Improvisieren ist Zuhören

Dieses Thema im Forum "Saxophon spielen" wurde erstellt von ppue, 19.August.2018.

  1. Paco_de_Lucia

    Paco_de_Lucia Ist fast schon zuhause hier

    Ja, solche kenne ich, aber gerade bei denen sollte man meinen, da kommt jetzt die Offenbarung,
    nee, die wissen nämlich nicht, mit ihrer 'Gabe' umzugehen.
    Gerade die, die sich viele Klänge und Verbindungen 'merken'→vorraushören können, bewegen was im live-act.
    Und dann kommt noch das @ppue → 'Gefühl' dazu, die Interaktion, die ich vom Publikum bekomme.
    Ich kann heute gut verstehen, dass zBsp. ein Svatowslav Richter lieber vor 80-150 Zuhörern Kammermusik spielen wollte, als vor gefühlt 5Tausend das Tschaikowsky Konzert.
    Es ist viel intimer und hat einen direkteren Draht zum Zuhörer.
    Aber auch der 'Job' setzt der Impro Grenzen.
    Am Samstag spielte ich in Leipzig auf einem schönen Fest - da konnte ich nicht 'outside' spielen...
    das wurde als 'schräg bis falsch' empfunden, da musste ich brav den harmonischen Gegebenheiten folgen.
    Das ist ja kein Wertmaßstab, und es ist meine Aufgabe, das genauso überzeugend und ordentlich rüberzubringen, als wäre es das 'Spannenste' was es musikalisch gerade zu hören gibt.
    Ganz gelingt es leider nicht immer, es wird dann schnell auch mir fad - wenn es so zum x-ten mal in der selben Tonart dahinstampft, der Swing nicht wirklich swingt, die Lust der Zuhörer an der Darbietung schwindet, weil der Grillmeister ruft etc. but, its the job.
    cheereo
    Paco
    PS: @zwar tu di ma ned immer so ovi....sagen wir mal, es ist vielleicht nicht die comedia dell'arte oder das Inferno, aber es geht bei Dir sicher über bisi mehr als Smaltalk schon hinaus ;-)
     
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  2. 47tmb

    47tmb Gehört zum Inventar

    Ich habe auch schon an einigen Veranstaltungen des "formlosen" Improvisierens teilgenommen.

    "Lasst aus der Stille heraus etwas entstehen....." :)

    Das Ergebnis war manchmal ein Chaos aus zwanghaftem Vermeiden jeglicher harmonischer Konzepte (Je dissonanter desto schön....), andere male (seltener) ein tolles musikalisches Erlebnis, dass sich aus Zuhören, aufeinander eingehen, "Widersprechen", "Vibrations" aufnehmen, rhythmische und/oder harmonische Gefüge entwerfen, aufbauen, verändern und zerbrechen speist. Das sind für mich denn dann Highlights (wo auch die Zuhörer gerne und gespannt auf die nächste Wendung zugehört haben)
     
  3. zwar

    zwar Ist fast schon zuhause hier

    @47tmb

    Meine Empfindungen bei solchen Experimenten Freien Improvisierens sind da den deinen sehr ähnlich.

    Ich finds nicht schlimm, wenn die Ergebnisse erstmal bescheiden ausfallen, frage mich aber immer, woran es wohl gescheitert ist, wenn.
    Man findet ja eigentlich immer Ansatzpunkte, wo sich lohnt, neu zu probieren. Sei es die reine Reflektion des musikalischen Geschehens, vielleicht anhand von Audio oder Videoaufnahmen, oder eine Änderung der Vorgaben, des Rahmens.
     
  4. Bereckis

    Bereckis Gehört zum Inventar

    Hast du selber nie das Gefühl, dass du immer wieder automatisiert Phrasen nutzt, die du eigentlich nicht mehr magst?

    Mich ärgert immer wieder mal, wenn ich melodisch und improvisatorisch zu inkreativ bin.
     
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  5. Badener

    Badener Strebt nach Höherem


    so auch @Peter Wespi bei seinen Workshops
     
  6. Paco_de_Lucia

    Paco_de_Lucia Ist fast schon zuhause hier

    Ja & ja, aber ich ärgere mich nicht soo darüber, passieren tuts wohl, aber eher bewusst, zBsp. verwende ich gern mal ein Parker-Zitat, so typische kleine 3-4Tönige Floskeln...
    Das ist ein weites Feld und liegt sicher im Auge des Betrachters, ich würd das mal nicht so selbstkritisch sehen.
    Das wird schon seinen Sinn haben, dass Du diese Floskeln immer nimmst.
     
