Auswendig spielen....immer wieder Thema...

Dieses Thema im Forum "Saxophon spielen" wurde erstellt von Gelöschtes Mitglied 5328, 28.Juli.2016.

  1. tunundlassen

    tunundlassen Ist fast schon zuhause hier

    bestimmt, das rausschreiben ist eine ganz separat anzugehende Herausforderung... bin dran :) Ich denke aber doch, dass das raushören und dann aufschreiben für mich besser funktioniert, als das "Realbook aufschlagen und ab Blatt spielen".

    Ich würde mir eben wünschen, dass ich zu einem Stück, dass ich gelernt habe (zum Beispiel Blue Bossa, Mack the Knife, oder eben bald hoffentlich Doxy), improvisieren könnte, ohne ein Leadsheet vor mir zu haben. Dazu wären ja nötig:
    Schritt 1: Melodie drin haben (also im Ohr, im Idealfall selber rausgehört und selber aufgeschrieben, aber dann hab ichs hoffentlich so verinnerlicht, dass ich diese Noten gar nicht brauche).
    Schritt 2: Akkordfolge verinnerlicht, so dass ich ohne Leadsheet weiss, wos durchgeht im Stück
    Schritt 3: Anhand Gehörbildung hören, wo ich im Stück gerade bin, bzw. in der Form bleiben können.

    Und für Schritt 2 bin ich um Tipps sehr dankbar... Wie könnte das gehen?
     
  2. Bereckis

    Bereckis Gehört zum Inventar

    Dies finde ich persönlich furchtbar. An machen Ort ist dies eine Art von Volkssport.

    Bei mir funktioniert der Schritt 2 nur dann, wenn ich etwas logisch und strukturell erfasst habe. Gute Solisten "hören" die Harmonien innerlich. Erste Orientierung ist für mich immer der Bass.
     
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  3. Florentin

    Florentin Strebt nach Höherem

    Ich möchte mal einwerfen, dass beim "Auswendig Spielen" zwei verschiedene Sachen gemeint sein können:

    Typ A ist ein Musiker, der einen kompletten, komplexen musikalischen Ablauf so lange nach Noten geübt und gespielt hat, dass er ihn dann (beim Konzert) auch ohne Noten spielen kann. Üblich bei Solo-Konzerten in der "Klassik". Ich behaupte mal, dass da auch sehr viel Muskelgedächtnis im Spiel ist: sie wiederholen einen eintrainierten Ablauf von Fingerbewegungen und verwenden die Ohren höchstens zur Endkontrolle. Die würden dasselbe Stück nicht in einer anderen Tonart spielen können, und sie sind auch extrem irritiert, wenn dieser automatische Ablauf irgendwo gestört ist. Wenn sie z.B. rauskommen, müssen sie evtl. wieder vom Anfang beginnen. Der Verzicht auf Noten ist eine erhöhte Schwierigkeit, ich glaube nicht, dass sie dadurch unbedingt ausdrucksstärker spielen. Wahrscheinlich könnten sie noch entspannter spielen, wenn sie die Noten vor sich hätten, "just in case".

    Typ B ist ein Musiker, der das Stück rein nach Gehör spielt. Typischerweise in jeder beliebigen Tonart gleich gut. Aber eben so, wie er es im Kopf hat (durch sein sehr gutes relatives Gehör und musikalisches Gedächtnis). Im Extremfall kann er gar nicht oder nur schlecht Noten lesen. Das waren die berühmten alten Jazz-Solisten. Schwierigkeiten bekommen diese Musiker nämlich, wenn sie vollkommen unbekannte Stücke spielen sollen, oder bestimmte ungewöhnliche Arrangements (oder Unterstimmen) von bekannten Stücken. Das geht in einem Orchester oder in einer Big Band gar nicht (und doch kommen solche Problembären immer wieder vor).

