(für mich) ein kleines Wunder....

Dieses Thema im Forum "Improvisation - Harmonielehre" wurde erstellt von Cannonball, 10.Mai.2011.

  1. Cannonball

    Cannonball Kann einfach nicht wegbleiben

    Hallo liebe Leser!

    Ich befasse mich nun schon seit geraumer Zeit mit dem Thema Jazz-Improvisation...

    Im Zuge dessen hab ich mich viel mit Theoriebüchern von diversen Autoren beschäftigt, fleissig Etüden gespielt, Harminielehre gebüffelt, Skalen rauf und runter gedudelt und mich mit allen möglichen Aspekten unterschiedlich intensiv befasst.

    Aktiv zu improvisieren hab ich nie ernsthaft versucht!

    Nie hab ich auf die gutgemeinten und weisen Ratschläge meines Lehrers oder erfahrenen Forenmitgliedern gehört...einfach auszuprobieren und einfach zu HÖREN.

    Nun gut, ich hab ein paar mal mit einfachen Standards angesetzt, aber nach dem ersten Chorus immer frustriert aufgehört und angefangen in Pessimismus und Selbstmitleid zu verfallen!

    Die ganzen schönen auswendig gelernten Töne, in Verbindung mit dem Repertoir an Phrasierungs und Rhythmuskenntnissen scheiterten an meiner Unfähigkeit mit dem Lead Sheet "zusammen zu arbeiten".

    Da frag ich mich: Wie kann das sein?!? Ich bin sowohl melodisch als auch Rhythmisch in der Lage, ein Solo zu spielen und es klappt bei den einfachsten Changes nicht!

    In dieser Phase war ich häufig wütend auf meinen Lehrer, die Leute die mir das Saxophon verkauften und vor allem - mich selbst!

    Ich war so extrem vom Kopf (also der Theorie) und den ganzen verinnerlichten Elementen des Improvisierens gesteuert, dass ich es nicht auf Kette bekam (nicht mal auf die Idee!), einfach mal loszulassen und zu HÖREN!

    Es wurde mir oft gesagt, dass dies der einzige Weg sei, ein gutes Solo zu spielen aber es prallte immer an meinem neunmal-klugen, von grauer Theorie vergifteten Ego, ab!

    Eben, vor ein paar Minuten, hab ich eines von meinen vielen unbenutzten Play-Along heften hervorgekramt und mir einen Tune ausgesucht, zu dem ich Solieren wollte...

    Ich sagte mir: Keine zu komplizierten Melodielinien, keine Approach/Target Notes, keine besonders tollen Kurven, kein ausbalanciertes Verhältnis der Feels/der Akzente/der Pausen/ etc etc etc blablabla

    Einfach nur Akkordtöne spielen!!!

    Es klappte nicht - ich fiel nach kurzer Zeit raus!

    Dann setzte ich mich hin und dann kam mir die erleuchtende Idee! Ich legte Thema und Lead Sheet beiseite und probierte (zugegebenermaßen mit begrenztem Optimismus) mal einfach nach Gefühl spielen (!!!) ohne nachzudenken über diese ganzen Kategorien von zu beachtenden Punkten.

    Und was ist passiert? Genau! Nach wenigen Versuchen HÖRTE ich auf einmal alle Akkordwechsel!

    Ich hab dann die Phrasen einfach nach Gefühl geformt und versucht, das Solo aus mir herausfließen zu lassen!

    Und in einem gewissen Maß, kam das ganze Gelernte dann unterbewusst zum Vorschein! (jedenfalls glaube ich das, denn ich hab mich noch nicht getraut, die Aufnahmen anzuhören :D)

    Hätte ich nur vorher auf die benannten Personen gehört...

    Dafür noch ein herzliches, verspätetes Danke schön! :)

    Fazit: Ich kann nur jedem Einsteiger dringend empfehlen, direkt zu Anfang jeder Übesession einen Platz zum praktischen Improvisieren einzuräumen! Auch bevor man haufenweise Bücher, Etüdenhefte und Patterns durchgeackert hat!

