"Open Jam Sessions" - das neue Milliardengeschäft

Dieses Thema im Forum "Saxophon spielen" wurde erstellt von Weltenbummler, 28.Mai.2019.

  1. Weltenbummler

    Weltenbummler Ist fast schon zuhause hier

    So, ich muss heut' ma wieder einen raushauen und rechne mit dem Schlimmsten!

    Ich bin zzt. viel am Sax, und versuche, mit meinen zwei anderen 2 Sax-Jungs F*** und T*** (wir haben uns nach einem Workshop 2018 zusammengefunden und üben in einem schönen Kellerraum (was ja schon ein Nugget an sich ist)! Wir wollen ein Repertoire zusammenzustellen für kleinere Events. Ist nicht immer so einfach mit dem Tonraum und dem Rhythmus. Bei Impros und Soli sind sie gerne mal 1 1/2 Takte früher fertig als das play-along, oder auch mal später, was bei einem Tonartenwechsel in "Ipanema" [Arbeitstitel "Das Küstengirl"] gut rübberkommt, wenn einer noch in F spielt und der nächste in F#! Outside is das! :)

    Aber es sind zwei sooo nette Menschen... deshalb nehme ich das lieberer in Kauf als persönlichen Bandstress der vergangenen Jahre... hauptsächlich durch überstresste Feierabendmusiküsser oder Leute, die sich für Gott halten und gleichztg. singen, Bass spielen und den Bandleader geben (wollen), aber keins von den drei Sachen richtich auffe Kette kriegen. Is' eben nicht jeder ein "Sting"!

    Es gibt ja inzwischen (neue Einnahmequelle!!!) in vielen gastronomischen Betrieben, sog. "Open Jam Sessions"! Die sind aber gar nicht so offen, denn oft kommen bereits fertig zusammengestellte Bands auf die Bühne und jodeln sich ein "Sympathy for the grauenhaft geplayten Gitarrendevils" nach dem anderen runter... es geht denen ja nicht um (möglichst gute) Musik, iwoo! Gastmusiker, die nicht vorher 28 mal mit denen geprobt haben, bleiben unerfüllt auf den hinteren Rängen sitzen und hoffen darauf, auch mal ran zu dürfen.

    Überall sprießen Ego+Narziss, die zwei siamesischen Zwillinge auf den Bühnen, und da es so viele davon gibt, beklatschen sie sich gegenseitig, sind aber auch sofort neidisch, wenn eine andere Amatör-Combo einen Blues mehr gespielt hat! Inzw. wird Eintritt genommen (obwohl man ja in dem jeweiligen Etablissement auch konsumiert), und es geht schon gar nicht mehr um "Musik"!

    Vor allem die sog. "Bestager", zu denen ich mit 64 mittlerweile selbst gehöre, fallen durch ziemlich rücksichtsloses "Platz da, jetz spiel i!" auf. Die haben (vermeintliche) Fender Vintage Strats am Start (hähä, die sind alle mit Backofen und 60-er Schleifpapier "geaged", denn echte Strats aus den 70-er kosten inzw.6-stellig!!!), unter Selmer mit special rolled tonholes und F1-Titan-Klappen von Louis Hamilton an Cis-, H- und Bb-Klappen nehmen die sowieso nix in die Hand und haben von Ami Weinhaus geweihte Exklusivblättchen am Guardala-Mundstück, das echte von Mike Brecker natürlich. Es geht soo viel um Äußeres.

    Äkwippmänt nuuur vom Feinsten und können grad ma so bis viereinhalb zählen. "Triolen" sind vermutlich Refugees aus Österreich, und "layed back" halten die für eine der üblichen Verspätungen der Bahn auf Gleis 107. "Tenär" ist vermutlich ein ehemaliger römischer Kaiser, der irgendwie Nero angestiftet hat, abends dumme Sachen anzustellen, und "Fermate" muss die griechische Gattin von Tutti Bench Oman sein.

    Ist ja alles ok, niemand soll/muss Musik studiert/erlernt haben , aber vieles von bühnenunreifem Matscho-Gehabe (also dem Verhalten!) geht mir sowas von auf den S...enkel, mannmannmann! Die siamesischen Zwillinge "Ego+Narziss", die sich 'lustige Kopfbedeckungen' wie inner Muppetshow und nachts Sonnenbrillen aufsetzen und deswegen über die Kabel stolpern, bevölkern die Bretter, die in feuchten Träumen die Welt zu bedeuten scheinen, und wer mal da oben steht, will den Platz anner Sonne (unter'm Scheinwerfer) nich mehr freigeben. Freude daran, anderen mal zuzuhören, statt schon in Takt 11 von Chorus 2 reinzubrettern, scheint eine verlorene gegangene (oder nie dagewesene?) Tugend zu sein.

