Eine kleine Geschichte...

Dieses Thema im Forum "Eigene (musikrelevante) Themen" wurde erstellt von viva-la-musica, 21.April.2010.

  1. viva-la-musica

    viva-la-musica Ist fast schon zuhause hier

    Es war einmal
    ...vor vielen Jahren, da sah ich auf der Strasse ein paar Musikanten, dabei war einer, der recht lausig Saxophon spielte. Intonation? Naja. Sound? Bisschen rauh und bissig. Virtuos? Eher schlicht. Musikalisch? Mein Gott, gnadenlos begabt. Es war eine Freude zuzuhören, zuzusehen. Der Kerl brauchte kein Charisma, er war einfach in seinem Element. Die Musik floss aus ihm raus.

    Nee, das war leider nicht ich dort auf der Strasse. Ich unterrichte Holzblasinstrumente, mein ältester Schüler ist 66 Jahre alt, der andere im Ensemble sogar 75. Grad bei ihm denke ich oft: Musik sollte keine Qual sein, Musik sollte nicht heissen, die oder die Etüde perfekt zu können. Musik sollte eine Bereicherung deines Lebens sein.

    In diesem Forum wird viel über Technik gesprochen. Wahrscheinlich ist das auch gut so. Aber Musik ist mehr. Ich habe darüber nachgedacht, was das Spielen denn für mich bedeutet. Neben dem funktionalem Aspekt (Tanz-, Militärmusik, Muzak...) ist Musik Ausdruck, so wie jede Kunst etwas ausdrückt, was auch immer das sein mag. Musik kann Freude, aber auch Leid, Trauer ausdrücken. Musik kann zornig, wütend oder verspielt, gelassen sein. Neben der Werktreue spielt auch meine Interpretation, mein eigene Darstellung ein Rolle. Der hehre Anspruch: Selbstdarstellung ohne selbstverliebt zu sein. Musik ist Selbstausdruck, Ausdruck deiner inneren Befindlichkeit und deiner Weltsicht. Manchmal lenkt die Technikdebatte davon ab. Für mich ist Musik Lebensfreude, die ich auch anderen zu vermitteln versuche. Musik ist nicht üben, Musik ist Spielen.

    Und wenn ich einen guten Tag habe, dann singt mein Saxophon mit mit. Nada Brahma.
     
  2. Rick

    Rick Experte

    So ist es - das möchte ich unterschreiben!
    Kann schon sein, dass dieser Aspekt hier manchmal etwas zu kurz kommt... :roll:

    Schöne Grüße,
    Rick
     
  3. Laguna

    Laguna Nicht zu schüchtern zum Reden

    100% einverstanden :-D

    Um mich daran zu erinneren, spiele ich, bevor ich mit dem eigentlichen Üben anfange, etwa 15 min. eines meiner Lieblingsstücke, oder einfach Passagen, die ich mag. Man erfreut sich so an der Musik, am Klang des Horns und fängt nicht gleich mit den meist frustrierenden Technickübungen an. (Die kommen gleich danach :cool: )
     
  4. Gelöschtes Mitglied 5398

    Gelöschtes Mitglied 5398 Guest

    :welcome:

    Wow! Ich hätte so etwas nie schreiben können... ICH und Poesie, das ist das ja schon fast...
    Aber ich finde es super!

    Mary
     
  5. Gast

    Gast Guest

    Ich habe mich vom ersten Tag an darüber gefreut, aus schwazen Ellipsen, die auf weißem Papier stehen, eine Melodie ertönen lassen zu können! :)

    Je nach Laune spiele ich vor dem Üben, (das macht mir eigentlich auch Spaß) oder nach dem Üben ein Stück, ganz nach meinem Geschmack und meinen Vorstellungen.

    Meistens ist es "Summertime", das ich bei geöffnetem Fenster über die Weide trällere, manchmal auch "Misty". :-D
    Dabei halte ich mich schon an die Noten, aber nicht an den Rhythmus. ;-)
     
  6. jaaz47

    jaaz47 Ist fast schon zuhause hier

    Herzlichen Dank

    jaaz47
     
  7. Manono

    Manono Ist fast schon zuhause hier

    Hallo viva

    Deine Geschichte hat mich berührt. Obwohl ich noch seit kurzem Sax spiele, ist Musik etwas ganz Wichtiges für mich. Es weckt in mir Gefühle. Manchmal krieg ich Hühnerhaut, manchmal Erinnerungen an jemand. Es gibt keine Sprache auf der Welt dass soviel dir geben kann wie die Musik.
    Gestern übte ich wieder mein momentanes Stück "In a Sentimental Mood" von Notenblatt. Irgendwann schliesste ich die Augen und spielte das Lied. Ich glaube einen grossen Unterschied gehört zu haben, denn das war MEINE Version. Ich habe dieses Stück so gespielt wie ich mich fühle und für mich interpretiere.

