Saxophonunterricht ohne Harmonielehre?

Dieses Thema im Forum "Saxophon spielen" wurde erstellt von hanssax, 18.Oktober.2015.

  1. ppue

    ppue Mod Experte

    Jep, genau und dann schön chromatisch runter zum F13. Funktionsharmonisch Tritonussubstitut von D, G13, Tritonussubstitut von C und F13.

    @JazzPlayer: Die Zahlen kommen von den Tönen der Leiter. Natürlich ist das erlaubt. Die Zahlen bei den Akkorden kommen ja auch aus der Leiter. Sie sind deshalb ungerade, weil es ihre Schichtung in der Grundform des Akkordes ja so vorgibt.
    Das System ist aber, wie schon bei der 6, die du erwähntes, nicht durchgängig logisch. Harmonisch falsch finde ich z.B. die #9, denn mein Ohr sagt mir immer b10 oder b3, nie und nimmer höre ich da eine erhöhte 9. Aber damit muss man leben.
     
    zwar gefällt das.
  2. JazzPlayer

    JazzPlayer Ist fast schon zuhause hier

    @ppue
    Danke für die Antwort. Was die #9 angeht: ähnlich könnte man für die #11 argumentieren, nicht umsonst gibt es ja den Begriff der flatted fifth.
    Mir fiele spontan eine Erklärung für beides ein, die aber ein bisschen an den Haaren herbeigezogen wirkt:
    Nimmt man als Maß aller Dinge den Dur-Dreiklang, dann wären die Benennungen von #9, #11 und b13 jeweils darauf zurückzuführen, dass so der Weg hin zum jeweiligen Akkordton angegeben ist. #9 und #11 löse ich zur Durterz und zur Quinte, also jeweils nach oben, die b13 zur Quinte und die b9 zum Grundton nach unten auf. Genauso wie man in Melodien die Vorzeichen nach Marschrichtung der Melodie wählt, z.B. D-D#-E und A-Ab-G .
    Dann müsste man aber konsequenter Weise bei der Erweiterung zum Vierklang auch von einer #13 statt einer b7 sprechen.
     
  3. deraltemann

    deraltemann Strebt nach Höherem

    also heute hamma mit dem fischman weitergemacht ... seehr gefällig
    aber ich hab heute auch mit mein Lehrer mal mich ganz profan zu dem Thema beschäftigt.
    In der Tat nehme ich das wahr das es sich anders anfühlt, aber ich glaube es ist Trainingssache
    das genau und defniert zu bestimmen ...
    Daher ich dencke Harmonielehre kann helfen, sollte aber wohl dosiert angewendet werden.
    Und Lehrer sollte sich überlegen ob der Schüler das auch in der dargeboten Dosis will und braucht.
    Des Schüler sollt sich überlegen ob er vielleicht ein wenig mehr der Theorie verträgt.

    und jetzt habe ich auch gesehen das es nicht Tinitussubstitution heisst .... dann macht es auch Sinn
     
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  4. giuseppe

    giuseppe Strebt nach Höherem

    Doch.
    Ich seh schon @ppue, man kriegt hier echt nichts geschenkt! (Hab mir an der eher leisen Basslinie die Ohren wund gehört)

    Im ersten Takt spielt der Bass A d a f#, also eindeutig D7, definitiv kein Ab7.
    Das Piano spielt oben im Voicing m.E. F# und G# (das könnte sowohl Terz und #4 sein, oder 1 und b7 des Tritonus-Substitut), was evtl. drunter liegt hab ich auf die Schnelle nicht rausgehört.

    Im dritten Takt spielt der Bass H d g f, also G7, auch kein Substitut.
    Das Piano spielt jetzt oben E und Ab (also Sexte und b9, beim Tritonussubstitut wär das #9 und 5).

    Im fünften Takt spielt der Bass C, aber da ists dann auch egal, da ist das Solo wieder "in".
    Das heißt der Bassist spielt die Standardchanges, der Pianist spielt Tensions, ich weiß nicht genau wovon. Nach Absprache sieht das aber nicht aus.
    Ich bleibe beim göttlichen Bauch.

