Klone, Epigonen, Clowns? Oder nur das Ende des individuellen Ausdrucks?

Dieses Thema im Forum "Saxophon spielen" wurde erstellt von Tröto, 25.Oktober.2014.

  1. Tröto

    Tröto Ist fast schon zuhause hier


    (Dieses Video wurde heute schon in einem anderen Thread von pth präsentiert.)

    Was hätten die Zuhörer bei den sagenumwobenen "Battles" in New York der 30er bis 50er Jahre, von denen immer so gerne erzählt wird, nur gedacht, wenn zwei fast identisch spielende Saxophonisten wie Bill Evans oder Paul Heller dort angetreten wären?

    Spätestens dann, wenn der Wechsel zwischen ihnen alle 4 Takte stattfindet, kann ich die Spielweise von Evans und Heller nicht mehr unterscheiden, obwohl sie schon zuvor in ein und dieselbe Lick-Kiste greifen

    Die Beiden solieren natürlich hervorragend, bitte keine Missverständnisse.

    Aber wie soll man das, was Evans und Heller da abliefern, eigentlich verstehen? :roll: :roll:

    Absicht oder nicht?

    Was meint Ihr?


     
  2. Rick

    Rick Experte

    Hallo Tröto,

    Du sprichst da ein Thema an, das mich auch schon seit geraumer Zeit beschäftigt - ich hatte mir mal eingebildet, Originalität werde belohnt, doch in Wirklichkeit wird sie oft bestraft, weil das Publikum nun mal gerne seine Wiedererkennungs-Erlebnisse hat.
    Spielt jemand eigenständig, wird das oft nicht wertgeschätzt, die meisten möchten lieber jemanden hören, der "genau wie der und der" klingt. (Das gilt sogar für Musikerkollegen, wie ich an eigentlich lobend gemeinten Äußerungen alla "Hey super, jetzt hast du gerade total wie Grover Washington gespielt!" erkenne.) :-(

    Aber früher war das auch schon ein Thema, viele Jazzmusiker haben mit dem Imitieren begonnen und darüber ihren eigenen Stil gefunden.
    Und manche Vorbilder lebten sogar noch und bekamen die Kopiererei durch junge Nachwuchsmusiker mit, wie Lester Young, der ja mal sinngemäß gesagt haben soll:
    "Ich bin total verunsichert und weiß nicht mehr, wie ich spielen soll - so wie ich oder so, wie mich Paul Quinichette nachahmt?" :-o :-D


    Schöne Grüße,
    Rick
     
  3. saxhornet

    saxhornet Experte

    Viel Wind um nichts.
    Es war schon immer üblich von anderen Saxern zu lernen und diese eine zeitlang auch zu kopieren, um so das eigene Spiel zu verbessern, Stilistiken zu verstehen und spielen zu können. Ich kenne einige Saxer, die durchaus gut bestimmte Saxer kopieren können, weil sie sie gut ausgecheckt haben, es aber im Normalfall nicht tun. Dann kommt aber ein Job rein, wo die Aufgabenstellung ist so zu klingen und zu spielen wie xyz und dann wird auch erwartet daß das abgeliefert wird.
    Wenn Du in einer Kombo spielst, die eher einen alten softeren Jazzsound haben will und Du spielst da mit Breckersound (die Guardalazeit) und der Brecker Brothers Stilistik, passt es halt nicht. Also ist es sinnvol mal Lester Young ausgecheckt zu haben. Das heisst nicht, daß man dann immer nur kopiert aber man versteht die Stilistik und kann sich in ihr bewegen. Anders sieht es aus, wenn es wirklich um ein eigenes Projekt geht oder wenn man mehr Freiheiten hat, was nicht immer der Fall ist, da kann man machen was man will.
    Ein guter und typischer Weg ist aber schon immer gewesen: imitate, intigrate, innovate. Und nur weil Jemand einen anderen gut kopieren kann, heisst es noch lange nicht, daß dieser nicht auch sehr eigen klingen kann, wenn er will.

    LG Saxhornet

     
  4. kindofblue

    kindofblue Strebt nach Höherem

    Ich sehe immer wieder gerne diese inszenierte
    Battle
    aus dem Film "kansas city", ...
    recht sympathisch gemacht.

    kindofbattle
     
  5. saxhornet

    saxhornet Experte

    toller Soundtrack, lief vor ein paar Wochen bei mir ein Wochenende rund um die Uhr, konnte mich daran nicht satt hören.
    LG Saxhornet
     
  6. Juju

    Juju Strebt nach Höherem

    Brecker war für eine Generation von Musikern vor allem im Bereich von Funk und Fusion die Messlatte. Es gibt wohl keinen anderen Saxophonisten post Coltrane, der so eine Monopolstellung wie Brecker innehatte und an dem jeder Nachwuchsmusiker irgendwie gemessen wurde.

