Swing für Fortgeschrittene

Dieses Thema im Forum "Saxophon spielen" wurde erstellt von ppue, 7.Juli.2015.

  1. ppue

    ppue Mod Experte

    In einem anderen Thread ging es darum, wie man den Swing phrasiert und spielt.

    Benno steuerte eine feine wissenschaftliche Untersuchung bei, die den Thread aber sprengt, denn sie birgt, zumindest für mein Verständnis, wahrlich Sprengstoff.

    Untersucht wurde speziell das Spiel auf dem Becken, nicht zuletzt, weil man dieses Signal am besten heraus filtern und untersuchen kann.

    Für mich der erste Knaller: In moderaten bis schnellen Swing spielt der Drummer den Off-Beat ungefähr 100 ms lang. Wie bitte? Egal ob bei Tempo 160 oder 320 ist der Off-Beat immer gleich lang? Das ginge ja von der landläufigen Meinung, der Swing läge je nach Tempo irgendwo zwischen ternärem (3:2) und geradem Spiel (1:1), völlig ab.
    Und, das tut es, zumindest bei den Schlagzeugern, die in langsamen Tempo sogar im Verhältnis 3:1 und darüber spielen. Das sind also schon punktierte Achtel und eine Sechszehntel!

    Das wollte ich hören und bastelte mir eine Datei mit Becken und Bass. Es geht los im Tempo 120, dann über
    160, 192, 240 bis zu 320 bpm.

    Der Bass spielt Viertel und der Schlagzeuger spielt bei 120 im Verhältnis 3:1, also punktierte Achtel plus Sechszehntel. Der Off-Beat liegt also um ein Sechzehntel vor dem Down-Beat, der vollen Zählzeit. Die Sechzehntel ist 100 ms lang.
    Nun habe ich das Tempo auf 160 bpm erhöht. Der Schlagzeuger spielt nun im Verhältnis 3:2. Der Off-Beat ist immer noch 100 ms lang, rückt aber näher an die vorherige Zählzeit.
    Das geht so weit, dass er bei 320 bpm schon fast im Verhältnis 1:1 spielt (das wäre bei 360 bpm der Fall).

    Und so klingt das Ganze:



    Bei Tempo 120 klingt es noch ein wenig merkwürdig, ansonsten recht gut.

    Nun kommt der zweite Knaller:

    Wir Bläser lernen ja als Basic: Bei langsamem Swing spielt man ternär im Verhältnis 2:1 und je schneller der Swing dann kontinuierlich bis zum Verhältnis 1:1. Und das hört man so auch auf den Aufnahmen.

    Stellt sich die Frage, wie kommen Schlagzeug und Solist dann zusammen? 2:1 auf 3:1 in langsamen Tempo kann nicht grooven. Die Antwort ist einfach, aber ich las sie so zum ersten Mal:

    Da der Solist Laid Back spielt, fängt er knapp hinter dem Down-Beat an, spielt sein 2:1-Verhältnis und trifft so auf dem Off-Beat genau mit dem Schlagzeuger zusammen.

    Je schneller der Swing, desto weniger spielt der Solist dann Laid Back. Während er sich also von einem 2:1- einem 1:1-Verhältnis annähert, macht es der Schlagzeuger von 3:1 zu 1:1. Den Off-Beat spielen sie jeweils exakt zusammen.

    Auch das kann man hier hören:



    Wissen das die Schlagzeuglehrer eigentlich?

    Beste pü'sche Grüße
     
  2. ppue

    ppue Mod Experte

    Vielleicht mit Worten etwas schwer zu erklären, hier ein Notenbild, dass das Geschehen bei 120 bmp wieder gibt:

    [​IMG]
    Oben eine Melodie und unten das Becken. Am versetzten Taktstrich sieht man das Laid Back. Die Off-Beats werden gleichzeitig gespielt.
     
    Zuletzt bearbeitet: 8.Juli.2015
  3. bluefrog

    bluefrog Strebt nach Höherem

    Meine Vermutung, die ich schon im anderen Thread geschrieben habe: Der Off-Beat wird nicht als Folgeton zum vorangehenden Down-Beat aufgefasst, sondern als eine Art Vorschlag zum folgenden, ähnlich wie die Basstrommel beim Samba tatamm tatamm auf 1 und 3 spielt. Hier ist tamm auf dem Down-Beat und das ta "hängt davor".

