Das absolute Gehör

Dieses Thema im Forum "Eigene (musikrelevante) Themen" wurde erstellt von clari_sax, 29.Juli.2010.

  1. clari_sax

    clari_sax Ist fast schon zuhause hier

    Ausgelöst durch die Erwähnung in einem anderen thread tauchte bei mir mal wieder folgende Fragen auf, die sich mit schon seit vielen Jahren stellt, bisher aber immer unbeantwortet blieb.

    Gemeinhin wird das absolute Gehör ja als die Fähigkeit bezeichnet, einen gehörten Ton sofort völlig richtig hinsichtlich seiner Einordnung in unser Notensystem zu erkennen. (Das absolute Gehör ist nicht errlernbar, dass man sehr wohl sein Gehör trainieren kann, steht hier ausdrücklich nicht zur Debatte.)

    Damit muss dem Besitzer eines solchen aber automatisch auch unser westliches Notensystem mit seinen Intervallen angeboren sein. Gleichzeitig muss er dessen gültige Referenzfrequenz - bei uns verbreit a=442Hz - ebenfalls mit in die Wiege gelegt bekommen haben. Dumm nur, dass die von Land zu Land u. U. wechselt, in den USA gilt immer noch a=440Hz. Und Karajan mochte am liebsten a=443-4Hz

    Was macht also der oder die Ärmste, wenn er oder sie eine echte Blue Note, die in unserem Notenvorrat gar nicht enthalten ist, hört?

    Und was passiert, wenn ein absolutes Gehör asiatische Klänge hört?

    Es gibt das sehr empfehlenswerte Buch "Das wohltemperierte Gehirn", das sich u. a. auch mit diesen Phänomenen beschäftigt. Nur meine vorstehenen Fragen - die sind dort leider auch nicht schlüssig beantwortet. Vielleicht weiß hier ja jemand weiter?

    LG - Chris
     
  2. bebob99

    bebob99 Strebt nach Höherem

    Hier werden zwei Dinge schlampig postuliert und anschließend als Problem erkannt.

    1) Das absolute Gehör ist angeboren - und zwar bei jedem von uns. Babys müssen umgekehrt erst lernen, die absoluten Frequenzen in wiederkehrende Muster von Schwingungen, die zueinander in bestimmten Verhältnissen stehen, zusammenzufassen.

    Es handelt sich also um eine zusätzliche Abstraktionsebene, die die Verarbeitung akustischer Information für das Gehirn eines durchschnittlichen Europäers bequemer macht.

    Einige wenige Menschen erlernen diese Abstraktion nicht und sind daher mit einem absoluten Gehör "geplagt".

    In asiatischen Ländern, wo die Sprache viele Informationen auch über die Tonhöhe vermittelt, sind Menschen mit "absolutem Gehör" deutlich häufiger als bei uns.

    2) Das absolute Gehör ermöglicht es, einen Ton jederzeit in seiner Tonhöhe zu bestimmen. Ein solcher Mensch hört also, ob ein Stück in C oder in D gespielt wird. Möglicherweise auch ob ein Instrument auf 440 oder 442 Hz gestimmt ist. Das muss noch nicht automatisch bedeuten, dass er das Eine oder das Andere als "falsch" oder unangenehm empfindet.

    Falls so jemand Musiker wird, kann er die Geige ohne Stimmgerät stimmen, aber er wird trotzdem lernen müssen, dass der eine Ton a' mit 440Hz ist und der andere, der ein wenig höher ist auch ein a' aber eben mit 442Hz.

    Dabei ist das ja auch kein Hop oder Drop, sondern da gibt es verschieden starke Ausprägungen.
     
  3. Werner

    Werner Strebt nach Höherem

    es soll Übungssystene geben, die absolutes Gehör erlernbar machen.
    Angeblich funktioniert es, soll aber sehr aufwendig sein.
     
  4. bebob99

    bebob99 Strebt nach Höherem

    Ich habe noch ein wenig nachgelesen, das Thema ist ja wirklich interessant. Es ist aber schon ein wenig, als wenn man als Blinder etwas über Farben lernen möchte..

    Also, den wenigen Berichten, die sich lesen als wären sie authentisch nach, ist es für einen Musiker mit Absolutem Gehör anstrengend, ein Stück in einer anderen als der gewohnten Tonart zu spielen, weil das "ganz andere Noten" sind. Es klingt nicht so wie es geschrieben ist, er muss also beim Spielen im Kopf transponieren.

    Bei ungewohnten Stücken, wie asiatischer Musik, wird es ihm vermutlich nicht viel andres gehen als uns. Es hört sich seltsam an. Eventuell tut er sich aber mit dem Verständnis dieser Musik leichter, weil unser Gehör natürlich versucht, die ungewohnten Klänge in die gewohnten relativen Intervalle zu quetschen.

