Das Potter-Projekt

Dieses Thema im Forum "Saxophon spielen" wurde erstellt von gaga, 29.Dezember.2015.

  1. gaga

    gaga Gehört zum Inventar

    Großen Dank an @mato + @Werner + @zwar !

    So hab ich mir das vorgestellt. Schwarmintelligenz. Muss ich später mal genauer hinschauen. Mit theoretischem Hintergrund übt es sich viel besser.

    G.
     
  2. gaga

    gaga Gehört zum Inventar

    Genial. Schlüssige Sache. Wenn ich übrigens dort statt G# ein G spiele, klingt es banal. Dann verliert dieser Takt die Spannung und wird zur Tonleiterübung.

    Danke - "netter übermäßiger Reizklang" kommt gut. Was du "Bewegungsaufbau" nennst, ist wohl neben der Bevorzugung von "Reizklängen" einer der wichtigsten Parameter seines Spiels, was verhindert, dass die langen Achtelpassagen langweilig oder "gedudelt" klingen.

    Dann habe ich recht mit G7alt als 7. Stufe von Ab melodic minor. Dieses MM-System "kann" ich bisher nur theoretisch, ich habe die Skalen leider noch nicht drauf und die Anwendung beim Improvisieren schon gar nicht.

    Mir kam selber beim Üben noch die Erklärung für Takt 30, wo ich auf den ersten Blick und rein optisch ein Ebm7 vorfand, obwohl ich ein Fm7 erwartete. Dabei sind die Töne auf Beat 3 Eb und B nur das Einkreisen (targeting) des folgenden C, dann erst folgen die Terz und der Grundton von Fm7 erst auf der nächsten eins.

    +++++++++++++++++++++

    Ich würde mich freuen, wenn jemand anders mit Solopassagen von Saxophonisten aus dieser Postbopriege (Brecker, Redman, Mintzer...) hier ankommt. Man könnte wohl erst dann die Stile dieser zumindest für mich hochinteressanten Leute beschreiben und vergleichen. Ich selber bleibe übersichtshalber erstmal bei Potter, habe aber weder einen Fanclub gegründet noch einen Bravo-Starschnitt an der Wand.

    Ein reizklangreiches Jahr wünscht

    G.
     
  3. Mugger

    Mugger Guest

    Dann sieh Dir mal das Skriptum meines Coaches Bill Plake an.
    Vergiss mein Geschwafel in der Werbung :)

    Melodic Minor Scale Jazz Studies

    Grüßle, Guenne
     
  4. bluefrog

    bluefrog Strebt nach Höherem

    Nicht doch! Du hast mich überzeugt. :)

    Das ist schönes Material für 2016 und heute fasst man gute Vorsätze. ;-)

    LG Helmut
     
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  5. gaga

    gaga Gehört zum Inventar

    Ok - Helmut - ich überlasse dir mein Exemplar :)

    Ich habe zuviele Baustellen, um mir gerade jetzt das nächste Buch zuzulegen. Ich habe erstmal genügend Infos zum Prinzip der Melodic Minor Scale (vor allem aus Levines Theory Book) und Licks und Scalenübungen gibt es auch hier und da im Netz. Ich habe die Einleitung gespeichert und werde sie mir bei Gelegenheit reinziehen. Was ich NICHT mag, sind 2 Seiten lang EIN Pattern in allen 12 Tonarten (die Beispielseite). Alles was ich bisher an Patterns geübt habe, brauchte ich schriftlich genau in EINER Tonart, um es dann zu Fuß und blind um den Zirkel und chromatisch abwärts zu jagen. Da sind Bakers Bebop Bücher prima, aber da wurde noch alles mit der Hand geschrieben.

    G.
     
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  6. Mugger

    Mugger Guest

    @gaga:
    Es ist ein System, das ich für nicht unintelligent halte, weil man es durch hören verstehen kann.
    b9, #9 sind für mich zu abstrakte Begriffe. Als Erweiterungen (verschiedene MMA-Skalen) über die mixolydische Skala kann ich mehr damit anfangen.
    Du könntest dann (denke ich) einiges mehr verstehen, was Potter (nicht nur Potter, auch Parker oder andere) spielen.
    Aber alles, ohne Dich zum Kauf überreden zu wollen, ich hab nix davon, und laut Bill kommt das Buch recht gut an :)

    Cheers, Guenne
     
  7. ppue

    ppue Mod Experte

    @gaga, etwas spät aber dennoch ein paar Sätze zu der von dir ausgesuchten Solopassage.

