Hörgeräte und Timing

Dieses Thema im Forum "Saxophon spielen" wurde erstellt von saxhornet, 12.Mai.2015.

  1. antonio

    antonio Gehört zum Inventar

    Woher hast du diesen Wert? Ist das gesichert aus einem Datenblatt? Das halte ich kaum für realistisch - Die Signallaufzeiten in einem Verstärker sind niemals dermassen lang. Da ich aber von der Elektronik eines modernen Hörgerätes nicht viel, bzw. keine Ahnung habe will ich auch nix behaupten, natürlich. Aber solche Laufzeiten wären nur dann möglich, wenn die Prozessoen äusserst langsam wären, bzw. ein Regelkreis dies bedingen würde. Da ja aber zumeist auch noch Hören "aussenrum" reinspielt, gäbe das ja eine sehr seltsame Hörerfahrung.

    antonio
     
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  2. SomethingFrantic

    SomethingFrantic Ist fast schon zuhause hier

    Damit der Tubist nicht verzögert spielt :D Ist auch nur eine Vermutung.
    Aber ein Musiker, der auf einem Instrument mit einer langen Rohrlänge spielt, muss ja eigentlich, aufgrund der Zeit die der Schall durchs Instrument braucht, den Impuls etwas früher geben, damit der Ton dann auch rechtzeitig kommt...
     
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  3. ppue

    ppue Mod Experte

    Ich nehme mal das tiefe Bb auf dem Bariton und das mittlere auf dem Alt. Das macht zwei Oktaven Unterschied. Die erste stehende Welle hat sich beim Bariton in 1,4 ms aufgebaut. Beim Alt geht das schneller in 0,36 ms. Das liegt weit unter dem Wert , den wir auseinander halten können. Wir hörten die Töne also vollkommen gleichzeitig.

    Bei tiefen Instrumenten ist ein anderer Faktor viel ausschlaggebender: Die Trägheit durch die Masse des Blattes, die beim Bariton größer ist, und mit dem Luftstrom erst einmal überwunden werden muss. Die tiefen Instrumente sprechen von daher langsamer an und müssen deshalb tatsächlich "vorne" gespielt werden.
     
  4. bebob99

    bebob99 Strebt nach Höherem

    Leider sind in den Datenblättern diese Werte nicht angeführt, weil sie üblicherweise für die Kundschaft irrelevant sind. Das war Selbstversuch, wobei es hilft, wenn man einen Bruder hat, der Hörgeräte Meister ist. ;-)

    Die Signallaufzeit Verzögerung war bei allen Modellen deutlich erkennbar. Ein "Pam" ist zusammen mit dem Hörgerät immer zu einem "Padam" geworden. Es war immer deutlich länger als "Hall" und noch nicht wirklich "Echo". Ein modernes Hörgerät ist ja nicht einfach "ein Verstärker" sondern ein "Audio Signal Prozessor". Üblicherweise fängt das auf der Eingangsseite damit an, dass der Schall digitalisiert wird, eine FFT mit xx Stützstellen ermittelt wird und dann aufgrund der statistischen Analyse eine Veränderung bewirkt wird, die anschließend durch den DA Wandler wieder in ein Schallsignal umgewandelt wird.

    Wenn Du von einem 44KHz HiFi Signal ausgehst, dann benötigst Du für eine 1024 Stellen FFT im Minimum 23,8mS, weil es eben so lange dauert um 1024 Stützstellen zu ermitteln. Da wurde am Signal noch gar nichts gerechnet. Mit nur 256 Stützstellen kannst Du die Zeit auf ~6mS reduzieren, verlierst aber Signalqualität. Man kann die Rechenoperationen natürlich überlappen und auch die FFT Tabelle durch schieben wenn sie mal voll ist, aber diese Verzögerung hast Du dann schon.

    Die Prozessoren in dem kleinen Ding sind zwar Spezialisten, aber je komplexer die zu bewältigende Aufgabe, desto länger muss das Signal im Vorfeld "beobachtet" werden, bevor es an den Ausgang darf. Echo Unterdrückung, Anti-Pfeif Algorithmus, Signal Richtung ermitteln, Rauschen entfernen, ... das alles führt zu einer erhöhten Signal Durchlaufzeit. Unter Umständen muss einmal eine volle Welle des Signals ermittelt werden, was bei einem 50Hz Ton eben Minimum 20mS sind.

    Das ist am PC bei einer Aufnahme mit digitalen Filtern, Dynamik Kompressor und MP3 Kodierung nicht viel anders. Nur ist das dort ein One-Way Verfahren. Das Ausgangs Signal wird üblicherweise nicht mehr mit dem Original Sound verrechnet. Selbst wenn da 500mS Verzögerung sind, hat man das hinterher korrekt auf Datei. Nicht umsonst hast Du bei einem digitalen Sound Equipment den Ausgang zum Live-Monitor direkt vom Eingang abgezweigt und nicht vom Ausgang. Weil dann die Verzögerung offensichtlich ist.

