Jazz riecht nicht mehr gut

Dieses Thema im Forum "Eigene (musikrelevante) Themen" wurde erstellt von ppue, 1.Dezember.2020.

  1. ppue

    ppue Mod Experte

    Ja, da gibt es dieses schöne Zappazitat und ich befürchte, die Sache hat sich nicht weiter zum Guten entwickelt. Ich schrub gerade im TotM-Jazz-Theorie-Thread über eine Super Aufnahme von Mehldau/Redman:

    Ja, da gebe ich dir recht. Die Letzte hat mir außerordentlich gut gefallen. Die Artistik hält sich in Grenzen und die beiden spinnen ein kluges und kreatives Netz um das Thema. Genial, sehr interessant und spannend.

    Was mir dennoch im heutigen Jazz fehlt, ist die Eigenart, vielleicht Sturheit, auf jeden Fall aber die Anarchie, die ich bei Monk oder auch Albert Ayler höre, die Unabhängigkeit und geistige Freiheit eines Eric Dolphis oder die Wärme und charakterliche Tiefe einer Billie Holiday. Mir fehlt im heutgen Jazz die Poesie genau so wie das kulturelle Aufbegehren, die innovative kulturelle Kraft des Jazz und die Persönlichkeit, die etwas zu sagen hat.

    Vielleicht sollte man mal auf das Mindesthaltbarkeitsdatum des Genres gucken.
     
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  2. GelöschtesMitglied11073

    GelöschtesMitglied11073 Guest

    Ja ich finde auch ,Jazz ist inzwischen einfach tot
     
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  3. mato

    mato Strebt nach Höherem

    Der Mangel an den von dir aufgezählten Eigenschaften mag bestimmt für den „Mainstream“ gelten. Der Jazz in kleinen Clubs hat das jedoch alles zu bieten. Was man allein für bunte Konzerte der deutschen Jazz-Avantgarde erleben kann, ist faszinierend. Da kann ich kein Mangel an Innovationskraft und Kreativität erkennen.
    Was das kulturelle Aufbegehren angeht, da denke ich, sind wir momentan noch alle zu satt dafür.
     
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  4. altblase

    altblase Strebt nach Höherem

    Hat man das nicht schon in den 60er Jahren gesagt? :cool:
     
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  5. Zappalein R.I.P.

    Zappalein R.I.P. Guest

    eigentlich gibt es dies alles noch.

    nur, das waren andere zeiten. und schaut man sich diese an, was musikalisch passierte (bis 1970, todestag von ayler) war da vieles in bewegung. erst als dann "alle" freejazz machen wollten, war schluss.

    ab da wurde eben alles in einen pott geschmissen und durchgerührt. und das ist bis heute so geblieben. und wenn ich sage, viele köche verderben den brei, dann meine ich nicht deren musikalische qualität, sondern die vielfallt was heute angeboten wird. kein mensch blickt doch noch durch, durch den wust an neuen (jazz) sachen. und ich bezweifel, das wir noch einmal eine innovation erleben werden.

    aber zappa hatte schon recht mit seinem genialen sptuch.
     
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  6. zwar

    zwar Ist fast schon zuhause hier

    Kräftige Neue impulse in der musik, vielleicht auch allgemein, stammen doch sehr meist aus einem Widerspruch zu den gesellschaftlichen Gepflogenheiten, aus einem unzufriedenen, nach Ausdruck suchenden Gärprozess unterhalb des kulturellen Getriebes, eben innerhalb einer Subkultur. Da passt etwas wie Jazz doch schon lange nicht mehr hin. Entweder hat er sich in seinen eigenen "neuen" Formalismen verheddert, intellektuell, konstruiert, oder latscht gemütlich den eigenen Traditionen hinterher.
    Ist auch für den Jazz ein hoher Anspruch, alt zu sein, aber mit jugendlichem Elan.
     
  7. JES

    JES Gehört zum Inventar

    DAS sehe ich als allgemeinen Mainstream in der Gesellschaft.
    Alles wird in prozesse und Verfahren gefasst, Risiken nicht mehr eingegangen, die Einhaltung von Normen und Regeln ist wichtiger als gute kreative Lösungen.
    Warum sollte ich mich da wundern, dass es im musikalischen auch nicht anders ist.
    Aber erinnere dich daran, diese Diskussionen haben wir schon geführt im Zusammenhang mit licks spielen und quasi auswendig lernen bzw. dem theoretischen Herangehen mittels Harmonielehre and Improvisationen.
     
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  8. gefiko

    gefiko Strebt nach Höherem

    Vielleicht abgelaufen, aber immer noch köstlich, vergleichbar mit Honig, in einem Pharaonengrab gefunden.....
    So geht es aber nicht nur dem Jazz
     
  9. monaco

    monaco Ist fast schon zuhause hier

    Da laufen wir Gefahr, wieder in eine grundsätzliche Diskussion darüber zu geraten, was eigentlich Jazz ist und ausmacht. Wenn ich das mal ausblende, finde ich es sehr spannend, wie z.B. in London afrikanische und karibische Rhythmen eingesetzt werden (Sons of Kemet, Shabaka Hutchings) oder sich in den USA Jazz und RnB gegenseitig befruchten (Kamasi Washington, Kendrick Lamar).
     
