Improvisieren?

Dieses Thema im Forum "Improvisation - Harmonielehre" wurde erstellt von Gast, 21.September.2009.

  1. Gast

    Gast Guest

    Hallo Ihr Lieben!

    habe bei dem gestrigen Workshop einige Leute gehört die einfach so aus dem Stehgreif improvisiert haben!
    Das war grandios und ich bintotal fasziniert davon.
    Wie kann man sich das Improvisieren am besten aneignen?
    Gibt es da bestimmte Vorgaben und ist es nur das Einfühlen und Einhören in die Musik?
    Könnt ihr mir da Tipps an die Hand geben?

    Danke,ihr seid so lieb! ;-)
     
  2. HeinTS

    HeinTS Schaut öfter mal vorbei

    Hallo Wolf,

    Deine Fragen dürften so alt sein wie die Musik selbst: Bevor irgendjemand vor vielen hundert Jahren damit begann, die Musik in Noten festzuhalten, wurde bereits in allen Völkern seit Urzeiten improvisiert - mit Einhören, Einfühlen, aber auch nach festen Regeln, denn Musik sollte immer schon alles andere als Chaos sein (obwohl das auch schon mal beabsichtigt zu sein scheint :-D .)
    Als Kirchenmusiker verdiene ich mein Geld mit täglicher Improvisation an der Orgel - es war und ist ein verdammt langer und schwerer Weg zur guten Improvisation, der nie aufhört (ist auch gut so, sonst würde es ja langweilig).
    Als Späteinsteiger beim Sax komme ich über die Playalong-Serien von Aebersold und Hal Leonard sowie ein paar Jahren Unterricht gaanz langsam voran. Mein Problem ist, daß ich durch meine klassische Vorbildung in Harmonielehre und nach intensiver Verkopfung der Jazzharmonielehre viel zu viel nachdenke beim Spielen statt mich einfach nur gehen zu lassen. Ich habe mal wesentlich jüngere Mitschüler gehört und beneidet, die wohl ohne großen Schimmer von Harmonielehre einfach drauf los spielten - ziemlich schräg, aber begeistert. Nur so kann es was werden.
    Wichtig: Viel Musik hören! Ich sitze fast nie am PC, ohne daß das Saxradio läuft - oder Youtube sehen: Wir haben heute viel mehr Möglichkeiten als vor 50 Jahren!
    Viele Beiträge zu Deinem Thema, u.a. Literaturhinweise, gibt es bereits hier im Forum: Einfach mal "improvisieren" oder "Improvisation" in die Suchfunktion eingeben ...
    Viel Erfolg!
    Für mich fängt Sax auf jeden Fall erst beim Improvisieren an!

    Gruß
    HeinTS
     
  3. Gast

    Gast Guest

    Danke Hein TS ! ;-)
     
  4. HeinTS

    HeinTS Schaut öfter mal vorbei

    kleiner Nachtrag zu "Youtube":

    man sieht viele große Könner: Das ist lehrreich aber vielleicht auch frustrierend.

    - und man sieht Leute, die ziemlich am Anfang stehen mit ihrer Improvisationskunst und trotzdem den Mut haben, sich zu zeigen: das motiviert!

    HeinTS
     
  5. Claus

    Claus Mod Emeritus

    @Wolf61

    Die gute Nachricht ist: man muss nicht damit geboren werden, sondern kann es lernen. Aebersold Band 1 wäre z.B. ein geeigneter Anfang.

    Oder schau Dir mal das Material von Peter Wespi an.
     
  6. bhimpel

    bhimpel Ist fast schon zuhause hier

    Den Kommentar von HeinTS kann ich unterstreichen.

    Vor allem: Gute Improvisation kommt von innen heraus. Also neben viel Ueben und Harmonielehre/Jazztheorie lernen sollte man bei der Arbeit immer Jazz nebenher laufen lassen, wenn es erlaubt ist:)

    Man kann auch mit einfachen Mitteln improvisieren: Frei improvisieren, ohne irgendwelche Schemata oder Vorgabenn. Kann auch sehr spannend sein, und zwar auf jedem Level. Das braucht aber grosses Einfuehlungsvermoegen und viel Phantasie. Hoeren von freier Improvisation ist aber dementsprechend schwierig. Das kann man nicht nebenher machen.

    Viele Gruesse,
    Benjamin
     
  7. Reedirect

    Reedirect Ist fast schon zuhause hier

    Hallo Wolf,

    Du könnstest mal das Bluesschema nutzen. Die übersichtliche Struktur (Tonika, Subdominante, Dominante) bringt recht schnell Erfolge bei den Harmoniewechseln. Alternativ was auf 8-taktiger Basis mit gut nachvollziehbaren (hörbaren) Akkordfolgen, z.b. Autumn Leaves.

