Profi werden, Profi sein

Dieses Thema im Forum "Eigene (musikrelevante) Themen" wurde erstellt von Gast, 30.November.2014.

  1. Gast

    Gast Guest

    Hier auf Spiegel-online ist ein sehr interessanter Artikel über den Musikerberuf heute, zwar in der üblichen etwas reißerischen Art des Spiegel geschrieben und nur von Musikern ernster Instrumente handelnd, die in ernsten Orchestern ernste Musik machen, aber ich schätze mal, die Problematik lässt sich ohne weiteres auch auf lustige Bereiche wie Rundfunk-Bigbands oder normale Jazzclubcombos übertragen.

    Kaum noch vorstellbar: ein Musikerdasein ohne Unterricht oder Showbizjobs.

    Herman
     
  2. bluefrog

    bluefrog Strebt nach Höherem

    Ja, ein sehr interessanter Artikel. Er endet mit dem Fazit eines jungen Cellisten auf einer Vertretungsstelle, der demnächst wahrscheinlich arbeitslos sein wird:

    Wie seht ihr das?

    LG Helmut
     
  3. Bereckis

    Bereckis Gehört zum Inventar

    Hallo Helmut,

    ich hatte diesen Artikel heute morgen bereits gelesen.

    Ich kann Michael Mann sehr gut nachempfinden.

    Die Berufswahl ist eine sehr individuelle Entscheidung, wenn ich überhaupt entscheiden kann.

    Ich selber hatte mich beruflich gegen die Musik entschieden.

    Das Ergebnis:
    - gutes Einkommen
    - sicheren Arbeitsplatz
    - seit einigen Jahren beruflich immer mehr unzufrieden
    - wenig Zeit und Konzentration für Musik

    Schaue ich in meinen nahen Personenkreis um:
    - einige private Insolvenzen
    - drohende Arbeitslosigkeit
    - Leiharbeit als Standard
    - Ängste vor der materiellen Zukunft

    Da relativiert sich meine berufliche Unzufriedenheit schnell.

    Viele Berufstätige haben keinen Spaß an der Arbeit und kaum Geld.

    Die Wertigkeit von Kunst in einer Gesellschaft haben wir ja schon häufiger diskutiert. Dieses Fass möchte ich nicht aufmachen.

    Gruß
     
  4. abraxasbabu

    abraxasbabu Ist fast schon zuhause hier

    Da geht es den Musikern wie vielen anderen. Im Hotel 60-70 Stundenwoche. Oft keine 1500 im Monat. Können jeden Tag rausgeschmissen werden. Ein großteil der Menschen in Deutschland muss Harz 4 aufstocken trotz vieler Stunden. Viele haben nach der Arbeit noch einen Putzjob. Und im gegenteil zu Musikern macht denen die Arbeit nicht mal SpAss
     
  5. saxhornet

    saxhornet Experte

    Ja es gibt noch viele andere schlecht bezahlt Jobs in Deutschland. Nur daß Du auch mit einem Akademikertitel (sprich einem abgeschlossenen Musikstudium, das gerade in der Klassik für Orchester häufig Pflicht ist)so wenig verdienst, kam in Deutschland doch ein klein bisschen seltener vor im Vergleich, zumindest war das früher so aber das scheint sich auch gerade leider zu ändern und häufiger zu werden. Wobei das stark natürlich davon abhängt was man studiert hat, mit einem Studiumsabschluss in bestimmten Sprachwissenschaften wird es auch nicht leichter auf dem Arbeitsmarkt. Ich kannte auch mal eine studierte Architektin, die hat ausser Praktikas nix gefunden und saß nachher im Elektronikmarkt an der Kasse.

    Zu implizieren, daß Musiker aber immer Spaß haben im Gegensatz zu Anderen ist komplett realitätsfern und verklärt den Beruf etwas sehr. Pures Wunschdenken. Da ist es auch nicht anders wie bei anderen Jobs, mal so und mal so.

    Lg Saxhornet
     
  6. Mini

    Mini Ist fast schon zuhause hier

    Ich verstehe den Artikel nicht.

    Wieso ist er denn nicht mehr bei dem B-Orchester im Osten?

    Und was ist die Schlußfolgerung? Weitere Berufsorchester gründen, bis alle studierten deuteschen Musiker (und die besseren Ausländer, die werden ja zuerst eingestellt) eine feste Stelle haben? So ein System zur Vermeidung von Arbeitlosigkeit gab es ja auch schon mal, hat nicht gut funktioniert, wurde versehentlich aufgelöst.

