Kein Gefühl für das Tonmaterial

Dieses Thema im Forum "Improvisation - Harmonielehre" wurde erstellt von Gelöschtes Mitglied 13399, 18.Juni.2019.

  1. Gelöschtes Mitglied 13399

    Gelöschtes Mitglied 13399 Guest

    Hallo, alle zusammen!
    Ich stehe noch ganz am Anfang der Improvisation und finde einfach nicht den Groove. Ich höre von morgens bis abends Jazz: von Fats Waller und Benny Goodman über Charlie Parker und Paul Desmond bis John Coltrane und Sonny Rollins (viel weiter aber nicht). Offensichtlicherweise begeistert mich die Musik, aber wenn ich improvisiere, wecken die Skalen einfach keine Gefühle in mir. Ich komme nicht aus mir hinaus. Zerlegungen der Skalen, über die ich momentan das Improvisieren übe, haben mir zwar merkbar geholfen, mehr Ideen zu haben und abwechslungsreicher sowie gewandter zu spielen, aber ich habe immer noch kein Gefühl für die Musik, die Ideen kommen nicht vom Herzen. Selbst das Hören anderer Improvisationen über das gleiche Stück hilft nicht. Wie schaffe ich mich, im Tonmaterial des Bebop und des Jazz allgemein so richtig wohl zu fühlen? Also Konsument tue ich es ja schon.
     
  2. Gelöschtes Mitglied 5328

    Gelöschtes Mitglied 5328 Guest

    Mit ganz viel Geduld. Nach zwei Jahren wärst Du schon im Fernsehen, wenn Du das könntest.

    Wie alt bist Du? Spielst Du noch andere Instrumente?

    CzG

    Dreas
     
    kokisax gefällt das.
  3. CBlues

    CBlues Strebt nach Höherem

    Das Tonmaterial ist doch wohl nur ein Teil der Gestaltungsmöglichkeit beim Improvisieren.
    Die Rhythmik, Phrasierung, das Timing und die Dynamik nicht vergessen ! ;o)

    Just my 5c

    LG Lothar

    PS.: Es freut mich sehr, das mal eine Frage zum Thema Saxophonspielen im Forum gestellt wird !:duck:
     
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  4. mato

    mato Strebt nach Höherem

    Die beste Möglichkeit ist, in meinen Augen, Soli zu transkribieren und nachzuspielen. Ist sehr anstrengend, verbindet einen aber auch ziemlich gut mit den Stück. Fast genauso gut sind Jazzetuden, wenn man sie wirklich beackert und nicht zu früh wieder weg legt. Ich habe mich manchmal über 4 Wochen täglich mit einer Jazzetude beschäftigt, weil mein Lehrer das Beste rauskitzeln wollte.
    Sehr zu empfehlen sind Fishman, Snidero, Mintzer und Niehaus.
     
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  5. GelöschtesMitglied1589

    GelöschtesMitglied1589 Guest

    Bebop ist eine Sprache, die du (wie auch ich) lange Jahre nach Dur und Moll lernst. Das geht nicht über Nacht. Du bist ja schon gut unterwegs, und ich entnehme deinen Zeilen, dass du wirklich sehr bewusst und gewissenhaft arbeitest und die Materie hörend und analysierend durchdringst.
    Bleibe auf diesem Weg und "füttere" dich weiter mit Vokabular. Irgendwann wirst du dich "frei schwimmen".
    Ein kleiner Tipp: ich würde versuchen, Motive und Melodien zu pfeifen oder zu singen, z.B. auf Spaziergängen oder im Auto. Das ist unmittelbarer als das Spiel auf dem Sax, und vielleicht kommst du so in einen "flow". Besonders das Singen oder Pfeifen von Material hilft, z.B. GTHT oder HTGT, verminderte Septakkorde, übermäßige Dreiklänge, verschiedene Modi wie z.B. lydisch oder dorisch usw etc)
     
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  6. Gelöschtes Mitglied 13399