    Eigentlich beschreibst du ja genau das, was diese ersten acht Takte ausmacht: Der Anfang ist gut verständlich, alles durchaus zu erklären bis zum gis über C. Hier entsteht schon gewaltig Spannung. Dann begreifst du nichts mehr. Wenn du aber das Ende der acht Takte betrachtest, wird es wieder zunehmend einfacher, die Töne den Akkorden zuzuordnen, bis sie auf dem neunten Takt wieder völlig brav den C-Dur-Akkord bedienen.

    Das ist eine riesige Spannungskurve, die ganz parallel in den Tonhöhen abzulesen ist. Auch die beschreiben einen großen Bogen über alle acht Takte.

    Schaut man sich die Struktur an, so fallen die Auf- und Abwärtsbewegungen ab dem dritten Takt auf. Zwei große Wellen, fünf Töne rauf und fünf wieder herunter. Dann, auf dem Höhepunkt der gesamten Phrase, peitscht er die Töne nur noch in Viererphrasen hinauf. Das beschleunigt das Geschehen um sich bald in immer mehr Abwärtsbewegungen einer gemäßigteren Tonhöhe anzupassen.

    Ich bin gerade am Meer und wenn man diese Bewegungen mit ihm vergleicht, hat man ein schönes Bild dafür: Die großen Auf- und Abwärtsbewegungen der ankommenden Wellen, die sich dann schäumend überschlagen sowie deren entspanntes Ausrollen an den Strand.

    Ich halte diese Struktur erst einmal für wichtiger als die harmonische Bestimmung der einzelnen Töne, die sich, der Gesamtbewegung folgend, immer weiter von den Akkorden entfernen. Die höchsten Phrasen sind am weitesten outside gespielt, ganz so, wie die hohen Obertöne, so um die vierte Oktave herum, ja auch outside sind.

    Ich habe die neun Takte mal auf eine ganz brave Begleitung gelegt und entschleinigt. Die Chords sind nicht unbedingt genau denen entsprechend, die du drunter gelegt hast. Tut sich aber alles nicht viel:



    Würde man in diesem Tempo natürlich anders anlegen ein Solo. Zum Studium aber vielleicht ganz gut.
     
  8. zwar

    zwar Ist fast schon zuhause hier

    Ich würde das gerne in einem bild beschreiben. in dieser modernen auffassung des jazz platzt irgendwann im verlaufe des stückes das einschnürende harmonische mieder. die melodiebildung wird (zumindest in meiner idealen vorstellung) freier und unabhängiger von den akkorden. sie beginnt dem zu anfang inhaltsleeren geschwätz von amseln und zeisigen zu ähneln, in dem man, bei genauem hinhören, manchmal erstaunliche musikalische ideen findet. ich sitze manchmal in meinem garten und höre mir an, was die kollegen auf den bäumen so neues erzählen. versuche ich das dann nachzuspielen, habe ich ein problem.
    ein ähnliches empfinden habe ich ich auch manchmal bei den modernen saxophonern.
    der erkenntnisgewinn ist bei dem hören von potter/brecker/etc ist für mich ein anderer als bei den alten säulenheiligen.
    währind ich zb bei parker oft in hohem maße erstaunt bin, was man alles machen kann, ohne die akkorde tatsächlich jemals zu verlassen, finde ich bei den modernen fusionsaxophonisten eher die befreiung der melodie zu einer größeren eigenständigkeit interessant.
    Dass auch in dem bereich manchmal phrasen gedroschen werden, liegt wohl in der natur des menschen. man hat ja auch nicht immer geburtstag...
    was @ppue geschrieben hat finde ich sehr wichtig. es geht gerade bei dieser art von musik mehr um das gesamte konzept, als um die umsetzung von akkordfolgen.
    tatsache ist aber natürlicherweise auch, dass nicht jeder überhaupt sofort hört, wann und wo und auf welche weise "outside" oder "Inside" gespielt wird. in dem falle kommt man wohl um eine genauere harmonierelative analyse nicht herum, wenn mans denn wirklich wissen will. das ist mühsam und langweilig, wird wohl auch oft zwischenhin abgebrochen, und bringt dann auch nicht wirklich was. letztendlich fehlt ja dann die synthese, das skeltt bleibt ohne fleisch, sozusagen.

    gruß
    zwar
     
  9. ppue

    ppue Mod Experte

    Ich habe die Arpeggien mal zu Akkorden zusammen gestellt. Durchgangstöne und chromatische Leittöne habe ich heraus genommen:

     
    GelöschtesMitglied4288 und gaga gefällt das.
  10. gaga

    gaga Gehört zum Inventar

    Das klingt echt krass! Vier Takte lang kann man harmonisch noch folgen, aber beim C7 läuft es aus dem Ruder. Da erfolgt dann spätestens
    Insgesamt bestätigen eure (@zwar, @ppue) Beschreibungen mitsamt der Bilder vom Meer, den Vögeln und den Spannungsbögen das Statement von Potter, erspiele keine Licks, sondern Melodien.