    Wenn wir beim Swing Off-Beat-Schlag+Down-Beat-Schlag als zusammenghörig auffassen, ist es klar, wieso die Down-Beat-Schläge immer kürzer werden. (Natürlich gennau genommen nicht die Schläge auf dem Becken, sondern der Abstand)
     
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  4. GelöschtesMitglied1589

    GelöschtesMitglied1589 Guest

    Fein hergeleitet und beschrieben, lieber ppue. Mein Nachdenken setzt nach der Lektüre deiner Abhandlung lässt sich pauschal in ein Zitat der Rumpelwichte aus "Ronja Räubertochter" fassen: "Wieso denn bloß?"

    Die Frage nach dem 'warum' ist für mich mindestens so spannend wie die Erkenntnis, dass permanent planloses Verlassen einer zeitlichen Kongruenz natürlich erst einmal Spannung und Antrieb schafft. Schlagzeuger, Bassist und Solist im Swing werden sich nicht abgesprochen haben; es wird sich vielmehr im Laufe der Zeit das Prinzip der Spannung und Reibung, das analog auch harmonisch mit den alterierten Skalen und Harmonien zu beobachten ist, immer mehr entwickelt und verfeinert haben.
    Eine mögliche Deutung ist die, dass das Becken des Schlagzeugs durch seine durchdringende Frequenznische geradezu prädestiniert ist, Spannung aufzubauen, indem es den "Stau der Energie" länger aushält als die Melodie- und Harmonieinstrumente und das auch am prägnantesten hören lässt. Sein 3 :1, gegen das 2 : 1 der Kollegen gesetzt, erzeugt einen fortgesetzten "Wettkampf" und erinnert mich an das Bild eines 100m Sprints, bei dem die Rumpfe der Läufer eigenartig eintönig und ruhig erscheinen, während Arme und Beine in einer Polyrhythmik tanzen. Ein anderes Bild ist ein Galopprennen, das ein ähnlichen ästhetisches Empfinden auslöst.
    Apropos Pferde, das Beispiel hatte ich ja schon einmal in einem anderen Thread bemüht: schaut euch mal den "Swing" eines Gauls mit steigendem Tempo an, und ihr werdet auch dort mit wachsendem Tempo eine Verschiebung der "Fein-Rhythmik" im Spiel der beiden Vorderläufe als Gegenpol zu den Hinterläufen beobachten.

    Es bleibt immer noch nach dem 'wie?' die Frage nach dem 'warum?' Eine mögliche Erklärung ist die, dass die Zeit im Swing die gravierenden Veränderungen des 20. Jahrhunderts, die ich mal pauschal als stetig ansteigenden Druck und Konkurrenzkampf zusammenfassen möchte, spiegelt. Die Musiker im Jazz haben bei ihren wilden Sessions diesen Konkurrenzkampf ja geliebt und gelebt, wollten nach vorne, wollten "dem anderen voraus sein". Nicht von ungefähr gibt es ja im Jazz den Begriff der "Battle", also Schlacht, Kampf oder Krieg.

    Wenn es stimmt, was ich irgendwo gelesen habe, haben ja die Bebop Größen das zum Teil aberwitzige Tempo, verbunden mit großer harmonischen Komplexität gewählt, um ungeliebte Musiker von ihrem Wettkampf auszuschließen. Wenn also die "Außenwelt" ausgeschlossen wurde, ging der Kampf in der "Innenwelt", also innerhalb der Combo, zwischen den einzelnen Mitgliedern weiter.

    Nur eine von Millionen Deutungen.

    Kennt ihr dieses hier von Steve Reich?



    Achtet mal auf die Glocke..... Übrigens eines meiner Lieblingsstücke von Reich.
     
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  5. saxhornet

    saxhornet Experte

    @ppue:
    Ich glaube Du nimmst die Untersuchung zu ernst und misst der zu viel Bedeutung zu. Die Relevanz und Richtigkeit der Ergebnisse kann man glauben oder nicht. Praxistauglich ist das was angeblich festgestellt wurde nicht.
    Für mich swingt keine deiner Schlagzeugspuren (das ist aber auch sauschwer mit Midi umzusetzen).

    LG Saxhornet
     
  6. Gast_13

    Gast_13 Guest

    Ihr solltet den Thread Titel abändern in "Swing für Theoretiker". ;-)

    Überdies ist die notierte Beckenfigur falsch, das ist Boogie aber kein Swing!
     