    Oder möglicherweise ist es ja genau umgekehrt. Ein Mensch mit Absolutem Gehör findet wahrscheinlich ein bekanntes Musikstück in einer neuen Tonart so "anstrengend" wie wir beim Hören von indischer Musik - es passt nichts zusammen. Bloß kennt er es ja nicht anders - so wir ja eben auch nicht.
     
  5. bhimpel

    bhimpel Ist fast schon zuhause hier

    Das Thema finde ich auch sehr interessant. Als Saxophonist hat man schon Glück, wenn man kein absolutes Gehör hat.

    Meine japanische Schwägerin hat absolutes Gehör und ist glücklicherweise Flötistin.

    Ein Freund von mir hat absolutes Gehör und spielt Saxophon. Für ihn ist das wirklich anstrengend, aber irgendwie dran gewöhnen tut man sich wohl schon. Witzigerweise wusste er gar nicht, dass er absolutes Gehör hatte, bis irgendwann in die Schule hinein.

    Leute mit einer Tonmuttersprache wie Mandarin haben mehr Chancen, ein absolutes Gehör zu haben. Und wenn man es drauf anlegt, gibt es Möglichkeiten, dass Kinder das absolute Gehör nicht verlernen. Das meinte jedenfalls meine Schwägerin. Beispielsweise regelmäßiges Musizieren von sehr jungen Kindern mit farbigem Xylophon. Hier ein Artikel im Spiegel.

    Viele Grüße,
    Benjamin
     
  6. Werner

    Werner Strebt nach Höherem

    http://www.gehoerbildung.com/
     
  7. cara

    cara Strebt nach Höherem

    Frank Sikora schreibt dazu in der Neuen Harmonielehre:

    Ich glaube, der letzte Satz ist der wichtigste für jeden Musiker und den, der es werden will, denn das relative Gehör ist es, was

    1. notwendig und
    2. erlernbar

    ist, wenn auch nicht sehr einfach und mit viel Geduld.

    Gruß

    Cara
     
  8. GelöschtesMitglied3606

    GelöschtesMitglied3606 Guest

    Hallihallo, ich sach auch mal was dazu.

    Das absolute Gehör ist meiner Meinung nach nicht erlernbar. Sonst würden es mehrere Profimusiker haben, die es vorher nicht hatten. Jedoch ist es sicherlich verlernbar.

    Denn es besteht die Möglichkeit, dass jeder Mensch damit geboren wird. Man sagt, es sei notwendig um eine Sprache zu lernen. Es gibt einfach in jeder Sprache Klangfarben, die einfach spezifisch für diese Sprache sind. Warum dann viele Leute dies wieder verlieren stelle ich mir so vor, dass es dann nicht mehr benötigt wird. Da die Klangfarbe automatisiert ist... im Mandarin allerdings könnte es so sein, dass man das absolute Gehör "immer" braucht um genau die Töne zu treffen. Vielleicht, so vielleicht aber auch nicht, allerdings ließe sich so erklären, warum mehr Leute, die eine Tonsprache sprechen, das absolute Gehör (noch) besitzen.

    Es fällt zum Beispiel auch frappierend auf, dass Menschen mit dem absoluten Gehör neue Sprachen nahezu akzentfrei sprechen lernen. Selbst Muttersprachler hören keinen Unterschied. Das würde meine These ja stützen, allerdings stellt sich dann auch die Frage, warum die Menschen, die in Asien groß geworden sind und kein absolutes Gehör haben, dann trotzdem ihre Sprache sprechen können. Vllt. ist es dann doch nicht nötig dafür.

    Es fällt aber auch auf, dass Kinder die früh mit Musik in Kontakt kommen (pränatal) oder auch einfach früh ein Instrument lernen auch vermehrt das absolute Gehör besitzen. Auch im russischen Gebiet tritt das absolute Gehör viel häufiger auf, da hat die Musik einen ganz anderen Stellenwert als im restlichen Europa.

    Aber ich betone hier ganz deutlich, dass dies alles nur Spekulationen sein können. Wissentschaftlich kann ich das nicht stützen und ich glaube auch, dass dieses Feld ein sehr verwischtes ist. Denn absolutes Gehör bedeutet ja auch nicht absolutes Gehör, denn es gibt dabei auch mehrere Abstufungen.

    Viele Grüße
    Clownfisch
     
  9. claptrane

    claptrane Strebt nach Höherem

    doch, es ist erlernbar: ein bekannter von mir ist klavierstimmer, der hatte früher kein a.g. bekam es aber durch jahrelange stimmpraxis.
    mittlerweile hat er es wieder verlernt, weil er sich mehr aufs spielen konzentriert.
     