    +++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++

    Wenn ich jetzt auch (erleichtert) akzeptiere, dass Potter (& Konsorten! - ich bin halt jetzt immer bemüht, jeden Anschein von Starkult zu vermeiden...) vermutlich nicht durchgängig pingelig harmonisch berechenbare Läufe absondert, sondern auch leicht mal völlig losgelöst darüber hinauswächst, würde ich euch schon gern noch weitere "Stellen" zum Kommentieren vorstellen - z.B. diese hier - 2.Chorus, letzte beiden Takte der Bridge und letzter A-Teil mit Einstig in den dritten Chorus:
    Anthro2part.jpg

    1. Takte 55/56: extrem wenig G7, zu wenig C#7 oder verm. einfach eine rhythmisch und melodisch schöne Sequenz mit gerade noch rechtzeitiger Wendung nach C?

    2. Takt 61: warum sauberes F#-Dur und nicht F#7 vor dem ebenso eindeutigen F-Dur?

    3. Doppelstrich. Neuer Chorus und zum ersten Mal kein C-Dur mehr. Was ist das dann? (Das kommt dann öfter, dass er mit Tempo und "falschen" Tönen die Chorusgrenzen überrennt.)

    Ich freue mich weiterhin über euer Interesse und über sachbezogene Kommentare.

    G.
     
  11. zwar

    zwar Ist fast schon zuhause hier

    @gaga

    zu 1:
    ich versteh glaub nicht was du da meinst. das ist doch schon grob gesehen G alteriert.

    zu 2:
    du meinst sicher das C7 vor dem F.
    tja, mehr outside geht in dem takt nun wirklich nicht. sogar die kleine septim macht er kaputt! :D deswegen kann man auch schlecht ein tritonussub da rauslesen. trotzdem entsteht spannung, weil die töne ja prinzipiell im F-takt dann halbtönig aufgelöst werden.

    zu 3:
    genau das mein ich ja, dass die eigendynamik der melodie einfach weiter trägt, als die harmonische strasse reicht. eben über akkord und chorusgrenzen hinaus.

    grüße
    zwar
     
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  12. gaga

    gaga Gehört zum Inventar

    Sorry - hast recht. "Mein" G7alt hat nen Haufen b und keine Kreuze. Ich muss einfach flexibler lesen...

    Ja - das isses. Zu dem Thema: Auf der folgenden HP werden zwei Soloaufnahmen von Potter über Rhythm Changes akustisch und transcribiert vorgestellt - die erste "pretty straight forward rhythmically and he is sticking pretty close to the changes and a standard bebop type approach" und die zweite “Potterized Rhythm Changes”) is a bit more advanced. He’s taking more liberties harmonically and rhythmically." http://www.neffmusic.com/blog/2015/01/transcriptions-of-chris-potter-on-rhythm-changes/
     
  13. zwar

    zwar Ist fast schon zuhause hier

    hehe, diese potterisierte fassung habe ich just vor kurzem auf dem pult gehabt. es ist erstaunlich wie die phrasen vom wesen her mutieren können wenn man sie langsamer spielt. tatsächlich kann man das dann sogar mit schmelz spielen.

    Es ist immer wieder interessant und oft für mich seltsam, den musikalischen ideen eines anderen hinterherzuspielen. ich kann allerdings für mich jetzt nicht sagen, dass ich durch das spielen dieses solos großartig was dazugelernt hätte. obwohl, na klar lernt man immer was bei, egal womit man sich beschäftigt. liegt vielleicht dadran, dass mir freies spielen sowieso leichter fällt, als changes auszuspielen.

    gruß
    zwar
     
  14. Mugger

    Mugger Guest

    Moin,

    im Prinzip geht es doch immer nur um Spannung - Entspannung und irgendeine Logik, die dahintersteht.
    Die Logik kann z.B. bei den Dominanten Melodisch Moll sein.
    Ich übe grade nach dem Buch:
    Triad Pairs
    Wenn Du eine Weile Durdreiklänge in Umkehrungen im Halbtonabstand spielst (z.B. D und Eb), und das dann in allen erdenklichen Varianten (oder mit Approach-Notes) über einen Dmaj-Akkord spielst, hörst Du keinen "falschen" Ton.

    Cheers, Guenne
     
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  15. gaga

    gaga Gehört zum Inventar



    Kann er auch.

    Bitte hier keine Geschmacksdiskussion!
     