    Hört noch mal hin! Es ist nicht leicht zu hören, aber der Bass spielt Standardchanges D7, G7, C7. Die Jungs machen nichts auf Absprache, zumindest nicht alle.
    Ihr wollt das Tritonus-Substitut, weil das Ab im Voicing ist und auch im Solo. Soweit ist es also mit Miles' Authorität gekommen: Der Bass spielt falsch! :)
    Das Piano-Voicing ist für mich (noch) nicht schlüssig. Vielleicht denkt der Pianist Ab7 (dann setzt er allerdings die I ganz oben aufs Voicing, was mir als Nichtpianist unüblich erscheint), oder er denkt D7#11, was ich jetzt nicht so abwegig finde. Eine chromatische Rückung im Voicing höre ich auch nicht (das Ab ist auch beim zweiten Akkord oben im Voicing), eher das übliche versetzte Rücken.

    Ich hatte dich so verstanden, als ob du für meine weiter oben diskutierte Ansicht gerne ein Exempel hättest und hab mir daher die Mühe gemacht eins rauszusuchen. Vielleicht hab ich das falsch verstanden. Die Quintfallsequenz ist ja gerade ein Beispiel, welches tendentiell mehr zum modalen Spielen einlädt, und trotzdem kann man hier (wie gezeigt) ohne alle Skalen zu bedienen auf ein tonales Ziel zusteuern. Der Bezug zum tonalen Zentrum bleibt immer da, sonst würdest du bei Sweet Georgia Brown jedesmal die Wiederholung verpassen. Natürlich lassen sich bei 251 vermutlich leichter Beispiele finden, ich dachte nur, dass hier dann der Zeitmangel als Gegenargument angeführt wird.

    Hier stimm ich dir zu. Zeit ist der wesentliche Faktor, der entscheidet, wie präsent ein vermeintlich anderes tonales Zentrum ist und bleibt. Ich bleibe aber dabei: ein Stück mit traditioneller tonaler Harmonik ist mehr als eine Aneinanderreihung verschiedener Modi. Nicht nur aus rein praktischer Sicht.

    Genau.
     
  5. DaSaxx

    DaSaxx Schaut öfter mal vorbei

    Beim Spielen/Improvisieren auf der Bühne zu denken egal ob in Zahlen, Skalen, Harmonien macht glaube ich überhaupt wenig Sinn, da der Zuhörer sonst mit konstruierten und theorethischen Melodien belästigt wird. Ist alles eigentlich nur sinnvoll zum lernen, üben und trainieren zuhause. Auf der Bühne zählt finde ich nur die eigene in diesem Moment empfundene Melodie. Um diese intuitiv ohne zu denken auf dem Horn umzusetzen muss man halt zuhause viel trainieren und wenn man auf die Bühne geht den Schalter umswitchen auf: "Alles was intuitiv drinnen ist spiel ich und vergesse den Rest komplett". Jeder hat sowieso eine angeborene Melodik, der eine hört im Kopf relativ einfache Melodien...der andere wildes Zeug. Je wilder das Zeug ist was man im Kopf hat, desto mehr muss man halt üben um am Ende 1 zu 1 mit sich selbst zu sein ;)

    You've got to learn your instrument. Then, you practice, practice, practice. And then, when you finally get up there on the bandstand, forget all that and just wail.

    - Charlie Parker -
     
  6. giuseppe

    giuseppe Strebt nach Höherem

    Ich glaube der Grund welche Zahlen gewählt werden hat mit der harmonischen Funktion gar nichts zu tun sondern lediglich damit, ob die Zahl im Grundakkord schon anderweitig vergeben ist. Der Dur-Akkord lässt sich beim #9 in der Notation nicht mehr die 3 alterieren, also muss die 9 herhalten, obwohl es natürlich eine Moll- bzw. Blues-Terz ist, die da draufgeschichtet wird. 9 statt 2 und 13 statt 6 ergibt sich aus der Terzschichtung der Akkorde, ich persönlich denke da eher kompakter und sage deshalb schon mal 2 und 6.
    11 und 13 haben in ihrem Verhältnis zur 5 eine gewisse Sonderstellung. Ich denke, durch die Verbreitung der Akkordskalentheorie nicht zuletzt durch die Aebersoldheftchen und durch den Usus der Pianisten, ganze Skalen zu "Voicen", statt notierte Akkorde zu spielen, kommen so Sachen wie A7b5 wohl etwas aus der Mode (Lydisch, Alteriert, Ganzton, etc.?). Sowohl #11 als auch b13 sind bei traditioneller Akkordbetrachtung natürlich dasselbe wie eine flatted fifth, geben aber mehr Information über das weitere Tonmaterial.