    Das Problem ist aber doch auch, dass man bei einem Stück wie dem verlinkten keine andere Wahl hat als Macho-Shredding! Alles andere würde sich doch nach Weichei anhören. Das ist doch kein Stück, wo man als Solist einen Spannungsbogen aufbauen kann. Die Rhythmusgruppe kommt daher wie ein Bulldozer und walzt alles über, was sich ihr in den Weg stellt, da ist keinerlei Dynamik oder Space, da kann man doch als Solist echt nur erbarmungslos drüberbrettern, outer, higher, faster, und die beiden machen das hervorragend!

    Was die Nachwuchsmusiker angeht, sehe ich bei der jüngeren Generation eine Tendenz zur Vielfalt. Viele tendieren zu Chris Potter aber nicht in dem gleichen Maß wie es bei Brecker der Fall war. Da sind die Role Models vielfältig und über viele Generationen verteilt, das finde ich sehr positiv

    LG Juju
     
  7. Tröto

    Tröto Ist fast schon zuhause hier

    Meine Frage am Schluss des Thread-Openers war allenfalls ein laues Lüftchen, weil ich eigentlich doch ziemlich unmissverständlich die Blickrichtung auf Evans und Heller gelenkt hatte ; warum daraus eine Grundsatzdebatte wurde, liegt an Dir! Aber nichts für ungut.

    Vielleicht waren meine Fragen auch nicht sonderlich klug gestellt:

    Denn beantworten könnten sie nur die Beiden selbst, alles andere ist selbstverständlich spekulativ. Die Vermutung von Juju finde ich ganz plausibel, wobei ich glaube, dass nur ein Solist durchaus in der Lage gewesen wäre, sein Solo trotz der "Bulldozer"-Rhythmusgruppe im Sinne eines Spannungsbogens aufzubauen.

    Dass Evans und Heller in dem besagten Abschnitt wirklich wie Klone spielen, finde ich nach wie vor frappierend.

    Danke für die Antworten.


     
  8. bluefrog

    bluefrog Strebt nach Höherem

    Als ich das gestern zum ersten Mal gehört habe, war ich auch frappiert. Trotz der Perfektion, oder vielleicht gerade wegen der Perfektion gefällt es mir nicht.

    Das ist es wohl. Und dann noch zwei Machos, die gegeneinander antreten. :roll:

    LG Helmut
     
  9. chrisdos

    chrisdos Strebt nach Höherem

    Hmmmm.....ich finde es halt bei Musikern, die sich auf diesem Niveau bewegen können, zu wenig ihnen zu attestieren, dass sie ihr Handwerk beherrschen. Viel zu wenig! Die musikalische Aussage kann auch in 30 Sekunden abgehandelt werden.
     
  10. saxkai5

    saxkai5 Ist fast schon zuhause hier

    Bill Evans hat seinen ausgeprägten Stil, den Heller in diesem einen Battle imitiert. Das ist wohl so gewollt. Wer vermisst denn da einen Spannungsbogen? Das IST spannend. Es ist ja hier eben keine Jazz-Ballade in traditionellem Stil, wo man sich mit langgezogenen Tönen minutenlang die eigene Seele auskotzt.
    PS. Man hört allerdings ganz gut, wer wen imitiert.
     
  11. Gast

    Gast Guest

    DAS sind richtige Battles (die sind noch alle Originale und nicht der Einheits-Brecker/Potter Brei):

    Ab 7m28



    LG,
    Sara

     
  12. Shorty

    Shorty Ist fast schon zuhause hier

    letztendlich imitieren beide brecker... aber halt nich so gut.
    dann kommt sowas dabei heraus.

    mag zwar chris potter net so dolle, aber der spielt intelektuell in einer höheren liga.

    ich find jerry bergonzi am besten von allen. für mich wirklich der am eigenständigsten und abgedrehtesten.
     
  13. Mugger

    Mugger Guest

    Manchmal frage ich mich schon, wie man sich bei unserer Lichtjahres-Entfernung zu diesen Größen zu solchen fast größenwahnsinnig anmutenden Äußerungen hinreißen lassen kann.

    Oder ist es Provokation?

    Liebe Grüße,
    Guenne
     
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  14. Mugger

    Mugger Guest

    Manchmal frage ich mich schon, wie man sich bei unserer Lichtjahres-Entfernung zu diesen Größen zu solchen fast größenwahnsinnig anmutenden Äußerungen hinreißen lassen kann.

    Oder ist es Provokation?

    Gut, vielleicht muss ich wieder mal meine Signatur lesen.

    Liebe Grüße,
    Guenne
     
  15. Mugger

    Mugger Guest

    Manchmal frage ich mich schon, wie man sich bei unserer Lichtjahres-Entfernung zu diesen Größen zu solchen fast größenwahnsinnig anmutenden Äußerungen hinreißen lassen kann.

    Oder ist es Provokation?

    Gut, vielleicht muss ich wieder mal meine Signatur lesen.