  10. Zappalein R.I.P.

    Zappalein R.I.P. Guest

    gott sei dank gibt es noch solche künstler... ich könnte die liste noch verlängern.
    aber innovation? es wird "nur" (nicht falsch verstehen) gefällt oder gefällt nicht bedient.
    daruch ist dann die halbwertzeit eines neunen künstlers, dessen musik, leider auf einen youtube wimpernschlag geschrumpft.
     
  11. Sebastian

    Sebastian Ist fast schon zuhause hier

    Wer sucht, der wird finden. Manchmal muss man länger suchen, manchmal evtl. sogar seine Suchbegriffe ändern. Oder gar nicht suchen. Auf manche zeitgenössische Musik, z.B. von Der Rote Bereich oder Trygve Seim, bin ich gestoßen, ohne danach gesucht zu haben. Ob das mit zu "Jazz" zählt, ist doch nicht so wichtig.
     
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  12. monaco

    monaco Ist fast schon zuhause hier

    Ich finde schon auch Innovationen hier, z.B. bei Koma Saxo in Berlin. Das geht für mich über das reine "Gefällt mir" hinaus, weil vieles davon nicht einfach so gefällt (im Sinne von "gefällig" sein), sondern den Zuhörer durchaus herausfordert.
     
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  13. altblase

    altblase Strebt nach Höherem

    Bei so einer Diskussion bemerke ich bei mir selbst, dass ich von einer Musik keinen besonderen Anspruch, Geisteshaltung, Gesellschaftsbezug, Sendungsbewusstsein, Innovation, Kreativität...erwarte, zumindest nicht bewusst. Es interessiert mich auch nicht, ob man diese und jene Musikstücke als Jazz bezeichnen kann oder nicht.

    Im Jazz gibt es Stücke/Darbietungen, die mir gefallen und andere vor denen es mir graust. Im Bereich der Klassik geht es mir genauso. Ich lasse da jegliche Intellektualität raus und lasse die Musik nur auf meine Seele wirken.

    Als Musikausübender spüre ich intuitiv, ob mir Jazzstücke und ggf. Improvisationen dazu Spaß machen oder nicht, aber ich denke dann nicht weiter darüber nach.

    Kurzum: Als Musikamateur geht es mir nur darum, ob mir die Musik aus dem Bauch heraus gefällt und mir Spaß macht.:cool:
     
    Zuletzt bearbeitet: 2.Dezember.2020
  14. Jacqueline

    Jacqueline Strebt nach Höherem

    Ich kann hier nicht mitreden, als absoluter Jazzneuling gilt es für mich erstmal eine komplett neue Klangwelt zu erforschen.
    Langweilig ist mir dabei noch nicht geworden.

    Daher weiß ich jetzt noch nicht lieber @ppue was dir fehlt.

    Was heißt der Jazz ist tot?
     
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  15. GelöschtesMitglied11073

    GelöschtesMitglied11073 Guest

    Das heist,in der Hochzeit des Jazz war das besonders live ein Publikumsmagnet und absolut Mainstream. Heute ist das nur noch eine Randerscheinung.
    Wenn ich sehe das bei den großen Rockkonzerten Fußballstadien an drei Tagen hintereinander gefüllt werden. Wo gibt es sowas annähernd im Jazz?
    Genau eigentlich garnicht.
    Für mich ist Jazz (sogerne ich machmal Bigbands live höre) eine aussterbende Musikrichtung.wennich die normalen Radiosender durchhöre wo wird da Jazz gespielt. Klar,es gibt spezielle Jazzsender aber das hört ein kleiner Kreis.
    Deswegen meine Aussage:Jazz ist tot
     
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  16. altblase

    altblase Strebt nach Höherem

    Jazz als Massenveranstaltung in Fußballstadien? Will ich das? Ich mag keine Menschenmassen.:cool:
     
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  17. ppue

    ppue Mod Experte

    Nein, Zappa sagte: "Jazz is not dead, it just smells funny"
    Und natürlich beziehe ich mich genau auf den Spruch.

    Das eben alleine macht es für mich eben nicht aus. @monaco führt als innovativen Jazzer Koma Saxo ins Feld. Ich kann da nicht sehen, was sich da kreativ und innovativ in den letzten 44 Jahren, die zwischen den beiden Filmen liegen, getan hätte.






    Das sehe ich auch so. Jazz war in den seinen Anfängen und auch wieder ab den 1940er Jahren "Schwarze Musik" und hatte an der immer noch nicht vollendeten Emanzipation der Afroamerikaner in den USA großen Anteil. Bis in die 1970er Jahre stand der Jazz immer im Zeichen einer politischen Haltung.

    Diese dem Jazz innewohnende Haltung verlor sich mit den immer stärker werdenden Einflüssen aus Südamerika, Indien später Europa und auch wieder Afrika. Die erste Weltmusik dieses Planeten hat sich noch einmal globalisiert. Alles fusioniert mit allem und lässt mich hinter der Musik die Gesinnung vermissen.