    Gelöschtes Mitglied 13399 Guest

    Ich bin 16 und spiele ansonsten noch Klavier (auch Jazz)
     
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  7. GelöschtesMitglied1589

    GelöschtesMitglied1589 Guest

    Hallo Paul, das ist doch wunderbar, wie jung du bist und wieviel Zeit du hast, die Sprache des Jazz in aller Ruhe und mit Freude zu erlernen. Was ich oben vergessen habe, was aber schon erwähnt wurde: Rhythmus wird leicht vergessen und ist doch so wichtig.
    Ich "stolperte" heute über das Portrait eines jungen Saxofonisten aus Köln im Kölner Stadtanzeiger: Stefan Karl Schmid. Der empfiehlt z.B. (wie übrigens auch Branford Marsalis), auf keinen Fall "Patterns" einzuüben, sondern möglichst viele Soli, die einem gefallen, zu transkribieren und nachzuspielen. Das macht er auch selber in einigen Clips auf Youtube vor:

     
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  8. Guido1980

    Guido1980 Ist fast schon zuhause hier

    Also ich find ja das es für Übungen zur Kreativität oder auch "Soulhaftes Improvisierren" keiner Skalen oder gar vieler Töne bedarf.

    Pentatonik - viel Zeit, vielleicht ein bisschen Hall (Brücken sind toll). Ruhe und Entspanntheit, dann einfach Grooven... langsam spielen, Töne wiederholen, Muster aufbauen, varieren, Dynamikspielchen...

    Viel Erfolg ! Das macht auch tierisch Spass !
     
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  9. Gelöschtes Mitglied 13399

    Gelöschtes Mitglied 13399 Guest

    Danke für eure tollen Tipps!
     
  10. Zappalein R.I.P.

    Zappalein R.I.P. Guest

    @Paul2002 ...und spiele viel mit anderen musiker*innen zusammen ...und trenne es dabei von deinem lehrer und dem übeprogramm... viel erfolg. lg
     
  11. nkmer

    nkmer Kann einfach nicht wegbleiben

    Ohne Saxophon und ohne Skalen im Kopf mit der Stimme improvisieren.
     
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  12. GelöschtesMitglied1589

    GelöschtesMitglied1589 Guest

    Bin ganz bei dir, lieber @Guido1980. Wenn man aber einmal die Alterationen, die verminderten Quinten und Spielereien auf der Dominante im Ohr hat, wird man das nicht mehr los, ich jedenfalls nicht. Ich arbeite mich am Tenor ja immer wieder an "Donna Lee" von Parker ab und entdecke auch beim hundertsten Mal noch Ecken, die mich faszinieren und denen ich nachspüre.
    Wenn ich dann beim Improvisieren merke, dass ganz allmählich und wirklich "in den Kinderschuhen" solche "Nachspürungen" einfließen, freue ich mich.
     
  13. Stevie

    Stevie Ist fast schon zuhause hier

    High Paul 2002,

    ich denke, dass es auch vor allem eine Frage der Zeit ist. Du beschäftigst Dich ja offensichtlich sehr intensiv mit der Musik - das "Feeling" wird dann mir hoher Wahrscheinlichkeit schon noch kommen. Viel spielen und "rumprobieren" hilft. Transkribieren ist grds. eine super Sache - ist aber auch sehr zeitintensiv und hat auch ein gewisses Frust-Potential. Das Beispiel von Stefan Karl Schmid macht das für mich gut deutlich: ich hätte das vermutlich nie transkribieren können - und selbst wenn, würde ich es definitiv nicht spielen können.

    Aber man kann sich auch aus einem Solo mal nur ein paar Takte herausgreifen, die einem gut gefallen und dann damit herumspielen.

    Patterns und licks finde ich weniger hilfreich - insb. die Lehrbücher von Fishman und Co. sagen mir nicht so zu, weil sie den größeren musikalischen Zusammenhang eines Songs (notwendigerweise) ausblenden. Ich finde es sinnvoller, auch technische Übungen über die Chords von "richtigen" Stücken zu üben und nicht "Trockenübungen" über Chord Changes zu machen, die in dieser Abfolge in keinem Stück der Welt vorkommen.