    Das ist aber jetzt nicht direkt ein Problem der Digitalisierung. Das hast Du mit analogem Signalprozessing genauso. Das ist eher ein theoretisches Problem der Signalverarbeitung. Insofern hilft ein schnellerer Prozessor auch nicht zwangsläufig, DAS Problem zu reduzieren. In Summe führt das zu dem Paradoxon: Je "besser" das Hörgerät, desto länger die Verzögerung. Signallaufzeiten von unter 10mS (über alle Frequenzen) sind aktuell Raritäten. Ab 10mS fängt es an "blechern" zu klingen, ab 30mS bekommt das Geräusch einen "hohlen" Klang.

    Um die Laufzeit zu verkürzen werden schon allerlei komplizierte Tricks angewandt. Zu solchen Themen kann man noch Doktorarbeiten Schreiben. Die Impuls Durchlaufzeit (Metronom) ist aber immer noch erkennbar.

    Für 99.9% aller Hörgeräte Benutzer ist es allerdings völlig unerheblich, ob das Signal 5ms oder 50ms später ankommt. Hauptsache es kommt an.

    Es gibt aber Literatur zu dem Thema:
    Tolerable Hearing Aid Delays
    A FLEXIBLE FILTERBANK ... IN DIGITAL HEARING AIDS
     
  5. Bereckis

    Bereckis Gehört zum Inventar

    @bebob99:

    Da habe ich etwas gelernt! Danke!
     
  6. ppue

    ppue Mod Experte

    Neue digitale Pulte in so manchen Theatern, wo ich spielte, haben ein Monitorsystem, das mich schier verrückt macht. Durch die viele Rechnerei kommt das Signal einfach zu spät an. Kann mir gut vorstellen, wie schwierig das Spielen mit einem Hörgerät mit ähnlichem Delay sein muss.
     
  7. antonio

    antonio Gehört zum Inventar

    @Bebop

    Danke dir für deine fundierten Erläuterungen - das hat Hand und Fuss, was du da schreibst. Dass ein Hörgerät nicht einfach ein Verstärker ist, war mir schon klar - nur dass diese komplexen Be- und Verrechnungsvorgänge um die 30ms benötigen sollen leuchtete mir schon nicht so ganz ein...jenun, da lassse ich mich eines bessern belehren-danke dir.

    Gruss
    antonio
     
  8. bebob99

    bebob99 Strebt nach Höherem

    Sollen sie ja auch nicht, können sie aber mitunter. Man kann bei der Anpassung an einigen Schrauben drehen. Einige moderne Geräte können mehrere Programme speichern, etwa ein "Musikprogramm" bei dem manche Features deaktiviert werden (dynamische Verstärkungsregelung, Richtungsanalyse, ...). Das verkürzt die Latenz.

    Es gibt auch neue Verfahren, die bei der Umwandlung des Signals von der "Zeit-Domäne" in die "Frequenz Domäne", die klassischerweise mit der Fourier Analyse gemacht wird neue Wege gehen. Beispielsweise kann man einen Messpunkt nicht nur nach einem fixen Zeitraster erstellen, sondern dann, wenn sich das Signal um einen definierten Betrag geändert hat. Hohe Frequenzen werden damit schneller gesampelt als tiefe, die Latenz nimmt mit der Frequenz ab. Das kann dann schon mal auch 3-4mS bei 15KHz absinken. Zu unterschiedliche Latenz je nach Frequenz macht aber auch wieder Probleme. Man schaut auch schon dass der Signalgeber (Lautsprecher wäre wohl etwas übertrieben) direkt im Gehörgang sitzt und nicht im (hinter dm Ohr) Gerät. Das spart noch einmal die Laufzeit des Schalls durch den Schlauch.

    Falls jemand sich mal gefragt hat, wofür man promovierte Mathematiker braucht – das ist so ein Betätigungsfeld.

    Das Gehör macht diese Umwandlung in der Schnecke mit mehreren erstaunlichen mechanischen Tricks sehr latenzarm. Zum Einen wird durch die konische Form der Basilarmembran das Signal nach Wellenlänge sortiert. Die Tiefen Töne haben aber damit eine längere Laufzeit bis zur Nervenzelle. Das wird verbessert, indem der Schall vor der Frequenzaufteilung auf ein dichteres Medium mit viel höherer Schallgeschwindigkeit übertragen wird. Das reduziert die Latenz dramatisch bzw. erlaubt es eine viel längere Messtrecke zur Erhöhung der Frequenzauflösung.

    Ein marktreifes Verfahren dieses "Frequenzkamm" Prinzip für die akustische Signalverarbeitung zu verwenden ist mir noch nicht bekannt. Für Radar Signale und optische Signale wird das schon angewandt.

    Da wird sich in den nächsten Jahren auch noch einiges in der Entwicklung tun.
     
  9. antonio

    antonio Gehört zum Inventar

    Wahnsinn, was Evolution alles zustande bringt/brachte...:) Jedenfalls: spannend!

    LG
    antonio
     
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