Introvertierte Jazzer

Dieses Thema im Forum "Eigene (musikrelevante) Themen" wurde erstellt von saxokuller, 8.Dezember.2013.

  1. saxokuller

    saxokuller Ist fast schon zuhause hier

    Herr Google hält spontan nichts parat. Folgendes treibt mich grade um:

    Kann man als introvertierter Mensch Jazz machen? Etwas, das von Improvisation lebt? Spontaneität? Selbstbewußtsein? Gegenseitivges Lernen voneinader? Interaktion mit/vor dem Publikum?

    Kann man alleine im stillen Kämmerlein "Jazzer" werden?

    Ich befürchte nicht. Aber vielleicht beweist ihr mir das Gegenteil?

    Viele Grüße
    Saxokuller
     
  2. antonio

    antonio Gehört zum Inventar

    Hi
    Komische Frage... :-? Seit wann ist Musik machen denn an bestimmte Persönlichkeitsstrukturen gebunden? (Was bei wem rauskommt ist eine andere Geschichte)

    Zudem hat für mich deine Fragestellung etwas gar plakatives...Was ist denn ein introvertierte Mensch? Von solchen Klischees halte ich nicht gerade viel - sorry.

    Sonnigen Sonntag wünscht
    antonio
     
  3. Mugger

    Mugger Guest

    Moin,

    für so komisch halte ich die Frage gar nicht.
    Das Thema finde ich brandheiß, und ich werfe zwei Diskussionsanreger in die Runde:

    Ich habe in meinem Unterricht sehr viel mit introvertierten Menschen zu tun.
    Die Introvertiertheit verursacht Probleme mit Rhythmus, Timing, Intonation.
    Man merkt diese Introvertiertheit z.B. daran, dass die Menschen (Schüler in dem Fall) selbst in ihrer Sehperipherie nichts wahrnehmen.
    Starrer Blick, "steife" Haltung.
    Ich habe Schüler, die spielen ein Stück von vorne bis hinten korrekt, einen Ton innerhalb zu lange. Sie spielen um diese Länge verschoben bis zum Schluß meist ohne was zu merken.
    Ich mache dann manchmal das Experiment, dass ich z.B. eine Hand mit ein, zwei, oder drei Fingern im äußeren Sehfeld hebe und frage, was ich gemacht habe. Die Antwort ist meist: "Das weiß ich nicht".

    Zweites Beispiel:
    Der Saxophonist und Flötist Lew Tabackin hat mal eine Weile in Wien gespielt.
    Ein guter Freund von mir war sein Pianist bei diesen Konzerten.
    Er hat mir erzählt, dass L.T. nicht nur keine Tonarten bei den Stücken angesagt hat. Nein, er hat einfach immer mit Kadenzen über die Verse begonnen, die Band musste sozusagen "erraten" welches Stück das war.
    Gesprochen hat er auch praktisch nichts mit ihnen.
    Gespielt hat er wie ein Gott.

    Ich denke auch, dass wir alle an unserer Präsenz vs. Introvertiertheit arbeiten sollen/können.

    Liebe Grüße,
    Guenne

     
  4. Saxax

    Saxax Ist fast schon zuhause hier

    Moin Saxokuller,

    ich versuche mal plakativ mit ein paar Gegenfragen zu antworten:

    Hältst Du Miles Davis für extrovertiert?


    Und die zweite Frage dieser Art:

    Wird hier nicht Introversion mit Autismus verwechselt?


    Warum sollte Improvisation als geistiger Schöpfungsprozess nicht von introvertierten Menschen kommen können?


    Soweit die Fragen. Ich kann mir sogar vorstellen, dass der musikalische Ausdruck für viele Introvertierte eine gute Möglichkeit ist, Emotionen nach außen zu tragen - musikalischer Audruck also praktisch als Kompensation. So könnte dann auch eine sehr introvertierte Person mit dem Sax in der Hand zur "Rampensau" werden. Ich kann mir das sehr gut vorstellen :cool:



    keep swingin´



    Dein Saxax


     
  5. Bereckis

    Bereckis Gehört zum Inventar

    Laut Wiki:

    "Introvertierte Charaktere wenden ihre Aufmerksamkeit und Energie stärker auf ihr Innenleben. In Gruppen neigen sie eher zum passiven Beobachten als Handeln und werden häufig als „still“, „sorgfältig“ und „bedächtig“ beschrieben. Introversion ist nicht unbedingt gleichzusetzen mit Schüchternheit.