    Gruss, Manuel
     
  8. saxhans

    saxhans Ist fast schon zuhause hier

    Hallo Viva,

    das hast du sehr schön geschrieben.

    Ich spiele auch jeden Tag mein Sax, wobei ich absichtlich "spielen" und nicht "üben" schreibe.

    Wenn ich mal nicht dazu komme fehlt mir was, das ist dann wie ein verlorener Tag.

    Dabei beginne ich mit kleinen Jazz-Stücken wie "Sunny" oder "Night Lights" mit CD-Begleitung.
    Wenn ich mich warm gespielt und dabei in wenig improvisiert habe spiele ich die Noten, die ich in der Bigband können muß und diejenigen, die mir vor einiger Zeit noch Schwierigkeiten gemacht hatten.
    So habe ich automatisch eine Kontrolle über die Fortschritte, die ich - unbewußt - mache.

    Gegen Ende meiner täglichen Saxerei gönne ich mir noch was schönes und blase meine Lieblingsstücke, auch wieder mit Bandbegleitung auf CD.

    Stand by me, Blueberry Hill, Sax Romances...um nur einige zu nennen. Mal auf dem alto, mal mit dem Tenor, oder seit kurzem auch auf dem C-Mel.

    Stumpfsinnige Tonleiter-rauf-und-runter Übungen erspare ich mir. Ich will kein Profi werden, für mich ist das Saxen Freude und Spiel und nicht Quälerei und Ehrgeiz.

    Ich mag mich nicht selber unter Druck setzen,
    es geht auch anders.

    So hat halt jeder seine eigene Methode.

    Gruß Hans
     
  9. reiko

    reiko Strebt nach Höherem

    Hallo Leute,
    dieser Beitrag trifft voll ins Schwarze. Ich lese die Diskussionen im Forum noch nicht so lange, aber Beiträge dieser Art habe ich sehr vermisst. Ich war, wie ich bei meinem Beitritt zu diesem Forum geschrieben habe, in den 70ern recht aktiv, habe auch viele Saxofonisten kennengelernt, aber eigentlich nie über Mundstücke und "Reeds" (das Wort war mir bis dato unbekannt) gesprochen, sondern eher über Musik, was leicht, was schwer ist, was Laune macht, was Ausdruck hat .... Vielleicht mal am Rande, ob man ein 3er oder ein 2,5er Blatt draufhat. Ich hatte das Gefühl, in eine neue Welt oder eine andere Zeit, gut, 30 Jahre sind kein Pappenstil, geraten zu sein, als ich hier die ersten Threads las. Zumindest hat die Technik Diskussion dazu geführt, dass ich mal ein anderes Mundstück ausprobiert habe, das ich 77 gekauft hatte, weil es cooler aussah, und in der Tat, es geht viel besser.
    Ich übe nie, ich spiele ausschliesslich und es kommt dabei sehr viel rüber. Meist spiele ich mit meiner Frau (Piano) und manchmal habe ich das Gefühl, es ist besser als ein inniges Gespräch.
    Das mit dem Üben ist wohl richtig, wenn man sich das Instrument erschliessen will. In den 70ern habe ich mindestens eine Stunde täglich geübt. Ich denke, wenn man auf hohem Niveau spielen will, muss man das wohl auch sein ganzes Leben lang tun. Mich hat aber erstaunt, dass selbst nach meiner längsten Pause (12 Jahre!!!) ich die Kanne ausgepackt habe, das Blatt (12 Jahre alt) aufgeschraubt und nach ein wenig Aufwärmen sofort strangers in the night trällern konnte, ohne dass meine Umgebung die Flucht ergriffen hat. Das ist, nachdem ich mich überwunden hatte, das Instrument wieder anzufassen, aus mir "herausgeflossen".
    Auch daran hat mich die schöne Geschichte erinnert.
    Ich finde es schade, dass viele Menschen ihre Instrumente schon vor Jahren begraben haben, weil sie nur den professionellen Anspruch, der uns in den Medien vorgeführt wird zulassen, und dabei die Erbauung vergessen, die eigenes Musizieren spendet. Es ist so, als würden wir alle keinen Sport mehr treiben, weil unsere Leistungen nicht auf dem Niveau eines Hochleistungssportlers sind, und nicht merken, was uns dabei entgeht.
    Ich wünsche mir mehr Diskussionen dieser Art.
     
