst du das? Ich bin eben zum Klavier gegangen und habe die zur in allen möglichen Dokumenten erwähnten Harmonie ( G-7) mal mit G7/9# verglichen und höre tatsächlich eher G-7 als G7/9#. Mmmmh, vielleicht macht es die root?
    Edit. Bin noch einmal am Klavier gewesen: Die Melodie beginnt in A, geht dann zum Bb und dann zum F. Also könnte es die 9# und dann die 7 von G 7/9#. Spiele ich aber am Klavier das B eine Oktave drunter dazu, klingt es sehr viel dissonanter als bei den Beatles Vocals. Mmmhhhh.
     
    Zuletzt von einem Moderator bearbeitet: 30.Januar.2020
  15. ppue

    ppue Mod Experte

    Das ist Bb b10 bzw. nur Bb7 in dem obigen Ausschnitt.
     
  16. ppue

    ppue Mod Experte

  17. TSax80

    TSax80 Ist fast schon zuhause hier

    @ppue: Vielen Dank für Deinen spannenden Beitrag. Ich habe ganz früher nicht verstanden, was diese major7 über I und IV immer sollten, jeder normale Akkord bekommt was übergestülpt. Ein Gelehrter sagte damals zu mir, dass seien Klangfarben, die das musikalische Geschehen interessanter machen. Er war Jazzer, ich Rocker/Blueser/Souler. U2 kam damals groß raus, major7 hatten die nicht, mehr so gerade Sexten und Nonen. Heute höre ich das anders. Genau so sehe ich die #9 oder b10, das sind Klangfarben ohne harmonische Funktion. Klingt halt g... dreckig.

    Bei Michele höre ich im Chor I - V - b7, in der Melodie dann die kleine Terz Bb.

    VG, TSax80
     
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  18. GelöschtesMitglied1589

    GelöschtesMitglied1589 Guest

    Hihi, cherchez la basse:



    Paule geht mit dem Bass von der Quinte D-A über einen Halbton-Slide zum G, also klar zur Subdominante. Deine Analyse (schönes Tool) geht von der Root Bb aus, also der Terz der Subdominante. Mit Bb als Root sehe ich in deiner Analyse die Peaks bei Bb2 -F3- Bb3-D4-F4-Ab4-Bb4. Es wird aber noch spannender: das D4 tendiert ganz klar Richtung Db bzw. C#, und das wäre tatsächlich die 9# von Bb, aber nicht von Gb als jeweiligem Grundton. Du bist ja ein Fan der Vierteltöne, und der Peak rutscht ganz klar etwas runter, wenn Klaviatur und Peaks wirklich abgeglichen sind im Analyse-Tool.
    Ich bin aber jetzt sicher, dass der Grundton im Bass für diesen Klang ein G und kein Bb ist. Ein Bb7/9# mit den Tönen Bb-D-F-Ab-C# wäre, umgebrochen auf den Grundton G, ein G-Moll 9-/5-. Beides höre ich aber nicht am Klavier.
    Übrigens: der Dom7/9# verlangt zwingend nach dem Intervall 7-9#, also der (reinen) Quarte. Fehlt die 7, hört es sich nur noch schräg an, weil sich dann die Dur-Terz und die Moll-Terz oben nur noch gegenseitig "vor die Mappe hauen".
    Zum guten Schluss: hört man sich etwas intensiver in die Materie rein, hört man, wie gut die Beatles und George Martin waren
     
  19. ppue

    ppue Mod Experte

    Irgend wie bist du falsch gewickelt.

    Nach vier Takten Intro spielt der Bass in deinem Video:

    upload_2020-1-30_19-54-21.png
    Also eindeutig Bb als Grundton über "my bell".

    Dass das D4 flat intoniert, liegt daran, dass es gesungen ist und das in reiner Stimmung. Sing zu dem Beatles-Chor oben mal eine kleine, mal eine große Terz. Es bleibt eindeutig Dur.


    Kann man so sagen (-:
     
  20. GelöschtesMitglied1589

    GelöschtesMitglied1589 Guest

    @ppue: Sorry, ich war von D-Dur ausgegangen, was natürlich Quatsch ist. Aber auch für F-Dur gilt, dass der Bass nach dem Intro vom F zum Bb wechselt, also zur Subdominante, und egal ob D-Dur oder F-Dur höre ich auf der Subdominante definitiv keinen Dom 7/9# mit den Tönen Bb-D-(F)-Ab-C#, will sagen ich höre eher die Bb-Db(C#)-F, also keine Dur-Terz. Hör's mir aber gerne noch einmal an.
     
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