    Ich hab auch mal eine Zeit lang mit einem Trompeter von Typ B zusammen in einer Combo gespielt. Super musikalisch, er konnte im Prinzip auch Noten lesen, hat aber doch immer so gespielt, wie er es im Kopf hatte. Sehr ärgerlich bei Arrangements, wo eine gewisse rhythmische Präzision vonnöten war ...
     
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  4. Gelöschtes Mitglied 5328

    Gelöschtes Mitglied 5328 Guest

    @Florentin

    Ich bin weder Typ A, noch Typ B...spiele aber jetzt zunehmend unsere Stücke auswendig.
    (Auch vorher waren die Noten nur Leitplanken, keine exakte Vorgabe).

    Nach Gehör nachspielen ist für mich schwierig....

    Bin ich jetzt Typ XYZ, oder was????....:eek:

    CzG

    Dreas
     
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  5. Florentin

    Florentin Strebt nach Höherem

    Hallo @Dreas,

    vielleicht bist Du eine Art Typ A? Je besser man die Noten des Stückes kennt, desto weniger braucht man sie für "Details", aber sie geben immer noch eine gewisse Sicherheit.

    Könntest Du die Stücke in einer beliebigen anderen Tonart spielen (wenn Du Dir also nur den Anfangston aufschreibst)?
     
  6. Gelöschtes Mitglied 5328

    Gelöschtes Mitglied 5328 Guest

    Nein. Aber interessant ist, daß ich (meist) den ersten Ton benötige, um dann auswendig zu spielen.
    Vielleicht sollte ich es auch mal mit einer anderen Tonart versuchen....

    CzG

    Dreas
     
  7. ppue

    ppue Mod Experte

    Spiel den Bass, dann sing den Bass, beim Spazieren gehen, im Supermarkt oder auf der Autobahn. Das sollte die allererste Übung sein und damit hast du 80 Prozent von Form und Harmonie des Stücks.
     
  8. ppue

    ppue Mod Experte

    Schöne Stelle in dem Film Round Midnight:

    "You were the one that taught me to listen to the bass and not the drums" und Dexter antwortet: "You would have figured it out in 10 or 15 years anyway"
     
  9. Rick

    Rick Experte

    Es ist mir unverständlich, weshalb es etwas Schreckliches sein soll, wenn jemand zum Spaß ein Buch aufschlägt und daraus spontan ihm völlig unbekannte Stücke zu Gehör bringt.
    Bei Hintergrund-Musik mache ich das mit den Kollegen sehr gerne, es "bildet", weil man so neue Nummern kennen lernt, auf die man sonst vielleicht nie gestoßen wäre: "Kennst du das Lied? Und du? Keiner? Dann spielen wir es!" :-D
    Das wird mir auch immer wieder von den betreffenden Kollegen als gewinnbringendes Erlebnis geschildert.

    Wenn man stattdessen nur auf den längst ausgelutschten Titeln hängen bleibt, diese wieder und wieder durchkaut, kann man daran vielleicht noch etwas feilen, aber mir persönlich macht es einfach mehr Spaß, das Neue zu entdecken.
    Gerade während man so stundenlang bei einem unaufmerksamen Publikum vor sich hin spielt, hilft einem schon diese ständige intellektuelle Herausforderung dabei, nicht irgendwann einzudösen! ;)

    Am letzten Silvester beispielsweise habe ich fünf Stunden Klavier solo gespielt in einem Feinschmeckerrestaurant, wo die Leute keine Musik ANhören wollten, sondern einfach nur zum raffinierten Menü etwas Atmosphäre wünschten.
    Also habe ich mehrere Real Books dabei gehabt, die ich sonst fast nie verwende, und mal geschaut, was da so Interessantes drin steht.
    Fünf Stunden etwas Neues zu lesen, auf diese Weise herausgefordert zu bleiben und meinen Spaß zu haben, war okay - fünf Stunden nur die altbekannten Standards runterzuklimpern wäre tödlich gewesen! :eek:


    Tiefenentspannte Dinner-Jazz-Grüße,
    Rick
     
    Zuletzt bearbeitet: 2.August.2016
    Guido1980 gefällt das.
  10. ppue

    ppue Mod Experte

    Lass uns das bitte nicht zum Streitthema machen.