    Liebe Grüße,
    Guenne
     
  16. Juju

    Juju Strebt nach Höherem


    Einheits-Brecker/PotterBrei?
    Brecker und Potter sind beide großartige Spieler aber so unterschiedlich wie Tag und Nacht

    Lg Juju
     
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  17. Otfried

    Otfried Gehört zum Inventar

    Moin,

    ich weiß nicht, warum man so etwas sagt. Das war eine andere Zeit, andere Umstände.

    Ich bin immer noch der Ansicht, dass, wenn die alten Meister, vor denen ich wirklich große Hochachtung habe, aber wenn die einem Michael Brecker zugehört/zugesehen hätten, hätten sie doch den Hut in Anerkennung gezogen.

    Es gibt da so ein paar videos, in denen James Carter mit dem World Saxophone Quartet zusammen spielt. Wobei, zusammen spielt das falsche Wort ist, denn es wird eine One Man Show daraus. Die sicherlich sehr verdienstvollen und großartigen Musiker des Qaurtets werden in m.E. übrigens unmöglicher Weise zu Statisten degradiert.

    Gruß,
    Otfried
     
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  18. saxhornet

    saxhornet Experte

    Muss man Potter, Brecker oder Evans, bzw. wie sie spielen mögen? Nein, natürlich nicht. Spieltechnisch sind das alles Monsterspieler, der absolute Wahnsinn was da technisch geleistet wird. Aber es spricht nicht jeden gleichermaßen an. Während einer davon begeistert ist, hält der andere das für inhaltsleer und ohne Ausdruck.

    Ich persönlich verneige mich vor diesen Spielern und dessen was sie können und habe von allen drei schon Aufnahmen und Konzerte erlebt, die ich echt toll fand oder mich auch mal gelangweilt haben. Aber wenn es mir mal nicht gefallen hat, ist das mein persönlicher Geschmack und ich käme nie auf die Idee deren musikalische Leistung abzuwerten. Mann sollte da manchmal aufpassen.

    Ich gebe Mugger recht, wenn man selber noch im Urschlammmodus steckt sollte man nicht einfach über andere so leicht abfällig urteilen, erst recht nicht, wenn man es selbst nicht besser kann.

    Ich persönlich bin auch kein Fan von Sonny Rollins und Ornette Colemann, halte aber beide für entsprechend gute Musiker, nur liegt ihr Spiel mir weniger als das eines Dexter Gordon halt. Wieder aber nur eine Frage des Geschmacks und es sagt nichts über die Leistung und Fähigkeiten der Musiker aus.

    Man muss das Spiel von Musikern nicht immer mögen, man kann aber deren Leistung durchaus anerkennen.

    LG Saxhornet
     
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  19. bluemike

    bluemike Ist fast schon zuhause hier

    Hi,

    um ein Omelett zu beurteilen, muss man mitnichten selbst Eier legen können. Letztlich wird Musik für Zuhörer gemacht (und nicht zwingend für andere Musiker, das ist ja die Crux). Also darf sich jeder als Zuhörer - als Adressat also - grundsätzlich sein Urteil erlauben. Das ist legitim, ist Teil des Musikmachens und systemimmanent. Wenn auch nicht immer erfreulich.

    Und wie sagte Jack Walrath, der Trompeter von Mingus letzter Band, vor kurzem: Heute sagt man immer: "Er ist ein großartiger Musiker, aber ich mag nicht sehr, was er spielt". Zu meiner Zeit sagte man einfach: "Mir gefällt das nicht".

    Das ist ja das Schöne an einem Forum, dass man über Dinge diskutiert und nicht über die Legtimation des Einzelnen, sie überhaupt in den Raum zu stellen. Denn dann dürfte sich hier kaum einer noch mit dem anderen unterhalten.

    Ein gesunder Subjektivismus anstelle einer alles relativierenden Ja-aber-Sicht hat seine Vorteile, weil er nicht alles mit einer Couverture aus Ausgewogenheit überzieht: Es kann so sein - aber auch anders und immer ist auch das Gegenteil gleichermaßen gültig. Das alles macht die Welt ein bisserl grauer. Im Übrigen bin ich auch nicht der Meinung, dass Musikkritik nur von Musikern getätigt werden dürfe. Das nebenbei.

    Gefallen und Nichtgefallen an einem Mozart-Klarinettenkonzert setzt nicht zwingend die Kenntnis des neapolitanischen Sextakkordes voraus.

    Für gewöhnlich wird das Urteil an den Konzertkassen und Plattenläden und Downloadportalen gefällt. Ist zwar weniger direkt aber dafür noch ein wenig durchschlagender.

    My 5 cents

     
  20. Bereckis

    Bereckis Gehört zum Inventar

    "Einheits-Brecker/PotterBrei?
    Brecker und Potter sind beide großartige Spieler aber so unterschiedlich wie Tag und Nacht

    Lg Juju"

    :danke:
     
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