Don't be a RealBook player ???

Dieses Thema im Forum "Improvisation - Harmonielehre" wurde erstellt von 47tmb, 5.Juli.2014.

  1. 47tmb

    47tmb Gehört zum Inventar

    Ich bin da auf einen interssanten link aufmerksam geworden.

    http://jazzadvice.com/why-you-shouldnt-be-a-real-book-player/

    Wer Lust und a wengele a Zeit hat, mag ja mal lesen.

    Ich denke, in vielen Punkten hat der Autor sicherlich recht...

    Die Realität des berufstätigen Hobbymusikers, eventuell "Späteinsteiger" zwingt jedoch womöglich doch zu den "einfacheren" Wegen.

    Ich überlge auch: Wo hört "Malen nach Zahlen" auf und beginnt eigene Krativität?


    Cheerio
    tmb
     
  2. Juju

    Juju Strebt nach Höherem

    Ich finde, der Autor hat sowas von recht.

    Aber Du bringst es auch auf den Punkt, tmb, wie weit kann man es schaffen als Hobbymusiker?

    Ich war in Hamburg noch komplett abhängig vom Realbook und konnte kaum irgendwelche Stücke auswendig.

    Inzwischen habe ich ein ganz gutes Repertoire, das ich ohne Realbook vortragen kann.
    Aber wenn ich das mit Dave vergleiche, der hat mehr als tausend Stücke im Kopf und kann diese auch bei Bedarf in jeder Tonart abrufen. Er kann auch direkt eine Basslinie zu jedem Stück auf dem Saxophon spielen bzw zu den Stücken ohne jegliche Begleitung improvisieren, ohne aus dem Konzept zu kommen.
    Er spielt öfter Gigs mit local Rhythmusgruppen, die wirklich für die gängigsten Standards das Realbook brauchen. Das geht ihm sowas von auf die Nerven. Er sagt dann schon immer, schlagt Ihr die Stücke vor, und dann schlagen sie die Stücke vor, und das Realbook ist trotzdem draußen, arghh!!

    Ich würde das jedem empfehlen, sich ein gewisses Repertoire anzueignen und das dann wirklich so zu internalisieren, dass man keine Hilfsmittel braucht.

    Eine große Hilfe ist wirklich, Basslinien zu üben - Kann ich das nur, wenn ich das Leadsheet vor mir habe oder auch komplett auswendig? Kann ich das, wenn nur das Metronom mitläuft, oder brauche ich ein Backing Track? Das gleiche mit dem Improvisieren über die Form - habe ich die Form internalisiert und kann darüber improvisieren, ohne Backing Track?
    Klar, dass ist wahnsinning schwierig, aber man sollte mit was einfachem anfangen, z.B. Blues oder Rhythm Changes. Ich würde sagen, besser 10 Stücke in-und auswendig können als 100 Stücke plan- und gehörlos aus dem Realbook abspielen.
    Und der erste Schritt ist, das Thema auswendig zu lernen...

    LG Juju
     
  3. Werner

    Werner Strebt nach Höherem

    Also ich denke, wenn man Jazzstandarts spielt, will man das im Laufe der Zeit einigermassen gut, vielleicht auch immer besser machen. Und dazu ist auswenigspielen schon empfehlenswert. Und dann gibts ja noch die Möglichkeit, diese Standarts spontan in anderen Tonarten zu spielen.
    Also noch einen Zacken schärfer.

    Die Frage scheint mir mehr zu sein, wie kommt man dahin? Mir hat das Spielen einfacher Standarts (einfach ist natürlich relativ zum Stand des Spielers) in verschiedenen bis allen Tonarten geholfen. Es schälen sich die harmonischen Klischees, die "Bricks" (Lesetip: Insights in Jazz) heraus, auf denen die Standarts harmonisch aufbauen.
    Summertime liefert zB eine II-V-I in Moll, Blue Bossa eine in Dur und eine in Moll. Das sind schon mal 60 bis 80% der Stücke!
    Oder Blues. Relativ schnell kann man sich in einer ersten Tonart zurechtfummeln, dann mal die nächste Tonart, und typische oder auch untypische Wendungen gehen in die Finger, Herz und Hirn.
    Die nächste Tonart ist dann schon leichter, weil das schon vorhandene Material nur noch angepasst wrden muß. Und im Übrigen kommt man auch zu einer Art Objektivierung des Spiels, weil was in einer Tonart schwer läuft, in einer anderen ev leichter greifbar ist. Zunehmend denkt und spielt man dann über musikalische und nicht grifftechnische Zusammenhänge.