    Ich habe übrigens eine Transkription der Basslinie von Oleo gefunden, der Verfasser hörts genauso wie ich (Takt 49 ff.).
    http://thebasscase.com/2012/09/06/oleo-bass-line-by-percy-heath-free-transcription/
     
  7. giuseppe

    giuseppe Strebt nach Höherem

    Zur vorangegangen Diskussion bin ich über einen interessanten Link gestolpert:
    http://stevetres.com/2015/10/where-jazz-theory-got-it-wrong/

    Der Post bringt meinen Diskussionsstandpunkt über die Nachteile einer modalen Sichtweise ganz gut auf den Punkt.
    Der Autor übertreibt vielleicht, wenn er so tut, als würden Jazz-Studiengänge Funktionsharmonik ignorieren, was vermutlich Quatsch ist (persönlich kann ich es nicht beurteilen).
    Aber es steckt ein dicker Funken Wahrheit in dem was er sagt.

    Kennt das Buch irgendwer?
     
  8. saxhornet

    saxhornet Experte

    Das ist wirklich Quatsch. Funktionsharmonik findet sich durchaus im Jazz und im Studium.

    Lg Saxhornet
     
  9. saxhornet

    saxhornet Experte

    Meinst Du den Band von George Russell?

    Das ist eher eine Philosophie, der kann man anhängen, muss man aber nicht. Ich kenne Spieler, die darauf ihr ganzes Spiel basieren. Ich find das Buch etwas übertrieben.

    LG Saxhornet
     
  10. Roland

    Roland Strebt nach Höherem

    "Sola dosis facit venenum."
    - Paracelsus

    Die hier haben die Theorie ja auch einigermaßen verdaut:



    Grüße
    Roland
     
  11. giuseppe

    giuseppe Strebt nach Höherem

    Nein, das Buch von Russell ist mir geläufig und ich finde es bemerkenswert, auch wenn das von ihm vorgeschlagene modale system heute nicht mehr gebräuchlich ist. Erwähnenswert finde ich z. B., dass Russell grundsätzlich eine Handvoll alternativer Skalen zu einem Akkord anbietet. Er unterstützt ja auch die Idee dass man zu jedem Zeitpunkt alle Töne der chromatischen Tonleiter verwenden kann und sieht seine Aufgabe darin, das Spannungsfeld der Töne im Bezug zum tonalen Zentrum erfassbar zu machen. Es hat schon was originelles und ich würde tatsächlich jedem interessierten Jazzmusiker die Lektüre empfehlen. Die Alben Kind of Blue und Giant Steps sollten aus historischen Gründen eigentlich immer im Dreierpakt mit Russells Buch angeboten werden. :)

    Ich meine aber das Buch des Blogautors, zu dem er ziemlich am Ende des Artikels verlinkt.
     
  12. Roland

    Roland Strebt nach Höherem

  13. giuseppe

    giuseppe Strebt nach Höherem

    Danke, das kannte ich gar nicht. Ist immerhin 42 Jahre nach Russell. :)
     
  14. JazzPlayer

    JazzPlayer Ist fast schon zuhause hier

    Als Pianist kann ich dir sagen, dass man nur durch Spielen der Töne eines notierten Akkordes (i.d.R. Vierklang) keinen Sound hinkriegt, der für Jazz fett genug, also durchsetzungsfähig ist. Bei Latin geht das dann schon besser (Stichwort drop2 - Voicings). Um ein Klangbild mit Reibung zu erzeugen, braucht es (übermäßige) Quarten. Logischerweise kann man damit keinen terzgeschichteten Akkord wiedergeben.
    Im Übrigen sollte man bei der Verwendung von der Bezeichnung b5 aufpassen. Das impliziert immer, dass dann keine 5 vorhanden ist, was aber bei lydisch (im Prinzip ein ion#11) der Fall ist. Bei alteriert könnte man von einer b5 sprechen, weil dort tatsächlich keine 5 drin ist, allerdings macht spricht man da meines Wissens nach auf von #11. Möglicherweise wegen der Verwandschaft zur mix#11 Skala der Tritonusvertauschung.
     
  15. hanssax

    hanssax Ist fast schon zuhause hier

    Diese Unterhaltung hier ist ja schon nicht mehr so ganz meine Liga, aber beim Lesen dieses Textabschnitts fiel mir gleich ein, wie erstaunlich es ist, wenn man zu Drones (von Matt Otto z.B.) spielt, wie sich da der Vorhang mit der Zeit immer weiter hebt und man immer noch einen neuen Ton findet, der irgendwie passt: Und am Ende hat man den Verdacht, es könnten vielleicht alle passen, (weil sie ja letztlich alle Teilnehmer der Obertonreihe sind?), man müsste halt nur lernen, es zu hören. - Ist nur so ne Überlegung, also bitte nicht gleich losprügeln.