    Aber ich schöpfe die Hoffnung, dass die Jugend das hoffentlich bald ein bisschen besser macht, die haben sich -wie in den Medien nicht zu übersehen- allmählich einen berechtigen Wahrnehmungsplatz in dieser Alter/n Ego-Gesellschaft erkämpft... und dassis auch gut so!

    Hough, ich habe gezwitschert,
    der Blues-Indianer
     
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  2. TycOoN

    TycOoN Ist fast schon zuhause hier

    Idioten gibt es doch überall.

    Zitat Mark Uwe Kling: "Ein Idiot in Uniform, ist noch immer ein Idiot."

    Ich würde sagen die Kunst ist es sich nicht die Freude an seinem Tun durch rücksichtslose Menschen nehmen zu lassen.

    In Zeiten der sozialen Medien in denen es immer mehr gilt sich selbst darzustellen, spiegelt sich das bei vielen auch auf den Alltag ab. Viele Suchen die Aufmerksamkeit anderer. Viele Leben nach der Devise ,,Wenn ich nicht gesehen werde war mein handeln für die Katz" --> man lebt für andere und sucht immer nach dem "Like".

    Etwas für SICH selbst zu genießen fällt immer mehr Menschen schwer. Zum Beispiel: Leute besuchen ein Konzert ihrer Lieblingsband, stehen in der ersten Reihe (hart umkämpfter Platz), ABER haben das ganze Konzert über ihr Smartphone in der Hand und filmen das Konzert. Posten es am Ende auf Facebook und erhoffen sich viele Klicks... Wo bleibt da der Genuss des Momentes? Ich finde das sehr traurig.

    geht vielleicht etwas vom Thema weg...
     
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  3. Paco_de_Lucia

    Paco_de_Lucia Ist fast schon zuhause hier

    @Weltenbummler → alter Wein in neuen Schläuchen
    und: nimm dich in acht vor der Dschäss-Polizei ;-)
    und und: das sind keine Backofen- & mit 40er Schleifpapier geageden - das sind echte 60/70er Strats. Kannste glauben.
    Nicht ärgern drüber - lieber gutes Handwerk erlernen - einen soliden mittelschnellen Blues oder 'all of me' sauber durchspielen incl. nem schicken Solo - schön 'in line'.
    und das wars. Ist überzeugender, weil solide.
    wenn schon einer kommt: "...Alder, mach mal nen groove...." dann pack ich schon zusammen & zahl.

    @TycOoN → Zitat Mark Uwe King - ein geiler Spruch!
    cheers
    Paco
     
  4. Bambusbläser

    Bambusbläser Ist fast schon zuhause hier

    Ich hab grad noch ne Marktlücke entdeckt:
    Smartphone-Halter statt Micro für den Sax-Becher, damit man sich gleich im Netz verewigen kann mit selfies oder livestreams :D
    Oder anstelle der Lyra, das Handy? Wer muss schon Noten lesen...
    [Von wegen: die Jugend machts besser....]
     
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  5. TycOoN

    TycOoN Ist fast schon zuhause hier

    besser wäre vielleicht ein Notenständer mit eingebauter Kamera? dann wäre es universell auch für Geiger und co. anwendbar
     
  6. Weltenbummler

    Weltenbummler Ist fast schon zuhause hier

    Ist m.M.n. genau DAS Thema!! Natürlich gibt es auch zufriedene Menschen, die ruhig auf einer Bank am Bach sitzen, im Café ein Buch lesen und zufrieden wirken, Kinder, die selbstversunken spielen. Ich versuche, je älter ich werde, darauf zu achten. Man muss genau/er hinschauen, denn "die Stillen" fallen ja kaum auf, man ... nee, ich suche das inzw. mehr. Die Krawalltüten sind ja oft nicht zu übersehen/-hören, bestes Beispiel AfD. Ham nix in der Tüte, aber laut knallern!

