Doxy-Analyse

Dieses Thema im Forum "Improvisation - Harmonielehre" wurde erstellt von fruitbat, 10.Oktober.2011.

  1. fruitbat

    fruitbat Ist fast schon zuhause hier

    Hallo allerseits,

    kann mir jemand mit "Doxy" auf die Sprünge helfen? Beim analysieren des Stückes komm ich so recht nicht weiter. Wo liegen welche Stufen etc.?

    Grüße,
    Stephan
     
  2. mato

    mato Strebt nach Höherem

    Hi fruitbat,

    Also ich versuch mal mein Glück! ;-)
    Ich gehe jetzt mal von der Bb-Version (die ist so schön in C :-D ) aus. Ich teile das Lied in 4x 4 Takte und bekomme ein AABA-Form raus.
    Der A-Teil beginnt mit C7 als Tonika und dann beginnt eine Dominaten-Kette. Der Bb7 ist die Substitutdominante von A7, dann gehts über D7 und G7 wieder zurück zu C und alles einsteigen, es geht schon wieder von vorne los, nur dass das Karusell nicht wieder bei der Tonkika hält, sondern der B-Teil beginnt und die Dominate von C, der G7 vermollt wird und ein neues Tonales Zentrum durch die II-V Verbindung (Gm7-C7) nach F angesteuert wird. Der darauf folgende vollverminderte F# ist nichts anderes als das F7, nur das der Grundton eben ein F# ist und zum G im folgenden C7 (wieder A-Teil) hinleitet, ein typisches Blues-Klischee. Das wars aus meiner Sicht schon.

    Prinzipiell empfinde ich das Stück als sehr bluesig, gerade durch die Dominantakkorde als Tonika und Subdominante (C7 und F7).
    Als Skala bietet sich im A-Teil die Bluestonleiter an oder eben die entsprechenden mixolydischen Skalen. Im B-Teil passt die C7-Bluestonleiter wie die Faust aufs Auge und den F#o kannst du entweder einfach überspielen oder ne passende Skala raussuchen.
     
  3. Saxax

    Saxax Ist fast schon zuhause hier

    Moin zusammen,

    das Wesentliche hat Mato toll herausgearbeitet, da schließe ich mich voll an.

    eine kleine Verwirrung gibt es noch im Realbook II. Hier ist das (C-Stimme) Stück in Bb mit 3b als Vorzeichen notiert, das ist m.E. Unsinn, kann aber gut zur Verwirrung beitragen.

    Wieso fällt mir bei dem Stück immer nur Alice´s Restaurant ein ;-)



    keep swingin´


    Saxax
     
  4. Rick

    Rick Experte

    Hallo Mato,

    volle Zustimmung!

    Ganzverminderte Akkorde sind typische Hinleitungen, Spannungsakkorde, haben aber nichts mit dem Blues zu tun. Das ist klassische Harmonielehre.

    Bluesig stimmt, aber "Dominantakkord" ist eine Funktionsbezeichnung - liegt also nur vor, wenn der Akkord tatsächlich irgendwo hinleitet.

    Was Du wahrschenlich ausdrücken wolltest, ist die Hinzufügung der kleinen Septime (= Blue Note), bei Tomika und Subdominante, das kann man im Blues mit jedem Akkord egal welcher Funktion machen, damit er "angebluest" wird.

    Also sind Dur-Akkorde mit kleiner Septime im bluesigen Kontext eben gerade NICHT automatisch Dominanten.

    Wenn Du Dir Deinen Satz nochmals genau durchliest, wirst Du bestimmt merken, dass er einen inneren Widerspruch enthält. ;-)

    Den ganzverminderten Akkord kann man auch schön arpeggieren, das klingt gut.

    ------------------------------------------------------------

    Hallo Saxax,

    ja, in den alten handschriftlichen (illegalen) Real-Books lassen sich zahlreiche derartige Fehler finden, sehr beliebt sind auch Fehl-Transponierungen bei den Bb- sowie Eb-Ausgaben.