    Gruß
    Mini
     
  7. Rick

    Rick Experte

    Hallo Michael,

    solche Umstände kenne ich auch in meinem Bekanntenkreis; als ich mich Mitte der 1980er für den Musikerberuf interessierte, war mir bereits klar, dass es auch in den "bürgerlichen Berufen" keine absoluten Sicherheitsgarantien mehr geben kann.
    Wir "Babyboomer" haben ja in unserer Jugend die Massenarbeitslosigkeit der 1970er Jahre als abschreckendes Beispiel erlebt, das "akademische Prekariat" begann sich anzukündigen...

    Ich habe aber nicht kompromisslos eine Musikerkarriere ergriffen, sondern erst mal ein paar verschiedene Sachen an der Uni zu studieren begonnen, nebenbei Musik gemacht, bis sich irgendwann abgezeichnet hat, dass ich mit der Musik ganz gut Geld verdiene (damals im Schnitt über 3000 DM pro Monat, nicht schlecht für einen autodidaktischen Freiberufler Mitte 20!), jedenfalls mehr, als ich mit einer akademischen Laufbahn in meinen Fächern Musikwissenschaft und Soziologie auf absehbare Zeit würde erreichen können (VWL hatte ich nur als Nebenfach, mehr aus Neugier denn zwecks Karriereplanung).

    Den letzten Anstoß, mich ganz als Selbstständiger auf die Musik zu verlassen, gab die Erkenntnis, dass ich gegen geregelte Arbeitszeiten und weitgehende Fremdbestimmung völlig allergisch bin. Deshalb hat es mich auch nie zu Festanstellungen in Orchestern oder an Musikschulen gedrängt, dafür bin ich einfach nicht geeignet.
    Ich bekomme schon Beklemmungsgefühle bei mehrwöchigen Touren oder längeren Engagements, etwa bei Theaterproduktionen! :-o

    Aber man muss sich eben über die Bedingungen des Lebens als freischaffender Künstler im Klaren sein. Das muss jeder für sich selbst entscheiden - gerade heute, wo viele Geldverdienstmöglichkeiten für Musiker wegbrechen, wo es einerseits immer weniger Musikschüler und andererseits immer mehr DJs zu geben scheint, also die klassischen Sparten Unterricht und Unterhaltungsmusik zu verschwinden drohen.

    Bei mir läuft es nicht so schlecht, bin ja quasi etabliert, doch ich weiß nicht, ob ich mich heute noch genau so entscheiden würde wie vor einem Vierteljahrhundert... :roll:

    Mein Sohn hat jetzt trotz großer Musikalität mit einem Dualen Studium begonnen, BWL und Banklehre. Ich habe ihm dazu geraten, es entspricht aber auch seinen Neigungen, denn im Gegensatz zu seinen Eltern liebt er Mathematik.
    Er meinte mal, auf seine Berufswahl angesprochen: "Einer in der Familie muss schließlich Geld verdienen!" :-D


    Schöne Grüße,
    Rick
     
  8. bhimpel

    bhimpel Ist fast schon zuhause hier

    Die Konkurrenz ist überall riesig, nicht nur in der Musik. Genau das eine hochgesteckte Ziel, auf das man hinarbeitet, erreicht man heutzutage selten. Dagegen kann man aber leider auch nichts machen. Man muss flexibel bleiben. Und wie auch in anderen Berufen, braucht man neben Exzellenz auch einen guten Geschäftssinn und Vitamin B. Gerade Musiker lernen das mit dem Geschäftssinn erst später, nämlich wenn sie ihn beispielsweise als (teilweise) freischaffender Musiker brauchen. Jazzmusiker lernen das schon recht früh. Dass Orchester wegrationalisiert werden, verschlimmert die Situation für Klassiker natürlich. Aber auf der anderen Seite gibt es in Deutschland immer noch mehr Orchester als irgendwo sonst auf der Welt. Ich habe mal nach harten Zahlen gesucht, aber leider nichts gefunden.

    Mein Bruder hat das Glück gehabt, eine feste Stelle in einem Orchester zu bekommen. Allerdings ist eine Stelle als idealistischer Musiker in einem kleinen Orchester auch kein Zuckerschlecken. Das Niveau ist durchwachsen, man hockt zusammen, ob man sich mag oder nicht, viele machen halt nur ihren Dienst und fertig, ohne die Orchesterarbeit zu genießen, von so einer Stelle könnte man keine Familie ernähren, so macht man nebenher Kammermusik, unterrichtet an Musikschulen.