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  16. GelöschtesMitglied4288

    GelöschtesMitglied4288 Guest

    Witziger Zufall. Ich auch... ;)
    Spannende Diskussion hier. Danke, Leute.
     
  17. saxhornet

    saxhornet Experte

    Generell gilt, die Melodie ist ausschlaggebend. Wird da was in sich stimmiges gespielt, folgt das Ohr gerne auch mal eher der improvisierten Melodie und nimmt Dissonanzen zum Akkord nicht mehr so stark wahr. Das gab es auch schon beim Be Bop, wenn die Melodie stark genug ist, wird die "zum Akkord dissonante" Melodie als korrekt und die korrekten Akkorde eher als falsch wahrgenommen. Die Schwierigkeit ist solche Melodien sich auszudenken beim Improvisieren. Auch schon von Musikern wie Coltrane, nur um einen von vielen zu nennen, kennen wir es daß sie über bestimmte Harmoniefolgen andere spielen als die, die von der Rhythmsection gespielt werden und diese sich auch weit von den Originalharmonien wegbewegen können.

    LG Saxhornet
     
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  18. gaga

    gaga Gehört zum Inventar

    Nach meiner Wahrnehmung bleiben bei Bläserausflügen auch die "korrekten" Akkorde korrekt, solange irgendwann und irgendwo eine Zusammenführung/Auflösung erfolgt. Wenn z.B. in einer Rhythm Changes-Bridge die Rhythmusgruppe "korrekt" (und stur ;-) D7 G7 C7 F7 spielt und ich sequenziere deutlich hörbar über D7 Db7 C7 B7, bleibt alles im Lot - einfach weil jeder "recht hat" und einer Logik/Systematik folgt.

    G7b9 oder G7alt passt ja auch dann, wenn die Rhythmusgruppe ein schlichtes G7 ausspielt oder - etwas krasser - wenn ich über I-VI-II-V den Lady Bird-Turnaround Bb-Db7-Gb7-B7 spiele.

    Wichtig ist nur, dass es bewusst und sicher gespielt wird und dass es stilistisch passt. In einer Dixieband klingt all das falsch - in einer moderneren Combo aber noch eher zahm gegen das, was Potter u.a. heute abliefern.
     
  19. saxhornet

    saxhornet Experte

    Du beschreibst hier aber nur simple Tritonussubstitute und auch daran muss sich das Ohr von Spielern erstmal gewöhnen. Viele Musiker kommen z.B. mit One Note Samba beim Improvisieren oft gar nicht so klar, wo Tritonussubstitute verstärkt vorkommen.
    Ist die Melodie stark genug, setzt sie sich auch gegen andere Harmonien durch, auch wenn sie stärker im Widerspruch zur eigentlichen Harmonie der Stelle ist.

    Dominanten sind da ein schlechtes Beispiel, finde ich, weil es bei ihnen immer um Spannungsanreicherung geht, da ist dann halt auch fast alles möglich. Interessanter wird es wenn man mal schaut was bei anderen Stellen passieren kann und wie es funktioniert.

    Klar ist es immer eine Frage des Stils der gespielt wird und wenn man sich dem Stil anpassen will klanglich, passt einiges bei einigen Stilen halt nicht. Aber auch da habe ich schon spannende Sachen erlebt, die abweichen, ist dann aber halt kein stilechter Dixieland mehr. Also stellt sich immer die Frage, was man gerade will, stilecht oder anders klingen. Beides hat zu einem bestimmten Zeit und Ort seine Berechtigung.

    LG Saxhornet
     
  20. gaga

    gaga Gehört zum Inventar

    Außer "höheren" Einsichten hat mir dieser Pottermuckenthread vor allem zwei neue intensive Baustellen gebracht:

    Ich nehme mir endlich die Melodic Minor Scales vor (ohne Buch ;-).
    Ich kümmere mich um Triad Pairs.

    Zu beiden Themen gibt es bei Jazzadvice.com erstmal genug Futter für mich. Außerdem hat Bill Plake sein MM-Projekt bei bestsaxophonewebsiteever.com ausführlich vorgestellt.

    Die Systematik eines Buches widerstrebt mir häufig, weil ich anwendungsbezogen lernen möchte. Z.B. übe ich jetzt die Ab mel-min-scale, um mit G7alt-Patterns möglichst häufig G7 bedienen zu können. Dann kommen die Rhythm-Changes-Bridge-Akkorde dran - als Dominantkette, als Chromatischabwärtslinie, in tritone-subs. Danach ist wohl wieder Weihnachten... ;-)

    G.
     
    Rick und GelöschtesMitglied4288 gefällt das.
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