  7. Gelöschtes Mitglied 5328

    Gelöschtes Mitglied 5328 Guest

    Macht doch jeder beim Sprechen auch. Gewisse Floskeln, Phrasen nutzt man individuell und wiederholt die auch immer wieder. Eben das macht unsere Persänlichkeit u.a. aus.

    Gilt übrigens ebenfalls für‘s Schreiben. Sehr schön festzustellen, wenn hier Foristen, die mal abgemeldet waren, mit neuem Nickname wieder auftauchen. Ein par Posts und man weiß wer dahinter steckt.

    CzG

    Dreas
     
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  8. ToMu

    ToMu Strebt nach Höherem

    jepp recht hat er , fiel mir auch schon auf, ich tippe sogar auf Gemeinschafts"konten"

    schön jedoch wenn sie sachlich sind und das Forum bereichern, und das gilt für Vile hier....äh Viele.
     
  9. Gelöschtes Mitglied 5328

    Gelöschtes Mitglied 5328 Guest

    Ich weiß was Du meinst, aber ich denke, dass keiner seine Ansprüche auf @Atkins projizieren wollte.

    So wie ich das Forum kenne, hätte niemand sich aufgeregt, wenn ein Forist geschrieben hätte „ich dudel so vor mich hin, mehr will ich nicht, bin glücklich damit.“

    Bei @Atkins Beiträgen schwingt aber immer auch unterschwellig mit „alles unnötig, braucht kein Mensch, doof wer auch noch Kohle für einen Lehrer ausgibt. Ich weiß eh wie es geht.“

    Das provoziert, vermutlich ist es nicht so gemeint, aber ich empfinde es häufig auch so.

    Es geht nicht um das WAS sondern um das WIE.

    Gerne erwähnt er auch immer wieder, dass er ja grad erst ein Jahr Sax spielt, was einfach nicht stimmt.

    Insofern finde ich die Reaktionen nachvollziehbar....im Grunde ein Kommunikationsproblem....aber so wie ich @Atkins kenne geht ihm auch das am Allerwertesten vorbei.....:lol:....ist für mich auch o. k. ....jeder wie er mag.....

    CzG

    Dreas
     
    Zuletzt von einem Moderator bearbeitet: 20.August.2018
  10. gaga

    gaga Gehört zum Inventar

    Wenn ich meine Helden "studiere", lerne ich große Passagen flüssig und natürlich auch auswendig spielen. Ich lerne z.B. seit Jahren viele "Stellen" aus Trent Kynaston's Rhythm Changes Transcriptions, Rollins und Stitt, Coltrane, Mobley und Griffin, meistens 8-Takter, mal A-Teil, mal Bridge, die dann aber auch im Ernstfall aus den Fingern fliessen. Wenn es denn passiert, versuche ich schon, lange Passagen abzuschneiden und woanders hin zu wechseln, aber sie sitzen - und das ist ja eigentlich auch Sinn der Sache. Auch gibt es mir Sicherheit, wenn ich ein Solo mit 8 Takten von Sonny Stitt starte.
     
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  11. reiko

    reiko Strebt nach Höherem

    Ist das dann noch Improvisation wenn man Transkiptionen auswendig spielt?
    Ich treffe mich gelegentlich mit Gleichgesinnten zur freien Improvisation. Auch lasse ich mich gerne von dem, was ich höre inspirieren.
    Ich habe immer wieder das Gefühl, dass der gehörte Kontext in meinem Kopf Ideen entstehen lässt.
    Natürlich driften solche freien Sachen auch gerne mal ins Chaos mal in magische Momente . Man sollte auch nicht die Bedeutung der eigenen technischen Fähigkeiten im freien Spiel unterschätzen.
    Es sind halt immer viele Baustellen, deswegen hab ich mir ja dieses Hobby ausgesucht.
    Gruß Reiner
     
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  12. Gelöschtes Mitglied 5328

    Gelöschtes Mitglied 5328 Guest

    Für mich nicht.....für mich ist Improvisation was Eigenes, Kreatives....aber zitieren immer möglich....

    Meine Meinung, jeder wie er mag....

    CzG

    Dreas
     
  13. gaga

    gaga Gehört zum Inventar

    Sieh es mal als Lernprozess. Natürlich ist das keine Improvisation. Aber genauso wie wir ohne Ende Skalen und Arpeggios trainieren, damit wir alle diese Töne und Verbindungen im Ernstfall in verschiedensten Zusammensetzungen abrufen können, übe ich Transcriptionen - komplette Solos oder eben Abschnitte daraus. Irgendwann sind sie so drin, dass kleine und kleinste Fetzen davon verfügbar sind - das sind dann eben die Zitate oder noch kürzer Patterns, Licks, Motive...