    Zu dieser Erkenntnis gefunden zu haben, macht mich heute sehr froh :)

    Grüße, Alexander
     
  2. Gelöschtes Mitglied 5328

    Gelöschtes Mitglied 5328 Guest

    @ Alexander

    Glückwunsch!

    Genau mein Reden und meine Erfahrung...und das bei meinen bisher noch bescheidenen 17 monatigen Saxspiel!

    Mir ist es ogar so gegangen, dass ich, als ich anfing das theoretisch aufzuarbeiten, erstmal deutlich zurückgefallen bin, weil ich nur noch kopdfgesteuert daran gegangen bin.

    Inzwischen gelingt es mir die Changes zu hören und zunehmend dann mit den richtigen Tönen nach Gefühl darauf zu improvisieren.

    LG

    Dreas
     
  3. Rick

    Rick Experte

    Hallo Alexander,

    herzlichen Glückwunsch zu Deinem Erkenntnis- und Erfolgserlebnis! :)

    Besonders als Erwachsener steht man sich diesbezüglich gerne selbst im Weg, weil man automatisch versucht, die Improvisation nach den bewährten Lernstrategien des bisherigen Lebens anzugehen - bloß handelt es sich beim Musizieren um etwas gänzlich anderes, wofür man eben neue, eigene Strategien finden und entwickeln muss.

    Ich behaupte, jeder Mensch ist im Grunde musikalisch - bloß ist diese Musikalität manchmal etwas verschüttet, vergraben, unzugänglich.
    Improvisation hat sehr viel mit Spontanität, Gelassenheit, Selbstvertrauen und Neugier zu tun - ursprünglich "kindliche" Fähigkeiten, die uns im Laufe des Lebens leider allzu oft durch Erziehung oder auch negative Erlebnisse abtrainiert werden. :-(

    Dieses unbekümmerte Kind, das ohne Hemmungen und Scheuklappen einfach drauf los spielt, wieder in sich zu entdecken, ist eine wichtige Grundvoraussetzung für Improvisation, finde ich.
    Es darf dann gerne durch Routine und Theorie "reifen", aber ist das "Kind" in uns nicht zugänglich, dann wird die spontane Kreativität zumindest erschwert. :roll:


    Schöne Grüße,
    Rick
     
  4. cara

    cara Strebt nach Höherem

    hallo Cannonball

    ich freu mich für dich. Weiter so! Die Musik haben wir im Blut und in den Knochen, in den Fingern und im Bauch. Im Kopf natürlich auch, aber der ist bekanntlich verhältnismäßig klein zum Rest. :-D

    Gruß Cara
     
  5. Cannonball

    Cannonball Kann einfach nicht wegbleiben


    Vielen Dank euch Dreien für Eure Anteilnahme!

    Ich glaube Saxophon spielen hat mir selten so viel Spaß gemacht wie heute nachmittag :)

    Es ist ein gänzlich befreiendes und befriedigendes Gefühl, einfach den Dingen Ihren Lauf zu lassen!


    Viele Grüße, Alexander
     
  6. edosaxt

    edosaxt Strebt nach Höherem

    Ja! Ja! Ja!!!
    Genau das ist es!!!
    Freu mich für dich!!!

    Lg
    Edo
     
  7. Gast

    Gast Guest

    @Rick: ich glaube du hast Recht. Ich kann schon von Glück sagen, dass ich als Kind einfach immer eine Blues CD in den CD Spieler getan habe und dazu gespielt habe. Besonders schön dürfte es nicht geklungen haben, aber es hat mir viel Hemmungen genommen.
     
  8. Dieter_B

    Dieter_B Ist fast schon zuhause hier

    Hallo Cannonball
    Danke für diesen sehr schönen und aufbauenden Beitrag.
    Was du schreibst "spricht mir aus der Seele"!
    Ich habe es mit der Theorie nicht so sehr, aber sehr viele Beiträg hier im Forum machen unmissverständlich Klar, ohne sich die Harmonielehre einzuhämmern geht nichts!
    Und so habe ich mir Harmonielehrebücher gekauft um ES zu lernen. Mit dem Ergebnis: Sie (die Büscher) liegen rum ohne beachtung zu finden. Ich gehe es immer wieder mal an , aber - ich kann mich auf diesen trockenen- und langweiligen Kram nicht einlassen! Ich verstehe nur "Bahnhof"!