    Aber, um das gleich mal wieder zu relativieren :-D, mein Lieblingspianist, spielt vor allem Swing, recht gefragt und anerkannt in der Szene, spielt so gut wie nichts auswendig, hat immer sein Büchlein da liegen. Jeder Jeck ist anders, sprach ppue. Und hat recht.




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    http://swing-jazz-berlin.de/#acapella[/size]
     
  4. Mugger

    Mugger Guest

    Moin,

    ich glaube, sowas macht noch mehr Spaß, wenn man regelmäßig live mit wirklichen Menschen spielt.
    Mit Play-Alongs ist das sowieso begrenzt lustig.

    Ich kann mich allerdings auch an einen Sager von Lenny Pickett erinnern wo er meint, 12 Standards zu können, und das auch nur, wenn man eine Kanone an seine Stirn hielte.
    Es gibt also durchaus auch ernstzunehmende Musiker, die das Realbook nicht von vorne bis hinten draufhaben.

    Ein Freund von mir (ein Pianist) hat mal in Wien mit Lew Tabackin gespielt.
    Der sagte die Nummern teilweise gar nicht an, nicht die Tonart, und begann einfach zu spielen. Harte Schule das...

    Ich gestehe, ich geh jetzt spielen und nehm meine Noten mit.
    Ich hoffe, ich werde trotzdem mit Banknoten zurückkehren.

    Liebe Grüße,
    Guenne



     
  5. bluefrog

    bluefrog Strebt nach Höherem

    Ja, wie weit kann man es als Hobbymusiker schaffen?

    Ich denke, der falsche Weg wäre es, ausschließlich mit Real Book oder ausschließlich ohne Real Book spielen zu wollen. Wenn ich hier auf die lokale Session gehe, werden ständig auch neue und andere Stücke gespielt, und da brauche ich die Noten. Andernfalls kann ich nur im stillen Kämmerchen spielen.

    Das hindert einen ja nicht daran, bestimmte Stücke gründlich zu lernen. Ich hab ein paar, mit denen ich mich immer wieder beschäftige. Auswendig lernen, in allen möglichen Tonarten spielen, die harmonische Struktur analysieren usw.

    LG bluefrog
     
  6. Rick

    Rick Experte

    Und für mich wird umgekehrt ein Schuh draus: Nichts langweilt mich mehr, als immer und immer wieder dasselbe Standard-Repertoire abzuspulen.
    Natürlich hat man das alles irgendwann auswendig drauf, aber spätestens, wenn ich eine Nummer so gut kenne, ödet sie mich auch schon an. :-(

    Klar, man kann da auf die gängigen Akkordverbindungen immer raffiniertere melodische Wendungen setzen, doch auch das ist man schließlich leid.
    Nicht, dass es keine unbegrenzten Möglichkeiten gäbe - aber will das Publikum wirklich solche Experimente hören, besonders bei den Butter-und-Brot-Jobs, wo man nun mal vorwiegend Standards zu spielen hat...?

    Um gerade bei langen Dinner-Engagements nicht als Musiker einzupennen, hilft oft nur ein Mittel:
    Neues Real Book, blind aufschlagen und bevorzugt allen Beteiligten VÖLLIG UNBEKANNTE Songs auswählen.
    Das ist spannend und hält den Geist wach! :)

    Gut, das gilt freilich (noch) nicht für den typischen Späteinsteiger, der möglicherweise schon froh ist, überhaupt glücklich und fehlerfrei durch ein begrenztes Repertoire zu kommen.

    Doch meiner Ansicht nach gehört beides dazu:
    Einerseits sich die gängigsten Standards auswendig und in mehreren Tonarten draufzuschaffen, andererseits auch in der Lage zu sein, ein unbekanntes Stück anhörbar vom Leadsheet abzuspielen und spontan darauf zu improvisieren.
    Letzteres ist auch gut zu können, wenn man mit fremden Kollegen spielt, denn nicht alle Jazzer haben exakt dasselbe Repertoire.
    Und öfter mal etwas Neues kennen zu lernen hat noch keinem geschadet. ;-)


    Schöne Grüße,
    Rick
     
  7. Bereckis

    Bereckis Gehört zum Inventar

    Mich persönlich interessieren das Realbook und die Sessions nicht.