    Wie anders soll das gehen?
     
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  14. Paco_de_Lucia

    Paco_de_Lucia Ist fast schon zuhause hier

    Theoretisch sicher nicht, wie @gaga schon beschrieb, aber es ist wie in der Sprache - ich habe nur 26 Buchstaben, oder 12 Töne im diatonischen Tonraum [und ich meine nicht jetzt die 12Tonmusik, die aber auch nur 12 Töne besitzt]
    Und ich kann mir die Permutationen ausrechnen, wie die Buchstabenkombinationen. Das ist aber dann immer noch kein verständliches Wort, bzw. verständliche Harmonie.
    Wenn ich also fertige Worte/Pattern benutze, ist das hilfreich,
    es kommt ja aber immer auf den 'Moment' drauf an, wo ich das und wie ich das verwende.
    Das zielt dann auch auf das 'Gefühl' ab, was @ppue so schön beschrieb, damit meinte er sicher nicht - I'm so sad, spielen wir ne Ballade, nein, eher: die Situation, und die der Gedanke formt letzten Endes die Fingerbewegungen, mein Ansatz/Atmung reagiert und es erklingt eine Abfolge von Tönen die meine Wahrnehmung des Moments reflektieren [sehr akademisch beschrieben, sorry]
    Es steckt ne ganze Menge Hirnschmalz im Sinne von zerebraler Rechenleistung dahinter.
    Dazu kommen dann die nächsten Komponenten: Tongeschlechter, Spannung/Entspannung, RHYTHMIK= das wie wo wann...
    Tonhöhe, ich kann ja in tiefen Frequenzen spielen bis rauf in den nicht mehr hörbaren Bereich [theoretisch]
    Und wir benutzen doch auch alle die selben Floskeln im Alltag beim Sprechen.
    Guten Morgen, Gute Nacht, Mahlzeit - das ist wie der Beginn von Worksong, Donna Lee oder Giant Steps....
    Und dann kommt noch die Metawelt hinzu - jede Komposition incl. jedem Solo liegt ein Moment einer bestimmten Emotion zu Grunde, viel. nicht immer nachvollziehbar für mich selbst, andere Zuhörer etc.
    Aber der Komponist, der Maler, der Schriftsteller/Autor hatte eine - ich nenns mal Emotion, als er begann, das Werk zu schaffen, klar, dann kommt Handwerk hinzu, Anpassung durch Kritiker [wie auch immer sie heißen]
    aber es liegt an mir, den emotionalen Gedanken der Komposition zu erfassen, neu/anders zu interpretieren und dann meine Idee daraus zu formen, ich wünsche immer noch einen guten Morgen ;-)
    Knurrig/Lästig→ sprich mich nur nicht an | neutral→ich kann Dich nicht leiden | fröhlich→machen wir Gaudi | ganz zärtlich→ich freu mich Dich zu sehen - um das mal digital plakativ auszudrücken - und das mache ich jeden morgen[hoffentlich] - also, kann ich Rhyhtmchanges gern doch mal mit nem Donna-Lee Zitat starten....

    Well, ein weites Feld - mein Freund Peter Brötzmann sieht das sicher anders - Jazzer müssen Revolution machen.
    In diesem Sinne, einen erfolgreichen musikalischen Tag
    cheers
    Paco
     
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  15. GelöschtesMitglied4288

    GelöschtesMitglied4288 Guest

    Das frage ich mich auch. Alles gehört zwar zusammen und so ein Studium der Jazzsprache zur Verbesserung des eigenen Ausdrucks ist mannigfaltig, aber ohne Zuhören und Nachahmen geht es nicht. Früher habe ich mich vermehrt auf Skalen und Übungen konzentriert - wenn dann noch Zeit blieb, dann auf das Heraushören eines Solos. Das Verhältnis stimmte aber nicht. Seit ein paar Jahren mache ich es nur noch umgekehrt. Die vielen, vielen Tonleitern habe ich längst drauf. Ich spiele also nur noch Solos nach und arbeite anschließend frei und kreativ mit den gesammelten Ideen. Das bringt einen voran. :)

    Er hier hat sehr, sehr, sehr viel nachgeahmt. Herausgekommen ist das nun:

     
    Zuletzt von einem Moderator bearbeitet: 21.August.2018
    gaga gefällt das.
  16. KUS