    Was mir im gegensatz aber sehr viel mehr Spaß macht - ist:
    Ich höre (z.B.) ein Playalong und spiele zuerst das dazugehörige Musikstück nach Noten. Und irgentwann fange ich an, mich von dem Notenblatt abzuwenden und einfach nur zu spielen.
    Ich habe keine Ahnung von dem, WAS ich da gerade mache.
    Ob ich irgent eine Skala einhalte, oder ob da gerade ein Akkordwechsel oder sowas ist. Oder ob der MajorC7 zum General-B6 ;-) wechselt...
    Ich probiere und höre, ob es passt oder nicht.

    Ich bin da bestimmt nicht so gewandt und schnell und vielseitig wie die Erfahrenen! Aber, ES MACHT SPAß!!!

    Gruß
    Dieter

     
  9. Gelöschtes Mitglied 5328

    Gelöschtes Mitglied 5328 Guest

    Hi Dieter,

    das ist doch klasse, wenn das so klappt. M E. gibt es da keinen Königsweg, da jeder Mensch anders lernt und Dinge umsetzt.

    Gestern Abend habe ich Miles Davis gehört u. a. "All Blue".

    Das hat mich so inspiriert, das ich mir meine Kanne geschnappt habe
    und versucht habe das nachzuspielen. Konnte ich natürlich nicht,
    aber das Feeling, den Rhythmus habe ich schon hinbekommen
    vielleicht auch mal eine Phrase.

    Hat riesig Spaß gemacht.

    Und bei der nächsten Impro ist dann auch irgend was davon
    hängen geblieben.

    Schönen Tag,

    Dreas
     
  10. Gast

    Gast Guest

    Ich komme vom anderen Ende der hier beschriebenen Ausgangslage. Null Theorie, kenne an Noten nur selbst beigebrachte Akkordbezifferungen und kann mühsam eine Melodie "buchstabieren". Oft bedauere ich, dass wir alle in der Schule unseren durchsetzungsschwachen Musiklehrer nicht ernst genmommen haben. Heute geht das Ganze nicht mehr in die Birne. Saxophon lerne ich aus Begeisterung autodidaktisch und habe wohl deshalb das Instrument zu keinem Zeitpunkt gehasst. Und kann mir auch ohne Theorie eine Ben-Webster- oder Coleman-Hawkins-CD einwerfen und (immer mehr)mitspielen. Das Wichtigste dabei ist für mich: zuhören, zuhören, zuhören! Den (natürlich so nie erreichten) Vorbildern und den eigenen Tönen. Ein Gedächtnis für guten Klang und schöne Tonfolgen entwickeln.
     
  11. dereiflerinbayern

    dereiflerinbayern Ist fast schon zuhause hier

    Oh je....wie wahr wie wahr.

    Als ehemaliger Notensklave kann ich viele der hier besprochenen Sachverhalte nachempfinden und lache innerlich jedesmal wenn meine Mitmusiker über Harmonien und Skalen sprechen. Den ich bin leider Bauchspieler - was soviel heisst wie: ich habe zwar Ahnung von der Theorie, kann diese aber nicht umsetzen.

    Ein Bauchspieler HÖRT zu und spielt dann. Dadurch bedingt kann ich nicht sofort loslegen und muss den Song min. einmal besser 2-3mal gehört haben. Aber dann geht die Post ab.

    Ich wäre gerne eine Mischung aus Kopfspieler (Skalenfetischist) und Bauchspieler, aber das ist nicht so einfach. Ich kann mir den Kram einfach nicht auswendig merken und rutsche - ziemlich schnell übrigens - wieder in meine Bauchspielerrolle.

    Am aller besten übrigens mit Publikum auf der Bühne (warum auch immer). Da würde ich so gerne manches mal Solis reproduzieren wollen, die ich eben noch gespielt habe.

    Daher kann ich Anfänger (oder eigentlich jedem) nur den Tipp geben: HÖREN und SPIELEN....

     
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