    Beides ist gut: Noten lesen können und auswendig spielen können. Und jeder darf alles mit dem Instrument machen, was er will. Kunst ist frei, auch wenn manches unverständlich ist (-;
     
  11. Juju

    Juju Strebt nach Höherem

    Am besten mal mit einem relativ einfachen Stück anfangen, z.B. einem Blues. Ein Programm wie Irealb geht sehr gut dafür. Tempo runterdrehen und das auswendig gelernte Thema sicher über die Form spielen. Dann umspiele die Melodie. Dann an den Changes arbeiten, z.B. Arpeggios oder Pentatonik in Vierergruppen und schauen, wo das tonale Zentrum liegt, und wo Wechsel des tonalen Zentrums stattfinden. Als nächstes das Klavier abstellen und nur mit Bass und Schlagzeug arbeiten. Als nächstes den Bass weg. Am Schluss alles weg und ganz a Capella. Ich bin sooo schlecht darin bei schwierigeren Stücken, aber wenn man das kann, ist man ziemlich formsicher, selbst wenn die Rhythmusgruppe sonst was veranstaltet... Je mehr man in der Lage ist, die Rhythmusgruppe innerlich zu hören, desto freier kann man sich in der Form bewegen.
    Gerade bei Standards gibt es eigentlich viele immer wiederkehrende Harmoniefolgen, und wenn man die erkennen kann, erschließen sich Standards auch immer schneller.
    Eigentlich gibt es wirklich kein Einheitsrezept, am besten verschiedene Sachen ausprobieren, denn jeder ist verschieden und lernt unterschiedlich, daher ausprobieren, was für Dich am besten funktioniert - es gibt ja auch Leute mit photografischem Gedächtnis, die brauchen wahrscheinlich das Leadsheet nur einmal anschauen, dann läuft es vor dem geistigen Auge ab. Ich merke mir besonders schnell melodische Tonfolgen, andere basieren ihr Lernen auf dem funktionsharmonischen Schwerpunkt.
    LG Juju
     
  12. Gelöschtes Mitglied 5328

    Gelöschtes Mitglied 5328 Guest

    @Rick

    Ich denke da gibt es ein Mißverständnis.

    @Bereckis Michael sucht immer nach neuen musikalischen Ideen! Er komponiert, arangiert, ist ständig auf der Suche nach neuen Herausforderungen. (grad' eine absolute Bereicherung für PISA!)...

    So wie ich ihn verstanden habe, findet er es langweilig, wenn einfach nur Realbookstandards runtergedudelt werden,
    und es bei Sessions nur darum geht seine Realbookfähigkeiten zu demonstrieren.

    Wenn da jemand Neuland betritt....sicher nicht in der Kritik von Michael....;)

    CzG

    Dreas
     
    Zuletzt von einem Moderator bearbeitet: 2.August.2016
  13. Rick

    Rick Experte

    Claro, ich streite ja auch gar nicht, bin wie gesagt eher tiefenentspannt.
    Möchte nur mal anführen, dass es auch Bereiche des Musizierens gibt, wo das hier gerne kritisierte "Real-Book-Gedudel" seine Berechtigung hat. Andererseits spiele ich ja auch oft genug ganze Gigs auswendig, das ist das andere Extrem. Einmal hatten wir im Duo (Klavier und Kontrabass) beide unsere Noten vergessen, weil jeder dachte, der andere bringt sie mit, das war ebenfalls spannend! :lol:

    Ich bin jedenfalls heilfroh, dass es die Real Books gibt, dass die heutigen Ausgaben deutlich weniger Fehler enthalten als die früheren illegalen und dass ich Leute kenne, die nicht vor Schreck erstarren, wenn man ihnen vorschlägt, mal ein paar Stunden lang ausschließlich uns völlig unbekannte Nummern vom Blatt zu spielen, und das live vor Publikum. Danach ist jedenfalls das Hirn gut durchblutet! :-D

    Friedliche Grüße,
    Rick
     
  14. Bereckis

    Bereckis Gehört zum Inventar

    Hallo @Rick,

    @Dreas hat es schon richtig gedeutet.