    Viele Grüße,
    Benjamin
     
  9. Bereckis

    Bereckis Gehört zum Inventar

    Hallo Rick,

    ich freue mich für jeden, der im künstlerischen Beruf und auch noch selbstständig klar kommt. Ein guter musikalischer Partner erinnert mich sehr an deinen beruflichen Weg.

    Dein Sohn hat offensichtlich die materiellen "Entbehrungen" genug mitbekommen. Ein duales Studium ist ein guter Weg.

    Ob er am Ende vielleicht dennoch Berufsmusiker wird, wird sein individueller Lebensweg zeigen.

    So ist halt das Leben!

    Letztendlich muss jeder seine eigenen Entscheidungen treffen. Und das Geheimnis ist, dass man dies ständig tun müsste und nicht nur zu Beginn der beruflichen Laufbahn.

    Wenn ich im Beruf unzufrieden bin, dann muss ich etwas tun und nicht auf den erreichten Status verharren.

    Lieben Gruß
     
  10. Bereckis

    Bereckis Gehört zum Inventar

    Hallo Benjamin,

    ich stimme dir voll zu! Es entspricht auch meinen Erfahrungen.

    Gruß
     
  11. Rick

    Rick Experte

    Hallo Michael!

    Nun, meiner Ansicht hat er nichts entbehrt, er war immer gut genährt und gekleidet, sowohl für teure Lego-Modelle als auch für viele Yi-Gi-Oh-Karten hat das Geld immer ausgereicht.

    Die scheinbaren Entbehrungen stehen aber im Vergleich zur Umgebung:
    Wir wohnen ja hier in der "Region der Weltmarktführer", wo es sehr viele Reiche gibt, und wenn man dann mit jemandem gemeinsam in die Klasse geht, der von den Eltern zum Führerschein einen neuen Porsche und zum Abitur eine Eigentumswohnung geschenkt bekommt, wächst natürlich die finanzielle Unzufriedenheit... :-D

    Dann müsste er allerdings noch SEHR viel üben. :cool:
    Ich denke, der Zug ist abgefahren. Er hat einfach nicht diesen unbändigen Drang zum Musizieren, diese Besessenheit, die man meiner Ansicht nach benötigt, um als Musiker dauerhaft erfolgreich zu werden - und die einem auch über mögliche Widrigkeiten hinweg hilft....

    So ist es, man muss flexibel sein, das Leben ist heutzutage in Deutschland womöglich so leicht und angenehm wie niemals zuvor - aber Vollkasko gibt es nun mal nirgends.

    Lieben Gruß,
    Rick
     
  12. mixokreuzneun

    mixokreuzneun Ist fast schon zuhause hier

    Profi werden ist nicht schwer, es zu sein dagegen sehr......


    Grüsse

    Mixo

     
  13. visir

    visir Gehört zum Inventar

    Und hier ist auch das Zitat, das auf mich passt:

    Als Kind hab ich überlegt, soll ich in die musikalische Richtung gehen, oder in die technische. Ich hab die technische gewählt, um mir das liebste nicht durch Pflicht zu verleiden. Mir fehlt eben dieser unbändige Drang, man könnte es auch "ausreichend Fleiß" nennen. Ich liebe es zu musizieren, zu tanzen, auch Schauspiel... und momentan, nach vielen ruhigen Jahren, ist der Zweifel, ob ich denn richtig entschieden habe, wieder stärker. Aber würde ich es auch noch lieben, wenn ich es beruflich machen würde? Wenn ich "müsste"? Da gehört wohl mehr Passion dazu...

    Nun arbeite ich in der IT, hab eine sichere Stelle, verdiene nicht schlecht, bin auch mit meiner Arbeit und meiner Firma soweit zufrieden... und "hättiwäri" hat einen noch nie weitergebracht.
    Eventuell, dass ich einmal auf Teilzeit umsteige, um mehr musisches tun zu können... aber hauptberuflich? Da müsste mich das Glück schon überrennen...

