wem gehört der jazz?

Dieses Thema im Forum "Eigene (musikrelevante) Themen" wurde erstellt von chucholino, 26.Mai.2006.

  1. chucholino

    chucholino Schaut öfter mal vorbei

    hab gerade einen interessanten artikel
    in der 'zeit' gelesen... und bin einigermaßen
    verwirrt:

    http://www.zeit.de/online/2006/21/wem-gehoert-der-jazz

    gruß, chucho
     
  2. Wilson

    Wilson Gehört zum Inventar

    Und ich dachte immer Musik, und vor allem Jazz, sei frei von solchen pubertären Machtspielen.

    Da fasst man sich wirklich an den Kopf
     
  3. wolfgang

    wolfgang Ist fast schon zuhause hier

    Hallo,
    das sind wohl keine "pubertären Machtspiele", sondern ziemlich massive ökonomische Interessen. Stanley Crouch war ja früher ein recht guter drummer; inzwischen gibt er fast nur noch Unfug von sich, seit er mit der Marsalis-Clicque die Fördertöpfe entdeckt und besetzt hat. Da geht es halt in gut kapitalistischer Weise um die Hegemonie im Markt Jazz, und da dulden diese Leute keine Konkurrenten. Die schlaueren Köpfe und besseren Musiker wie Joe McPhee haben da das Nötige gesagt.
    Gruß
    Wolfgang
     
  4. Wilson

    Wilson Gehört zum Inventar

    Das "pubertär" sollte auch nur den vergleichenden Bezug auf die Machtausübung eines oder meherer visueller Musiksender auf die ganze populäre Musikerwelt liefern.

    Es war zugegebenermaßen etwas zu schwammig ausgedrückt. Dennoch stimmen mich solche Artikel immer sehr traurig und oft sogar zornig, es ist wahrscheinlich auch der Grund warum ich mir eine Karriere als Profimusiker nie hätte vorstellen können. Es schreckt mich sehr ab was für Machenschaften da hinter den Kulissen verantsaltet werden
     
  5. rbur

    rbur Gehört zum Inventar

    Grundsätzlich ist der Jazz ja frei. Jeder darf machen, was er will. Aber sobald er damit mehr Erfolg hat als ich, habe ich natürlich was dagegen.
    Schon Miles Davis wurde als Verräter beschimpft, als er sich erdreistet hat, mal was neues zu machen und damit Erfolg zu haben.

    Böse Welt. Bin schon froh, dass ich Musik nur aus Spaß an der Sache mache.
     
  6. doc

    doc Ist fast schon zuhause hier

    Hehe, die Grabenkriege um den "Jazz-Kanon", und die Frage, ob Jazz gelehrt oder gelebt wird. Der Streit zieht sich ja mitten durch Amerika selbst durch.
    Im Behrendt steht dazu ein spannendes Kapitel zur aktuellen Entwicklung. Da sagt er natürlich auch einiges zum Verhältnis europäischer Musiker zur Jazzwelt und der dahinerliegenden Frage, ob Jazz eine sozial-ethnische Sache ist (Marsalis scheint aus der Richtung zu argumentieren) oder zu einer integrierende Weltmusik führt.

    Wenn man Integration ablehnt, ist Jazz seit den 60ern tot und Miles Davis hat ihn verraten. Oh wunder, daß dieser Vorwurf auch aus dem Hause Marsalis kommt :)

    Nach allem Gelesenen stimmt ich wolfgang zu mit der Vermutung, hier gehe es in allererster Linie um eine riesige Menge Geld in einem Jazz-Erziehungs-Markt. Und da hätten die "Kanoniker" einiges zu verlieren.

    Aber so läuft das schon seit den Anfängen des Dixieland. Es ist Geld und Pfründe im Spiel.
     
  7. mos

    mos Ist fast schon zuhause hier

    Ich würde nach dem Lesen dieses Artikels sagen, typisch Amerikaner. Ich glaube noch nicht einmal, dass es hier in erster Linie um Geld geht.
    Ich habe bis jetzt noch kein Volk kennen gelernt, das einen so starken Patriotismus, wie die Amerikaner haben. Sie werden wirklich nach wie vor in dem Glauben aufgezogen, We are #1, we are the best in the world.
    Ich glaube, es ist wirklich ein Schock für sie, dass es da tatsächlich auch Musiker ausserhalb der USA gibt, die verdammt gut sind und Jazz spielen.
    Afroamerikaner haben dann noch das Problem mit ihrer traurigen Vergangenheit. Sicher sind sie die eigentlichen Erfinder des Jazz und Blues, aber man kann ja wohl niemanden verbieten eben so zu spielen.