  10. EdithM

    EdithM Ist fast schon zuhause hier

    Hallo Viva,

    Du hast völlig recht, und doch wünsche ich mir oft, ich hätte noch viel mehr Technik zur Verfügung, um meine innere Befindlichkeit, meine Weltsicht und ganz einfach meine Gefühle und Empfindungen besser auszudrücken.

    Gruß
    Edith
     
  11. Laguna

    Laguna Nicht zu schüchtern zum Reden

    Sehe ich auch so, man will die eigene Idee auf das Instrument übertragen können. Das geht halt leider nicht gleich 1:1.
     
  12. Rick

    Rick Experte

    Hallo Edith,

    ich sehe das nicht als ein Entweder-Oder. Ganz im Gegenteil - wenn ich musikalisch denke, das Spielen in den Vordergrund rücke, dann beschäftige ich mich ganz anders mit technischen Problemen, als wenn ich sie bloß als "Übungsstoff" ansehe.

    Nach meiner Erfahrung lernt man am allermeisten durch das Zusammenspiel mit anderen Musikern - man lernt vor allem, sich selbst und seine Probleme richtig einzuschätzen, indem man mal über den Tellerrand schaut, kann durch den direkten Austausch und erhaltene Kritik besser an sich arbeiten.
    Eine Stunde Ensemble wird so manchmal effektiver als eine Woche Übung im "stillen Kämmerlein". ;-)


    Schöne Grüße,
    Rick
     
  13. EdithM

    EdithM Ist fast schon zuhause hier

    Hallo Rick,

    diese Erfahrung habe ich auch gemacht, und ich habe auch die Gelgenheit: einmal in der Woche 1 Stunde Registerprobe und sofort anschliessend 2 Stunden orchesterprobe. Was ich dort in dem einen Jahr schon gelernt habe.....

    Gruß

    Edith
     
  14. yts62

    yts62 Ist fast schon zuhause hier

    .. hundertprozentige Zustimmung :) :lol:

    Genau so und nicht anders sollte es sein. Ich erlebe aber leider immer wieder bei Schülern, die vorher schon Unterricht hatte, dass dieser Anspruch bedauerlicherweise keine Selbstverständlichkeit ist.

    Ich möchte gar nicht wissen, wie vielen begeisterten musikalischen Menschen die Freude an der Musik durch stümperhaften und mit viel zu viel Theorie zugekleisterten Unterricht verleidet wird (hierzu zähle ich auch und insbesondere die allgemein bildenden Schulen) und die dadurch das Interesse am musizieren verlieren.

    Schade schade ... wenn man bedenkt, dass es mit einfachen Mitteln und ein wenig Spaß an der Musik ganz anders geht.
     
  15. Saxorg

    Saxorg Ist fast schon zuhause hier

    Hallo viva,

    aus der Nachbarschaft mal ein ganz dickes „ so iss es „ .

    Ohne Kanne, MPC, Blätter u.ä. geht nichts, letztendlich sind sie aber nur Mittel zum Zweck.
    Sie erlauben uns für einige Augenblicke aus dem Alltag in eine andere Welt zu treten.

    Ich persönlich mag den Sound und das Repertoire von Dave Koz sehr gerne.
    Wenn ich püste kommt aber etwas ganz anderes heraus. :-?
    Ich habe meinen Lehrer darauf mal angesprochen. Antwort: Mal abgesehen von der Erfahrung/Können und der Anatomie (Rachenraum u.ä.) ist das, was aus der Kanne kommt, dein Sound. Das bist du. :)
    Und das was dich bewegt, spiegelt sich in der Musik wieder.
    Spiel einfach und laß die Musik fließen.
    Wenn ich Freitags zur Orchesterprobe gehe, swinge ich ganz unwillkürlich mit. Es gibt dann auch mal dumme Sprüche, aber na und – es ist halt Musik die mich bewegt. ;-)

    Irgendjemand sagte mal : spiele nicht die Musik, sondern sei in der Musik.

    Doch…. deine kleine Geschichte hat schon was !


    LG

    Frank
     
  16. yts62

    yts62 Ist fast schon zuhause hier

    .. Gratulation zu diesem Lehrer - er hat die richtige Einstellung ;-)
     
  17. Saxorg

    Saxorg Ist fast schon zuhause hier

    Hallo Rolf,

    hab mit meinem Lehrer auch das Thema (Thread)"Muß Klassik sein" durchgekaut. Gewichtung liegt jetzt etwas mehr auf leichter Musik. Etüden bleiben aber.

    Musik, im besonderen das Saxen macht ja Spaß, aber es ist gar nicht so einfach ein guter Saxer zu werden. :roll:

    LG
    Frank
     
  18. yts62

    yts62 Ist fast schon zuhause hier

    Hi Frank,

    .. klar bleiben Etüden - muss auch sein, damit die Finger geschmeidig werden und auch der Ansatz sein Training bekommt.
    Aber es darf eben nicht ausschließlich der Schwerpunkt darauf liegen - das versaut einem den Spaß an der Sache.