    Habe mal auf einer Session ein mir vorher unbekanntes Stück aus einem Bb-Buch vom Blatt gespielt, da stand tatsächlich die Melodie in der letzten Zeile statt einen Ton nach oben einen nach unten transponiert - klang schön falsch, alle haben mich angestarrt, als ob ich keine Noten lesen könnte, war extrem peinlich! :evil:

    Seither behandle ich diese alten Bücher nur noch mit größtem Misstrauen.
    Aber es git ja jetzt die neuen legalen Ausgaben von Hal Leonard, die stimmen und da gefällt mir teilweise auch die Titelauswahl besser. :-D

    Keine Ahnung, was ist das denn? :-o


    Schöne Grüße,
    Rick
     
  5. Gast

    Gast Guest

    Tja Rick - dafür bist du wohl zu jung. Das ist DER Film von 1969, ein wunderschönes tragikomisches Hippieroadmovie mit Arlo Guthrie. Hier bei Wikipedia:Alice's Restaurant

    Hier ist Arlo himself mit dem Titelsong.

    Herman, Althippie
     
  6. Rick

    Rick Experte

    Hallo Herman,

    da schätzt Du mich wohl falsch ein, denn ich LIEBE alte Filme - allerdings zählt für mich so ein Roadmovie von 1969 bereits zur Moderne! ;-)

    Natürlich kenne ich den Film, fand ihn sehr stimmungsvoll und ansprechend, kannte in meiner Jugend viele Leute, die so drauf waren, einer meiner damaligen Freunde sah Arlo sogar ähnlich, so benommen hat er sich sowieso. :-D

    Ich habe nur bis 7:48 durchgehalten, dann musste ich doch stoppen, weil's musikalisch immer gleich bleibt.
    Bin nun mal kein großer Fan von Folk-Songs und Schrammel-Gitarre, irgendwie habe ich da eine alte Lagerfeuer-Aversion. :roll:

    Aber es stimmt schon, der Song beruht harmonisch auf ähnlichen Vorbildern wie "Doxy", solche Dominantenketten nannte man früher (ich meine RICHTIG früher) "Barbershop Sequence" nach den spontanen mehrstimmigen Gesängen von Afro-Amerikanern im Rasiersalon, der damals (Ende 19. Jhdt.) auch sozialer Treffpunkt war - wahrscheinlich eher von den Familienangehörigen der Männer toleriert als die Saloons, denn in den Barbershops gab's höchstens Rasierwasser zu trinken! :lol:


    Rick, Altjazzer :)

    P.S.:
    "Tomika" und "wahrschenlich" - Mann, wie peinlich, was ich da um 13 Uhr 19 an Fehlern geschrieben habe! :-o
    Meine Frau rief zum Mittagessen (heute war sie mit dem Kochen dran, gestern ich), deshalb hatte ich keine Zeit mehr für eine Korrektur, jetzt isses zu spät. Sorry!
     
  7. fruitbat

    fruitbat Ist fast schon zuhause hier

    Hey danke für die aufschlußreichen Antworten!!! Ein paar Fragen habe ich noch:

    Mir ist nur die Tritonussubstitution bekannt. Welche Art Substitution ist das, wenn es sich auf A7 bezieht?

    Blues in C, oder?

    Auch Blues in C? Ich dachte eher in F.
     
  8. Rick

    Rick Experte

    Eben genau diese. ;-)

    Kommt auf die Grundtonart an.
    Spielst Du es auf dem Alto oder Tenor?
    Im zweiten Fall ist dann C korrekt.

    Das habe ich zugegebenermaßen vorhin überlesen und jetzt auch nicht ganz verstanden.
    Ich würde die Dur-Bluestonleiter von F nehmen, ja. (Bis auf den F#-Akkord.) :-D

    Schönen Gruß,
    Rick
     
  9. Gast

    Gast Guest

    Bei dem F#° kann man es sich auch leicht machen, indem man in F bleibt und bei Gelegenheit in dem Takt mehr oder weniger geschickt ein F# unterbringt.

    Gruß, Herman
     
  10. mato

    mato Strebt nach Höherem

    Hallo!