    Schönen Abend noch Euch Allen
    hans
     
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  16. giuseppe

    giuseppe Strebt nach Höherem

    Das war überhaupt nicht wertend gemeint. Es war nur eine Feststellung, dass es wohl seit dem Bebop zunehmend Usus geworden ist, ganze Skalen zu Voicen, Anfangs wohl vor allem Vierklänge in diversen Umkehrungen aus 3,7, 5 bzw.13 und 1 bzw 9 mit den entsprechenden Alterationen. Die Quartschichtung hätte ich aus dem Hörgefühl dann nochmal ein paar Jahre hinter den Bebop gepackt, aber vielleicht red ich da auch Käse, bin wie gesagt kein Pianist.
    Was du über die b5 sagst, ist genau das, was ich gemeint hab. Der moderne Pianist (=du) fragt nach der Skala und deutet die b5 daher zwangsläufig als #11, so lässt sich eine nicht-verminderte, dur-terz-enthaltende Skala anwenden die in der Regel halt auch die reine 5 hat. Ich glaube aber, dass man trefflich diskutieren könnte, ob die #11 eigentlich eine b5 ist (genauso, wie die #9 eigentlich eine Terz ist).
    Davon abgesehen bin ich schon der Meinung, dass man einen alten Standard durchaus reizvoll mit "klassischen" Voicings versehen kann und damit manchmal stilistisch besser liegt, als alles nach in moderner Weise maximal mit Quarten und Tensions zu salzen. Aber das ist wohl eine Geschmacksfrage (und muss von mir aus auch nicht zur Glaubensfrage werden).
     
  17. giuseppe

    giuseppe Strebt nach Höherem

    Ich finde es auch Wahnsinn, was man da erleben kann - mit nur 2 Tönen. Ich liebe die Schwebungen, die man mit der eigenen Intonation steuern kann. Und irgendwann weiß ich manchmal gar nicht mehr, wo der Ton richtig hingehört, weil die ganzen Schwebungen so Spaß machen!

    Im Zweifelsfall einfach immer zurückprügeln! :)
     
  18. Juju

    Juju Strebt nach Höherem


    So, jetzt habe ich Dave so lange mit dem Ding genervt, dass er es aufgeschrieben hat. Hier ist also seine Transkription:
    Seiner Meinung nach ist das Piano-Voicing im ersten Takt so typisch Tritonussubstitut (Horace Silver spielt das ganz häufig auf diese Art) und wird dann so auch weitergeführt, um die chromatische Abwärtsbewegung zu erreichen. Wenn Dave das bei einem Gig hören würde, also so vom Pianisten serviert bekommen würde, würde er das direkt als solches checken und entsprechend reagieren.
    Um dem Bass gerecht zu werden kann man es als "über D" beschreiben. Der Bassist hangelt sich mehr oder weniger durch den Circle, wobei er mit leichter Latenz aber auch das aufgreift, was der Pianist macht (siehe Takt 2) - kann durchaus sein, dass Miles dem Pianisten zugeflüstert hat:"Man, do that tritone shit", und der Bassist clockt es erst im zweiten Takt. Wobei die Bassline insgesamt schon recht sonderbar anmutet.

    Was grundsätzlich die Interpretation der Chords angeht, ist eine gewisse Ambiguität vorhanden, das kann man im Nachhinein auf verschiedenste Art ausdrücken, wie es am elegantesten ist, kommt einmal auf den Kontext an, aber auch, wie einfach sich das als Akkordsymbol ausdrücken läßt.
    Und der Solist kann letztendlich sowieso machen, was er will...
    Ein guter Bekannter antwortete, darauf angesprochen, ob er darauf eingeht, welche Extensions die Rhythmusgruppe spielt: "I just slam my shit all over it"

    LG Juju
     

    Anhänge:

  19. JazzPlayer

    JazzPlayer Ist fast schon zuhause hier

    @giuseppe: Was die Interpretation der Bezeichnung #9 angeht, da gebe ich dir Recht. Man kann vom Höreindruck her sehr gut argumentieren, dass es eigentlich eine Mollterz ist, die in einen Dursound reingespielt wird. Bei der Quinte würde ich das nicht ganz so sicher behaupter, schließlich sind Quarte und Quinte beides reine Intervalle, die man gut hört. Meine Tendenz würde vielleicht zu 55% zur b5 gehen, aber an sich bin ich da sehr unentschlossen.
    Wir sind uns aber, denke ich, einig, dass eine Notation insbesondere einer #11 viel mehr Sinn ergibt, wenn man damit auch eine 11 ausschließen will, was wohl auch der Regel entspricht. Mit maj7 meint man ja auch, dass keine 7 enthalten ist. Nur die Bebop-Skala bildet da die Ausnahme. Ebenso würde die Notation einer b3 eine 3 ausschließen. Von daher finde ich es ganz passend, dass man die Terz und Quinte, die maßgeblich klangbildenden Intervall im Akkord bei der Notation unangetastet lässt, und sich an den Zwischentönen 9, 11 und 13 vergreift.