    Wenn ich Radio oder CDs höre, sehe ich nicht, ob es ein Amerikaner, Norweger, Deutscher oder sonst wer ist, ob er weiß, schwarz, grün oder fussisch kariert ist. Ich höre ledigtlich ob mir das gefällt, was er spielt.

    Ich denke wir Europäer sind in dieser Beziehung sehr viel offener, als die Amerikaner.

    Wer schon mal dort gelebt hat und z.B. die Nachrichten dort geschaut hat, wird sich über so viel Beweihräucherung und subjektive Berichterstattung sehr wunder.

    Ich glaube, ausserhalb von Amerika wissen die Leute besser Bescheid, was wirklich dort los ist, als im Land selber.
     
  8. kryz

    kryz Ist fast schon zuhause hier

    Punktlich zum 80. Geburtstag (wenn er denn noch leben würde :() von Miles ...

    Chris
     
  9. LateNite

    LateNite Kann einfach nicht wegbleiben

    Tja - und was machen die armen Amis denn eigentlich mit ihrem Reinheitsgebot jazz=us-amerikanisch=afro-american im Falle Paul Desmond? Als Sohn europäischer Juden der ersten Einwanderungswelle (also vor dem Nazi-Exodus) hat der ja auch ganz andere Wurzeln, so wie etwa Groucho Marx und seine Brüder. Wenn hier das intellektuell-europäische (und übrigens auch weißhäutige) Element nix taugt für guten Jazz, sollten wir alle mal fix Take Five von unseren mp3-Playern löschen! Ich finde aber, dass sich diese Musik da neben den schwarzen Größen super macht (Kontrapunkt eben).

    nachdenklich: Jürgen
     
  10. rbur

    rbur Gehört zum Inventar

    Ich gehe mal davon aus, dass Herr M. keinen Desmond auf seinem Player hat.
    Er hat ja glaube ich sogar seinen eigenen Bruder gefeuert, als er von der reinen Lehre abgewichen ist.

    auch sehr interessant
    http://www.wildcat-www.de/wildcat/71/w71_mucke_respekt.htm
    nach "Mafia" suchen

    Als Gedankenhilfe sollten wir uns einfach merken, dass guter Jazz der ist, der im Lincoln Center gemacht wird.
     
  11. saxfax

    saxfax Strebt nach Höherem

    Für mich ist diese Diskussion uralt und keinesfalls auf den Jazz beschränkt: Es geht, mal vom Kommerz abgesehen, immer um Bewahrer gegen Erneuerer. Und was neues kommt heraus, wenn man mal ein paar neue Zutaten mixt. Das kann völlig schief gehen, oder aber wunderbare Ergebnisse produzieren.

    Ob nun die "klassiker" immer nur die selben europäischen klassichen Komponisten spielen oder für Marsalis und co. die Jazzgeschichte 1960 aufhört, kommt für mich auf dasselbe hinaus.

    Es gibt genug Leute, die nur in Konzerte gehen, wenn sie genau wissen was kommt (und das auch schon kennen). Gestern sah ich einen Film über Bob Dylan und wie er ausgebuht wurde als Verräter am Folk, als er das erste mal eine E-Gitarre auf der Bühne einsetzte. Das ist dem Cannonball Adderly Quintett auch passiert, als sie das erste Mal Mery Mercy Mercy spielten. Miles Davis hat mehrfach radikal seinen Stil gewechselt, Joe Zawinul weigert sich beharrlich, seine alten Hits zu spielen. Und dass Till Brönner Erfolg hat, macht ihn in der Jazzszene auch verdächtig, denn der echte Jazzmusiker muss hungern.

    Viel wichtiger finde ich, die Geschichte seiner Musik zu kennen und nachzuvollziehe. Dass die am Anfang des 20. Jahrhunderts unter bedrückenden Umständen entstandene scharze Musik der USA die Basis von Jazz und Rock und Blues ist, wird heute kaum noch einer bestreiten. Doch es gibt eben noch ein paar andere Zutaten. Die Kunst der Improvisation ist jedenfalls kein alleiniges Merkmal vom Jazz, die gibt es in vielen anderen Kulturen auch (z.B. in der klassischen indischen Musik und früher in Europa -> J.S.Bach).

    Die ganze Diskussion könnte man übrigens auch schön mit südamerikanischen Musikstilen weiter führen.

    Schönen Gruß
    saxfax
     
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