    Zu Üben gefällt mir persönlich "Band-in-a-Box" auf PC. Das Programm kennst Du sicherlich. Es gibt reichlich fertige Stücke (gerade auch "Real Book" Sachen), die sich wunderbar transponieren oder auch in der Geschwindigkeit anpassen lassen. Du kannst aber auch eigene Akkordfolgen eingeben, Tempo dazu, vorgefertigten Style aussuchen (Swing, Bossa etc.) und los geht's.

    Apropos "aus dem Stegreif". Von Duke Ellington, glaube ich, gibt es einen Spruch, der sinngemäß etwa so geht: Er hätte noch keine 2 Takte eines Solos, dass das Hinhören überhaupt lohnt, gehört, bei dem sich der Interpret nicht vorher genau überlegt hätte, was er spielen will...

    Was sich nach "Stegreif" anhört, sind bei den guten Leuten vieljährig eingeübte Licks /Patterns über typische Akkordfolgen/Kadenzen, die dann automatisiert abgerufen werden können. Vornehm heißt das dann "Vokabular". Die ganz großen Meister (und das unterscheidet sie von uns Amateuren) haben solch ein Vokabular allerdings für jede! Tonart verfügbar.

    HeinTS hat gesagt, zuviel Nachdenken schadet...stimmt! Ein bisschen Nachdenken vor dem Solo schadet aber auch nicht.

    In diesem Sinne

    Jo

    P.S. Alle kochen nur mit Wasser!
     
  8. Gast

    Gast Guest

    Ich danke euch allen für die coolen Tipps uund Ratschläge!
    Schön das ihr da seid!!! ;-)
     
  9. Salex

    Salex Kann einfach nicht wegbleiben

    Hab diesbezüglich auch noch tipps resp. auch fragen....

    Zum Improvisieren eignen sich doch auch ganz gut die herkömmlichen Tonleitern in Dur und Moll oder...?!

    Wenn ich improvisiere versuche ich auf einer tonart zu spielen und da etwas jazzfeeling reinbringen.....
    Wie bereits oben erwähnt ist das täglich hören von Impros oder sonstigen saxmelodien hilfreich!!

    jetzt meine frage insbesondere @ HeinTS:

    Du sprichst von Jazzharmonie....! Was ist das genau? oder wo finde ich einen Guten beschrieb dazu? ist das grundlegend um guten Jazz zu spielen? Ist das eine spezielle art einer Tonleiter (vergleichsweise Blues-Tonleiter)?

    Danke für die Antworten!
     
  10. HeinTS

    HeinTS Schaut öfter mal vorbei

    Hallo Salex,

    Fangen wir mit dem "guten Beschrieb" an: Es gibt jede Menge Jazzharmonielehre-Bücher. Das derzeit umfassenste und nach Meinung vieler auch beste Buch ist die "Neue Jazz-Harmonielehre" von Frank Sikora (Schott SPL 1032), Vorteil: Es steht nahezu "alles" drin, Nachteil: Keine leichte Kost für Anfänger und keine Sache, die man mal eben in einer Woche "durchgelesen" hat. Aber wer sich einmal durchgefressen hat, ist auf jeden Fall schlauer.