    „Extraversion“ (von engl. „extraversion“) zeichnet sich durch eine nach außen gewandte Haltung aus. Extravertierte Charaktere empfinden den Austausch und das Handeln innerhalb sozialer Gruppen als anregend.
    Typisch extravertierte Eigenschaften sind gesprächig, bestimmt, aktiv, energisch, dominant, enthusiastisch und abenteuerlustig."

    Im Jazz finde ich beide Charaktere!

    Aber die Unterscheidung ist fließend. Im Privatleben bin ich laut meiner Liebsten eher introvertiert. In der Musik und im Beruf bin ich eher extrovertiert.


    Grenzerfahrungen mit diesem Thema habe ich live bei TOM Harell erlebt.

    "Tom Harrell hat abseits der Bühne mit einer schweren Beeinträchtigung zu kämpfen, da er an Schizophrenie leidet. Wenn er nicht spielt, steht er mit gesenktem Kopf und leerem Blick auf der Bühne. Wenn er ein Solo spielen soll, geht er langsam zum Mikrofon und hebt den Kopf erst zum Spielen. Danach nimmt er wieder seine ursprüngliche Haltung ein." (aus Wiki)

    Das erlebte Konzert mit Tom Harell und Phil Woods im Jazzclub domicil war eins meiner emotionalsten Erlebnisse in der Musik.

    Gruß
     
  6. Tröto

    Tröto Ist fast schon zuhause hier

    Ganz gut hier beschrieben, wie ich finde.

    http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-87818628.html
    (den Link hatten wir schon mal)

    Viele Introvertierte sind schüchtern, aber beileibe nicht alle.

    Den Gesichtspunkt "Schüchternheit" betone ich deshalb, weil ich annehme, dass er nach Deinem Verständnis, saxokuller, das herausstechendste Persönlichkeitsmerkmal der Introvertierten ist.

    Schüchterne, sogar in einer extremen Form, können selbstverständlich "Jazzer" werden bzw. sein, nur müssen sie dabei immer wieder über ihren eigenen Schatten springen und manches Unverständnis, vielleicht sogar Ausgrenzung erdulden.

    Vor Jahren habe ich live auf der Bühne zwei Musiker erlebt (ein Saxophonist, ein Trompeter), die waren so derartig in sich gekehrt, dass man von Introversion gar nicht mehr sprechen kann. Die einzig "sichtbare" Verbindung zu ihren Bandkollegen bestand ausschließlich auf der Hörebene, von Augenkontakt mit diesen oder dem Publikum konnte zu keinem Zeitpunkt die Rede sein.

    Den Namen des deutschen Saxophonisten möchte ich hier nicht nennen, weil ich hier nur Eindrücke beschreibe, die dann in Mutmaßungen gemündet sind. Jedenfalls nehme ich an, dass dieser Saxophonist - in welcher Ausprägung auch immer - ein Autist ist.

    Anders sieht es beim Trompeter aus. Über den kann man bei Wikipedia lesen:

    Wie gesagt, beide Musiker sind keine Paradebeispiele für introvertierte Menschen; ihre jeweilige Persönlichkeit verhindert es jedoch nicht, dass sie als Jazzmusiker in völliger Abschottung die vielfältigsten musikalischen Interaktionen, die beim Improvisieren benötigt werden,nicht realisieren könnten. Wer weiß - vielleicht können sie dies ja sogar umso besser.

    Man muss meiner Meinung nach keineswegs ein Mindestmaß an Extraversion mitbringen, um Jazzmusiker zu sein. Von Nachteil ist dies mit Sicherheit nicht und vieles ist schlichtweg einfacher.