    Ich habe es bisher fast nur bei Blues gesehen, und da sehr häufig und typischerweise im 6ten Takt als Überleitung von der Subdominante zur Tonika, deshalb schrieb ich von einem Bluesklischee.

    Ich habe gelernt, dass ein Akkord mit kleiner 7 unabhängig von seiner Funktion immer Dominant"sept"akkord heisst...das "sept" habe ich gestern im Eifer des Gefechtes vergessen. Vielleicht macht es ja so für dich mehr Sinn.
     
  11. Saxax

    Saxax Ist fast schon zuhause hier


    Widerspruch: Dominant bezieht sich auf die Stufe (5.) in der Funktionsharmonik. Die "sept" bezieht sich auf den Ergänzungston im Dreiklang (Hinzufügen der kleinen Septime). Früher in der sehr klassischen Harmonielehre fiel das zusammen. Im Blues, wo auch Tonika und Subdominante gerne mit der Septime versehen werden, stimmt das so nicht mehr. Hier fehlt auch die zwingende Überleitungsfunktion des Dominantseptakkords zur Tonika. Allerdings die Bezeichnungen, die hier resultieren würden, "Tonikaseptakkord" oder "Subdominantseptakkord" für den Blues habe ich auch noch nie gehört.


    keep swingin´


    Euer Saxax
     
  12. Rick

    Rick Experte

    Hallo Mato!

    Dass so ein Akkord an der Stelle oft im Blues vorkommt, ist richtig - allerdings vorwiegend im sog. "Jazz Blues", also nicht im traditionellen Blues, auf den sich im Allgemeinen diese Klischees beziehen.

    Der "Jazz Blues" stellt die einzelnen Akkorde nicht so schroff nebeneinander wie der traditionelle Blues, sondern sorgt mit dem klassischen Prinzip von Spannung und Entspannung für mehr "Fluss" im harmonischen Geschehen, zum Beispiel mit solchen ganzverminderten Akkorden oder der Einfügung von II-V-I-Verbindungen.

    Es ist sicherlich ein Problem der populären Schulungsliteratur zum Thema Improvisation, dass auf diese stilistischen Unterschiede heute kein Wert mehr gelegt wird, woraus dann Missverständnisse entstehen und historische Zusammenhänge verschwimmen. :-(

    WO hast Du das bitte gelernt? :-o

    Das ist schon kein Missverständnis mehr, sondern ein waschechter Fehler, ich glaube aber gerne, dass es genau so in irgendeinem ominösen "Lehrbuch" steht. :evil:

    Wir müssen generell unterscheiden zwischen klassischer Harmonielehre, folkloristischen Eigentümlichkeiten (Blues zählt allgemein betrachtet zum Genre der Volksmusik) und Mischformen wie etwa der Jazz-Harmonik, die Elemente von beiden Einflüssen umfasst.

    In der europäischen Harmonielehre gilt das Prinzip von Spannung und Entspannung, woraus sich unterschiedliche Aufgaben (= Funktionen) von Akkorden ergeben, deshalb heißt sie auch FUNKTIONSharmonik.

    Ein "spannungsreicher" Akkord führt demnach irgendwo hin, ein "spannungsarmer" Akkord kann in sich ruhen.

    Im Blues (wie Jazz) kann hingegen auch ein spannungsreicher Akkord durchaus eine ruhende Funktion haben.

    DER klassische "Spannungsakkord" in der Funktionsharmonik ist der Dur-Dreiklang mit hinzugefügter kleiner Septime, der IMMER eine dominantische Aufgabe erfüllt = Dominant-Septim-Akkord.

    Im Blues hingegen kann so ein Dur-7-Akkord daneben auch eine Tonika- oder Subdominant-Funktion übernehmen, denn er wird hier einfach als Dur-Dreiklang mit hinzugefügter "Blue Note" (kl. Septime) aufgefasst.

    Nichtsdestotrotz hat in der Funktionsharmonik kein Akkord gleichzeitig mehrere Aufgaben - er ist ENTWEDER Tonika ODER Dominante, jedoch nicht beides zugleich.