    Das mit der "einen" Tonleiter ist ein guter Anfang, weil man nicht zu sehr an die Töne denken muß, sondern noch Zeit für das richtige "Jazzfeeling" (z.B. richtige Artikulation, Timing, Klang etc.) übrigbleibt:
    z.B. die Bluestonleiter über einem Blues oder eine einzige "dorische" Skala (wie moll mit großer 6 und kleiner 7) über einem sehr einfachen "modalen" Stück mit nur einem Akkord - gelegentliche Ausweichungen in andere Tonarten passen gut in diese Art Jazzmusik.
    Über ein einfaches Harmonieschema wie z.B. I - VI - II - V - I (meint z.B. in C-Dur die Akkordfolge C, a, d, G, C, Kleinbuchstaben sind Mollakkorde) kann man prinzipiell die Töne nur einer Skala spielen - im genannten Akkordbeispiel die Töne von C-Dur. Allerdings merkt man bald, daß bestimmte Töne nicht über jedem der Akkorde "schön" klingen (um das böse Wort "Avoid-Töne" zu vermeiden): So klingt z.B. der Ton F eigenartig beim C-Akkord, der Ton C klingt bei der Dominante G-Dur vorwitzig, weil er den Tonikagrundton vorwegnimmt, und F über a-moll und h (eigentlich schreibt man B und unser "B" schreibt man "Bb", so auch in den folgenden Beispielen) über d-moll klemmen auch irgendwie. Und langweilig wird es auch bald.
    Also muss es wohl mehr geben. Jazzmusik (z.B. bei den amerikanischen Standards der 50er - 60er Jahre) begnügt sich nicht mit den Grundakkorden der Ausgangstonart eines Stückes, sondern will ständig mit neuen Klängen überraschen - also alle 12 Tonarten wollen gleichberechtigt beherrscht werden.
    Ein weiteres Stichwort soll zeigen, daß alles viel komplexer und interessanter ist: "Alteration", d.h. Veränderung einiger Töne - "das Salz in der Suppe". Besonders bei der Dominante (Stufe V) wird man selten eine unalterierte Skala hören. Bei der Ausgangstonart C-Dur wäre die Dominantskala G7 mit den Tönen G-A-H-C-D-E-F. Da sich C nicht gut anhört (s.o.), kann man den Ton einfach erhöhen zum Cis (#11). Die None A kann man erniedrigen (b9)und erhöhen (#9), die "13" E kann man zur "b13" Eb erniedrigen. Vor einer alterierten V. Stufe erscheint der Mollakkord der II. Stufe oft mit tiefalterierter Quinte. Die Tonika (I. Stufe) kommt oft mit erhöhter Quarte, weil die Quarte selber unschön klingt, und und und ...
    aus diesen Gründen denkt man in der Jazzharmonik tatsächlich in "speziellen Arten einer Tonleiter", wie Du schreibst. So gibt es z.B. die
    - Dur-Tonika-Skala (lydisch, wie Dur mit erhöhter Quarte)
    - dorische Skala (s.o.)
    - Dominantskala mixolydisch (G7: G-A-B-C-D-E-F)
    - Dominantskala lydisch-Dominant (G7: G-A-B-C#-D-E-F)
    - alterierte Dominant-Skala (G7: G-Ab-Bb-B-C#-Eb -F)
    - verminderte Dominant-Skala (G7: G-Ab-Bb-B-C#-D-E-F)

    Wem das alles noch nicht reicht, der nimmt beliebige chromatische Durchgänge dazu oder spielt z.B. vor einer Tonika "outside": jeder Ton ist erlaubt, hauptsache schlüssig und überzeugend gebracht und bei Eintritt der Tonika ist man wieder "zu Hause".

    Hoffentlich habe ich Dich jetzt eher neugierig als resignierend gemacht :-?

    Wenn Du einige Begriffe nicht verstanden hast, frage ruhig nach. Vieles wirst Du auch über die Suchfunktion hier oder bei Google, Wikipedia u.ä. finden.

    Gruß
    HeinTS
     
  11. Salex

    Salex Kann einfach nicht wegbleiben

    Hey das ist unglaublich super!

    Danke, dass du dir die Zeit genommen hast für eine so ausführliche Auskunft!
    Danke auch für den Buchtip.

    Es hat mir insofern sehr viel gebracht, dass ich nun weiss, dass ich mein etwas verstaubtes musiktheoretisches Wissen wieder auf Vordermann bringen sollte und dassmir das Sax (allg. Musik) noch sehr viel mehr zu bieten hat!

    Besten Dank!
     
  12. HeinTS

    HeinTS Schaut öfter mal vorbei

    Danke für die positive Reaktion!!

    ... was mir noch einfällt:

    "Harmonielehre" (vertikal) ist nur eine Dimension - kam erst ca. 1614 mit Erfindung des "Generalbasses" dazu. Vorher gab es spätestens seit der Gregorianik (9. Jh.) die Horizontale (Kontrapunkt, Melodiebildung), die beim Saxspielen viel wichtiger ist - für das Vertikale gibt es die Rhythmusgruppe mit Bass; Drums, Klavier, Gitarre, Banjo (obwohl alle auch horizontal können ... nix gegen ein Klaviersolo ...) ....
    Also nicht versuchen, die Akkorde, die Du in der Harmonielehre gelernt hast, um jeden Preis darzustellen, sondern Deine Meldodie einigermaßen zu den Harmonien passend horizontal dadurch zu führen ... Bild "Autobahnbrücke": Pfeiler sind die Harmonien, Du fährst oben drüber und findest die "Strasse" Deiner Melodie durch die "Harmoniesäulen" .. also eher geradeaus blicken als nach unten ...