    Mir ist wichtiger mit meinen Bands und Projekten gemeinsam ein Repertoire (eigene und fremde Stücke) und eigene musikalische Konzepte umzusetzen.

    Für Improvisation alleine oder auch als Kollektiv ist zumindest in einer Band genügend Platz.

    Aber jeder so wie er will.

    Gruß
     
  8. Rick

    Rick Experte

    Hallo Michael,

    eine "Working Band", mit der man eigene Kompositionen interpretiert und ein gemeinsames Konzept entwickelt, stellt für mich den Idealfall dar.

    Aber wenn man mit Musik Geld verdienen möchte, muss man leider auch Kompromisse eingehen - die meisten Leute wollen bekannte Melodien hören, ein überwiegend eigenes Programm kommt nach meiner Erfahrung nur in sehr ausgewählten Kreisen an, davon konnte zumindest ich noch nie leben. :-(

    Nichtsdestotrotz ist das Spielen (und auch Auswendiglernen) von Standards auf jeden Fall eine gute Grundübung für jeden Jazzer, finde ich. :cool:


    Schönen Gruß,
    Rick

     
  9. Dreas

    Dreas Gehört zum Inventar

    Wenn ich erstmal da ankommen würde, wo den Autor des Artikels der Frust gepackt hat, wäre ich schon recht happy..... :)

    CzG

    Dreas
     
  10. Bereckis

    Bereckis Gehört zum Inventar

    Hallo Rick,

    eine "Working Band", mit der man fremde Kompositionen interpretiert und ein gemeinsames Konzept entwickelt, ist ebenfalls erstrebenswert. Dies kann durchaus auch mal eine Realbooknummer sein. Bei Profis würde ich dies erwarten.

    Für mich persönlich gibt es einfach nichts langweiligeres als Realbookstücke zum 1000. Mal "durchgenudelt" auf Sessions zu hören.

    Aber jeder so wie er will.

    Gruß
     
  11. Juju

    Juju Strebt nach Höherem

    "durchgenudelt" auf Sessions hab ich auch keinen Bock, daher ja auch die secret blacklist mit den Songs of Death :-D
    Wobei ich es nach wie vor spannend finde, wenn meine Idole Standards spielen, mir wird es nicht langweilig, immer neue Versionen zu hören, weil die Spieler sich das Stück zu eigen machen, reharmonisieren etc etc., da gibt es doch immer was neues zu entdecken. Und dass es Standards gibt, die die Spieler immer wieder aufnehmen, liegt doch daran, dass es bestens erprobte und funktionierende Chord Progressions sind, die einfach geniale Vehikel zum Improvisieren sind.


    Allerdings, Dave's neues Standards-Album geht weg wie warme Semmeln, was man von seinem Big Band Album nicht gerade sagen kann. Und die Punters beschweren sich ständig über die eigenen Stücke und wollen was hören, was sie kennen... Die Kritiker dissen dagegen alles, was "reference to the tradition" ist, man kann es sowieso keinem recht machen...

    LG Juju
     
  12. peterwespi

    peterwespi Ist fast schon zuhause hier

    Wenn ich da an Joe Henderson's THE STANDARD JOE denke, dann hat sich für mich persönlich diese Diskussion erübrigt. Dieses Album erschien, als ich die Jazz Schule absolvierte. Unsere damaligen Avantgardisten verehrten Joe Henderson und verachteten die *abgelutschten* Standards. War lustig, deren Gesichter zu beobachten... :-D
    Ich persönlich finde, dass es nicht auf das WAS, sondern auf das WIE drauf ankommt. Man kann vor einem Traditional Jazz Publikum die schrägsten Dominanten spielen und die abgefahrensten Bebop-Licks dreschen - wenn's zu Beginn und am Ende zum Beispiel nach Sweet Georgia Brown tönt, dann finden die das so richtig toll... ;-)
     
  13. Mugger

    Mugger Guest

    Moin,

    mir werden die Standards nicht langweilig.
    Weder zu hören noch zu spielen.

    Wenn man sich der Bandbreite bewusst ist, die durch die Persönlichkeit der Musiker entsteht (oder entstehen kann), ist es doch unmöglich, dass es fad wird.

    Ich bedaure, dass ich nicht früher begonnen habe, mich damit zu beschäftigen.
    So passiert es halt meistens, dass mir in der Geschwindigkeit dieses oder jenes Lied in der oder der Tonart fehlt, und ich Noten brauche, oder mich halt durchwurschteln muss.