    .. wie wahr - aber es wird mit der Zeit und regelmäßigem Training. Das wichtigste ist der Spaß an der Sache - der Fortschritt kommt dann, bei richtiger Anleitung, von alleine.

    Immer schön dran bleiben ;-)
     
  19. cara

    cara Strebt nach Höherem

    Beim Üben und beim Spielen. Wer sagt, dass Üben nicht auch Spielen ist? Wie schön ist es, wenn der Ton so kommt oder so, wie noch nie zuvor? Ich kann üben und spielen nicht allzu sehr unterscheiden und will es auch nicht.

    z.B. ich übe eine Tonleiter. Dann die Akkordfolgen. Das macht erst einmal nicht so viel Spaß und erfordert große Konzentration. :oops: Aber wenn sie dann flink fließt, die Töne gut kommen, sie im Rhythmus kommen, das ist doch klasse. :-D Dann fällt mir ein, was ich mit diesen Tönen anstellen kann und hau ich mir eine Playalong rein in dieser Tonlage und tute, was das Zeug hält, ich nenne das dann Improvisieren und habe dabei die größte Freude. Dann merke ich, irgendwie stimmt da bei mir was nicht mit dem Rhythmus :-o , passt gar nicht so richtig gut zu der Begleitung. Könnt alles ein bisschen pfiffiger sein. Naja, dann muss ich mich eben mit dem Rhythmus dieses Songs besser auseinandersetzen. Das fällt mir schwer. :evil: Dann stell ich das Sax weg, und hüpfe und klatsche, verzweifle zwischendurch, weil ich es nicht so hinbekomme wie ich es gerne hätte, probier und übe weiter, höre mir an, wie es der Saxophonist auf der Playanlong macht, schalte den wieder weg, versuche das nachzuempfinden, usw. Wenn ich dann denke, so könnte es sein, probiere ich es wieder mit dem Sax ….. wenn es dann klappt, bin ich glücklich :-D und mag gar nicht aufhören zu spielen. Hui, irgendwann merke ich, dass ich die Töne doch nicht im Griff habe, wie ich es gerne hätte. :-o Z.B. Da quietscht in einer bestimmten Tonfolge immer ein bestimmter Ton. Okay. Griffübungen sind angesagt. Ansatzübungen auch.

    Wahrscheinlich ist das alles nicht so toll zum Zuhören, aber zum Spielen ist es das.

    Ich übe-spiele-tute jetzt seit 13 Monaten auf meinem Alt herum. Mein Alt sagt mir recht deutlich, wo ich mich verbessern kann, damit es mir noch mehr Spaß macht zu spielen. Ich finde, dass ich in diesem Jahr unwahrscheinlich viel gelernt habe. Natürlich habe ich mein Üben auch ein wenig strukturiert und es läuft nicht nur so chaotisch ab, wie ich es oben beschrieben habe. So mache ich immer zuerst Mundstückübungen, dann Obertonübungen, bevor ich mit anderem beginne, weil ich die Erfahrung gemacht habe, das dies mein Spiel lockerer macht. Aber, wenn ich mal wenig Zeit habe, dann spiel ich eben nur ein Stück, was ich gerade gut finde und gut kann. Oder probier mal was Neues. ;-)

    Was ich überhaupt nicht leiden kann ist das „effiziente und effektive Üben“. Das können von mir aus Profis machen, für die die Musik ein Job ist. Warum sollen sie in ihrem Job nicht auch „effektiv und effizient“ sein wie alle anderen es auch in ihrem Job sein müssen.

    Ich jedenfalls muss mit meiner Musik niemanden beglücken außer mich selbst :) , ich muss meine Musik auch nicht verkaufen und nehme mir soviel Zeit, wie ich brauche, dann, wann ich sie habe, und probiere, übe, spiele. Mein Saxophon ist sehr geduldig :-D , Ich leider nicht immer. ;-)

    Jetzt hab ich Zeit und gehe üben - probieren - spielen - und zwar draußen, weil die Sonne scheint. :-D

    Cara
     
  20. viva-la-musica

    viva-la-musica Ist fast schon zuhause hier

    Hallo Cara,
    Ich mache es ähnlich, aus dem Üben ein Spiel, beim Spielen stolper ich über Probleme, die ich spielerisch übe. Eine Effizienz entsteht dennoch, indem ich meine Schwachstellen gespielt trainiere, aber eben spielerich.

    Viel Spass beim üben / Spielen.
     
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