    Edit:
    Interessant, Michael: Wir posten in derselben Minute etwas, was sich mit Tom Harrell beschäftigt. Ob wir ihn auch im selben Konzert gesehen haben? Wahrscheinlich nicht, aber schon bemerkenswert. :)
     
  7. Bereckis

    Bereckis Gehört zum Inventar

    Hallo Trötomanski,

    ist doch interessant, dass wir zeitgleich "Tom Harell" posten.


    Autismus und Jazz passt meines Erachtens überhaupt nicht!

    Wiki:
    "Kernsymptomatik bei autistischen Behinderungen ist vorrangig die Schwierigkeit, mit anderen Menschen zu kommunizieren (1. und 2. Diagnosekriterium). "

    Musik ist Kommunikation! Dein genanntes Live-Beispiel zeigt doch gerade, dass ohne Sprache hervorragend kommuniziert wurde.

    Gruß
     
  8. Tröto

    Tröto Ist fast schon zuhause hier

    . . . und es dann beide auch noch sofort bemerken. :-D
     
  9. Bereckis

    Bereckis Gehört zum Inventar

    Hallo Trötomanski,

    nein, wir haben unterschiedliche Konzerte gesehen; denn Phil Woods ist ein Amerikaner.

    Hallo Saxas,

    ich bin bei dir!

    Miles Davis ist zumindest auf der Bühne extrovertiert gewesen. Jede seiner Gesten waren eher bewusste Botschaften.

    "So könnte dann auch eine sehr introvertierte Person mit dem Sax in der Hand zur "Rampensau" werden. Ich kann mir das sehr gut vorstellen."

    Ich bin nicht sehr introvertiert, aber Emotionen kann ich tatsächlich besser in der Musik zeigen. Im Privaten fällt mir es deutlich schwerer undarbeite mit 53 Jahren immer noch daran.

    Hallo Saxokuller,

    "Kann man alleine im stillen Kämmerlein "Jazzer" werden?"

    Ich würde dies eher verneinen wollen, denn Musik (besonders der Jazz) ist Kommunikation. Der Trieb auf der Bühne stehen zu wollen, ist auf alle Fälle ein extrovertierter Charakterzug bzw. für den Introvertierten eine Mutprobe. Lach!

    Gruß
     
  10. Rubax

    Rubax Strebt nach Höherem

    Für mich einer der genialsten Jazzer, Thelonius Monk, war wohl beides gleichzeitig, introvertiert in der Welt, extroviertiert in der Familie,
    ihm wurden Autismus und andere seelische Krankenheiten nachgesagt,

    sein autistischer "Bear Dance" bei Auftritten ist bekannt.

    Nachzulesn bei Wikipedia

    Hier ein Youtube-Link

     
  11. Tröto

    Tröto Ist fast schon zuhause hier

    Ich bin mir nicht sicher, ob ich genau verstanden habe, wie Du die Relation zwischen Autismus und Musik (Jazz) siehst.

    Da ich alles andere als ein Experte bin, wollte ich den Begriff "Autismus" in meinem obigen Kommentar auch nicht weiter ausführen.

    Der besagt Saxophonist ist, wenn ich es denn schon als Laie einordnen müsste, ein Asperger-Autist. Da mir in meinem beruflichen Umfeld mindestens zwei Menschen mit dieser Symptomatik längerfristig begegnet sind, kann ich zumindest - mit aller Vorsicht natürlich - behaupten, dass "Aspergers" durchaus in der Lage sind, unter bestimmten Bedingungen verbal und nonverbal zu kommunizieren.

    Eine der beiden Personen, die sehr auskunftsfreudig war, erzählte mir mehrfach, dass sie deshalb auch so viele Probleme hätte, weil sie völlig unfähig wäre, Ironie zu erkennen.
     
  12. Saxax

    Saxax Ist fast schon zuhause hier

    Moin zusammen,

    ich befürchte, dass ich hier, ohne tiefere Überlegung die Kiste "Autismus" aufgemacht habe. Zur Klarstellung: ich habe den Begriff in seiner eher alltagssprachlichen, oberflächlichen Form gemeint, im Sinne von "Störung der zwischenmenschlichen Kommunikation".