    Dem wird auch nicht durch den sog. "Trugschluss" widersprochen, wo man beispielsweise eine Tonika erwartet, stattdessen aber eine Dominante vorgesetzt bekommt. ;-)

    Man muss sich einfach darüber im Klaren sein, dass europäische Funktionsharmonik und Blues zwei unterschiedliche musikalische Systeme darstellen, die man zwar übereinander legen kann (=> Jazz-Harmonik), wodurch dann aber kein grundlegendes Prinzip des jeweiligen Herkunftsbereichs außer Kraft tritt, es ist also eine Erweiterung, keine gegenseitige Ausschaltung.

    Hier treffen die beiden unterschiedlichen Konzepte des Dur-7-Akkords aufeinander, der nun - je nach Zusammenhang - alle klassischen Hauptfunktionen (Tonika, Subdominante, Dominante) übernehmen kann.

    Ihn deshalb je nachdem auch beispielsweise mal Tonika-Septim-Akkord zu nennen, ist zwar verlockend, ich würde jedoch lieber darauf verzichten, um nicht noch mehr Verwirrung zu stiften, als da ohnehin schon herrscht. :-D


    Schöne Grüße,
    Rick

    P.S.:
    Saxax hat gestern Abend schon (völlig richtig!) im Grunde das gleiche geschrieben, ich wollte es aber noch etwas detaillierter ausführen.
     
  13. Werner

    Werner Strebt nach Höherem

    Hi Rick

    Zitat Wolf Burbat, (sinngemäß wörtlich):
    Jeder Akkord mit großer Terz und kl. Septime ist eine Dominante (im Jazz).
    Die Sonderform des Blues stellt er allerdings auch heraus.

    Das bluestypische, lastende, etc des Blues kann man ja, neben etlichen weiteren Zutaten, darauf mit zurückführen, das schon der Ruheakkord der I. Stufe eine Spannungsakkord ist.

    Im praktischen Musizieralltag spreche ich ggf auch durchgängig von Dominante.

    Soweit in aller Schnelle

    fG
    Werner


     
  14. Gast

    Gast Guest

    Ich habe seinerzeit den Jazzjargon vor dem der klassischen Harmonielehre gelernt. Deshalb spielten die Begriffe Tonika, Subdominante und Dominate eher eine Nebenrolle - nur gut zur expliziten Funktionsbezeichnung von Akkorden in ihrer unmittelbaren Umgebung.

    Wörter wie "Siebener" oder Durseptakkord waren immer eindeutig genug und sagen erstmal nix über die Funktion.

    Gruß, Herman
     
  15. Rick

    Rick Experte

    Hallo Werner,

    Herrn Burbats Aussage wäre in DIESER Form auch okay - nur hatte Mato formuliert "unabhängig von seiner Funktion", was aber nicht sein kann, denn das Wort Dominante IST nun mal eine Funktionsbezeichnung und nicht bloß ein merkwürdiger Name. ;-)

    Selbstverständlich gilt in Jazzstandards (abgesehen vom Blues oder modalen Jazz) auch die Regel, dass Dur-7-Akkorde immer eine dominantische Funktion haben, das ist sogar für die Improvisation sehr wichtig, um schnell Tonart-Modulationen usw. zu erkennen.

    Aber der Blues ist nun mal die berühmte Ausnahme von der Regel, deshalb sollte man sich meiner Ansicht nach damit auch stilistisch besonders befassen und schon garnicht glauben, hier gälten dieselben musikalischen Gesetzmäßigkeiten wie bei Mozart oder Beethoven. :-D

    Das sehe ich auch so.

    Schöne Grüße,
    Rick
     
  16. mato

    mato Strebt nach Höherem

    Ich habe Burbat, Bohländer und Sikora gelesen (Burbat und Sikora nicht komplett). Gerade habe ich mal in die Bücher geschaut, den Satz aber nicht gefunden. Obwohl ich mir sehr sicher bin, dass ich das so gelesen habe, möchte ich natürlich nicht auf die Richtigkeit beharren und streiche das so aus meinem Harmonielehre-Vokabular. ;-)

    Ansonsten nenne ich diese Akkorde auch einfach nur "Siebener".
     
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