    Aber das ist Ansichtssache ...

    So long
    Stevie
     
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  14. saxhornet

    saxhornet Experte

    Gegen Patterns und Licks gibt es eigentlich nichts negatives zu sagen, wenn man weiss wie man sie nutzt und was man von ihnen lernen kann und wie man da ran geht. Im Solo sollte man auswendig gelernte Patterns aber nicht bewusst nutzen.
     
  15. pth

    pth Ist fast schon zuhause hier

    Das hast Du schon richtig erkannt. Du stehst an einem Punkt wo du lernen solltest Deine Skalen zu finden. Die findest Du vielleicht nach einem Besuch im Museum beim betrachten eines Bildes. Beschäftigung mit der Intuitiven Musik kann auch erhellend sein.
     
  16. Juju

    Juju Strebt nach Höherem

    Hallo Paul,
    spielst Du Alt oder Tenor? Es ist ja schon von vielen gesagt worden, dass Transkribieren eine sehr wichte Sache ist. Mit einem Programm wie "Transcribe" kannst Du das Tempo eines Stückes herunterfahren, sollte es Dir im Originaltempo noch zu schwierig sein. Ich würde an Deiner Stelle mal von einem Solo, was Dir richtig gut gefällt, vielleicht einen Chorus vornehmen, und dann wirklich auswendig lernen und zu der Aufnahme mitspielen - in "Transcribe" kann man das Tempo dann langsam steigern. Wenn ein Chorus noch zu viel ist, dann nimm einen A-Teil oder so. Aber versuche wirklich, den Spieler ganz genau zu kopieren, von der Time und Artikulation her.
    Ich finde schon, dass Patterns und Licks eine wichtige Ergänzung sind. Wobei ich jetzt nicht unbedingt Fishman und Co brauche, ich habe meine eigene Licksammlung, die eben genau aus den Sachen besteht, die ich mir von meinen Vorbildern rausgehört habe. Aber Fishman hat sehr schöne und sinvolle Licks, und wenn man erstmal nicht weiß, wo man anfangen soll, sind da eine Menge gute Sachen dabei.
    Man muss auch erkennen, welche "Trockenübungen" im Zweifelsfall sinnvoll sind. Eine Phrase chromatisch auf- und abwärts oder up und down in Ganztonschritten oder durch den Zirkel zu üben, gibt Dir Flexibilität und die Möglichkeit, Dinge, die Dir irgendwann einfach so in den Kopf kommen, dann auch in der Tonart, die das Stück gerade verlangt, spontan spielen zu können. Eine meiner go-to Trockenübungen sind II-V-I down in tones, denn diese Rückung kommt bei so vielen Standards vor, z.B Cherokee, Night Has a Thousand Eyes etc etc, da lohnt es sich wirklich, die Dinger so zu üben, dass man sie ohne drüber nachdenken zu müssen, jederzeit abrufen kann. Und es gibt noch weitere Chord Changes, die ständig vorkommen.
    Aber es ist schon sinnvoll, sich eine Phrase aus dem größeren musikalischen Zusammenhang herauszulösen, sie isoliert in allen Tonarten zu üben und dann wieder in den größeren musikalischen Zusammenhang einzufügen, in dem man schaut, wo passt diese Phrase im Stück X, Y und Z hin und warum? Und wie bette ich sie in den größeren musikalischen Kontext ein, also wie schaffe ich musikalisch sinvolle Verbindungen in diesem konkreten Kontext?