    KUS Ist fast schon zuhause hier

    Wie Recht Du hast Paco ;-) Das hat mich gerade mal dazu inspiriert "nachzurechnen", wie viele Möglichkeiten der Gestaltung uns in einem 32-taktigen Stück zur Verfügung stehen. Dabei habe ich unterstellt, dass alles durchgängig in Vierteln gespielt wird. Ergebnis: 1,06979701410752E+196 Möglichkeiten. Die Berechnung mit der Annahme nur Achtel zu spielen, war mit Excel nicht möglich ;-) Das ging nur für einen 12-taktigen Blues. Da habe ich dann nur 1,05190382920034E+147 Möglichkeiten. Unberücksichtigt bleiben die Möglichkeiten unterschiedlicher Phrasierung und Artikulation.

    Und was ist nun die Erkenntnis daraus?

    Der Könner hat unendliche Möglichkeiten, sich musikalisch auszudrücken. Und der Anfänger sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht und ist froh, wenn er irgendwie einen Stück Weg für sich gefunden hat, "frei" zu musizieren. Ob das durch Zuhören, Nachspielen, Auswendiglernen, Bauchgefühl ... oder was auch immer erreicht wurde, ist ihm - wahrscheinlich - im ersten Step egal.

    LG Kai
     
  17. gaga

    gaga Gehört zum Inventar

    Nochmal zum Ausgangspunkt. Wenn der Dozent etwa in der Mitte der Videosequenz sagt "mal eine längere Figur machen", dann kommen bei den Musikern gerade eben zurechtgelegte Motive, Patterns, Licks heraus - die Zeit hat man ja bei diesem Vorgehen. Wenn man diese Zeit nicht hat - z.B. beim Jazzsolo über Changes - kommen dann eben spontan abgerufene Motive, Tonreihen, Musikfetzen heraus, die ja irgendwo abgelegt, also einstudiert sein müssen, sonst wäre da nix - außer vielleicht einem Ton pro Takt.

    "Richtig" frei spielt übrigens auch Brötzmann nicht, er hat nur eine ziemlich andere Ausdrucksweise. Aber auch er weiß genau, welches Brötz er mit welchem Griff abruft, und auch er hat automatisierte Handbewegungsabläufe - und wenn wir "frei und kreativ" erzeugte Tonreihen spielen, so spielt er eben seine Brötzreihen.
     
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  18. zwar

    zwar Ist fast schon zuhause hier

    Ich sehe auch da, dass die Phrasen schon stehen, weit bevor sie gespielt werden, ganz deutlich beim piano. Das kurz vorher gehörte wirkt sich nicht gross aus.
     
    gaga gefällt das.
  19. pth

    pth Ist fast schon zuhause hier

    In diesem Video geht es doch darum zu zeigen WIE man sich lösen kann von den Noten. Hier werden die ersten Schritte dorthin gezeigt. Ob das jetzt perfekt ist, ist letztendlich egal. Und klar ist, Brötzmann spielt natürlich Brötzmann.....er bekommt den RAUM von den anderen Musikern Brötzmann zu sein. Das ist der große Unterschied. Wenn ihr einmal diesen Unterschied gespürt habt wollt ihr nur noch fliegen!
    In dem Film https://www.saxophonforum.de/thread...rtraet-drei-jazzerinnen-und-ihre-musik.39965/ wird das sehr deutlich.
    Die Entfaltungsmöglichkeiten die man in der freien Improvisation hat, suche ich woanders vergeblich.
    Ich wage einmal zu behaupten, dass die aktuelle Musik von Musikern wie Charles Lloyd, Wayne Shorter, Tryvge Seim, Markus Stockhausen etc., etwas neues, berührendes dem Publikum zu bieten hat, als Big Band Arrangement.

    HG
    Peter
     
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  20. GelöschtesMitglied4288

    GelöschtesMitglied4288 Guest

    Das kommt wohl darauf an, wie frei das Ganze letztlich ist und wie gut die Musiker tatsächlich interagieren (und ihre Instrumente beherschen!). Ich habe hier in Berlin schon Sachen gehört, die konnte ich mir einfach nicht geben. Die von Dir genannten Musiker sind da ganz harmlos, wie ich finde. Und ja, sie berühren. Mich jedenfalls.

    Mich berührt aber auch sein Spiel hier und ich wage mal zu behaupten, dass ihm keine Entfaltungsmöglichkeit fehlt und er auf seiner Trompete fliegt. Aber natürlich verstehe ich, was Du meinst.
     
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