    Was ich am Erstaunlichsten finde, ist, dass viele gar kein Interesse haben, sich zu verbessern (also, die sich selbst, und nich ne bessere Gitte/Sax kaufen)... "wie machst'n du das mit dem Benden? ...aha, du spielst das in der VII. Lage, klingt das dann besser?... kannst du mir das mal zeigen?" etc.

    Warum stimmt Stephen Stills in "Judy Blue Eyes" seine Gitarre soundso (Open E), wie kriegt Joe Lovano seinen Ton genau so hin, ohne sich für 8k€ sein Setup nachzukaufen? Wer übt denn heute noch stundenlang das A von BBKing oder sucht seinen eigenen Sound? Wer macht sich die Mühe, monatelang eigene Riffs auszuprobieren, wo sind die persönlichen Merkmale: "Ey, das is doch der Dirk, das höre ich!" Ich kann aus 100 Solos meinen Sax-Papa Achim Farr von der "Frankfurt City Blues Band" heraushören, wie ein Heuler seine Mama findet, weil ER mich mit 26 einfach so geflasht hat, dass ich Sax lernen wollte, um nicht zu sagen: "musste"!

    Heute kaufen sich die Leute ein Selmer Reference 54 burstet schlachmichtot und wollen dann klingen wie xy. Ich will aber auch nicht klingen wie Achim oder Michael Brecker, ich will wie ich klingen. Daran arbeite ich seit 38 Jahren, und ich genieße es, wenn ich ab und zu DEN Sound hervorbringe, der mich selbst flasht. Aber ich finde es auch großartig, wenn mich Amateur-/Hobbymusiker mit einem Riff oder dem Klang begeistern, oder auch einfach, weil sie geile Typen sind. Die anderen versuche ich eher als "unvermeidbar" hinten anzustellen, die gibt.s eben auch. "Nimm de Menschen, wie se sinn, es jibt keine anderen."

    "Wichtich is auffem Platz", sagte (glaube ich) mal Charlie Neumann auf Schalke, und der ist meistens in mir drin (also "der Platz", nich Charlie, na hör mal)! :thumbsup:
     
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  7. Werner

    Werner Strebt nach Höherem

    Ich versuche immer mal wieder eine Handyhalterung fürs Sax zu generieren, derart, das man irealbook Charts ablesen kann.




    https://swing-jazz-berlin.de/sorano-solo/
     
  8. Bambusbläser

    Bambusbläser Ist fast schon zuhause hier

    Schonmal mit einem 3D-Drucker versucht?
     
  9. Werner

    Werner Strebt nach Höherem

    Nein, da habe ich bislang keinen Zugang zu.




    https://swing-jazz-berlin.de/sorano-solo/
     
  10. ToMu

    ToMu Strebt nach Höherem

    @Weltenbummler,

    heute ist ein trüber tag bei uns in nordbaden - seis drum.

    mit deinen beiträgen hast du licht in den tag gebracht, ich musste herzlich schmunzeln. offenbar ist die geschilderte krankheit keine nationale, sondern internationale sache.
    wir sind beide gleich alt und haben zumindest im ansatz den selben blickwinkel.
    also herzlichen dank für deinen diesen beitrag.

    drei akkorde spielen können und eine echte les-paul am hals und natürlich die ray bean, äh ban.
    ...und so ein filzhut wie ihn lindenberg trägt (schweineteuer) macht sich halt auch gut.
    wenn dann der schlagzeuger visuell völlig verschwindet vor lauter hänge tom-tom's und becken und dann seinen 41/2 -6/8 takt spühlt kommt leben in die bude.
    und dann kommen noch die effektgeräte vor dem lied-lead gitarrist zum tragen, die erstmal durchgeschalten werden zur freude der ohrenträger.
    damit ich nichts vergesse,der wichtigste knopf für den bassisten ist der "volume" - "dreher". bis der richtig "eingedreht" ist, ist die halbe session vorbei. trockene höschen gibt es backstage.


    Hough, ich habe gezwitschert,


    yes!:sensatio:
     
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  11. gaga

    gaga Gehört zum Inventar

    Adi Preißler war das - und, nein, nicht Schalke, sondern BVB, und sein Spruch war "Grau is alle Theorie - entscheidend is aufm Platz". Das zu wissen ist für mich als absoluten Fußballignoranten schon gewaltig, aber er hat ja soooo recht!!