    LG Juju
     
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  17. saxhornet

    saxhornet Experte

    Mach Dir mal weniger einen Kopf, habe Spass am musizieren und entspann Dich. Mit 16 fängt die Reise gerade erst an, wenn Du zu verbissen ran gehst, wirst Du den Spaß verlieren und viele Ideen kommen auch erst dann, wenn man loslassen kann. Und mit 16 schon das Tonmaterial des BeBop sich erarbeiten zu wollen, halte ich für schon sehr sehr ehrgeizig, check erstmal die Sachen vorher gut aus, die die Basis für den BeBop waren, dann wird es mit dem BeBop später auch leichter. In Verbindung mit deinem Technik Post, wirkt es auf mich, als wenn Du zu verkopft vielleicht rangehst ans Spielen. Aber wie bei dem Technik Post, ohne Dich zu hören, wie Du über verschiedene Sachen spielst, lässt sich wenig sagen, was Dir helfen würde.
     
  18. ppue

    ppue Mod Experte

    Ich kenne deine Situation ganz gut, @Paul2002.

    Ich war mit 17 vom Revival-Dixieland (Petit Fleur und Co.) meines Bruders verseucht, von der Stereoanlage meines Vaters mit Klassik durchgespült und spielte selbst in Free- und Modern-Jazz-Formationen. Mir fehlte aber der komplette Bebop, den ich nicht auf die Reihe bekam.

    Also zwei Wochen nur Bebop gehört, Soli transkribiert, Charlie Parker nachgespielt und? Nichts. Ich bekam nicht eine Bebop-Phrase improvisiert.

    Zu der Zeit war ich zumeist nachts bis zum letzten Absacker in der Jazzkneipe. Die lag gute sechs Kilometer von meiner Wohnung entfernt. Als mein Fahrrad mal wieder geklaut war, musste ich zu Fuß nach Hause laufen. Dabei kam mir der Gedanke, doch mal zu versuchen, Bebop-Phrasen zu singen. Anfänglich ging gar nichts, aber nach einer dreiviertel Stunde zeichnete sich was ab. Später, zu Hause angekommen, nahm ich das Saxophon und hatte das tollste Erfolgserlebnis meines Lebens: Ich hatte den Bebop im Ohr.

    Deshalb unterstreiche ich voll und ganz @henblower s Vorschlag, ganz viel zu singen.
     
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  19. Gelöschtes Mitglied 13399

    Gelöschtes Mitglied 13399 Guest

    Ich werde jetzt einfach mal auf euch alle gesammelt antworten. Danke natürlich für euer Engagement. Ja, ich gehe etwas verkopft an die Sache hinan, weil ich wegen meiner Mitmieter und meines Perfektionismus möglichst viel vom Üben mitnehmen will. Wenn aber etwas an meiner Einstellung oder meinem Verhalten nicht förderlich ist, vertraue ich natürlich auf den Rat erfahrenerer Spieler wie der euren. Ich habe jetzt Charlie Parkers Solo über Now's the Time zum Teil gelernt und mit Playback gespielt, was mir tatsächlich geholfen hat, bei der anschließenden Improvisation ideeenreicher zu spielen. Blues-Pentatonik habe ich früher oft geübt, aber es hilft mir eher beim Rhythmus als beim Tonmaterial, ein besseres Gefühl zu entwickeln, was zwar auch hilft, aber momentan nicht mein größtes Erstreben ist, da ich erstmal halbwegs schöne Melodien bilden können möchte. Das mit dem Mitsingen werde ich mal weiter ausbauen, habe es nämlich in der Vergangenheit oft gemacht und dabei bisher noch nicht so viel an Verbesserung bemerkt.
     
    Rick gefällt das.
  20. GelöschtesMitglied4288

    GelöschtesMitglied4288 Guest

    Viel Spaß bringt auch ein Band aus dieser Serie hier. Meine 15-Jährige Schülerin hat einen Wahnsinnssprung nach vorne gemacht, seitdem wir uns im Unterricht die Soli heraushören, das Tonmaterial in einzelne Fragmente zerlegen und in neue Ideen verwandeln. Sie hat bisher noch keine große Ahnung von Skalen (außer den Durleitern), improvisiert aber intuitiv schon sehr gekonnt.
     
    Ottokarotto gefällt das.
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