    lg, Wolfgang
     
  14. Juju

    Juju Strebt nach Höherem

    Ich sehe es ja taeglich bei Dave, wie sich das Musikerdasein staendig zum Schlechteren veraendert. Ich glaube nicht, dass er vor 25 Jahren gedacht haette, dass eine Dozentenstelle eines Tages die einzige relative Sicherheit sein wuerde- er war in jungen Jahren staendig ueberall auf der Welt unterwegs. Aber da waren auch viele Pop-Gigs dabei. Irgendwann ist es dann befriedigender, einen Pub-Gig vor 20 Leuten mit dem eigenen Quartett fuer so gut wie kein Geld zu spielen und tagsueber an der Hochschule zu sein als mit Robbie & Kylie und Co durch die Weltgeschichte zu tingeln (wobei ich auch viele Kollegen kenne, die daran Spass haben) - ich wuerd auch nicht nein sagen.. ;)
    Ich bereue es einerseits oft, nicht hauptberuflich Musikerin geworden zu sein, andererseits waere es der Horror, wenn Dave und ich beide den gleichen Gigs hinterherjagen muessten... So kann ich mich entspannen und mir gelegentlich die Rosinen-gigs rauspicken :)
    Ist aber schwierig, dem Nachwuchs was zu raten, ich sehe nicht, dass sich die Situation in absehbarer Zeit entspannen wird. Es wird weiter gekuerzt und in Deutschland werdet Ihr moeglicherweise auch bald britische Verhaeltnisse haben. Was Kulturfoerderung angeht, ist D zumindest momentan im Vergleich zu GB Schlaraffenland.
    LG Juju
     
  15. Marko1974

    Marko1974 Kann einfach nicht wegbleiben

    Hallo Juhu,
    vor 25 Jahren war die Welt auch nicht gerechter.
    Wir waren lediglich 25 Jahre jünger und haben gar nicht gedacht. Heute dafür viel zu viel. ;-)
     
  16. Juju

    Juju Strebt nach Höherem

    Hi Marko
    Gerechter vielleicht nicht, aber es gab definitiv mehr Jobs fuer Musiker, das ist Tatsache...
    Lg Juju
     
  17. Marko1974

    Marko1974 Kann einfach nicht wegbleiben

    Sofern man den Kommentaren dieses Zeitungsartikels glauben kann, herrscht aber z.Z. ein erheblicher Überschuss an guten Musikern.
    Wie das damals war, weiß ich natürlich nicht.

     
  18. GelöschtesMitglied3606

    GelöschtesMitglied3606 Guest

    Ich bin Profi geworden mit der Absicht zu Unterrichten. Mich treibts in kein Orchester, mich treibts nicht auf Tournéen. Ich habe 11 Jahre Unterrichtserfahrung und bin nun 1 1/2 Jahre freiberuflich in diesem Job tätig. Ich bin sehr glücklich, habe ich mich nach einem anderen Studium doch bewusst für die Musik entschieden. Ich tingel jedoch viel hin und her, habe 4 Arbeitgeber, die ich bediene.

    Für mich als Single reichts allemal, aber sobald Familie kommt, dann gute Nacht Marie.

    lG Clownfisch
     
  19. Wanze

    Wanze Strebt nach Höherem

    Ein paar Beispiele aus meinem persönlichen Bekanntenkreis:

    Die (Ex-)Klavierlehrerin von meinem Sohn hatte einen dichten Terminkalender, zwischen 13:00 und 18:00 durchgetaktet, danach noch Erwachsenenunterricht. Hat sicher nicht schlecht verdient.

    Mein Lehrer hat ein Gemisch von Gigs und Schülern. und wenn's mal nicht so läuft, geht er los und organisiert sich selbst was.

    Ein Bekannter hat Oboe gelernt, wurstelt sich von Schwangerschaftsvertretung zum Dirigentenjob im Musikverein durch.

    Für mich das Fazit: Mit populären Instrumenten (Gitarre, Klavier, Saxophon...) kann man als Lehrer oder mit einer Mischung, Lehrer und Künstler prima leben. Natürlich muss man schauen, dass man gut vernetzt ist. Für einen Orchestermusiker ist es katastrophal schlecht. (wer lässt seinem Kind schon Oboenunterricht geben?)

    Grüße,

    Wanze
     
  20. bluefrog

    bluefrog Strebt nach Höherem

    Das ist gut möglich. Man muss dann aber das Unterrichten mögen, was ich mir nicht immer erfreulich vorstelle. Angeblich üben ja die meisten Schüler nicht...

    Wer allerdings Musiker werden will, um die große Künstlerkarriere zu machen, sollte sich das schon zweimal überlegen. Kann man damit leben, künstlerisch zu scheitern, ohne verbittert durch die Welt zu ziehen? Der Erfolg hängt ja nicht nur vom eigenen Können, sondern auch von einer Menge Zufälligkeiten ab; nicht zuletzt braucht es auch Glück. Vom finanziellen Überleben ist dabei noch gar nicht die Rede.

    LG Helmut
     
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