    Wenn "Open Session" heißt "Alle Stilrichtungen", dann halt dich fern und such dir die kleinen feinen Jazzsessions, wo man Mainstreamjazz macht und erwartet, von Swing über Bob bis Hancock und Bossa oder so. Auch da kann es dir passieren, dass SängerInnen oder Platzhirsche alles diktieren (oder alles können), aber der Umgangston ist insgesamt deutlich sanfter und freundlicher unter Jazzpuristen - ist einfach so und ist mir sehr recht. Das Haus und die Vorgruppe geben den Stil vor.
     
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  12. Roland

    Roland Strebt nach Höherem

    Erlebnis aus den Anfang 90ern:

    War mit einem Kumperl auf ner Party. Dann sgte er: Du musst XYZ kennen lernen, der spielt auch Keyboard! Irgendwann haben wir uns tatsächlich an einen Testeninstrument zusammen gesetzt, geklönt, ausgetauscht, wie spielst Du das, und so weiter.

    Auf der Rückfahrt meinte mein Kumpel: Und, wer hat gewonnen? Ich: Wieso gewonnen? Er: Ihr wart doch beide am Keyboard, wer hat denn gewonnen?

    Ich war da baff und habe ihm erklärt, das war ein freier Austausch unter Musikern und kein Wettbewerb. Verstand er nicht, es 'müsse' doch einen Sieger geben, einen, der besser ist, das müsste man doch klar machen.

    Aua, aua, aua.

    Grüße
    Roland
     
  13. Longtone

    Longtone Ist fast schon zuhause hier

    Was ist schon dabei, wenn einer sein Weinhausgeweihtes mit dem Schnürsenkel bindet ? Oder das 8fach gestrichene D aus dem Selmer quietschen will ? Jedem das Seine - die Toleranz der Mitspieler und Zuhörer zeigt schon den richtigen Weg.
     
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  14. gaga

    gaga Gehört zum Inventar

    Die Gerätschaften machen oft den Unterschied: Bei "meinen" Sessions steht ein Drumset da wie es der Drummer der Vorband benutzt hat - weitere Drummer bringen manchmal ihre eigenen Sticks mit. Der Gitarrist spielt clean und ohne Tretmineneinsatz über den Combo, der da schon steht. Der Bassist benutzt entweder den Kontrabass des Vorbandbassisten oder stöpselt seinen E-Bass in den vorhandenen Amp. Da kommt Freude auf.

    Die von ToMu und anderen beschriebene Situation und die dazugehörige Mucke tue ich mir auch als Zuhörer nicht an, warum sollte ich da spielen wollen?
     
    Zuletzt bearbeitet: 28.Mai.2019
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  15. ToMu

    ToMu Strebt nach Höherem

    ...Weinhausgeweihtes...

    donnerlottchen = wat dat?
     
  16. saxhornet

    saxhornet Experte

    Es gibt längst Handy- und Tablethalterungen für Mikroständer. Und ich spiele in ein paar Bands, wo die Sänger und Sängerinnen diese auch extrem viel nutzen. Entweder für die Texte oder um sich selber aufzunehmen und dann in der Pause wieder Instagramm zu versorgen.
     
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  17. TycOoN

    TycOoN Ist fast schon zuhause hier

    ich weiß ;-) aber einen Notenständer mit eingebauter Kamera habe ich noch nicht gesehen.
     
  18. gaga

    gaga Gehört zum Inventar

    Vor dem Schreiben sollte man mindestens den Post #1 lesen :smil3dbd4e29bbcc7:
     
  19. saxhornet

    saxhornet Experte

    Reden wir hier von festen Bands oder der Band, die eröffnet? Und manchmal dient eine feste Band als Jamband, damit überhaupt eine Rhythmsection zustande kommt.
    Aber Sessions waren schon immer eine Nahkampfzonen. Ob nun 26 Chorusse pro Musiker oder Musik als reine Competition zu sehen und da ist es egal ob Profis oder Amateure, die können gleich nervig sein. Und bei Gitarristen ist es immer wieder schön, wenn sie nur 2 Tonarten können..
     
  20. Jacqueline

    Jacqueline Strebt nach Höherem

    Au backe:D

    Ist aber für Künstler auch nicht die schlechteste Möglichkeit sich zu vermarkten oder (beruflich)? Man kann ja die Gegebenheiten des 21. Jhd. nutzen.

    Wenn es nur für das Ego ist, naja, wer's braucht.
    Vllt waren die Menschen auch schon immer so und nun können sie es endlich damit ausleben :D
     
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