    Ich bin mir aber sicher, dass das, was ich in den letzten 2 Jahren an Fortschritt verbuchen kann, zum großen Teil auf meine Beschäftigung mit den Standards zurückzuführen ist.
    (Basslinien, spielen eines Standards in allen Tonarten, Improvisation nur über Melodie ohne Chords etc., "kontrollierte Improvisation", also Beschränkung im Hinblick auf Material)
    Und natürlich wird auch das "Malen nach Zahlen", also die "Improvisation" nach Lead Sheet, wesentlich besser und mit weniger drop-outs behaftet.

    Liebe Grüße,
    Guenne





     
  14. Juju

    Juju Strebt nach Höherem

    Das scheint so ein typisch Amerikanisches Ding zu sein, ist aber auch eine Art Feuerprobe. Wenn Du sie bestehst, gehörst Du dazu. Hat Dave so mit Mike Le Donne erlebt.
    Oh, und auch mit Jimmy Smith, das war allerdings ein ganzes Konzert.
    D: "Jimmy, what would you like to play?"
    J: "Some tunes"
    ...silence...
    Das Konzert war entsprechend stressig, und hätte es nicht sein müssen.

    LG Juju
     
  15. macpom

    macpom Ist fast schon zuhause hier

    Immer wieder gut und hilfreich, wenn man einen Leitfaden an die Hand bekommt, was man zu denken zu fühlen und zu spielen hat!!!?

    Andreas
     
  16. Bereckis

    Bereckis Gehört zum Inventar

    Zumindest ich habe dort aber keine Realbooks gesehen, sondern eigene Ausarbeitungen, Arrangements oder es wurde auswendig gespielt.

    Wie gesagt, ich bin nicht gegen Standards, sondern mag einfach in der Regel die Sessions nicht sonderlich. Vielleicht stört mich auch dort das Solistengehabe.

    Auch gibt es unglaublich tolle Jazz-Musik ausserhalb der Realbooks.

    Gruß
     
  17. Bereckis

    Bereckis Gehört zum Inventar

    Könnte dies nicht auch eine grundsätzliche Haltung in bestimmten Musikerkreisen sein? Nicht unbedingt elitär betrachtet, sondern "Nutze dein Gehör!"

    Ich meine gelesen zu haben, dass Wayne Shorter zur Vermeidung von Routine die Konzertfolge nicht vorher bekannt gibt.

    Gruß
     
  18. Bereckis

    Bereckis Gehört zum Inventar

    Hallo Guenne,

    toll, dass du so begeisterst bist.

    Es wird fad, wenn du deinen Musikschwerpunkt eher in der Komposition, Arrangement, Gruppendynamik und weniger in der Improvisation siehst.

    Gruß
     
  19. Bereckis

    Bereckis Gehört zum Inventar

    Joe Henderson: The State of the Tenor - Live at the Village Vanguard im Trio habe ich endlos gehört.

    Zu keinem Zeitpunkt für mich langweilig.

    Gruß
     
  20. chrisdos

    chrisdos Strebt nach Höherem

    Ich finde den Artikel sehr lesens-und beachtenswert.

    Ich meine jeder muss sich die Frage beantworten: "Was will ich?"

    Das betrifft insbesondere die Hobbymusiker, denn als Berufsmusiker kommt man nicht immer darum herum, sich mal durchzumogeln, weil das vertraute Repertoire nicht ausreicht.

    Typische Szene auf Jamsessions: Die Musiker sind mit den Stücken nicht vertraut. Das Thema wird vom Blatt gespielt, Note für Note ohne einen Hauch von eigenem Geist und beim Solo versucht man mit Hilfe der Akkorde möglichst wenig falsche Töne zu spielen.

    Gerade als Amateur muss ich mich doch fragen, wozu das gut sein soll. Das ist sowas von öde für alle Beteiligten. Warum müssen Hobbymusiker die "Realbookhelden" spielen? Warum gehen die Leute nicht auf Sessions mit 3 Stücken, die sie auswendig und ihrem Können entsprechend souverän beherrschen?

    DANN stellt sich auch nicht mehr die Frage, wie das mit einem begrenzten Zeitbudget gehen soll.

    Klasse statt Masse....das wäre doch ein Maßstab, oder?
     
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