  7. GelöschtesMitglied4288

    GelöschtesMitglied4288 Guest

    Zumindest interessant. Ich spiele auch Schlagzeug, aber das wäre mir neu... ich fühle es im übrigen wie Bluefrog - als eine Art Vorschlag zum Beat.
     
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  8. ppue

    ppue Mod Experte

    Genau. Das ist das Neue an der Sichtweise, dass man eben nicht Down-Off als Einheit betrachtet, sondern Off-Down. Letzteres ist das zeitlich fixe Pattern, dass im Tempo nicht variiert, egal ob der Drummer 160 bpm oder 320 bpm spielt.

    Der Schlagzeuger muss einerseits ziehen, vorne spielen und trotzdem des Solisten Spiel auf der Und hofieren. Da kann er gar nicht anders, als das Verhältnis erhöhen.

    Saxhornet: Natürlich swingt das nicht so sauber mit den Midinoten. Das es aber in der Praxis genau um diese Verhältnisse geht, zeigt ein Bild aus der gleichen Studie. Ich habe die Instrumente noch eingefärbt und die Noten hinein kopiert: Oben das Becken (oder vielleicht auch Snare), darunter das Soloinstrument und rot der Bass. Das Bild zeigt einen Spektralausschnitt aus "My Funny Valentine" vom Miles Davis Quintett.

    [​IMG]
    Bass und Schlagzeug spielen die Down-Beats zusammen, Schlagzeug und Soloinstrument (blau) die Off-Beats. Der Solist spielt im Verhältnis von 3:2 bis 2:1.

    Es ist also weniger eine Sache von Glauben, sondern das Ergebnis eine Spektralanalyse.

    Die Beckenfigur ist, auch wenn sie einem Shuffle-Rhythmus entspricht, exakt wieder gegeben. Auch das zeigt das Bild. Das ist ja gerade der Witz, um den es hier geht.
     
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  9. saxhornet

    saxhornet Experte

    In Anbetracht der geringen Anzahl von geprüften Aufnahmen, Schlagzeugern und Solisten bei der Untersuchung auf die Du Dich beziehst hat das Null Aussagekraft. Die Datenlage ist viel zu gering um da irgendetwas abzuleiten oder grundlegendes behaupten zu können. Und die Praxisrelevanz ist für mich ebenfalls bei null. Dadurch wird keiner in meinen Augen besser swingen. Was versprichst Du Dir davon?

    LG Saxhornet
     
  10. Gelöschtes Mitglied 5328

    Gelöschtes Mitglied 5328 Guest

    @saxhornet

    Nun ja, das Datenmaterial reicht zumindest aus um daraus eine These ableiten zu können....diese müßte dann durch eine aussagekräftige Versuchsreihe bestätigt oder widerlegt werden.

    Insofern ist Deine Ablehnung der These auch nur eine Behauptung....

    CzG

    Dreas
     
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  11. saxhornet

    saxhornet Experte


    Für eine These brauchst Du überhaupt kein Datenmaterial. Wenn man sowas aber verallgemeinert behaupten will oder beweisen möchte, muss die Untersuchung umfassender sein. Das ist wie die Artikel vor ein paar Jahren, wo drin stand, Saxophonspielen ist ungesung und verkürzt das Leben, es hätte da eine Untersuchung gegeben...... Nur hatte man da nicht geschaut woran die Musiker gestorben waren (z.B. häufiger Drogenkonsum).

    Man kann sich schnell verrennen. Und für die Praxis ist es irrelevant und hat keine Auswirkung darauf ob Du besser oder schlechter swingst. Musiker swingen aber sehr unterschiedlich und viele können sich auch an einander angleichen, sonst würden viele Big Bands gar nicht funktionieren. Andere Musiker wiederum haben so eine starke Tendenz zu schleppen oder vor dem Beat zu spielen, daß Du sie nicht kombinieren kannst.
    Wenn man da wirklich zu genauen Aussagen kommen will muss man zwangsläufig so eine Analyse mit hunderten, wenn nicht mehr, Aufnahmen durchführen. Der Artikel ist ja interessant aber für die Praxis zu wenig relevant.
    Ich lass mich aber gerne vom Gegenteil überzeugen.

    LG Saxhornet
     
  12. ppue

    ppue Mod Experte

    Nein, darum geht es ja gar nicht, saxhornet. Ich verspreche mir davon gar nichts sondern bin überrascht über eine Untersuchung, die mir doch sehr neue Einsichten bringt. Zum Beispiel das Verständnis darüber, wie es klappen kann, das ein Laid Back spielender Solist und ein vorne spielendes Schlagzeug nicht unentwegt klappern. Das ist für mich neu.