    Was den Piano-Style im Bebop, bzw die Quartenvoicings angeht. Es stimmt, dass man im Bebop vorrangig sogenannte close position voicings gespielt hat. Das sind gewissermaßen die Standard-Akkorde, also Grundton, Terz, Quinte, Septim (oder Sechste, wenn so notiert) und das in enger Lage, dazu dann noch meistens ein bisschen zur Auflockerung. Man hört da zum Teil auch sehr grausam simple Rhythmisierungen, die aber auch dem meist hohen Tempo geschuldet sind. Wenn man sich das damalige Spielverhalten von Bass und Schlagzeug ansieht, gibt es aber durchaus Parallelen. Man sollte halt vorrangig die Bläser begleiten, das bei hohem Tempo und fehlerfrei, ohne groß aus der Rolle zu fallen. Zu schrille Begleitakkorde hätten aber auch zum damaligen Duktus der Solisten schlecht gepasst.
    Quartenvoicings haben dann erst mit der nächsten Generation an Pianisten, die ohne Altlasten ihre Innovationen probierten. Hancock, Tyner und Evans (wobei der aus einem anderen Kontext stammt) wären da typische Vertreter dieser Riege. Dazu kamen dann Leute wie Miles Davis (entdeckt von Charlie Parker) oder Coltrane (entdeckt von Miles), die neue Stile prägten und mehr Räume schufen, indem sie "outside" gingen.
    Man stelle sich nur vor, wie so what klänge, wenn der Pianist nur bebop-mäßig einen einfachen Moll7 hämmern würde. Die mehrstimmige Melodie des Stückes besteht ja auch aus Quartenvoicings plus Terzschichtung.
    Letztlich kam aber auch die Emanzipation von Bass und Schlagzeug, sehr deutlich bei Aufnahmen des Bill Evans Trio zu hören, die ebenfalls ihren Teil zum modernen Sound beigetragen haben. Es ist ja nicht so, dass nur von uns Pianisten Wohl und Wehe eines Stückes abhängen.

    Wie man nun aus heutiger Sicht an alte Bebop-Sachen rangeht, ist so eine Frage. Beides ist legitim und für mich nur eine Frage des persönlichen Geschmacks. Vor dem Hintergrund der heutigen Ausbildung würde es mich aber sehr wundern, wenn die Musiker das damalige Klangbild exakt kopieren wollen würden. Dafür ist einfach ein zu großes Repertoire an Techniken sowohl melodisch/harmonisch wie auch rhythmisch vorhanden, dessen Vielfalt zur Geltung gebracht werden will. Ich denke eher, dass man da den vorhandenen Spielraum nutzen würde, und sein Spiel weniger auf akustischen Krawall bürstet. Lässt man "outside"-Geschichten weg und bleibt auch in der Begleitung diatonisch dann ist das schon ein großer Schritt.
    Letztlich haben die Stücke und Formen auch ihre Entwicklung mitgemacht, häufig von bestimmten Musikern beeinflusst. Man vergleiche z.B. Invitation einmal von Stan Getz gespielt, einmal von der Word of Mouth BigBand von Jaco Pastorius. Oder Donna Lee. Und ich denke mal - habe da noch keine Aufnahmen verglichen - dass Sonny Rollins in den letzten 60 Jahren seinen Sound über Oleo auch verändert hat.
     
    Rick und ppue gefällt das.
  20. gaga

    gaga Gehört zum Inventar

    Danke für diese ausführliche Präsentation! Irgendwie betrifft diese "jeder-macht-was-er-will-es wird-schon-irgendwie-passen"-Situation ja insbesondere die Rhythm Changes in Bb. Dieses immer gleiche und dadurch herrlich bequeme Konstrukt läd ja dazu ein, mal hier und mal da zu probieren, wie es klingt und wie wohl die Kollegen damit umgehen - und ob es überhaupt alle merken. (Wenn es sogar der Drummer merkt, war es entweder besonders gut oder besonders daneben...)

    Gerrit
     
    Juju gefällt das.
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