    Musik muss nicht politisch sein. Für mich allerdings war sie es immer und deshalb fokussiere ich darauf. Die Jazzer von heute sind mechanisch bestens ausgebildete Musiker, die ihr Wissen in Musik- und Musikhochschulen weitergeben, bestenfalls von Auftritten in Clubs oder auf Festivals leben können, die mir aber nicht vermitteln können, dass sie in der oben beschriebenen Tradition musizieren.

    Ich kann und willl diese Tradition nicht vom Jazz abziehen und deshalb ist die heutige Art der Musik, mag sie auch wie Jazz klingen, eben nicht mehr Jazz.

    Ganz tot? Nein, tief im Süden der USA gibt es die Stadt, die für die Anfänge des Jazz steht: New Orleans. Und da höre ich, wie die jungen Leute Straßenmusik machen. Ganz in der Tradition des Stils, der vor genau 100 Jahren in dieser Stadt entdeckt wurde.

    In dieser Straßenmusikszene finde ich seit langem wieder eine Haltung: Eine offene, unakademische, kollektive und solidarische Haltung, die vielleicht gerade deshalb wieder zu den Wurzeln des Jazz zurück findet, weil dort die erste Musikrichtung zu finden ist, in der kollektiv musiziert wurde.

     
  18. Gelöschtes Mitglied 13399

    Gelöschtes Mitglied 13399 Guest

    Ich empfinde es zwar ebenso (zugegebenermaßen bin ich wohl auch etwas nostalgisch verklärt), ich denke aber, dass Problem ist nicht Anpassung an den Mainstream, sondern zu hohe Ansprüche an sich selbst. Jeder will der nächste Coltrane sein, hat einen IQ von 400 und eine Revolution der Musik schlechthin in Aussicht. Es geht zu sehr ums eigene Ego. Da kann man kaum Persönlichkeit in die Musik fließen lassen, weil man sich so viele Begrenzungen setzt und ein Ego nunmal keine Persönlichkeit sondern etwas Künstliches ist. Daher ist für mich das wichtigste in der Musik immer Authentizität. Es ist egal, ob Musik gut klingt, so lange sie sich gut anfühlt, Jazz ist kein Genre sondern eine Art zu leben. Ich hoffe für mich selbst, dass ich diesen Ideen in meiner weiteren Entwicklung treubleiben werde, und, dass ich dafür die richtigen Leute finde.

    Fazit: Jazz ist nicht tot, es gibt Leute, die den Geist des Jazz leben, da kann man optimistisch sein. Sie sind halt nur nicht in Radiosendungen oder auf den Alben großer Labels zu hören, wie @mato schrieb.
     
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  19. bthebob

    bthebob Strebt nach Höherem

    Auweiha ..... ich hoffe bloß, das aktive und erfolgreiche Jazzer wie Denis Gäbel u.a.
    hier nicht mitlesen.
    Ich weiss nicht, wie ich's finden würde, wenn das berufliche Umfeld, in dem ich tätig bin
    als "tot" charakterisiert würde ?
    Veränderungen ja, überall .... aber tot ?? Hilfe !!
    "Nur wer sich verändert, bleib sich treu" Zitat eines klugen Mannes ... Brecht ??
    VG
     
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  20. Gelöschtes Mitglied12629

    Gelöschtes Mitglied12629 Guest

    Ich finde, genau hier passieren gerade totel viele Dinge. Mein Eindruck ist, dass im Moment Jazz gerade wieder zum Leben erweckt wird (ähnlich wie vor 30 Jahren als es mit dem ganzen Acid Jazz wieder einen neuen Schub auch für klassischen Jazz gab). Neben den genannten: Nubya Carcia, die weitere Projekten ihr und von Shabaka Hutchings und dem Umfeld (z.B. Melt Yoursef Down, The Comet is Coming, Nerija, Ancestors - allesamt phantastisch), Makaya McCraven, Lakecia Benjamin, Yazz Ahmed.... - es gibt so viele im Moment. Das füllt alles keine Stadien, ist aber auch aber auch definiv keine Musik für gealterte Revoxanlagenlehnstuhljazzhörer, die langsam aussterben.
    Und bei Leuten wie Garcia oder Washington oder McCraven kann man schlechterdings kaum Sturheit, Poesie, Tiefe, Persönlichkeit, Unabhängigkeit, Wärme, Anarchie und was noch alles vermisst wird absprechen. Kulturelles Aufbegehren auch nicht gerade. Außerdem haben wir doch gerade eine Repolitisierung des Jazz, gerade nochmal getriggert durch Black Lives Matter, aber auch schon vorher, gerade durch die "jungen Klassiker" wie Carrington oder McBride)
    Wer findet, dass Jazz tot ist, hat Tomaten auf den Ohren oder seine Playlist die letzten 10 Jahre nicht mehr aktualisiert (oder nur nach neuen Alben alter Jazzstars gesucht).
    (Und klar ist das alles Jazz: Es ist improvisiert, es swingt/groovt)
     
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