    Die Aussagen sind auch eher für das Schlagzeugspiel relevant. Übt der nämlich exakte Triolen ein, so kann es sein, dass das Zusammenspiel eben aus den hier aufgeführten Gründen nicht groovt.

    Es ist nicht meine Untersuchung. Ich wollte es nur nicht glauben, dass man als Schlagzeuger mit dem gleichen zeitlich konstanten Pattern "Und 1" alles vom mittleren bis schnellen Tempo abdecken kann. Das hielt ich für unmöglich, ist aber nun augen- und ohrenscheinlich.

    Die Arbeit hat vier Schlagzeuger untersucht: Adam Nussbaum, Tony Williams, Jack DeJohnette und Jeff Watt. Sie zeigen individuelle Profile in ihrem Spiel aber noch mehr statistische Übereinstimmungen. Das, was da gemessen wurde stimmt schon und ich denke nicht, dass da vier Ausnahmeschlagzeuger ausgesucht wurden, sondern mit die besten ihrer Zeit. An den Fakten komme ich nicht drum herum.

    Und, warum soll ich mir keine Gedanken über Groove machen? Ist für mich lehrreich, hat mir eine neue Sichtweise verschafft und macht darüber hinaus Spaß.

    Ich mache mir die Gedanken nicht dafür, dass man besser swingt oder den Schülern etwas erzählen will. Es ist eine Analyse des schon Gespielten.
     
  13. Blofeld

    Blofeld Ist fast schon zuhause hier

    Auf sowas können auch nur wir Deutschen kommen...
     
  14. mato

    mato Strebt nach Höherem

    @saxhornet
    Wieso so ablehnend? Das ist doch durchaus interessant und geht gegen die derzeitige Erklärung von Swingfaktor und Tempo.

    @ppue
    Es gibt doch auch Saxophonisten die fast gerade über Swingachtel spielen. Oder Cannonball Adderley der seinen Swingfaktor im Spiel variiert und trotzdem immer grooved wie ein wahnsinniger. Da passt die Behauptung dann nicht mehr, oder?!
     
  15. ppue

    ppue Mod Experte

    Öhm, das sind aber eher Schweden.
     
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  16. ppue

    ppue Mod Experte

    Und ich denke, wenn der Solist gerade und Laid Back spielt, wird der eingespielte Drummer gut daran tun, in diesem Fall ternär und nicht punktiert zu spielen.

    Eine noch nicht ganz bewiesene These wäre also diese: Es groovt, wenn der Drummer den Down-Beat mit dem Bass und den Off-Beat mit dem Solisten spielt. So tun sie es zumindest in dem Beispiel oben.
     
  17. saxhornet

    saxhornet Experte

    Dann versuch mal einen laid back spielenden Bassisten und einen on time oder leicht davor spielenden Drummer zu kombinieren, das kann Dich in einer Band zur Verzweiflung treiben, weil es nicht funktioniert vom Groove her.

    Die Auswahl ist einfach zu klein und zu willkürlich, als daß es eine allgemeine Gültigkeit haben kann.

    Man kann sich durchaus über sowas einen Kopf machen, wenn es einem Spaß macht, man sollte nur bei der Ausgangslage nicht zu einer vorschnellen Verallgemeinerung kommen.

    Lg Saxhornet
     
  18. saxhornet

    saxhornet Experte

    Ich lehne es nicht ab, man muss nur vorsichtig sein nicht vorschnell etwas als vollkommen richtig zu werten. Für mich ist es interessant, die Studie hat aber für mich keine Aussagekraft. Das ist so als wenn Du 4 Leute beobachtest, die am rechten Fuss einen linken Schuh tragen und dann sagst alle Menschen tragen am rechten Fuss linke Schuhe, hättest Du aber weitere hunderte von Menschen beobachten, kämst Du zu einem anderen Ergebnis.

    LG Saxhornet
     
  19. ppue

    ppue Mod Experte

    Eben, das würde meine Aussage ja stützen.

    Es reicht doch, wenn man es bei diesen Aufnahmen so gemessen hat. Und mir reicht die überprüfbare Aussage, dass man mit dem gleichen Pattern in fast beliebigen Tempo spielen kann. Das ist einfach erstaunlich.
     
  20. ppue

    ppue Mod Experte

    Nee, das heißt eher, schau, wie grazil sich die vier Menschen bewegen. Wie machen die das? Was haben sie gemein?
     
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