    Gute Nacht
     
  13. Gast

    Gast Guest

    Hallo Wolf!
    Bin auch am rumdoktern betr. Improvisation. Gestern hatte ich Unterricht und mein Sax-Lehrer, ein absoluter Vollprofi hat mir was vor-improvisiert. Da könntest Du das Horn in die Tonne packen. Ich habe es dann aber als Motivationsgrundlage eingeordnet und bin zur Erkenntnis gekommen: üben...üben..üben. Nur nicht unterkriegen lassen! Ganz wichtig beim Erlernen der Improvisation ist m.E.: Viel anhören! Z.B. bei YouTube "Saxophon Improvisation" eingeben und aufmerksam lauschen! Gute Tipps gibt es auch von Peter Wespi hier im Forum!
    Im Internet hab ich eine interessante Seite gefunden: jazzbop.free.fr - unter "partitions" findest Du 12 Blues Scales mit Tipps zum Üben!
    Viel Spaß! Guido
     
  14. Gast

    Gast Guest

    @ Dino: Danke für diesen speziellen Tip!!!
     
  15. Salex

    Salex Kann einfach nicht wegbleiben

    @ heints:
    Mir ist da doch noch ne frage eingefallen!

    wenn ich mit einem gitaristen, einem Pianisten und einem Bassisten spiele. Und wir "Jazz" spielen, sollte dann nur gerade derjenige der die hauptimprov. spielt auf den Jazzaharmonien spielen, oder tun das immer alle...?
     
  16. hanjo

    hanjo Strebt nach Höherem

    hallo klaus,

    ein blinder kann einem anderen blinden nicht das sehen beibringen.

    aber, soweit ich weiß, ist ein ganz wichtiges rüstzeug hierfür, tonleiterstudien (tl) bis zum vergasen und zurück.

    dadurch erlangst du in deinem gesamten spiel deutlich mehr sicherheit. der haken dabei ist, du mußt es ernst nehmen. seit ende mai betreibe ich diese tl.

    gruß
    hanjo
     
  17. hanjo

    hanjo Strebt nach Höherem

    hallo klaus,

    schau mal bitte hier.

    http://www.saxophonforum.de/modules/newbb/viewtopic.php?topic_id=9530&forum=43

    gruß
    hanjo
     
  18. Otfried

    Otfried Gehört zum Inventar

    Hallo Hanjo,

    das liest sich so, als wenn man nur genügend Tonleiterstudien bis zum vergasen und zurück üben müsste, und dann käme das Improvisieren schon von alleine.

    Auch wenn das ein wenig überspitzt formuliert wurde, habe ich da doch einen Einspruch anzumelden.

    Man kann über jedes noch so komplexe Stück mit wenigen Tönen, ganz ohne große technische Virtuosität wunderschön und gekonnt improvisieren. Höre mal bspw. Miles Davis, Chet Baker und Paul Desmond an. Man muss es aber können, und dieses Können erlangt man nicht oder nur bedingt durch besagte Übungen.

    Das soll nicht heißen, dass technische Übungen nutzlos sind, aber sie sind auch nicht der Gral des Saxophon spielens, improvisierens.

    Ich habe früher alle möglichen technischen Übungen gemacht quer durch sämtliche Tonleitern und Skalen, wurde immer schneller und meine Impros immer dudeliger. Da zehre ich noch heute von, im negativen Sinne.

    Nach meiner Überzeugung sollte das Arbeiten an der Musikalität immer mindestens im Gleichschritt mit der Entwicklung technischer Fertigkeiten erfolgen. Heißt soviel wie, Db-Dur rauf und runter nutzt dir nichts, wenn du nicht ein melodiöses und rhythmisches Gefühl für Db-Dur entwickelst.

    Gruß,
    xcielo
     
  19. hanjo

    hanjo Strebt nach Höherem

    hallo zusammen,

    hallo otfried,

    nein, ich sehe das als voraussetzung dafür, daß ich überhaupt weiß, wovon die rede ist.

    heißt das weniger ist mehr?

    ja, das verstehe ich. ich gehe beispielsweise hin und spiele, nicht nur des dur, in variationen, auch z. b. so, als wäre es eine swing nummer. hast du das so gemeint?

    deine antworten sind von mir sehr gern gelesen. machen sinn. tu dir bitte keinen zwang auferlegen, was die länge deiner antworten betrifft, lasse alles raus. (lol)

    gruß
    hanjo
     
  20. HeinTS

    HeinTS Schaut öfter mal vorbei

    @Salex:

    Es sollten - ausser man will den den "totalen Freejazz" - schon alle die selben Harmonien spielen. Man spricht sich evtl. - falls die Gruppe sich noch nicht gegenseitig so gut kennt, daß jeder weiß, was der andere gerne macht - sogar ab, ob und wie bestimmte Akkorde alteriert werden sollen, falls die Akkorde im Leadsheet (Notenvorlage mit Meldodie und Harmonien) "clean", also ohne Alterationsangaben, notiert sind. Sonst könnte es schon mal weh tun, wenn z.B. in einer 50er-Jahre-Ballade eine alterierte Dominantskala des Solisten mit einem unalterierten Akkord der Begleiter zusammentrifft.

    Gruß
    HeiTS
     
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