    Ich stelle selber beim Üben des Basses fest, dass ich manche für PISA zu übende Standards immer schneller strukturiert erfassen und einfach begleiten kann. Die Raffinesse kommt mit zunehmenden handwerklichen Fertigkeiten...

    Ich vermute, wenn ich dir dort zugehört hätte, dass es mir nicht aufgefallen wäre, dass du auf Entdeckungsreise warst...

    Alles gut!

    Michael
     
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  15. Bereckis

    Bereckis Gehört zum Inventar

    Hallo @Forentin,

    super beschrieben. Ich bin Typ A und wünschte mir manchmal etwas mehr von Typ B zu können....
     
  16. Bereckis

    Bereckis Gehört zum Inventar


    Du tippe, dass du eher Typ A bist...
     
  17. Gelöschtes Mitglied 5328

    Gelöschtes Mitglied 5328 Guest

    Ich weiß nicht...einerseits schon, andererseits....wenn ich z.B. raus komme finde ich auch wieder rein, ohne von vorne beginnen zu müssen. Und die Noten sind für mich immer Leitplanken. Ich schau ja gar nicht konzentriert auf die Noten, sondern erfasse den Ablauf, die Phrasen und spiel' die dann. Konzentriere ich mich wirklich auf die Noten mir bekannter Stücke, fliege ich garantiert raus!

    Und so wie @Florentin Typ A beschrieb, tut der sich mit Impro schwer, tue ich mich aber nicht.....

    Gut, die "Modelltypen" gibt es eh nirgends.

    CzG

    Dreas
     
  18. Bereckis

    Bereckis Gehört zum Inventar

    Ich denke, dass auch die musikalische Entwicklung eine große Rolle spielt. Ich habe relativ früh im Orchester gespielt, daher recht gute Fähigkeiten vom Blatt zu spielen und im Orchester meine Stimme zu hören.

    Da mir sehr früh erzählt wurde, dass ich nicht kann, sind die Fähigkeiten "Hören und singen" eher verkümmert.

    Aber grundsätzlich gebe ich dir recht!
     
  19. Bereckis

    Bereckis Gehört zum Inventar

    Was erwartest du nach 5 Jahren?

    Da bist du noch nicht so geprägt.

    Ein BigBand-Kollege von mir konnte sich vor dem Radio setzen und jedes Stück sehr schnell melodisch mitspielen. Er brauchte aber etwas länger, bis er Noten erfasst hatte, war aber dennoch deutlich rhythmisch präziser als ich. Also Typ B, der die Fähigkeiten des A erlernt hatte? Keine Ahnung! Er war damals ein begnadeter Lead-Saxofonist, was ich nie richtig konnte.
     
  20. ppue

    ppue Mod Experte

    Es ist bei Profis wohl weniger eine Sache des Übens.

    Ich mache das mal an einem Schauspieler fest. Wenn er weiß, wie er eine Textstelle interpretieren möchte, welchen Gestus er dabei hat, welchen Gang er macht oder welche Requisite oder welchen Partner er wie anschaut, dann hat er den Text längst verinnerlicht.

    Das ist eine intensive Beschäftigung mit der Materie, bei der es weniger darum geht, die richtigen Worte (Töne) zu finden (das wird voraus gesetzt), sondern eine gelungene Interpretation abzuliefern. Hat der Spieler die gefunden und einstudiert, dann sind die Töne selbst schon längst automatisiert.
     
    flar, Rick und Gelöschtes Mitglied 5328 gefällt das.
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