    Autismus im med. bzw. psychologischen Sinne meint dagegen sehr unterschiedliche Symptome. Aber auch hier gilt: Wenn jemand z.B. keine Gesichtsmimik oder Körpersprache deuten kann, heisst das noch lange nicht, dass er musikalische Kommunikation, wie sie für mich der Kern der Jazzimprovisation ist, nicht beherrscht. Auch hier ist es möglicherweise wieder genau andersrum und die betreffende Person kann das deutlich besser als der Durchschnitt können. Das Hirn, auch das menschliche, ist mal wieder komplizierter als unsere Stereotypen ;-)


    keep swingin´



    Euer Saxax

     
  13. Gelöschtes Mitglied 5328

    Gelöschtes Mitglied 5328 Guest

    @ saxokuller

    Was ist ein "Jazzer"?

    CzG

    Dreas
     
  14. Gast

    Gast Guest


    ab wann ist jazz jazz!


    vorweihnachtliche atzventzüberlegungen.
     
  15. Bereckis

    Bereckis Gehört zum Inventar

    Hallo Trötomanski,

    so ein Forum ist vielleicht zu oberflächlich, um so komplexe Themen zu klären. Was Asberger-Syndrom ist, habe ich gerade erst im Wiki erfahren.

    Daher bin ich mit meinen Aussagen jetzt etwas vorsichtiger...

    Sagen wir es mal so: Die Musik ermöglicht Kommunikation, die die sprachliche Ebene verlässt.

    Das von dir angesprochene Konzert hätte ich auch gerne erlebt!

    Gruß
     
  16. Bereckis

    Bereckis Gehört zum Inventar

    "Was ist ein Jazzer"

    Mit so einem Thread würden wir vermutlich das Forum sprengen... Lach!

    Ich hatte unter "Jazzer" einen Musizierenden verstanden, der Jazz-Musik spielt.

    Was ist Jazz?

    ...

    Gruß
     
  17. Superliebes

    Superliebes Kann einfach nicht wegbleiben

    Wow, tiefsinnige Fragen am 2. Advent. Das würde wirklich den Rahmen sprengen, diese Fragen zu beantworten, außerdem wird es dann auch noch philosphisch ;-)
    Liegt das damit zusammen, dass bald Weihnachten ist? :)


    Vorweihnachtliche Grüße
    Karin
     
  18. Squirrel

    Squirrel Kann einfach nicht wegbleiben

    Interessantes Thema,

    also ich bin der Meinung eine introvertierte Person die sich mit dem Saxophon wohl fühlt auf jeden Fall extrovertiert werden kann wenn sie spielt.

    Mir geht es ein wenig so, allerdings bin ich glaub ich ein Mischmasch ;-) aus überwiegend introvertiert und (auch ohne Sax) mehr und mehr extrovertiert...

    Lieben Adventsgruß
    Saxosonine.
     
  19. ArminWeis

    ArminWeis Experte

    Hallo saxokuller,

    zur Frage 1: nach meiner Auffassung ist der introvertierte Musiker sogar im Vorteil, wenn es um freies Spielen (Improvisation) geht. Er ist näher bei sich und kümmert sich weniger um die Befindlichkeiten der anderen. Die Anzahl der "Hindernisse" ist vermutlich geringer als beim extrovertierten Kollegen.

    zur Frage 2: Musik ist aus meiner Sicht ein sozialer Event. Das geht auf Dauer nicht gut im stillen Kämmerlein.

    Beste Grüße,

    Armin
     
  20. reiko

    reiko Strebt nach Höherem

    Hallo ihr Lieben,
    Saxax schrieb
    Das finde ich sehr zutreffend und bedenkenswert. Für mich war das in jungen Jahren ein wichtiger Grund mich aktiv mit Musik zu beschäftigen.
    Nun bin ich weder intro noch extrovertiert, aber wenn man mir ein Sax in die Hand gibt, werd ich zur "Rampensau".
    Viele Grüße Reiner
     
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