  10. saxology

    saxology Ist fast schon zuhause hier

    Ich kenne Menschen mit absolutem Gehör, die mit starkem Akzent sprechen, das scheint keine absolute Regel zu sein.

    Interessant finde ich, dass Ivan Roth schreibt, in seiner jahrzehntelangen Lehrtätigkeit als Saxophonprofessor keinen einzigen Studenten mit absolutem Gehör gehabt zu haben.
    Das kann eigentlich nur mit dem vergleichsweise hohen Einstiegsalter zu tun haben (selbst die Profis sind Spätis).
    Unter den Geigern, die oft mit vier, fünf Jahren anfangen, wimmelt es nur so von Absoluthörern.

    Gruß
    Joachim
     
  11. Werner

    Werner Strebt nach Höherem

    Laut dem link, den ich gerade brachte, ist das Spielen von Melodien immer in der gleichen Tonart förderlich für das AG, in verschiedenen Tonarten eher hinderlich.

    Heisst natürlich umgekehrt, das das transponierende Denken, also den gleichen Ton je nach Situation und Instrument unterschiedlich zu benennen, auch eher hinderlich ist.

    Der link bringt übrigens einen kompletten Kurs und sehr viel Hintergrundwissen zum AG.
     
  12. Ferment

    Ferment Schaut nur mal vorbei

    Hatte passend dazu einen Bericht im Radio gehört. Leider bei der Suche nur das Manuskript gefunden.

    Falls der Link nicht erlaubt ist, Suchen bei WDR 5 -> "absolutes Gehör"


    (hab die link mal weggelassen, da auf jeder Seite des Manuskipt steht das es nicht öffentlich zugänglich gemacht werden darft)

    Ist unterhaltsam gemacht, aber sind einige Infos auch drin, gehe mal von aus, vernünftig recherchiert.

    z.B.:
    Unterscheidung der verschiedene Formen AG

    Zeitfenster zum erlernen des AG 6, spätestens 7 Jahre
    passend dazu der Bogen zu Tonsprache Mandarin (chinesische Musikstudenten haben eher ein AG)

    zum Ende dann Vorteile, Nachteile
    - Beobachtung mit AG leichter Auswendiglernen
    - Schwierigkeit bei ändern einer Tonart für AG

    Fazit dann für alle ohne AG erfreulich, steht ganz unten.
     
  13. Sue-333

    Sue-333 Schaut öfter mal vorbei

    Da mich das Thema "absolutes Gehör" auch öfters mal beschäftigt, wollte ich mal hier nen kurzen erfahrungsbericht loswerden.


    Ich selbst hab einen leichten Hörschaden, wie mans nennen mag. Ich nehm Töne& Geräusche auf dem einen Ohr anders wahr als auf den anderen. Bis ich 14/15 wahr hat mich dass Thema gehörbildung nie so wirklich intresiert, bis ich mal eine prüfung ablegen musste, die zur hälfte aus gehörbildung bestand. ich hab die intervalle und rhytmen in mich hineingepaukt, weil ich davor ja nicht wirklich gut vorbereitet war, und mir fiel das unglaublich leicht, so dass ich die ganzen intervalle nach ner woche übungszeit beherscht hab. iwie hab ich in den vorbereiteten lehrgängen der prüfung, ( ironischerwieße saß ein absoluthörer neben mir..) gemerkt, dass mir tonhöhenschwankungen sehr wohl auffallen, und kann einzelne töne spezifisch bestimmen. als absoluthörer galt ich damals freilich noch nicht, doch im laufe der zeit (mittlerweile 18) taten sich bei mir einige veränderungen auf. damals war ich gut im blattspieln, doch heute fällt mir das nachspieln von melodie bzw auch das transcripiren relative einfach.. leider ist dass auch schon der einzige posaspekt. wenn instrumente nicht gut gestimmt sind, bzw nur 1-2 herz auseinanderliegen klingt das in meinem ohren wie ein weltuntergang. da das sax natürlich auch ein intonationsmäßig schwieriges instrument ist kannich sagen, dass ich bei manchen meiner läufe die ich spiel einfach nur sofort aufhören könnte weil es so schrecklcih klingt.an manchen tagen geht es aber..
    komischerweiße klingen akkorde für mich immer richtig, schön oder wie auch immer. natürlich e dur klingt für mich immer eine spur selbstbewusster als zb g dur, dass icst ansichtssache, aber beim gitarrenspieln habich solche hörprobleme nicht

    ich denk mir nur, ich hab vll einen ansatz richtung absolutes gehör, aber wirklich ausgeprägt ist das nicht.. für die ist es doch teilweiße eine qual, manche musikgruppen anzuhören. ich wollte euch einfach mal meine erlebnisse mit dem thema schildern, und denke ich bin im forum definitive nicht die einzige (;
     
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